Update vom 24.01.2020:
Kürzlich berichteten wir, dass die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) sich zur Abgabe Cannabis-basierter Medikamente geäußert hat. Die AMK liefert in ihrem Schreiben Anhaltspunkte für einen möglichen Cannabismissbrauch von Patienten. Dazu haben die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM), der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken e.V. (VCA) und das Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM) eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht, die wir hier im Originaltext übernommen haben.
Gemeinsame Stellungnahme von ACM, VCA und SCM
Zu den von der AMK gegebenen „Tipps“, wie eine „missbräuchliche Anwendung“ durch Apotheker erkannt werden könne, möchten wir wie folgt Stellung nehmen:
1) Unseres Wissens nach gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass die „missbräuchliche Anwendung“ von Cannabis als Medizin überhaupt ein relevantes Problem darstellt – ganz im Gegensatz zu anderen Arzneimitteln wie Benzodiazepinen und Opioiden. Allein bei Benzodiazepinen gehen alle Schätzungen über eine Zahl von mehr als 1 Million Betroffene nur in Deutschland aus.
2) Die Behauptung, dass „Versuche von Patienten, die Rezepturzubereitung zu beeinflussen, zum Beispiel dass die Droge unverarbeitet abgegeben werden, soll“ ein Hinweis auf eine „missbräuchliche Anwendung“ sei, ist in doppelter Hinsicht unzutreffend: Erstens darf Cannabis nur dann überhaupt vom Apotheker „unverarbeitet“ abgegeben werden, wenn dies vom Arzt oder der Ärztin ausdrücklich auf dem Rezept vermerkt wurde, und zweitens ist die „unverarbeitete“ Gabe empfehlenswert, um z. B. einer vorzeitigen Oxidation vorzubeugen. Auch in puncto Dosierungsgenauigkeit beraten Cannabis-versorgende Apotheken ihre Patienten sehr genau und leisten pharmazeutische Hilfestellung z.B. im Umgang mit Vaporisatoren u.ä.
3) Wieso bezeichnet die AMK die nach NRF zulässige Verordnung von unzerkleinerten Cannabisblüten als „zweifelhafte Gebrauchsanweisung“, die „nicht den pharmazeutischen Regeln“ entspreche, wenn von der Mehrzahl der Experten eine solche Verordnung nicht nur aus pharmakologischen (geringere Oxidation), sondern auch aus praktischen Gründen (Vermeiden der Inhalation von kleinsten Blütenpartikeln) empfohlen wird? Dieser Tipp ist auch deshalb von erheblicher Tragweite, da nach Zahlen der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2019 die Anzahl der Verschreibungen unverarbeiteter Cannabisblüten die Anzahl von Verschreibungen verarbeiteter Cannabisblüten deutlich überstiegen hat.
4) Warum sieht die AMK einen Anhalt für eine „missbräuchliche Anwendung“, wenn Patient*innen sich über eine „Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit, inklusive mangelnder Qualität“ beklagen, obwohl solche Vorkommnisse durchaus bekannt geworden sind?
5) Schließlich behauptet die AMK, dass ein „striktes Beharren auf einer THC-reichen oder bestimmten Cannabis-„Sorte““ ebenfalls ein Hinweis auf eine „missbräuchliche Anwendung“ sei, obwohl es gut begründete Hinweise gibt, dass bei bestimmten Erkrankungen gerade THC-reiche Cannabis-basierte Medikamente besonders gut wirksam sind. Zudem ist der Wunsch nach einer „bestimmten Cannabis-Sorte“ aufgrund der patienten-individuellen Wirksamkeit und Verträglichkeit legitim.
Unstrittig kommt Ärzt*innen und Apotheker*innen bei der Verschreibung und Abgabe von Betäubungsmitteln eine besondere Sorgfaltspflicht zu – inklusive der Beachtung der Möglichkeit einer „missbräuchlichen Anwendung“ bzw. des Risikos einer Abhängigkeit. Dies betrifft allerdings nicht nur Cannabis-basierte Medikamente, sondern – und in viel stärkerem Maße – auch zahlreiche andere Arzneimittel.
ACM, VCA und SCM nehmen die Stellungnahme der AMK nicht nur mit großem Unverständnis zur Kenntnis, sondern auch mit großer Sorge, da der Anschein erweckt wird, Patient*innen, die mit Cannabis behandelt werden, stellten per se eine „Problemgruppe“ dar und viele Ärzt*innen, die Cannabis verordnen, führten eine „zweifelhafte“ und an Sorgfalt mangelnde Behandlung durch, die seitens der Apotheker*innen keinerlei Kontrolle erfahre.
Wir möchten die AMK auffordern, sich beim Bundesgesundheitsministerium oder der Bundesopiumstelle über die Inhalte und Ziele des „Cannabis als Medizin Gesetzes“ zu informieren.
Gerne stehen aber auch ACM, VCA und SCM für einen Austausch zur Verfügung – nicht zuletzt, da sich der Eindruck aufdrängt, dass die AMK zu einem Thema Stellung bezogen hat, ohne zuvor bei den Ärzt*innen und Apotheker*innen Auskünfte einzuholen, die täglich mit dem Thema „Cannabis als Medizin“ praktisch und patientennah befasst sind.
Ursprünglicher Beitrag vom 22.01.2020
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) gibt in einer Mitteilung Tipps, wie Apotheken mit einem potenziellen Missbrauch bei Cannabis-Verschreibungen umgehen können (Leafly.de berichtete). Nach Ansicht der AMK haben Apothekerinnen und Apotheker beim Thema Cannabis als Medizin eine besondere Verantwortung.
Melanie Dolfen ist Apothekerin und Inhaberin der BEZIRKSApotheke Berlin sowie Mitglied im VCA (Verband der Cannabis versorgenden Apotheken e.V.). Im Namen des VCA erklärt sie: “Dieses Schreiben der Arzneimittelkommission stellt Patientinnen und Patienten unter Generalverdacht.” Leafly.de hat mit Melanie Dolfen gesprochen.
Leafly.de Interview mit Melanie Dolfen, Miglied im VCA
Leafly.de: Frau Dolfen, kürzlich berichtete die pharmazeutische Fachpresse über die Mitteilung der AMK zum potenziellen Missbrauch bei Cannabis auf Rezept. Wie beurteilen Sie dieses Schreiben?
Melanie Dolfen: Wenn wir diese Meldung lesen, dann trifft ein missbräuchlicher Umgang auf 90 Prozent unserer Patienten, die cannabinoidhaltige Arzneimittel verordnet bekommen, zu. Dies stellt unsere Patientinnen und Patienten unter Generalverdacht. Dadurch werden Vorurteile und die Stigmatisierung weiter geschürt.
Cannabis abgebende Apotheker und Patienten, die cannabinoidhaltige Arzneimittel anwenden, sind sich der besonderen Verantwortung mit dem Umgang dieser Arzneimittel bewusst. Mit den von der AMK genannten Kriterien ist es aus meiner bzw. unserer Sicht nicht möglich, einen Missbrauch zu erkennen oder auszuschließen.
“Nachvollziehbares Patientenverhalten”
Leafly.de: Sie denken also nicht, dass die Punkte, die die AMK in dem Schreiben nennt, auf einen Missbrauch von Cannabis hindeuten?
Melanie Dolfen: Grundsätzlich muss betont werden, dass alle von der AMK genannten Punkte auf Medikamentenmissbrauch hindeuten KÖNNTEN. Doch für uns handelt es sich um nachvollziehbares Patientenverhalten!
Leafly.de: Was genau meinen Sie damit? Könnten Sie das genauer erklären? In der Mitteilung nennt die AMK Beispiele, die auf einen möglichen Missbrauch hinweisen können.
Melanie Dolfen: Der erste Punkt ist die “Feststellung geänderter / manipulierter oder (insgesamt) gefälschter Verordnungen”.
Dazu muss man wissen: Eine Änderung, deren Ursprung unklar ist, kann durch Rücksprache mit dem ausstellenden Arzt geklärt werden. Alles, was vom Arzt nicht bestätigt werden kann, wäre ein Hinweis auf Missbrauch und wird dementsprechend behandelt. Mit den ausstellenden Ärzten zu kommunizieren, gehört zu unseren täglichen Aufgaben als Apothekerinnen und Apotheker.
Bisher keine gefälschten Cannabis-Rezepte
Leafly.de: Haben Sie schon einmal ein gefälschtes Cannabis-Rezept entgegen genommen?
Melanie Dolfen: Nein. Interessanterweise stellte sich nach einer Umfrage unter VCA Mitgliedsapotheken heraus, dass bei schätzungsweise mehr als 100.000 abgegebenen Zubereitungen, KEINE Mitgliedsapotheke jemals ein gefälschtes Cannabis-Rezept erhalten hat.
Leafly.de: Was könnte laut AMK noch auf einen Missbrauch hindeuten?
Melanie Dolfen: Versuche von Patienten, die Rezepturzubereitung zu beeinflussen, zum Beispiel, dass die Droge unverarbeitet abgegeben werden soll.
Das kann ganz normales Patientenverhalten sein, denn eine verarbeitete Abgabe führt zu einem vorzeitigen Abbau der Wirkstoffe, weshalb sich viele Patienten grundsätzlich ganze Blüten aufschreiben lassen. Sollte dies bei der Rezeptausstellung versäumt worden sein zu vermerken, könnte es durchaus passieren, dass ein Patient in der Apotheke nachfragt, ob die Cannabis-Blüten auch unverarbeitet abgegeben werden können.
Leafly.de: Nennt die AMK weitere Beispiele, die einen Verdachtsmoment darstellen?
Melanie Dolfen: Die nicht medizinische Nutzung des Fertig- beziehungsweise Rezepturarzneimittels. Als Beispiel führt die AMK “eine zweifelhafte Gebrauchsanweisung oder eine der verordneten, aber nicht den pharmazeutischen Regeln entsprechende Darreichungsform (mangelnde Dosiergenauigkeit bei nicht zerkleinerter Droge)” an.
Dazu kann ich als Apothekerin nur sagen: Der Arzt legt im Rahmen seiner ärztlichen Therapiehoheit die Darreichungsform und die Menge fest! Wir haben bisher noch nicht die gewohnte Auswahl an Medikamenten und Darreichungsformen, um die Patienten adäquat nach pharmazeutischen Regeln versorgen zu können.
Wir reden hier über schwerstkranke, oftmals austherapierte Menschen, die ihr Leben nur mit diversen Einschränkungen führen können. Da müssen sich Arzt und Apotheker auch manchmal eine “nicht alltägliche Lösung“ einfallen lassen, um die Einnahme für den Patienten zu erleichtern – und manchmal eine Einnahme überhaupt erst zu ermöglichen.
Für die „mangelnde Dosiergenauigkeit bei nicht zerkleinerter Droge“ ist im „Kapselfüllset“ des medizinischen Verdampfers sogar eine Feinwaage inbegriffen.
Wohnortferne Ärzte sind Normalzustand
Leafly.de: Ein weiterer Verdachtsmoment könnte die Verordung durch mehrere, auch wohnortferne Ärzte sein. Was sagen Sie dazu?
Melanie Dolfen: Das größte Problem, was Patienten immer wieder ansprechen, ist die Tatsache, dass nur wenige Ärzte bereit sind, cannabinoidhaltige Medikamente zu verordnen. Es ist leider ein Normalzustand, dass Patienten zu wohnortfernen Ärzten fahren müssen, weil sich am Wohnort weder ein verschreibender Arzt findet noch eine cannabisversorgende Apotheke.
Leafly.de: Das Stichwort “cannabisversorgende Apotheke” greife ich gleich auf. Auch die Beschaffung der Cannabis-Medikamente aus mehreren, auch wohnortfernen Apotheken, sieht die AMK kritisch.
Melanie Dolfen: Genau, dabei ist auch das in der Cannabisversorgung Normalzustand. Die Lagerhaltung ist aufwendig und es gibt nur wenige Apotheken in Deutschland, die überhaupt cannabinoidhaltige Medikamente am Lager haben. Wenn ein Patient mehrere Sorten benötigt, ist er gezwungen, bei mehreren Apotheken vorstellig zu werden. Sogar das BMG rät den betroffenen Patienten zu „Apothekenhopping“.
Ein weiterer Punkt ist die “Manipulation und/oder Reklamation von bereits abgegebenen cannabinoidhaltigen Arzneimitteln, zum Beispiel Beschwerden wegen angeblicher Minderbefüllung oder Wirkungslosigkeit, inklusive mangelnder Qualität”.
Dazu kann ich nur sagen, dass doch jeder Patient das Recht haben sollte, Feedback zu seinen Medikamenten abgeben zu dürfen.
“Cannabis-Medikation ist oft die letzte Option”
Leafly.de: Dazu passt auch das letzte in dem Schreiben aufgeführte verdächtige Verhalten von Patienten …
Melanie Dolfen: “Striktes Beharren auf einer THC-reichen oder bestimmten Cannabis-„Sorte“ (im Sinne der Handelsbezeichnung) beim Arzt oder in der Apotheke.”
Jede Sorte hat eine unterschiedliche Zusammensetzung des Terpenprofils. Das Terpenprofil kann ausschlaggebend für eine Wirkung oder Nichtwirkung im individuellen Einzelfall sein. Wir reden hier über austherapierte Patienten. Bei vielen Patienten ist die Cannabis-Medikation die letzte Option. Der Patient hat an dieser Stelle nicht die Freiheit der Wahl, zwischen salopp gesagt „Gouda oder Camembert“, sondern oft nur die Wahl zwischen Leidensminderung oder Weiterleiden.
Und auch eine Dosiserhöhung ist ein normaler Prozess bei einer Cannabistherapie.
Wir wünschen uns an dieser Stelle einen Abbau der Vorurteile und eine bessere Versorgungssituation für die Patienten. Ebenfalls wäre es wünschenswert, wenn zukünftig vor Veröffentlichung solcher Artikel mit dem VCA ein Austausch stattfinden würde.