Der behandelnde Arzt kann Cannabis als Medizin auf einem privaten Betäubungsmittelrezept verschreiben. Die Kosten müssen dann jedoch vom Patienten selbst getragen werden. Soll die Krankenkasse die Kosten übernehmen, ist dies zunächst bei dieser zu beantragen. Der Patient erhält dann den Arztfragebogen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V, den er gemeinsam mit seinem Arzt ausfüllen muss.
Der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) prüft diesen und gibt eine Empfehlung ab, die für die Krankenkasse jedoch nicht bindend ist. Letztendlich obliegt der jeweiligen Krankenkasse die Entscheidung, ob eine Leistung übernommen wird oder nicht.
Leafly.de hat sich Arztfragebögen von verschiedenen Krankenkassen angesehen, in denen im Grunde immer die gleichen standardisierten Fragen gestellt werden. Große inhaltliche Unterschiede konnten wir nicht feststellen. Dennoch scheuen Mediziner immer noch davor, den Fragebogen auszufüllen. Dieser Artikel soll dabei helfen diese Hürden zu überwinden.
Was steht im Arztfragebogen?
Zu Beginn müssen allgemeine Angaben wie Name des Patienten, Versichertennummer, Name des behandelnden Arztes etc. gemacht werden. Danach folgt üblicherweise die Frage, ob die Verordnung von Cannabis im Rahmen der Versorgung nach § 37 SGB V spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ erfolgt.
Im nächsten Schritt müssen Ärzte angeben, welches Cannabis-Arzneimittel verordnet werden soll.
Hier müssen folgende Angaben gemacht werden:
- Wirkstoff
- Handelsname (bzw. Cannabisblüten-Sorte)
- Verordnungsmenge in 30 Tagen
- Tagesdosis
- Darreichungsform
Die nächsten beiden Angaben im Arztfragebogen sind dann noch relativ einfach zu beantworten:
Hier geht es dann darum, welche Erkrankung mit Cannabis behandelt werden soll, und wie das Behandlungsziel lautet.
Ist die Erkrankung schwerwiegend?
Bei dieser Frage wird es dann tückisch. Gemäß § 31 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung einen Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf die Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
- nicht zur Verfügung steht oder
- im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
- eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Wann ist eine Erkrankung schwerwiegend?
Dies hat der Gesetzgeber nicht definiert, weshalb es sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der zahlreiche Interpretationen zulässt. Das nutzen die Krankenkassen aus, um die Anträge auf Kostenübernahme abzulehnen.
In der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte (Chroniker-Richtlinie) heißt es:
Paragraph 2 Schwerwiegende chronische Krankheit
(1) Eine Krankheit i. S. d. § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hat. Gleiches gilt für die Erkrankung nach § 62 Absatz 1 Satz 4 und 8 SGB V.
(2) Eine Krankheit ist schwerwiegend chronisch, wenn sie wenigstens ein Jahr lang, mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde (Dauerbehandlung) und eines der folgenden Merkmale vorhanden ist:
a) Es liegt eine Pflegebedürftigkeit des Pflegegrades 3, 4 oder 5 nach dem zweiten Kapitel SGB XI vor.
b) Es liegt ein Grad der Behinderung (GdB) oder ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60 oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 60 % vor, wobei der GdB nach den Maßstäben des § 152 in Verbindung mit § 153 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX), der GdS nach den Maßstäben des § 30 Absatz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in Verbindung mit der Versorgungsmedizin-Verordnung und die MdE nach den Maßstäben des § 56 Absatz 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) festgestellt und zumindest auch durch die Krankheit nach Satz 1 begründet sein müssen.
c) Es ist eine kontinuierliche medizinische Versorgung (ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung, Arzneimitteltherapie, Behandlungspflege, Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln) erforderlich, ohne die nach ärztlicher Einschätzung eine lebensbedrohliche Verschlimmerung, eine Verminderung der Lebenserwartung oder eine dauerhafte Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die aufgrund der Krankheit nach Satz 1 verursachte Gesundheitsstörung zu erwarten.
Die Auslegung des Begriffs „schwerwiegende Erkrankung“ sollte auf die spezielle Wirkung von Cannabis abgestellt werden, denn bei einer Cannabis-Therapie steht vor allem die Linderung der Symptome im Vordergrund, die die Lebensqualität des Patienten erheblich einschränken. Dies bestätigt auch das Bundesministerium für Gesundheit.
Fragen zu weiteren Erkrankungen und Behandlungen
Im weiteren Verlauf wird abgefragt, welche anderen Erkrankungen gleichzeitig bestehen, und welche aktuelle Medikation parallel erfolgt. Wiederum schwierig wird es, wenn die Fragen „Welche bisherige Therapie ist mit welchem Erfolg bisher durchgeführt worden?“ und „Warum stehen allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende alternative Behandlungsoptionen nicht zur Verfügung?“ gestellt werden.
Zur Frage der bisherigen Therapieerfolge können sowohl die Erfolge als auch die Misserfolge benannt werden, wie beispielsweise starke Nebenwirkungen von Medikamenten oder Therapien/Medikamente, mithilfe dessen keine Linderung der Beschwerden erzielt wurde.
Die nächste Frage, warum keine Alternativtherapien zur Verfügung stehen, kann damit beantwortet werden, dass es nicht erforderlich ist, alle konventionellen Therapien und mögliche Medikamente vor der Cannabis-Verordnung auszuprobieren. Denn gemäß dem Gesetz obliegt es allein dem behandelnden Arzt, seinem Patienten Cannabis zu verschreiben. Dieser kann aufgrund des Gesundheitszustandes, des Krankheitsverlaufes und den bisherigen Therapieversuchen den zu erwartenden Nutzen der Cannabis-Therapie einschätzen.
Müssen Literaturangaben gemacht werden?
Die nächste Frage im Arztfragebogen lautet: „Bitte benennen Sie Literatur, aus der hervorgeht, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.“ Weiter heißt es in Klammern, dass es die Stellungnahme des MDK wesentlich beschleunigen würde, wenn die Literatur im Original beigefügt wird.
Der Gesetzgeber hat die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ausdrücklich nicht an das Vorliegen einer bestimmten Erkrankung geknüpft. Anders als im Arztfragebogen gefragt, muss der Arzt also keine Literatur nennen, mit der eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome“ begründet werden soll. Dies kann durchaus im Antrag erwähnt werden. Zusätzlich kann es dennoch hilfreich sein, Studien aufzuführen sowie wiederum auf Krankheiten zu verweisen, bei denen die Bundesopiumstelle in der Vergangenheit eine Ausnahmeerlaubnis erteilt hat.
Hierzu gehören unter anderem die folgenden Erkrankungen:
- Multiple Sklerose
- Tourette-Syndrom
- Chronische Schmerzen
- ADHS/ADS
- Depressive Störungen/Angststörungen
- Appetitlosigkeit/Abmagerung
- Chronisches Wirbelsäulensyndrom
- Chronische Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa/Morbus Crohn)
- Fibromyalgie
- Kopfschmerzen/Migräne
- Polyneuropathie
Weitere Fragen im Arztfragebogen zu Cannabinoiden
Am Ende vom Arztfragebogen folgt typischer Weise noch die Frage, ob die Therapie im Rahmen einer klinischen Prüfung stattfindet, die einfach nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortet ist.
Auf einigen Fragebögen findet sich auch die Frage, ob der Versicherte über die Datenübermittlung in anonymisierter Form durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte informiert wurde, und ob dieser damit verstanden ist. Diese Frage irritiert, denn der Gesetzgeber hat festgelegt, dass jeder Arzt, der Cannabis verschreibt, an einer Begleitstudie teilnehmen muss. Hierüber müssen die Patienten im Vorfeld informiert werden. Es handelt sich hierbei um eine anonymisierte Begleiterhebung, die Rückschlüsse über die Wirksamkeit von Cannabis als Medizin liefern soll.
Wie lange hat die Krankenkasse Zeit, eine Entscheidung zu treffen?
Die Krankenkassen müssen über den Kostenübernahmeantrag innerhalb von drei Wochen entscheiden. Wenn der medizinische Dienst einbezogen wird, beträgt die Entscheidungsfrist fünf Wochen. Erfolgt die Cannabis-Therapie im Rahmen einer Palliativversorgung, müssen die Krankenkassen nach drei Tagen ihre Entscheidung bekannt geben. Sollte innerhalb dieser Frist keine Entscheidung seitens der Krankenkassen erfolgt sein, greift die sogenannte Genehmigungsfiktion. Das bedeutet, dass der Antrag auf Kostenübernahme als genehmigt gilt.
Ablehnung nur in begründeten Ausnahmefällen
Der Gesetzgeber verlangt, dass die Genehmigung zur Kostenübernahme „nur in begründeten Ausnahmefällen“ nicht erteilen darf. Wenn der Antrag also abgelehnt wird, muss die Krankenkasse erläutern, inwiefern hier ein Ausnahmefall vorliegt, was regelmäßig nicht geschieht. Innerhalb von einem Monat kann gegen die Ablehnung Einspruch eingelegt werden, entweder vom Patienten selbst oder einem von ihm beauftragten Rechtsanwalt.
Nach erfolgtem Widerspruch wird die Krankenkasse in der Regel eine neue Stellungnahme des medizinischen Dienstes einholen. Fällt diese wiederum negativ aus, wird die Krankenkasse empfehlen, den Widerspruch zurückzunehmen. Der nächste Schritt würde dann darin bestehen, Klage einzureichen und das Gericht entscheiden zu lassen.
Quellen: