Cannabis-Anhörung im Bundestag
Um die Versorgung von Patienten mit Cannabis als Medizin zu verbessern, haben die Oppositionsparteien im Bundestag verschiedene Anträge eingebracht. Gestern hat der Gesundheitsausschuss Experten zu diesen Vorschlägen in einer Cannabis-Anhörung befragt. Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wollen den bislang in § 31 Abs. 6 SGB V bestehenden Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen vor der erstmaligen Verordnung von Cannabis-Produkten einkassieren. Damit wäre es nicht mehr nötig, eine Cannabis-Behandlung von der Krankenkasse genehmigen zu lassen. Das sehen die befragten Experten allerdings kritisch – sie befürworten mehrheitlich den Genehmigungsvorbehalt.
Cannabis-Anhörung: Grüne und Linke wollen Therapiehoheit stärken
Die Grünen argumentieren in der Cannabis-Anhörung, dass der Genehmigungsvorbehalt sich in der Praxis nicht bewährt habe. Stattdessen könne er dazu führen, dass die Linderung der Beschwerden von Patientinnen und Patienten hinausgezögert oder sogar verhindert wird. (Leafly.de berichtete.)
„Wer Cannabis als Medizin ärztlich verordnet bekommt, muss es auch bekommen! Nach wie vor sind aber die Hürden für Ärzt*innen und Patient*innen zu hoch“, so Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen.
Auch die Linke im Bundestag fordert Nachbesserungen an dem sogenannten Cannabisgesetz, das den Zugang zu Cannabis als Medizin regelt. Laut Gesetz sei eine Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen nur in Ausnahmefällen möglich. Die Zahlen zeigten jedoch, dass die Kassen sich nicht an das Ausnahmeprinzip halten. „Bei einer Genehmigungsquote von derzeit rund 60 Prozent der Anträge ist es jedenfalls nicht nur die Ausnahme, dass Kostenerstattungsanträge abgelehnt werden“, so die Linke. (Leafly.de berichtete.)
ACM fürchtet Verschlechterung für Patienten
Auch die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) sieht Verbesserungsbedarf beim Cannabisgesetz. Viele der gewünschten Veränderungen seien nicht in der Praxis angekommen. Die ACM fürchtet jedoch, dass am Ende weniger Ärzte bereit sein werden, Cannabis auf Rezept zu verordnen, wenn der Genehmigungsvorbehalt gestrichen wird. So erklärt sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme:
„Schon heute verschreiben viele Ärztinnen und Ärzte keine cannabisbasierten Medikamente aus Sorge vor Regressen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Diese Sorge wird aus heutiger Sicht weiter zunehmen, wenn der Verordnung keine Genehmigung durch die Krankenkasse vorausging. Nach unseren Erfahrungen würde daher die Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten weiter abnehmen, cannabisbasierte Medikamente zu verschreiben.“
Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der ACM, erzählte bei der Cannabis-Anhörung, dass andere Länder – wie beispielsweise Israel – die gleiche Entwicklung durchgemacht hätten, wie wir sie jetzt in Deutschland sehen. Wenn Cannabis als Medizin legalisiert wird, dauert es mehrere Jahre, bis genug Ärzte bereit sind, Cannabis zu verschreiben. Die Unsicherheit innerhalb der Ärzteschaft ist normal, denn sie müssen erst einmal ihre Erfahrungen mit der neuen Medizin machen.
Um die bestehende Situation für Patienten zu verbessern, schlägt die ACM vor, dass die Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet werden sollten, wenn ein cannabisbasiertes Medikament im konkreten Einzelfall eine tatsächliche positive Wirkung auf die Erkrankung oder die Symptome hat.
„Im Moment entscheiden MDK-Mitarbeiter über Cannabis-Behandlung“
Dr. Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover teilt die Sorge, dass eine Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts dazu führt, dass nicht mehr sondern weniger Ärzte Cannabis verordnen. Sie spricht sich aber auch dafür aus, das Cannabisgesetz zu ändern:
„Ich plädiere ganz dringend dafür, dass wir die Verschreibung und die Behandlung von Patienten dorthin geben, wo sie hingehören – nämlich zu den Ärztinnen und Ärzten. Im Moment ist es ja so, dass ein MDK-Mitarbeiter darüber entscheidet, ob eine solche Behandlung durchgeführt werden darf.“
Genehmigungsverfahren gerechtfertigt – Nutzen von Cannabis umstritten
Die Bundesärztekammer (BÄK) spricht sich gegen eine Streichung des Genehmigungsvorbehalts der Krankenkasse aus. Da es sich bei den Cannabisblüten und -extrakten um Medikamente handele, die kein Bewertungsverfahren wie andere Arzneimittel durchlaufen haben und für die keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz vorliegt, sei es gerechtfertigt, der Verordnung ein spezielles Genehmigungsverfahren voranzustellen.
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befürwortet den Genehmigungsvorbehalt. Die jetzige Regelung erhöhe die Sicherheit für die Ärzte, da sich diese dann nicht gegenüber den Krankenkassen in Wirtschaftlichkeitsprüfungen rechtfertigen müssten, wenn sie Cannabis-Produkte verordnen.
Die Meinung, Cannabis als Medizin bringe nur in wenigen Fällen tatsächlich einen Nutzen, vertraten mehrere der anwesenden Experten bei der Cannabis-Anhörung. Erik Bodendiek, Facharzt und Präsident der Ärztekammer Sachsen, erklärte, dass es für eine allgemeine Verwendung von Cannabis als Medizin an Evidenz mangele.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) kritisiert die Idee, Cannabis-Behandlungen nicht mehr durch die Kassen genehmigen zu lassen. Das Verfahren der Genehmigung durch die Krankenkassen „habe sich bewährt“. Norbert Schürmann, Vizepräsident der DGS, erklärte darüber hinaus, Cannabis sei nur als Add-on-Medikation geeignet und nicht in der Lage, Opioide und andere Substanzen zu ersetzen.
FDP: Erhöhung der Anbaumengen und Cannabis für den Export
Die FDP fordert in ihrem Antrag, eine „wissenschaftlich fundierte und belastbare Prognose über den Bedarf an Medizinalcannabis in Deutschland zu erstellen“. Die angebaute Menge an Cannabis made in Germany soll entsprechend erhöht werden und zusätzlich Mengen für den Export bereitgestellt werden. Der Export biete Chancen für die Landwirtschaft, die Industrie und den Handel. (Leafly.de berichtete.)
Jan P. Witte, Facharzt für Innere Medizin und Medical Director von Aphria, beklagte als Experte bei der Cannabis-Anhörung die unzureichende Versorgungslage vieler Cannabis-Patienten. Diese seien schwer krank und daher dürfte ihre Versorgung mit ihrem Cannabis-Medikament nicht unterbrochen werden. Aber bei Cannabisblüten sei die Versorgungslage katastrophal, sodass Patienten teilweise gezwungen sind, sich aus dem Schwarzmarkt zu versorgen.
Eine Versorgungssicherheit der Patienten kann laut Witte nur gewährleistet werden, wenn wir in Deutschland Cannabis in ausreichenden Mengen produzieren und nicht abhängig sind von anderen Ländern, die Medizinalhanf nach Deutschland exportieren – wie die Niederlande.
Die Produktion von Medizinalcannabis ist international in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen, zeigte der Sachverständige Werner Sipp. Hauptproduzenten seien das Vereinigte Königreich, Kanada und Israel.
AfD will Nutzen von Cannabis bewerten
Die AfD hat sich bisher nicht durch ein spezielles gesundheitspolitisches Programm profiliert. Was sich aber bereits gezeigt hat, ist, dass sie dem Thema Cannabis gegenüber skeptisch eingestellt ist. Jetzt fordert die AfD in ihrem Antrag, dass Medizinalcannabis dem 2010 mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eingeführten Verfahren zur Nutzenbewertung und Preisfindung von Arzneimitteln unterzogen wird.
Dadurch soll Cannabis als Medizin „entmystifiziert“ werden, indem der wirkliche Nutzen sowie „die realen Risiken objektiviert“ werden. Weiterhin will die Partei damit den Erstattungspreis für Cannabis aus der Apotheke senken und damit die gesetzlichen Krankenkassen wie auch die Beitragszahler entlasten. Das schreiben Dr. Axel Gehrke und andere AfD-Abgeordnete in dem Antrag, den sie eingebracht haben.
„Aus Gründen des Patientenschutzes und des verantwortungsvollen Umgangs mit den Krankenversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer und -geber muss Medizinalcannabis wie andere Arzneimittel auch behandelt werden“, so die AfD.
Die ACM wies darauf hin, dass es vom Ansatz her richtig sei, Cannabis wie andere Arzneimittel zu behandeln. Jedoch sei Cannabis keine Heilpflanze wie jede andere – und Cannabis-Produkte keine Medikamente wie alle anderen. Studien für einige wenige Indikationen seien nicht ausreichend, um das gesamte therapeutische Potenzial aufzuzeigen. Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht deutlich gemacht, dass der Zugang zu Cannabis als Medizin nicht grundsätzlich verweigert werden dürfe, auch wenn keine arzneimittelrechtliche Zulassung vorliege.
Quellen: