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Update: BAK: Hinweise für Medizinalhanf-Missbrauch

Leafly: Alexandra Latour Autor:
Alexandra Latour

Die Pharmazeutische Zeitung (PZ) hat gestern über eine Veranstaltung des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD) berichtet, die in Berlin stattfand. Hier soll der Präsident der Bundesapothekenkammer (BAK) erklärt haben, dass es Indizien für die missbräuchliche Anwendung von Cannabis auf Rezept gebe.

Update: BAK: Hinweise für Medizinalhanf-Missbrauch

Update: 5. Februar 2019

Wir haben Herrn Dr. Kiefer gebeten, zu dem Bericht in der Pharmazeutischen Zeitung bzw. zu den dortigen Aussagen Stellung zu nehmen. Konkret haben wir ihn gebeten uns mitzuteilen, ob die folgenden Aussagen getätigt wurden:

  • Bei den stetig steigenden Verordnungszahlen von Cannabis als Medizin müsse man sich die Frage stellen, ob dahinter tatsächlich eine medizinische Indikation stecke.
  • Aufgrund der recht massiven Cannabis-Lobby komme es zu einer schleichenden Grenzverwischung zwischen Medizinalhanf und Cannabis als Genussdroge.
  • Unterscheidet man die Rezepturen in Cannabis-Zubereitungen und unverarbeitete Cannabisblüten und nehme man dazu die steigenden Verordnungszahlen würde sich ein klares Bild für den Missbrauch ergeben.
  • Im November 2018 seien rund 4300-mal Cannabisblüten und nur rund 6300-mal Cannabis-Zubereitungen abgegeben worden; „die abgegebenen Einheiten waren dagegen 7200 zu 6600“. Woher stammen diese Zahlen?
  • Stimmt die folgende Aussage: „Gäbe es eine anerkannte Ratio in der Pharmakotherapie mit Cannabiszubereitungen, dürfte das nicht so sein“, so BAK Präsident Kiefer. Zudem sei die große Differenz ein Hinweis, dass „offensichtlich der medizinische Bedarf nicht die Maßgröße ist, nach der Cannabis verordnet wird“, erklärte Kiefer weiter.

Antworten der Bundesapothekenkammer

Die stellvertretene Pressesprecherin und Apothekerin Dr. Ursula Sellerberg von der Bundesapothekenkammer teilte uns nach Rücksprache mit Herrn Dr. Kiefer mit, dass die „Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und nicht mit ihm abgestimmt waren“. Zudem habe er das Wort „Spaßverordnungen“ nie benutzt. Dieses hatten wir Herrn Dr. Kiefer auch nicht vorgeworfen, da diese Überschrift eindeutig von der Pharmazeutischen Zeitung gewählt wurde.

Darüber hinaus teilte Frau Dr. Sellerberg mit, dass Dr. Kiefer auch nie das Wort „Missbrauch“ genutzt habe, sondern von „rationaler Pharmakotherapie“ gesprochen habe. Zudem wurde uns mitgeteilt, dass für den 2. Jahrestag des Cannabis-Gesetzes Anfang März eine Pressemitteilung geplant sei, in denen neue Zahlen veröffentlicht werden sollen. Aus diesem Grund könne vorab keine detaillierte Stellungnahme abgegeben werden.

Nochmalige Bitte um Stellungnahme

Wir baten Frau Dr. Sellerberg erneut höflich um eine kurze Stellungnahme und Aufklärung, inwieweit die Aussagen von Herrn Dr. Kiefer aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Denn so müsste es doch auch für Herrn Dr. Kiefer wichtig sein, diese Missverständnisse aufzuklären, sofern er nicht der Meinung ist, dass die steigenden Verordnungszahlen für den Missbrauch von Medizinalcannabis stehen. Zudem wäre eine Erklärung zur „rationalen Pharmakotherapie“ wünschenswert.

Hierauf bekamen wir lediglich die Antwort, dass man um Verständnis bitte, dass man sich erst Anfang März weiter dazu äußern werde. Ob Herr Dr. Kiefer sich dann speziell zum Artikel in der PZ äußert, bleibt abzuwarten.

Aussagen des MDK Berlin-Brandenburg

Auch Herrn Dr. Meeßen vom MDK Berlin-Brandenburg haben wir um Stellungnahme gebeten. Laut der PZ habe Dr. Meeßen geäußert, dass Cannabisblüten meist zur inhalativen Anwendung bestimmt seien. Die Wirkstoffe wie THC würden dann „sehr schnell in den Körper gelangen und fluten dann wieder ab“. Der Wirkspiegel bei der oralen Anwendung verlaufe hingegen deutlich flacher. Zudem äußerte Meeßen, dass „starke Wirkspiegelspitzen bekanntlich mit einem höheren Missbrauchspotenzial assoziiert“ werden. Zudem soll Meeßen ausgeführt haben:

„Inhalatives Cannabis müsste raus aus der Verordnungsfähigkeit. Es hat in der Therapie chronischer Schmerzen keinen Stellenwert.“

Herr Hendrik Haselmann, Leiter der Stabsstelle Kommunikation, teilte uns hierzu mit:

„Das Zitat ist nicht ganz korrekt. Die richtige Version lautet: „Inhalatives Cannabis müsste bis auf onkologisch-palliative Situationen raus aus der Verordnungsfähigkeit bei der Therapie chronischer Schmerzen.“

Auf die Bitte, dies zu konkretisieren und auf Hinweis der aktuellen Studien zum Verdampfen von Medizinalcannabis haben wir bisher noch keine Antwort bekommen.

Bericht des Deutschen Ärzteblattes

Interessanterweise hat gestern auch das Deutsche Ärzteblatt über die am vergangenen Freitag stattgefundene Veranstaltung berichtet. So wurde hier auch erstmals der Name der Veranstaltung genannt, nämlich „Cannabis als Medizin – Gefahren des Missbrauchs?“ Hierin heißt es unter anderem:

„Seit 2017 steigt die Zahl der über die Apotheken abgegeben Cannabis­rezepturen und damit der Umsatz in der gesetzlichen Kran­ken­ver­siche­rung (GKV). Nicht immer passiere das im Sinne einer rationalen Pharmakotherapie, kritisierte der Präsident der Bundesapothekerkammer, Andreas Kiefer.“

Im weiteren Verlauf wird ebenfalls angeführt, dass die aktuellen Auswertungen der Bundesvereinigung Deutscher Apotheker (ABDA) deutliche regionale Unterschiede bei der Versorgung mit Cannabisblüten zeige. So seien im Süden Deutschlands mehr Cannabisrezepturen über die Apotheken abgegeben worden als im Norden. Dies deckt sich mit den Angaben der PZ.

Dann heißt es in dem Bericht des Deutschen Ärzteblattes:

„Einen weiteren Hinweis dafür, dass der medizinische Bedarf nicht die Maßgabe für die Verordnung sei, sieht Kiefer in der Relation der eingelösten Rezepte zu unverarbeiteten und zubereiteten (gemahlen und gesiebt) Rezepturen in den Apotheken. Einheiten unverarbeiteter Cannabisrezepturen würden mehr pro Rezept abgegeben als zubereitete Rezepturen.

Für Kiefer gilt es somit als bewiesen, dass Cannabis nicht ausschließlich im Sinne einer rationalen Pharmakotherapie eingesetzt wird. Es liegt seiner Meinung nach aber nicht an der Qualität der Verordner oder der Apotheker.“

Auch diese Aussagen decken sich mit denen der PZ. Auch das Deutsche Ärzteblatt scheint die Zitate hier aus dem Zusammenhang gerissen zu haben – ginge es nach Frau Dr. Sellerberg.

Ursprüngliche Meldung vom 02. Februar 2019

Der Bericht der PZ beginnt bereits mit der reißenden Überschrift „Wie häufig sind Spaßverordnungen?“. Weiter heißt es, dass die Verordnungszahlen für Medizinalhanf stetig gestiegen seien, und ob dahinter tatsächlich eine medizinische Indikation stecke. So gebe es Hinweise, dass dies nicht der Fall sei. Die BAK habe schon mehrfach davor gewarnt, dass angesichts der „recht massiven Cannabis-Lobby eine schleichende Grenzverwischung zwischen Cannabis als Arzneimittel und Cannabis als Genussdroge“ zu befürchten ist.

BAK Präsident auf Indizien-Suche

Indizien für diese Grenzverwischung findet BAK Präsident Dr. Andreas Kiefer vor allem in den steigenden Zahlen der Cannabis-Verordnungen. Seit März 2017 sei die Zahl der Cannabis-Rezepte und der Umsätze pro 1000 GKV-Versicherte auf ungefähr 10 000 Rezepte und 81 000 Euro Umsatz gestiegen (Stand: Oktober 2018). Zwar sei dies allein noch kein Indiz für eine mögliche missbräuchliche Anwendung, würde man jedoch die Rezepturen in Cannabis-Zubereitungen und unverarbeitete „Cannabisdroge“ unterscheiden, ergebe sich laut BAK Präsident ein anderes Bild.

Und so führte Kiefer aus, dass wesentlich mehr unverarbeitete Cannabisdrogen (vermutlich gemeint Cannabisblüten) verordnet werden als Cannabis-Zubereitungen. Hierzu nannte der BAK Präsident auch Zahlen. Denn im November 2018 seien rund 4300-mal Cannabisblüten und nur rund 6300-mal Cannabis-Zubereitungen abgegeben worden; „die abgegebenen Einheiten waren dagegen 7200 zu 6600“. (Woher diese Zahlen stammen, wurde leider nicht genannt.)

„Das ist für mich mehr als ein deutlicher Hinweis, dass es nicht nur im Sinne einer rationalen Pharmakotherapie eingesetzt wird,“ erklärte BAK Präsident Kiefer laut dem Bericht.

Verordnungshäufigkeit in den einzelnen Bundesländern

Auf der Suche nach weiteren Indizien führte Kiefer eine zweite Statistik an. So liege die Verordnungshäufigkeit von Cannabis als Medizin in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Berlin und dem Saarland deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Dass Bayern Spitzenreiter bei der Verordnung von Medizinalcannabis ist, können wir bestätigen (Leafly berichtete).

„Gäbe es eine anerkannte Ratio in der Pharmakotherapie mit Cannabiszubereitungen, dürfte das nicht so sein“, so BAK Präsident Kiefer. Zudem sei die große Differenz ein Hinweis, dass „offensichtlich der medizinische Bedarf nicht die Maßgröße ist, nach der Cannabis verordnet wird“, erklärte Kiefer weiter.

DAK bemängelt fehlende Studien

Unterstützung findet BAK Präsident Kiefer bei der DAK-Gesundheit. Denn wenn Cannabis verordnet wird, „muss die Krankenkasse die Kostenübernahme zunächst genehmigen“, heißt es in den Bericht. (Doch was die Krankenkasse „muss“ und letztendlich „tut“ steht natürlich auf einem anderen Blatt).

Dr. Detlev Parow, Leiter der Abteilung Arznei-/Hilfsmittel und sonstige Leistungen bei der DAK-Gesundheit bemängelt jedoch, dass „etablierte Kriterien“ bei der Cannabis-Verordnung fehlen.

„Wir bewegen uns hier weitgehend in einem evidenzfreien Raum“, so Parow.

Weiter führte er aus, dass 99 Prozent der Anträge auf Kostenübernahme vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geprüft werden. Dies stellt natürlich einen klaren Widerspruch zu dem oben Gesagten dar, dass die Krankenkasse zunächst die Kostenübernahme genehmigen müsse.

Darüber hinaus wies Parow, ebenso wie BAK Präsident Kiefer, auf die großen Preisunterschiede zwischen Cannabisblüten und cannabishaltigen Arzneimitteln hin Cannabisblüten seien ungefähr sechsmal so teuer wie Dronabinol. So sei auch vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots der starke Anstieg der Cannabis-Verordnungen von Cannabisblüten fragwürdig.

MDK hat medizinische Bedenken

Dr. Axel Meeßen vom MDK Berlin-Brandenburg habe dem Bericht zufolge auch medizinische Bedenken. Dieser führte aus, dass Cannabisblüten meist zur inhalativen Anwendung bestimmt seien. Die Wirkstoffe wie THC würden dann „sehr schnell in den Körper gelangen und fluten dann wieder ab“. Der Wirkspiegel bei der oralen Anwendung verlaufe hingegen deutlich flacher. Zudem äußerte Meeßen, dass „starke Wirkspiegelspitzen bekanntlich mit einem höheren Missbrauchspotenzial assoziiert“ werden.

„Inhalatives Cannabis müsste raus aus der Verordnungsfähigkeit. Es hat in der Therapie chronischer Schmerzen keinen Stellenwert“, erklärte Meeßen.

Verschiedene Studien konnten allerdings zeigen, dass das Inhalieren bzw. Verdampfen von Cannabis mit einer höheren Arzneimittelwirkung einhergeht.

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Schmerzmediziner wehrt sich gegen Vorwürfe

Professor Dr. Joachim Nadstawek, Schmerzmediziner aus Bonn und Mitglied im Vorstand des BVSD, wehrte sich entschieden gegen den Verdacht, dass Ärzte durch die Cannabis-Verordnung in einigen Fällen einen Missbrauch unterstützen.

„Ich erlebe in meiner Praxis keine Patienten, die eine Dosissteigerung fordern, wie es ja bei einem Missbrauch zu erwarten wäre“, so Nadstawek.

Weiter kritisierte er, dass der MDK viel zu viele Anträge ablehne, und zwar auch Anträge von Palliativpatienten.

Erik Bodendiek von der Bundesärztekammer führte aus, dass es vermutlich nicht spezialisierte Schmerzmediziner seien, die Cannabis zu leichtfertig einsetzen, sondern andere Fachärzte.

„Der Druck, Cannabis zu verordnen, lastet eher auf den Allgemeinärzten“, erklärte Bodendiek.

Um solche Fehlanwendungen zu vermeiden, sollte die Berechtigung zur Cannabis-Verordnung laut Bodendiek auf einzelne Facharztgruppen beschränkt werden.

Anmerkung: Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir die Aussagen der Pharmezeutischen Zeitung übernommen haben und dass wir sowohl bei der BAK als auch bei der DAK-Gesundheit und der Bundesärztekammer um eine Stellungnahme gebeten haben.

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