Autismus: Was ist das?
Autismus-Spektrum-Störungen sind komplexe neurologische, tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Diese betreffen die Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, was Auswirkungen auf das soziale Verhalten, soziale Kontakte, soziale Interaktion und Kommunikation sowie auf das Verhaltensrepertoire hat. Nach den Diagnosekriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der ICD-10 sind die Autismus-Spektrum-Störungen unter F84 als medizinische Diagnose definiert.
Welche Autismus-Formen gibt es?
Bei Autismus-Spektrum-Störungen wird zwischen verschiedenen Formen unterschieden:
- Kanner-Syndrom (frühkindlicher Autismus): Dieses autistische Syndrom ist die bekannteste Form, das sich vor dem dritten Lebensjahr bemerkbar macht. Ungefähr 2 bis 5 von 10.000 Kindern leiden darunter. Dabei sind Jungen drei- bis viermal häufiger betroffen.
- Asperger-Syndrom: Der Asperger-Autismus, benannt nach Hans Asperger, tritt meist im Schulalter auf und ist milder ausgeprägt. Ungefähr 3 von 10.000 Kindern leiden unter der Asperger-Krankheit. Auch hier sind überwiegend Jungen betroffen.
- Atypischer Autismus: Der atypische Autismus ähnelt dem frühkindlichen Autismus. Dabei unterschiedet sich der atypische Autismus vom frühkindlichen Autismus dadurch, dass betroffene Kinder nach dem 3. Lebensjahr ein autistisches Verhalten (atypisches Erkrankungsalter) oder nur wenige Symptome aufweisen (atypische Symptomatik).
- Rett-Syndrom: Von dieser Autismusspektrumstörung sind fast nur Mädchen betroffen (1 von 15.000 Mädchen). Die ersten Autismus-Symptome treten zwischen dem 6. Monat und dem 4. Lebensjahr auf. Dabei kommt die normale Kindesentwicklung zunächst zum Stillstand. Danach bilden sich einige Fähigkeiten wieder zurück.
Häufigkeit autistischer Störungen
Seit Jahren versuchen Forscher herauszufinden, wie hoch die Prävalenz von Autismus ist. So wurde die Häufigkeit der autistischen Störungen in Untersuchungen der 60er und 80er Jahre auf 2 bis 5 autistische Personen pro 10.000 Menschen geschätzt. Nachdem die Definition von Autismus-Spektrum-Störungen Ende der 80er Jahre in das Asperger-Syndrom und den atypischen Autismus unterteilt wurde, erhielten mehrere Menschen Diagnosen aus dem Autismus-Spektrum.
Im Jahr 1988 wurde dann in zwei Untersuchungen die Prävalenz auf 10 bis 13 autistische Personen pro 10.000 Menschen geschätzt und im Jahr 1993 wurde dann die Häufigkeit von Autismus und dem Asperger-Syndrom auf 30 von 10.000 nicht-autistische Menschen geschätzt. Dann wurden in den 90ern Jahren vereinzelt Untersuchungen durchgeführt, die eine geringere Häufigkeit von 4 bis 6 autistischen Menschen von 10.000 Menschen angegeben hatten. Tendenziell stieg aber die Häufigkeitsrate.
Mehrere Untersuchungen nennen ab dem Jahr 2000 eine Prävalenz von ungefähr 60 pro 10.000 Menschen und 2006 hieß es in einer Untersuchung, dass 116 von 10.000 Menschen von einer Autismusspektrumstörung betroffen sind. Da aktuell keine genauen Zahlen in Bezug auf die Häufigkeit der einzelnen Autismusspektrumstörungen vorliegen, dienen die oben genannten Daten lediglich als Orientierungswert.
Wie erkennt man Autismus?
Da im Rahmen einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung zahlreiche unterschiedliche Symptome auftreten können, wird von einer Autismusspektrumstörung gesprochen. Außerdem können die Autismus-Formen auch unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Möglich sind milde autistische Züge, aber auch eine schwere geistige Behinderung. Dabei wirkt sich das Autismus-Spektrum auf unterschiedliche Lebensbereiche aus. Die meisten autistischen Menschen zeigen soziale Kommunikations- und Sprachstörungen, stereotype Verhaltensmuster sowie ein begrenztes Interesse an Alltagsdingen.
Gestörte zwischenmenschliche Beziehungen
Ein typisches autistisches Symptom ist, dass Autisten über keine gute soziale Kompetenz verfügen, bzw. Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen haben. So neigen sie dazu, sich von ihrer Umwelt zurückzuziehen. Deshalb wirken sie häufig unnahbar und seltsam. Außerdem sind Autisten nur beschränkt in der Lage, eine vertrauensvolle und dauerhafte soziale Beziehung zu anderen Menschen einzugehen. Meist reagieren sie auf Kontaktversuche in Form von Blickkontakt oder Körperkontakt abweisend.
Darüber hinaus ist das Nachahmungsverhalten nur schwach ausgeprägt. Beispielsweise winken autistische Kinder im Vergleich zu anderen Kindern beim Verabschieden nicht zurück oder sie haben Schwierigkeiten, eigene Gefühle zu äußern.
Beim Kanner-Syndrom bzw. dem frühkindlichen Autismus fallen Kommunikationsstörungen meist schon früh auf.
Oftmals ist das Sozialverhalten schon im Babyalter sehr auffällig, indem sie beispielsweise andere Menschen nicht ansehen und keinen Körperkontakt zu ihren Eltern suchen. Für Autisten scheinen die Mitmenschen nicht zu existieren.
Hingegen sind die Symptome beim Asperger-Syndrom nicht so stark ausgeprägt. Zwar ist die Beziehung zu anderen Menschen gestört und es fehlt auch hier das soziale Verständnis, aber nicht ganz so tiefgreifend.
Kinder mit der Asperger-Krankheit nehmen nur begrenzt Kontakt zu Gleichaltrigen auf und wirken eher isoliert. Zudem fällt es ihnen schwer, sich in andere Menschen und ihre Gefühle hineinzuversetzen. Meist fallen die ersten Symptome im Kindergarten oder in der Grundschule auf.
Kommunikations- und Sprachstörungen
Bei den Autismusspektrumstörungen können Kommunikations- und Sprachstörungen auftreten, die sich wie folgt äußern:
- Kanner-Syndrom (frühkindlicher Autismus) und atypischer Autismus: Autisten zeigen eine gestörte Sprachentwicklung und haben bereits im Kleinkindalter Probleme damit, mit anderen zu kommunizieren. Viele Autisten erwerben im Laufe ihres Lebens nie eine sinnvolle Sprache. Häufig benutzen sie bestimmte Wörter immer wieder oder wiederholen diese (Echolalie). Möglich ist auch, dass sie neue Wörter erfinden (Neologismen) oder die Bedeutung von Wörtern verdrehen (pronominale Umkehr).
- Asperger-Syndrom: Die Sprache von Autisten mit der Asperger-Krankheit entwickelt sich normal. Dennoch weisen sie eine gestörte Kommunikation auf, indem sie die Sprache häufig nicht nutzen. Einige von ihnen weisen eine überdurchschnittliche Intelligenz auf und wirken dann unkindlich und altklug. Wieder andere führen Selbstgespräche oder sprechen mit einer Sprachmelodie. Viele Asperger-Autisten fassen das Gesagte auch wörtlich auf und können Redewendungen, Ironie oder Sprichwörter nicht deuten.
Stereotype Verhaltensweisen und Bewegungen
Viele Autisten neigen dazu, bestimmte Tätigkeiten stets nach dem gleichen Muster auszuführen (Stereotypien). So bewegen Kinder mit frühkindlichem Autismus beispielsweise ihre Hand ständig hin und her oder sie wippen immer wieder vor und zurück. Zudem halten sie an Ritualen fest und fühlen sich bei Veränderungen sofort überfordert.
Des Weiteren beschäftigen sich autistische Kinder meist nicht mit Spielsachen, sondern eher mit den Teilaspekten, wie zum Beispiel mit dem Rad eines Spielautos. Mechanische Gegenstände finden autistische Kinder häufig sehr spannend, sodass sie diese stundenlang beobachten. Oftmals zeigt sich bei diesen Kindern auch eine geminderte Intelligenz.
Hingegen sind Betroffene mit der Asperger-Krankheit in der Regel durchschnittlich oder überdurchschnittlich intelligent.
Dennoch leiden sie unter Aufmerksamkeits- und Lernschwierigkeiten. Hinzu kommt, dass Asperger-Autisten auf Einschränkungen oder Anforderungen meist mit Wutausbrüchen reagieren und dazu neigen, ihren Willen mit allen Mitteln durchzusetzen.
Allgemeine Einschränkungen
Autisten leiden sehr häufig unter Schlafstörungen, Angststörungen und Essstörungen. Bei Betroffenen, die unter der Asperger-Krankheit leiden, ist vor allem die Aufmerksamkeit gestört. Zudem können sie eine Bewegungsunruhe (hyperkinetisches Verhalten) sowie Tic-Störungen zeigen. Einige Autisten leiden auch unter epileptischen Anfällen oder Depressionen.
Was sind die Ursachen für Autismus?
Die Frage, warum der frühkindliche Autismus entsteht, kann bis heute nicht eindeutig beantwortet werden. Es wird davon ausgegangen, dass unterschiedliche Risikofaktoren, wie beispielsweise genetische Faktoren, zur Entstehung beitragen. Zudem wird vermutet, dass verschiedene Einflüsse während einer Schwangerschaft, wie zum Beispiel eine Röteln-Infektion oder aber auch die Einnahme bestimmter Medikamente (z. B. Antiepileptika oder Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) das Autismus-Risiko erhöhen. Außerdem kann vermutlich ein höheres Alter der Eltern die Krankheitsentstehung begünstigen.
Auch beim Asperger-Syndrom sind die Ursachen nicht abschließend geklärt. Hier wird ebenfalls angenommen, dass verschiedene Faktoren die Krankheit begünstigen. Eine genetische Komponente scheint hier ebenso wahrscheinlich wie biochemische und hirnorganische Auffälligkeiten.
Beim Rett-Syndrom kann die genaue Ursache eingegrenzt werden, da bei den Kindern auf dem X-Chromosom das Gen „MeCp2“ verändert ist.
Autismus-Diagnose und Therapie
Für Mediziner ist es nicht einfach, eine Autismusspektrumstörung zu erkennen, denn nicht jedes Baby, das wenig Interesse an seiner Umwelt zeigt, leidet automatisch an einem Autismus.
Ebenso gibt es auch Kinder, die im Kindergarten oder in der Grundschule lieber für sich sind, ohne dass gleich von einer kognitiven Behinderung, bzw. einer psychischen Störung ausgegangen werden muss. Vielmehr kann es für solche Verhaltensweisen verschiedene Erklärungen geben.
Bis die Diagnose gesichert ist, vergeht meist sehr viel Zeit. Häufig stellen dann Kinder- und Jugendpsychiater die Diagnose, nachdem unterschiedliche Untersuchungen durchgeführt und das Kind lange Zeit beobachtet wurde.
Darüber hinaus können auch andere Erkrankungen vorliegen, die an eine Autismusspektrumstörung erinnern, wie zum Beispiel ADHS, Einschränkungen im Seh- oder Hörvermögen oder eine Angsterkrankung.
Heilbar ist eine Autismusspektrumstörung nicht und ein normales Leben wie wir es kennen, werden Betroffene meist nicht führen können. Trotz Therapie bleiben Betroffene ihr Leben lang mehr oder weniger in ihrem sozialen Leben eingeschränkt.
Trotzdem ist eine Therapie beim Asperger Syndrom und bei den anderen Formen des Autismus wichtig, um die normale Entwicklung zu fördern.
Welche Autismus-Therapie infrage kommt, richtet sich vor allem danach, welche Autismus-Form vorliegt. Zudem muss die Therapie auch immer individuell an den Betroffenen angepasst werden. Dabei können verschiedene Therapien zum Einsatz kommen, wie zum Beispiel Verhaltenstraining (Training sozial-emotionaler Kompetenzen), Musik- oder Kunsttherapie, Reittherapie, Sprachtraining und Ergotherapie.
Auch die Elternarbeit spielt eine wichtige Rolle, denn Eltern können ihr Kind nur fördern, wenn sie die Erkrankung akzeptieren und verstehen. Nicht selten ist die Erkrankung ihres Kindes eine enorme psychische Belastung. Jedoch können Eltern im Rahmen einer Therapie lernen, mit der Situation besser umzugehen.
Welche Medikamente helfen bei Autismus?
Eine spezielle medikamentöse Behandlung kommt in der Regel nicht zum Einsatz. Bisher gibt es keine Medikamente, die gegen die Hauptsymptome einer Autismusspektrumstörung helfen. Allenfalls können Medikamente eingesetzt werden, um die Begleiterscheinungen wie beispielsweise starke Spannungszustände oder selbstverletzendes Verhalten zu lindern. Verordnet werden dann oft Benzodiazepine oder Neuroleptika, die jedoch starke Nebenwirkungen haben können. Einige Patienten leiden unter Depressionen oder starken Ängsten. In diesem Fall werden Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gegeben.
Wie kann Cannabis als Medizin bei einer Autismus-Erkrankung helfen?
Es existieren verschiedene Untersuchungen, die Hinweise darauf geben, dass Cannabis als Medizin das Verhalten und die Kommunikationsfähigkeit von Autisten verbessern kann. So führte beispielsweise der Österreicher René Kurz eine Studie über einen sechs Jahre alten Jungen durch, der die DSM-IV-Kriterien erfüllte. Im Bericht heißt es, dass der Patient sechs Monate lang mit Dronabinol (THC) behandelt wurde und sich hierunter eine positive Wirkung zeigte. Symptome wie Lethargie, unangemessene Sprache und Hyperaktivität verbesserten sich innerhalb der Cannabinoid-Behandlung.
US-amerikanische Forscher untersuchten zudem Mäuse, die gleiche Verhaltensweisen wie Autismus-Patienten zeigten und behandelten diese ebenfalls mit dem Cannabinoid THC. Im Ergebnis heißt es, dass sich bei den Mäusen, die mit dem medizinischen Cannabis behandelt wurden, die Symptome wie Depressionen und Aufmerksamkeitsstörungen verbesserten.
Weitere interessante Untersuchungen mit medizinischem Cannabis
Im Jahr 2017 wurde in dem Online-Magazin „US Today“ über den israelischen Arzt Dr. Adi Aran berichtet, auf den einige Eltern zukamen und erzählten, dass ihre autistischen Kinder mit dem Cannabinoid Cannabidiol (CBD) bemerkenswerte Erfahrungen gemacht hätten.
Aran ist dem nachgegangen und hat eine Forschungsstudie initiiert, die der Frage nachgeht, inwieweit CBD tatsächlich bei Autismus hilfreich ist.
An der Untersuchungen nahmen 60 autistische Kinder teil, die mit oralem CBD und THC im Verhältnis von 20 zu 1 behandelt wurden. Die maximale CBD-Dosis lag bei 10 mg/kg/Tag. Nach der Behandlung mit Cannabis-Medikamenten waren die Verhaltensausbrüche bei 61 Prozent der Kinder stark zurückgegangen. Auch bei der Angstproblematik zeigte das Medikament eine positive Wirkung. Die Kommunikationsprobleme verbesserten sich ebenfalls. Zu den unerwünschten Nebenwirkungen gehörten Schlafstörungen (14 Prozent), Reizbarkeit (9 Prozent) und Appetitlosigkeit (9 Prozent).
Die Forscher um Aran schlussfolgerten, dass CBD eine vielversprechende Behandlungsoption für Verhaltensprobleme bei autistischen Kindern ist. Basierend auf diesen Ergebnissen plant das Forscherteam die Durchführung einer großen, doppelblind, placebokontrollierten Cross-Over-Studie mit 120 Teilnehmern.
Einsatz von Cannabis als Medizin
Der medizinische Einsatz von Cannabis bei erwachsenen Patienten könnte zu einer Verbesserung verschiedener schwerer Autismus-Symptome führen. Im Vergleich zu anderen Medikamenten wie zum Beispiel Neuroleptika, Benzodiazepine oder Antidepressiva, sind die Nebenwirkungen von Cannabis gering. Ärzte haben die Möglichkeiten, cannabisbasierte Arzneimittel in Form von Fertigarzneimitteln, Rezeptur-Arzneimitteln (z. B. Dronabinol) oder medizinischen Cannabisblüten auf einem BtM-Rezept zu verordnen. Ob eine Behandlung mit cannabisbasierten Medikamenten bei einem Patienten infrage kommt, ist letztendlich vom behandelnden Arzt zu entscheiden.
Lesen Sie auch die folgenden Studien zu einer Cannabis-Therapie bei Autismus:
Fragiles-X-Syndrom und CBD: Neue Studie geplant
Studie in Planung: CBDV zur Autismus-Behandlung
Cannabisöl und Autismus: Neue Studie
Cannabisbehandlung bei Autismus: Neue Studie
Epidiolex für die Autismus-Behandlung
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: