Wie ist es möglich, den Zugang zur Cannabis-Therapie zu verbessern?
Politiker und Experten diskutieren zurzeit, wie die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit einer Cannabis-Therapie verbessert werden kann. Und wie ist es möglich, bürokratische Hindernisse abzubauen? Die Anhörung zu Medizinalcannabis im Gesundheitsausschuss des Bundestages hat gezeigt, dass es keine einfachen Lösungen gibt (Leafly.de berichtete).
Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wollen den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen vor der ersten Verordnung von Cannabis-Medikamenten streichen. Damit wäre es nicht mehr nötig, eine Cannabis-Behandlung von der Krankenkasse genehmigen zu lassen.
Verschiedene Sachverständige, wie auch der bei der Cannabis-Anhörung im Gesundheitsausschuss geladene Arzt Dr. Knud Gastmeier, kritisieren die derzeitige Praxis der Krankenkassen und die bürokratischen Schwierigkeiten bei der Cannabis-Therapie. Dennoch erklären sie: Einfach den Genehmigungsvorbehalt einkassieren, würde nichts bringen. Dann würden nicht mehr, sondern noch weniger Ärztinnen und Ärzte eine Cannabis-Therapie verordnen. Niedergelassene Ärzte müssen abgesichert sein, damit sie durch das Verschreiben von Cannabis-Produkten keinen wirtschaftlichen Schaden erleiden.
Wir haben mit Dr. Gastmeier darüber gesprochen, wie er das Thema Cannabis-Therapie einschätzt. Außerdem haben wir Dr. Kirsten Kappert-Gonther gefragt, wie sie die Ergebnisse der Cannabis-Anhörung einschätzt. Für die Grünen-Politikerin liegt der Ball jetzt im Feld der Großen Koalition.
Dr. Knud Gastmeier, Cannabis verschreibender Arzt
Dr. Knud Gastmeier ist niedergelassener Anästhesist mit den Zusatzbezeichnungen „Spezielle Schmerztherapie“ und „Palliativmedizin“. Dr. Gastmeier steht dem Interdisziplinären Arbeitskreis der Brandenburger Schmerztherapeuten und Palliativmediziner e. V. vor, ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) und Leiter der AG „Cannabis“ des Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz-und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD e. V.).
Leafly: Bei der Anhörung im Bundestag ging es unter anderem um die Anträge von den Grünen und den Linken, die den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen bei der Cannabistherapie abschaffen wollen. Grund sind die hohen Ablehnungszahlen der Krankenkassen von rund einem Drittel der Anträge auf Kostenerstattung. Haben Sie als niedergelassener Arzt ähnliche Erfahrungen mit den Krankenkassen gemacht?
Dr. Gastmeier: Meiner Erfahrung nach werden sogar mehr Anträge abgelehnt. Bei den geriatrischen Patienten, die ich behandle, sind es fast 40 Prozent. Hier sind insbesondere multimorbide geriatrische Schmerz- und Palliativpatienten betroffen. Diese älteren Menschen haben häufig keine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des Gesetzes, aber ihr Leidensdruck ist enorm hoch. Niedrige Dosen an Cannabinoiden können die Lebensqualität der Patienten verbessern und ihnen die Lebensfreude zurückgeben. Denn durch den Einsatz von Cannabis-Medikamenten können sie Opiate und auch andere Arzneimittel – die meist mit Nebenwirkungen verbunden sind – reduzieren oder sogar absetzen.
Fällt der Genehmigungsvorbehalt weg, droht Ärzten der Regress
Leafly: Bei der Cannabis-Anhörung wurde deutlich, dass beispielsweise die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) den Genehmigungsvorbehalt befürwortet. Die jetzige Regelung erhöhe angeblich die Sicherheit für die Ärzte, da sich diese dann nicht gegenüber den Krankenkassen in Wirtschaftlichkeitsprüfungen rechtfertigen müssen, wenn sie Cannabis-Produkte verordnen. Was halten Sie von dieser Darstellung?
Dr. Gastmeier: Diese Ansicht teile ich. Wenn der Genehmigungsvorbehalt wegfällt, droht den Ärzten der Regress. Das wirtschaftliche Risiko würde sich einfach zeitlich weiter nach hinten verschieben. Derzeit verwehrt der Genehmigungsvorbehalt den Patienten häufig die Therapie – fällt er aber weg, kann es Jahre später den Arzt treffen, der dann für die Kosten wirtschaftlich voll haftet.
Leafly: Bei der Anhörung erklärten auch Sachverständige, der Genehmigungsvorbehalt habe sich “bewährt”.
Dr. Gastmeier: Der Genehmigungsvorbehalt bietet den Ärzten Schutz vor dem wirtschaftlichen Risiko – für die Patienten hat er sich allerdings nicht bewährt. Durch den Genehmigungsvorbehalt wird die Therapie aus den Händen der Ärzte genommen. Stattdessen entscheiden die Krankenkassen, ob die Therapie überhaupt stattfindet und darüber hinaus, welche Cannabis-Arzneimittel eingesetzt werden. So liegt die Therapiehoheit nicht mehr bei den Ärzten. Stattdessen wird von nicht ärztlichen Mitarbeitern der Krankenkassen entschieden, die nie in den therapeutischen Prozess eingebunden waren oder den Patienten je gesehen haben, und die keinerlei nachfolgende therapeutische und wirtschaftliche Verantwortung tragen.
Testphase für Cannabis-Therapie
Leafly: Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) unterstützt die Forderung, das Cannabisgesetz zu verbessern. Viele der gewünschten Veränderungen seien nicht in der Praxis angekommen. Die ACM fürchtet jedoch, dass ohne Genehmigungsvorbehalt am Ende weniger Ärzte bereit sein werden, Cannabis auf Rezept zu verordnen. Wie beurteilen Sie diese Bedenken?
Dr. Gastmeier: Das sehe ich genauso, denn das Risiko für die Ärzte wäre nicht mehr kalkulierbar. Dennoch wäre die Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts begrüßenswert – dann braucht es allerdings andere rechtliche Absicherungen für die Ärzte. Zum Beispiel könnte Cannabis als Medizin als Praxisbesonderheit gelten. Cannabis könnte mit den Opiaten gleichgestellt werden und aus dem Budget herausgerechnet werden.
Es sollte eine gewisse Zeitspanne geben, etwa fünf Jahre, in der die Ärzteschaft ihre Erfahrungen sammeln kann mit der Behandlung mit Cannabis. In dieser Zeit sollten die Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausgesetzt werden. Dafür bedarf es allerdings einer Art “Ehrenkodex” der Krankenkassen, da diese auf ihre Klagemöglichkeiten verzichten. Diese Absprache könnte auch auf bestimmte Personengruppen oder Indikationen begrenzt sein. Da gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Es wird aber schwierig werden, solch eine Regelung durchzusetzen, denn die Krankenkassen haben kein Interesse daran und werden das nicht zulassen.
Einsatz von Cannabinoiden im Niedrigdosisbereich vom Gesetz nicht bedacht
Leafly: Um die bestehende Situation für Patienten zu verbessern, schlägt die ACM vor, dass die Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet werden sollten, wenn ein cannabisbasiertes Medikament im konkreten Einzelfall eine spürbar positive Wirkung auf die Erkrankung oder die Symptome hat. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Dr. Gastmeier: Das wäre eine praktikable Lösung. Der Arzt entscheidet über die Therapie, die Krankenkassen sollten sich da raushalten. Es ist doch so, dass es zwei unterschiedliche Gruppen von Patienten gibt, die Cannabis-Medikamente einsetzen. Die einen brauchen THC hoch dosiert – das sind schwerst erkrankte Menschen. Die hatte der Gesetzgeber im Blick, als das Cannabisgesetz entstand. Es gibt aber auch eine andere Gruppe von Patienten, die Cannabis nur in einer sehr niedrigen Dosis einnehmen – so wie beispielsweise eine Patientin von mir, die drei mal drei Tropfen Dronabinol am Tag benötigt. Der bürokratische Aufwand, der mit der Beantragung einhergeht, steht für diese Patienten in keinem Verhältnis. Bei einer Testphase, wie ich sie beschrieben habe, würde man diesen bürokratischen Aufwand umgehen. Der Einsatz von Cannabinoiden im Niedrigdosisbereich wurde beim Cannabisgesetz einfach nicht bedacht. Obwohl diesen Menschen mit Cannabis sehr gut und ohne Nebenwirkungen geholfen werden kann.
Herr Dr. Gastmeier, vielen Dank für dieses interessante Gespräch!
Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Bündnis 90/Die Grünen, Sprecherin für Drogenpolitik
Leafly: Bei der Cannabis-Anhörung wurde deutlich, dass beispielsweise die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) den Genehmigungsvorbehalt befürwortet. Die jetzige Regelung erhöhe angeblich die Sicherheit für die Ärzte, da sich diese dann nicht gegenüber den Krankenkassen in Wirtschaftlichkeitsprüfungen rechtfertigen müssen, wenn sie Cannabis-Produkte verordnen. Was halten Sie von dieser Darstellung?
Reformbedarf beim Cannabisgesetz
Dr. Kappert-Gonther: Die Anhörung zu Medizinalcannabis hat gezeigt, dass Reformbedarf besteht. Der Wille des Gesetzgebers, dass Anträge auf die Behandlung mit Cannabis von den Krankenkassen nur im Ausnahmefall abzulehnen sind, wird gezielt umgangen. Ob die Bundesärztekammer mit ihrer restriktiven Positionierung im Sinne der Cannabis verordnenden Ärzteschaft spricht, ist fraglich.
Das Damoklesschwert der Regressforderungen
Leafly: Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) fürchtet, dass ohne Genehmigungsvorbehalt weniger Ärzte bereit sein werden, eine Cannabis-Therapie auf Rezept zu verordnen. Wie beurteilen Sie diese Bedenken?
Dr. Kappert-Gonther: Die Befürchtungen der Sachverständigen, dass Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis verschreiben, Sorge wegen ungerechtfertigten Regressforderungen der Krankenkassen haben, sind ernst zu nehmen. Auch mit dem Genehmigungsvorbehalt hängen die Regressforderungen der Krankenkassen wie ein Damoklesschwert über den Cannabis verordnenden Ärztinnen und Ärzten.
Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichten
Leafly: Die ACM schlägt vor, dass die Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet werden sollten, wenn ein cannabisbasiertes Medikament im konkreten Einzelfall eine spürbar positive Wirkung auf die Erkrankung oder die Symptome hat. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Dr. Kappert-Gonther: Es ist ein richtiger Ansatz zu fordern, dass Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet werden sollten, wenn ein cannabisbasiertes Medikament im konkreten Einzelfall eine spürbare positive Einwirkung auf die Symptome bewirkt.
Leafly: Wie wird es jetzt konkret weitergehen?
Dr. Kappert-Gonther: Ob es eine Mehrheit für eine Verbesserung für die Patientinnen und Patienten gibt, die auf Medizinalcannabis angewiesen sind, liegt jetzt in den Händen der Koalition. Der Grüne Vorschlag liegt zur Abstimmung bereit.
Frau Kappert-Gonther, herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.