„Jedes andere Medikament mit Nebenwirkungen wie Cannabis hätten wir längst verboten,“ so Prof. Dr. Broich vom BfArM.
Prof. Dr. Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärte kürzlich in einem Interview mit dem Handelsblatt, dass Cannabis schwere Nebenwirkungen hervorrufen könne, wie immer mehr internationale Studien belegen würden.
(Fotoquelle: BfArM)
„Zum Beispiel kann es schwere Psychosen auslösen. Jedes regulär zugelassene Arzneimittel, das solche Nebenwirkungen zeigt, würden wir sofort vom Markt nehmen.“
Tatsächlich gibt es Studien, die darauf schließen lassen, dass Cannabis-Konsumenten häufiger an Psychosen erkranken als Nichtkonsumenten (Leafly.de berichtete.) Andererseits haben Ärzte auch viele positive Ergebnisse mit Medizinalcannabis bei der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen gemacht. Der Zusammenhang ist also bei Weitem nicht so simpel, wie ihn der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) darstellt.
Was der Chef des BfArM darüber hinaus nicht erwähnt ist, dass auch Medikamente zugelassen sind, die ebenfalls Psychosen auslösen können. Diese Nebenwirkung wird als medikamenteninduzierte Psychose bezeichnet. Darüber hinaus betonen viele behandelnde Ärzte, die Cannabis als Medizin einsetzen, dass ihre Patientinnen und Patienten davon profitieren, dass Cannabis weniger Nebenwirkungen hervorruft als andere Medikamente, wie beispielsweise Opiate, die sonst häufig gegen starke Schmerzen eingesetzt werden. (Leafly.de berichtete.)
„Die jetzige Situation ist für uns nur eine Übergangsregelung“
Den Einsatz von Cannabisblüten in der Therapie würde Prof. Dr. Broich gerne wieder abschaffen:
„Unser Ziel ist es, dass wir mehr cannabisbasierte Fertigarzneimittel bekommen“, so der BfArM-Chef im Interview.
Fertigarzneimittel können in Form von Tropfen, Kapseln, Tabletten oder ähnlichem daher kommen. Bei diesen Standardprodukten könne man in Studien dann die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erforschen.
„Die jetzige Situation ist für uns nur eine Übergangsregelung. Von diesem Sonderweg wollen wir als Zulassungsbehörde möglichst schnell weg.“
BfArM: Broich ist nicht zu direkter Antwort bereit
Wir haben beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachgehakt, was genau Karl Broich mit dieser Aussage meint. Bedeutet das tatsächlich, dass er Cannabisblüten abschaffen will? Allerdings gibt es eine gesetzliche Regelung für den medizinischen Einsatz von Cannabis. Und eine Behörde ist dazu da, politische Entscheidungen umzusetzen – nicht politische Entscheidungen zu treffen. Dafür gibt es die Bundesregierung und den Bundestag.
Leider war der BfArM-Chef nicht bereit, direkt auf unsere Fragen zu antworten und damit zur Klärung beizutragen. Das bedauern wir von Leafly.de sehr! Stattdessen hat sein Pressesprecher auf eine frühere Aussage anlässlich der Einrichtung der Cannabisagentur im Jahr 2017 verwiesen, die “weiterhin gültig” sei. Darin erklärt das BfArM, dass die Menge der auswertbaren wissenschaftlichen Daten zu Cannabis als Medizin derzeit noch gering sei. Daher sei die Begleiterhebung wichtig, in der das BfArM anonyme Daten zur Therapie mit Cannabisarzneimitteln sammelt und auswertet.
„Diese Daten werden im Anschluss eine grundsätzliche Einschätzung zulassen, ob die Anwendung von Cannabisarzneimitteln in nicht zugelassenen Indikationen mehr Chancen als Risiken beinhaltet. Sie können damit Grundlage sein für die weitere klinische Forschung mit Cannabisarzneimitteln mit dem Ziel, langfristig die Zulassung von Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis zu erreichen.“
Die ersten Zahlen hierzu werden nächste Woche bei einem Medizinerkongress in Leipzig von Dr. Cremer-Schaefer vorgestellt. Wir sind jetzt schon sehr darauf gespannt, ob sich die Aussage zu den Blüten bestätigen wird.
Zukunft des Cannabisanbaus in Deutschland
Das BfArM hat kürzlich bestätigt, dass die Zuschläge im Vergabeverfahren für den Cannabisanbau in Deutschland an die Aurora Produktions GmbH und die Aphria Deutschland GmbH erteilt wurden. (Leafly.de berichtete)
BfArM-Präsident Prof. Dr. Karl Broich erklärte anlässlich der Zuschläge: „Die heutige Zuschlagserteilung ist ein wichtiger Schritt für die Versorgung schwer kranker Patientinnen und Patienten mit in Deutschland angebautem Cannabis in pharmazeutischer Qualität.“
Wenn der medizinische Einsatz von Cannabisblüten allerdings nur eine Übergangsregelung ist – wie Karl Broich im Interview erklärt hat – bedeutet das, dass auch der Cannabis-Anbau in Deutschland nur eine Übergangsregelung ist? Auch diese Frage haben wir dem BfArM gestellt – und leider keine Antwort erhalten.