Cannabinoidhaltige Arzneimittel sind für Patienten einerseits als pharmazeutische Produkte, andererseits als Cannabisblüten verfügbar. Für die Linderung einiger Symptome sind bestimmte Produkte bzw. cannabinoidhaltige Arzneimittel an sich offiziell zugelassen. Doch auch bei vielen anderen Beschwerden scheinen Cannabinoide erwünschte Wirkungen zu haben. Ihnen als Arzt/Ärztin stellt sich die Frage, in welcher Form welches Arzneimittel bei welchen Beschwerden am sinnvollsten verordnet werden sollte. Eine neue Studien zu Anwendungen und Einnahmemöglichkeiten von medizinischem Cannabis kann nun eine Anleitung für die tägliche Verordnungspraxis darstellen.
Es gibt nur eine geringe Anzahl an Studien, in denen Anwendungsformen und ihre Wirkungen direkt miteinander verglichen werden.
Das mag auch daran liegen, dass die möglichen Anwendungen sehr vielfältig sind, als da wären:
- Cannabisblüten können (mit oder ohne Zusatz von Tabak) geraucht werden
- Cannabisblüten können in einem Vaporizer verdampft werden
- Cannabisblüten können oral als Tee getrunken werden
- Cannabisblüten können oral in Gebäck verbacken werden
- Extrakte aus Cannabisblüten können oral oder topisch als Tinkturen, Cremes oder Tropfen eingenommen werden
- Dronabinol kann oral als Kapseln eingenommen werden
- Dronabinol kann in einem Vaporizer verdampft werden
- Nabilone (Cesamet®, Canemes®) wird in Kapseln eingenommen
- Nabiximols (Sativex®) wird als Spray angewendet
Anwendungen und Einnahmemöglichkeiten von Cannabinoiden durch Patienten
Da es nur für wenige Indikationen eine Zulassung gibt und für viele Indikationen nur Erfahrungswerte, gibt es auch keine genauen Angaben, für welche Beschwerden welche Anwendung am besten geeignet ist. Generell werden cannabinoidhaltige Medikamente für die symptomatische Behandlung chronischer Erkrankungen verwendet, bei denen andere Arzneimittel nicht, nicht ausreichend oder nicht mehr wirksam sind.
Noch immer ist nicht ausreichend erforscht, wie die zahlreichen in der Hanfpflanze natürlich enthaltenen Cannabinoide biologisch zusammenspielen, und wie die Form der Verabreichung die Wirkung beeinflussen könnte.
Aus diesen Gründen ist es wichtig zu erforschen, welche Produkte zukünftig angeboten werden sollen. Bis es dazu ausreichende Untersuchungen gibt, bleibt nur die Möglichkeit, sich unter Patienten und Anwendern medizinischer Cannabisprodukte umzuhören und aus deren Erfahrungen zu lernen.
Getestete und bevorzugte Einnahmemöglichkeiten
Eine Umfrage mit 953 Teilnehmern gibt einen bislang einmaligen Einblick in den Stand der bevorzugten Anwendungsformen. Ob sich die Präferenzen und auch die Erfahrungen aufgrund der neuen Gesetzeslage und der Veränderung der Verordnungszahlen in Deutschland verschieben wird, bleibt abzuwarten.
Inhalation
Auf die Frage, ob irgendeine Form der Inhalation versucht wurde, antworteten 94,8% mit Ja. Davon hatten 91,6% probiert, Cannabis oder Haschisch zu rauchen. Regionale Unterschiede zeigten sich darin, ob Tabak beigefügt wurde oder nicht. In Europa gaben 39% an, immer Tabak zu verwenden, 14,1% nie.
Die Verwendung von Tabak wird aus medizinischer Sicht aus bekannten Gründen nicht empfohlen. Allerdings könnte es von Bedeutung sein zu untersuchen, ob die Beimengung von Tabak aus reiner Gewohnheit oder aus Geschmacksgründen erfolgt, oder ob durch den Tabak eine pharmakokinetische Interaktion mit Cannabis erfolgt.
Eine Studie aus dem Jahr 2009 brachte die Vermutung auf, dass durch die Mischung von Cannabis mit Tabak beim Rauchen mehr THC freigesetzt würde.
Eine weitere Möglichkeit der Inhalation besteht in der Verwendung eines Vaporizers, durch den die aktiven Komponenten wie THC, CBD und Terpene verdampft werden. Es entstehen weniger unerwünschte Nebenprodukte der Verbrennung als beim Rauchen.
49,8% der Umfrageteilnehmer hatten Erfahrungen mit Vaporizern gemacht. Einige hatten Cannabis oder Haschisch verwendet, andere vornehmliche alkoholische Lösungen mit reinem THC.
Orale Anwendungen
68,5% der Befragten gab Erfahrungen mit irgendeiner Form der oralen Einnahme an. Von dieser Gruppe hatten 87,4% Cannabis in Nahrungsmitteln, Gebäck oder Tinkturen angewendet (so genannte Edibles). 35,4% hatten Cannabis zur Herstellung eines Tees genutzt. Nur relativ wenige Teilnehmer hatten Erfahrungen mit Dronabinol (11,3%), Nabilon (2,1%) oder Nabiximol (1,1%).
Topische Anwendung
Etwa 5% der Teilnehmer gab an, cannabinoidhaltige Produkte äußerliche in Form von Lotionen, Ölen oder Hautcremes verwendet zu haben, in denen pulverisiertes Cannabis oder entsprechende Extrakte enthalten sind.
Bevorzugte Anwendung
Generell zeigte die Befragung, dass pflanzliches Cannabis von den Anwendern besser angenommen wurde als pharmazeutische Produkte. Allerdings war die Anzahl an Teilnehmern mit Erfahrung in der Verwendung cannabinoidhaltiger, pharmazeutischer Arzneimittel verhältnismäßig klein.
Möglicherweise hatten viele Patienten noch nicht die Möglichkeit, diese Arzneimittel anzuwenden.
Bei der Anwendung von Cannabisblüten gaben 72,4% an, am zufriedensten mit dem Rauchen zu sein, 50% mit der Vaporisation, 13,1% mit der Verwendung in Lebensmitteln und Tinkturen und 10,8% mit dem Kochen von Tee.
Bei den Arzneimitteln war der größte Anteil (57,1%) am zufriedensten mit Nabiximols, gefolgt von 23% mit Dronabinol, 7,1% Nabilon und 3,6% mit der Vaporisation reinen THCs.
Medizinische Ursachen für die Cannabinoidanwendung
Die Frage nach den wichtigsten medizinischen Gründen für die Verwendung von Cannabinoiden brachte an den Spitzenpositionen folgende Indikationen zu Tage:
- Rückenschmerzen (11,9%)
- Schlafstörungen (6,9%)
- Depressionen (6,7%)
- Schmerzen aufgrund von Verletzungen oder Unfällen (6,2%)
- Multiple Sklerose (4,1%)
- Angststörungen (4,0%)
- Arthrose oder degenerative Arthritis (3,7%)
- ADHS oder Hyperaktivität (3,5%)
- Migräne oder Kopfschmerzen (3,5%)
- Posttraumatische Belastungsstörung (3,3%)
Weitere Angaben waren HIV/AIDS, Neuropathie, Hepatitis, Rückenmarksverletzungen, Rheumatoide Arthritis, Morbus Crohn oder Kolitis ulcerosa, Asthma, Krebs, Abhängigkeitserkrankungen und einige weitere.
Die meisten Befragten (80,4%) gaben an, wegen der Beschwerden aktuell oder früher in medizinischer Behandlung zu sein.
Die Hauptsymptome, die zur Einnahme von medizinischem Cannabis oder Cannabinoid-Arzneimitteln führten, waren:
- Chronische Schmerzen (29,2%)
- Ängste (18,3%)
- Appetit- und/oder Gewichtsverlust (10,7%)
- Depression (5,2%)
- Schlaflosigkeit und andere Schlafstörungen (5,1%)
Obwohl eine Vielzahl von Erkrankungen und Symptomen in der Umfragen abgefragt wurden, konnte kein klarer Zusammenhang zwischen einer Besserung der Symptome und der bevorzugten Art der Einnahme festgestellt werden. Die Verteilung entspricht offenbar vielmehr der persönlich bevorzugten Einnahmeart.
Dosierung der Cannabinoide
In der Tabelle sind die täglichen Dosierungen, die Häufigkeit der täglichen Anwendung sowie das Einsetzen der Wirkung in Minuten angegeben. Die Dauer der Effekte wurde ebenfalls abgefragt.
Aufgrund der schnelleren Verstoffwechselung inhalierter Cannabinoide erwarteten die Autoren, dass die Dauer der Wirkung bzw. die Zufriedenheit der Anwender darüber am niedrigsten sein würde.
Entgegen der Erwartung war die Zufriedenheit über die Dauer der Wirkung am schlechtesten bei den pharmazeutischen Produkten.
Am besten schnitt die Anwendung in Nahrungsmitteln, Tinkturen und Tees ab, die Inhalations-Anwendungen landeten im Mittelfeld.
Eine längere Wirkung verringert die Häufigkeit der Anwendung und ein schnelles Einsetzen der Wirkung erhöht in der Regel die Compliance zu einer Therapie.
Rauchen | Vaporizer | Tee | Nahrung/Tinktur | Dronabinol | Nabilon | THC vaporisiert | Nabiximols | Andere | |
Tägliche Dosierung | 3,0 g | 3,0 g | 2,4 g | 3,4 g | 30,1 mg | 4,4 mg | 35,1 mg | 17,3 Sprühstöße | 3,2 g |
Tägliche Häufigkeit | 6,0 | 5,2 | 1,9 | 1,8 | 2,5 | 3,2 | 8,8 | 10,9 | 3,3 |
Einsetzen der Wirkung (Minuten) | 7,0 | 6,5 | 28,9 | 45,5 | 52,9 | 39,4 | 2,5 | 13,1 | 15,3 |
(aus Hazekamp et al., 2013)
Wie aussagekräftig ist die Untersuchung?
Die Befragung wurde im Auftrag der International Association for Cannabinoid Medicine (IACM) durchgeführt. Der Fragebogen wurde auf der offiziellen IACM-Webseite (http://www.cannabis-med.org) in fünf Sprachen veröffentlicht.
Teilnehmen konnten Besucher der Webseite, die Erfahrung mit der Anwendung von mindestens zwei unterschiedlichen cannabinoidhaltien Arzneimitteln oder Anwendungsformen hatten.
Einfluss auf die Ergebnisse der Befragung könnten vor allem folgende Faktoren gehabt haben:
- Freiwilligkeit der Teilnahme
- Fragebogen frei auf Webseite verfügbar
- Personen, die bereits Erfahrung und/oder Interesse an Cannabis hatten und die Webseite kannten, nahmen vermehrt teil
- Ehrlichkeit der Antworten
- Bias in Richtung von Personen, die Cannabis bereits im Freizeitkontext und vor Beginn der Krankheit, verwendet hatten
- Bias in Richtung der Verwendung von Cannabisblüten aus o.g. Grund
- Patienten, die nur eine Art der Anwendung ausprobiert und damit zufrieden waren, wurden durch die Einschlusskriterien aussortiert.
Trotz dieser Limitierungen besitzt die Befragung eine Bedeutung. Ersichtlich wird das an den reflektierten Antworten, z.B. an der Zeit bis zum Einsetzen der Effekte.
Am Ende des Fragebogens wurde in einer offenen Frage um ein “Wunschprodukt” gebeten. Die meisten Teilnehmer wünschten sich eine Tinktur, die auf einem Extrakt aus der gesamten Cannabispflanze basiert. Der Hauptgrund dafür war, dass ein solches Arzneimittel die größte Flexibilität in der Anwendung ermöglicht und in der Öffentlichkeit unauffällig angewendet werden könnte.
Des Weiteren wünschten sich die Teilnehmer Verbesserungen hinsichtlich des Geschmacks und unerwünschter Nebenwirkungen wie einem benebelten Gefühl, übersteigertem Appetit und dem Vermeiden der psychoaktiven Wirkungen. Der letzte Punkt ist besonders deswegen interessant, weil im Zusammenhang mit dem Freizeitkonsum gerade dieser Aspekt besonders gewünscht wird.
Wenngleich die Umfrage nicht repräsentativ ist, so liefert sie doch einige Hinweise auf mögliche Aspekte, die bei der Verordnung von medizinischem Cannabis oder cannabinoidhaltigen Arzneimitteln beachtet werden sollten. Hinsichtlich der Indikationen, bei denen medizinisches Cannabis wirksam ist, werden weitere Studien benötigt.
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: