Es ist unstrittig, dass Medizinalcannabis und cannabisbasierte Arzneimittel bei der Behandlung vieler Krankheiten zur Linderung der Symptome und zur Verbesserung des Wohlbefindens sinnvoll bei Patienten eingesetzt werden können. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass eine Reihe von Menschen, die Cannabis vor allem aus Freude am Rausch anwenden, Probleme mit Abhängigkeitssymptomen bekommen. Zwar war lange Zeit umstritten, ob man von Cannabis tatsächlich abhängig werden kann, doch inzwischen ist die Cannabisabhängigkeit sowohl im ICD-10, dem international gültigen Katalog aller anerkannten Krankheiten, als auch im DSM-5, dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, als Störung anerkannt. Dennoch gibt es für die Behandlung noch immer wenige Therapiemöglichkeiten, die gute Erfolgsquoten versprechen.
Das Abhängigkeitspotential von Cannabis liegt mit 6,2% unter dem von Alkohol (11,2%) oder Nikotin (36,0%). Damit scheint die Gefahr, die von Cannabis ausgeht, nicht so groß wie bei einer Alkoholabhängigkeit oder anderen Drogenabhängigkeit zu sein. Doch zum einen bilden Cannabinoide die weltweit am häufigsten konsumierte Gruppe an illegalen Substanzen, zum anderen erfolgt mehr als jeder zweite Erstkontakt (56%) zu Suchthilfestellen in Deutschland wegen Problemen mit Cannabis (1).
Bedarf an Therapiemöglichkeiten ist hoch
Der Bedarf an wirksamen Therapiemöglichkeiten ist also enorm. Dennoch sind die Optionen bislang dürftig. Unterschieden werden kann die Abhängigkeit von einer Toleranzentwicklung. Toleranzentwicklung bedeutet, dass man bei regelmäßigem Konsum mehr (Medizinal)Cannabis oder cannabisbasierte Arzneimittel verwenden muss, um denselben Effekt zu erzielen.
Das Problem einer Toleranzentwicklung besteht vorwiegend im Freizeitkonsum und bei hohen Dosen an konsumierten Cannabis. Eine Toleranzentwicklung kann einer entstehenden Abhängigkeit vorausgehen, ist aber keine Bedingung dafür, dass jemand abhängig wird.
Anzeichen einer Cannabisabhängigkeit
Eine Abhängigkeit von Cannabis entwickelt sich in den meisten Fällen nur nach starkem längerfristigem Konsum, also einem (fast) täglichen Konsum über mehrere Monate. Die Anzeichen, die sich ergeben, wenn dann kein Cannabiskonsum stattfindet, sind typischerweise folgende (nach DSM-5):
Drei oder mehr der Anzeichen, also körperliche Symptome und psychische Symptome, innerhalb etwa einer Woche:
- Reizbarkeit, Zorn, Aggression
- Nervosität, Ängstlichkeit
- Schlafprobleme (Schlaflosigkeit, Alpträume)
- Verminderter Appetit, Gewichtsverlust
- Rast-/Ruhelosigkeit
- gedrückte Stimmung
Beeinträchtigungen durch mindestens eines der körperlichen Beschwerden:
- Bauchschmerzen
- Zittrigkeit/Tremor
- Schwitzen
- Fieber
- Schüttelfrost
- Kopfschmerzen
Anzeichen für eine Abhängigkeit sind auch, wenn die genannten Symptome klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder anderem Umfeld zur Folge haben.
Die Anzeichen lassen sich nicht auf einen anderen Grund, eine andere Erkrankung oder psychische Störung zurückführen.
Offenbar hängt die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall davon ab, wie schwer die Symptome des Entzugs sind. Daher ist dieses Kriterium von Bedeutung für den Therapierfolg.
Cannabisentzug mit Cannabinoiden lindern
Einige wissenschaftliche Arbeitsgruppen beschäftigen sich seit einigen Jahren damit, ob mit Hilfe kontrolliert eingesetzter canabisbasierter Arzneimittel die Entzugssymptomatik gelindert werden kann. Was zunächst absurd klingt, hat einen erprobten Hintergrund. Die Ersatz- oder Substitutionstherapie wird bei anderen Abhängigkeitserkrankungen, z.B. gegen Nikotin oder Opiode, erfolgreich eingesetzt. Die Idee ist, eine Substanz zu verabreichen, die an die gleichen Rezeptoren bindet wie der Suchtstoff, dadurch Entzugssymptome lindern, ohne dabei (im Optimalfall) Rauschzustände oder das Suchtverlangen auszulösen.
Bei Cannabis ist vor allem eine WIrkung am CB1-Rezeptor notwendig. Zu dieser Therapieform gibt es für die Abhängigkeit von Cannabis bisher nur einige wenige Studien. Zwei Studien (2, 3) haben untersucht, ob bei Personen,die sich wegen einer Cannabisabhängigkeit freiwillig in Behandlung begeben, durch die Gabe von Nabiximols (einer Kombination aus THC und CBD als Spray) die Erfolge einer medizinischen Beratung und psychologischer Therapien (z.B. motivierender Gesprächstherapie und kognitiver Verhaltenstherapie) verbessern.
Die Studienteilnehmer enthielten über 12 Wochen zusätzlich zu der Verhaltenstherapie und den Beratungseinheiten entweder ein Placebo oder Nabiximols. In beiden Gruppen verbesserte sich der Gesundheitsstatus in gleichem Maße. Unterschiede gab es in der Anzahl an Tagen, an denen während der Therapie Cannabis konsumiert wurde. In der Gruppe, die ein Placebo erhalten hatte, wurde durchschnittlich an mehr Tagen während der 3 monatigen Therapie konsumiert als in der der Nabiximols-Gruppe. Die Entzugssymptome und das Craving nahmen in beiden Gruppen über die Dauer der Studie ab, allerdings ohne Unterschiede zwischen Placebo und Nabiximols.
Ergebnisse der Studien
Die Autoren schließen daraus, dass die medikamentöse Therapie mit Nabiximols gut geeignet ist, um Cannabisnutzer weg vom sehr ungesunden Konsumweg Rauchen zu bringen und das Konsummuster zu verändern. Zudem ließe sich damit die Konsummenge besser reduzieren als mit anderen Therapiemöglichkeiten allein.
Kritisch zu betrachten ist, dass trotz der Therapie im Durchschnitt jeden dritten Tag Cannabis konsumiert wurde (3) – von einer Abstinenz ist das weit entfernt, es ist jedoch ein Anfang. Eine andere Studie (4) kam zu dem Ergebnis, dass durch Nabiximols zwar die Entzugssymptome gelindert und kontrolliert werden können, nach dem Absetzen aber die Rückfallraten nach einem Monat genauso hoch wie bei Placebo, nämlich 69%, lagen. Daher ist sehr fraglich, ob die Erfolge aufrecht erhalten werden können, wenn Nabiximols abgesetzt wird. Interessant wären Untersuchungen, ob man die tägliche benötigte Menge an Cannabinoiden durch eine Reduktion der Nabiximols-Menge nach und nach reduzieren kann. Das wäre jedoch bei schweren Abhängigkeitssyndrom eine interessante Therapieoption.
Die Limitierungen dieser Therapieoption sind nicht von der Hand zu weisen. Doch welche Alternativen gibt es eigentlich?
Behandlungsmöglichkeiten bei Cannabis-Abhängigkeit
Personen mit einer Abhängigkeit von Cannabis sind eine sehr heterogene Gruppe. Daher sind unterschiedliche Beratungs- und Behandlungskonzepte notwendig. Einen einheitlichen Weg, der bei allen Betroffenen gleichermaßen beschritten werden kann, gibt es nicht.
Kognitive Verhaltenstherapie
Ausführlich erprobt, untersucht und bewährt sind Methoden der Psychotherapie. Als Kernelement gilt häufig die kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapie (CBT, Cognitive Behavioural Therapy). Sie verbindet zwei Elemente, zum einen die kognitive Therapie, bei der man versucht, sich über seine Gedanken, Einstellungen und Erwartungen klar zu werden. Das Ziel ist, nicht zutreffende und belastende Überzeugungen aufzudecken und zu verändern. Zudem können Cannabis-Konsumenten herauszufinden, ob es bestimmte Verhaltensweisen gibt, mit denen man sich das Leben schwer macht oder die es einem erschweren oder die Probleme noch verstärken. Im nächsten Schritt besteht die Arbeit darin, solche Verhaltensweisen zu ändern.
Der Betroffene soll eine Motivation entwickeln oder verstärken, um das eigene Verhalten zu verändern. Dazu braucht er häufig Unterstützung durch einen Psychotherapeuten.
Häufig wird die CBT mit anderen (psychotherapeutischen) Methoden kombiniert (z.B. motivierende Gesprächsführung) und dadurch nachgewiesenermaßen noch wirksamer, wenn die Faktoren Abstinenz und Konsumreduktion betrachtet werden.
Multidimensionale Familientherapie
Die Multidimensionale Familientherapie (MDFT) eignet sich besonders für jugendliche Abhänge. Bei einer MDFT werden Einzelsitzungen mit dem Jugendlichen und den Eltern mit Familiensitzungen verbunden. Auch das soziale Umfeld (Freunde, Lehrer, Schule) wird miteinbezogen.
Online-Interventionen
Eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen ist für viele Betroffene eine hohe Schwelle. Daher bieten Online-Interventionen hier Möglichkeiten, auf einfachem Wege Kontakt zum Hilfesystem zu bekommen. Beispiele hierfür sind:
- CANreduce (6)
Weitere pharmakologische Therapieansätze
Neben der Idee, die Cannabisabhängigkeit mit Cannabinoiden (Nabiximols) zu behandeln, wurden auch eine Reihe weiterer Medikamente versucht, die im Zusammenhang mit anderen (Sucht)Erkrankungen bereits gute Ergebnisse gezeigt haben. Einige davon bringen aber bei Cannabisabhängigen nicht die erwünschte Wirkung. Die umfassendsten positiven Effekte wurden mit dem Medikament Gabapentin beobachtet. Es hat günstige Effekte auf die Verminderung des Cannabiskonsums und die Entzugssymptome und auf körperliche und psychische Beschwerden (7).
Mehr zu Nabiximols gegen Cannabisabhängigkeit.
Einige andere Medikamente zeigten einzelne günstige Wirkungen, z.B. auf die Reduktion der Konsummenge. Gleichzeitig wurden aber erhöhte Raten an Nebenwirkungen im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachtet (v.a. bei Antidepressiva). Nur das Nahrungsergänzungsmittel N-Acetylcystein wirkte konsumreduzierend, ohne negative Wirkungen zu erzeugen.
Im Zusammenhang mit der medikamentösen Therapie ist es wichtig zu wissen, dass diese niemals alleine funktioniert. Sie kann immer nur als unterstützende Maßnahme, besonders bei Fällen schwerer Abhängigkeit, gesehen werden, um die Entzugssymptome und das Suchtverlangen soweit zu verringern, dass der Betroffene in der Lage ist, sich aktiv gegen die Verwendung von Cannabis (oder anderen Drogen) zu entscheiden.
Allgemeines zur Therapie der Cannabisabhängigkeit
In der Regel erfolgt eine Entgiftung ambulant und ohne Einsatz von Medikamenten. Es können Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen, der starke Wunsch, Cannabis zu konsumieren, Schwitzen, innere Unruhe, Angst und andere auftreten. Häufig dauert diese Phase nur kurz an.
In Fällen mit schweren Entzugserscheinungen kann eine Entgiftung auch stationär in einer Fachklinik erfolgen und durch Medikamente unterstützt werden. Gerade in schweren Fällen ist eine solche stationäre Therapie besonders sinnvoll.
Etwa 70% der Cannabisabhängigen leiden an weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen (8), Angststörungen (9) oder Persönlichkeitsstörungen (10). Dieser erfordern eine gesonderte Behandlung.
Wenn Sie, ein Freund oder Angehöriger von einer Cannabisabhängigkeit betroffen ist oder Sie glauben, es könnte eine Cannabisabhängigkeit vorliegen, empfiehlt sich in jedem Fall der Besuch einer Sucht- und Drogenberatungsstelle. Die Beratung erfolgt auf Wunsch anonym und ist kostenlos. Ein Verzeichnis aller Suchtberatungsstellen finden Sie bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BzgA (11).
Rückfallprävention nach dem Entzug
Ein weiteres wichtiges Thema ist auch die Rückfallprävention. Wenn ein Patient während der Therapie nicht auf die Zeit danach vorbereitet wird, ist das Risiko hoch, einen Rückfall zu erleiden. Meist erlernen Konsumenten jedoch während der Behandlung bereits entsprechende Strategien, um dem Konsum nicht mehr zu verfallen. Zudem können Betroffene auch nach der Behandlung Maßnahmen der Rückfallprävention ergreifen, wie zum Beispiel die Teilnahme an einer regelmäßig stattfindenden Selbsthilfegruppe.
Quellen: