Was ist eine Reizblase?
Die überaktive Blase (Overactive Bladder – OAB) wird allgemein hin auch als Reizblase bezeichnet. Mediziner sprechen hingegen von einem Urethralsyndrom. Hierbei handelt es sich um eine Störung der Blasenfunktion.
Die Blase dient als Sammelbecken für den vom Harnleiter und den Nieren gefilterten Urin. An Urin kann die Blase aufgrund ihrer Dehnbarkeit bis zu 500 Milliliter fassen. Bei ungefähr 300 Milliliter sendet die Blase dem Gehirn das Signal, dass bald eine Blasenentleerung notwendig ist. Beim Wasserlassen zieht sich Wand der Blase, die sehr muskulös ist, zusammen. Patienten mit einer überaktiven Blase verspüren einen ständigen Harndrang bzw. wesentlich häufiger als nötig ist.
Mediziner haben bereits vor einigen Jahren zufällig die medizinische Wirkung von Cannabis bei der überaktiven Blase entdeckt. So fiel bei der Behandlung von Multiple-Sklerose-Patienten auf, dass Cannabis mit seinen Cannabinoiden auch bei der überaktiven Blase hilfreich sein könnte. Und auch eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2017 bestätigt dies. Italienische Forscher kamen in ihrer Beobachtungsstudie zu dem Ergebnis, dass die Symptome der Reizblase nach einer längeren Therapie mit dem THC-/CBD-Spray Sativex deutlich gelindert werden konnten.
Ursachen der Reizblase
Die Ursachen der überaktiven Blase sind unklar. Es wird angenommen, dass die Nervenimpulse, die dem Gehirn signalisieren, dass eine Blasenentleerung notwendig ist, obwohl die Füllgrenze noch nicht erreicht ist, fehlerhaft weitergeleitet werden. Auf der anderen Seite scheint die Wahrnehmung des erhöhten Blasendrucks vermindert zu sein, was zum plötzlichen Harndrang führt.
Unterschieden wird bei der Reizblase zwischen der primären und sekundären Form. Bei der primären Reizblase liegen die Ursachen im Nervensystem, wohingegen die sekundäre Reizblase die Folge einer neurologischen Erkrankung (z. B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose oder Schlaganfall) ist. Ebenso können Rückenmarksverletzungen die Nervenfunktion der Blase schädigen.
Darüber hinaus können in seltenen Fällen auch psychische oder sexuelle Traumata ursächlich für eine Blasenentleerungsstörung sein. Möglich ist auch, dass die Reizblase als Folge einer chronischen Blasenentzündung zurückbleibt, obwohl keine Infektion mehr nachweisbar ist.
Reizblase und ihre Symptome
Die Reizblase-Symptome ähneln denen eines Harnwegsinfekts. So leiden Betroffene unter häufigem Harndrang, der sogenannten Pollakisurie. Dabei müssen Betroffene im Rahmen einer Pollakisurie mindestens achtmal innerhalb von 24 Stunden urinieren. Besonders belastend ist der damit verbundene plötzliche Harndrang, der häufig ohne Vorwarnung einsetzt. Dieses überfallartige Reizblase-Symptom führt zu imperativem Harndrang. Unter diesem imperativen Harndrang verstehen Mediziner den unfreiwilligen Urinverlust von ein paar Tröpfchen bis hin zu größeren Urinmengen. Der große Drang, auf die Toilette zu müssen, sowie der imperative Harndrang fallen unter den Begriff der Dranginkontinenz.
In seltenen Fällen verspüren Betroffene auch Schmerzen, wenn das Wasserlassen endet (terminale Dysurie), da sich die Blase dann beim Entleeren schmerzhaft verkrampft.
Außerdem kommt es in einigen Fällen vor, dass nach dem Wasserlassen der Urin noch nachtropft (Nachträufeln). Wenn die Reizblase-Symptome nachts auftreten, wird von einer Nykturie gesprochen.
Reizblase/überaktive Blase: Diagnose und Untersuchungen
In der Regel wird zunächst ein Anamnesegespräch durchgeführt, bei dem unter anderem folgende Fragen gestellt werden:
- Nehmen Sie Medikamente ein, wenn ja, welche? (Einige Medikamente, wie zum Beispiel Wirkstoffe gegen Bluthochdruck, können Reizblase-Symptome auslösen.)
- Wie viel trinken Sie pro Tag?
- Müssen Sie häufiger als gewohnt wasserlassen?
- Verspüren Sie einen dringenden und plötzlichen Harndrang?
- Schaffen Sie es rechtzeitig auf die Toilette?
- Verspüren Sie Schmerzen beim oder nach dem Wasserlassen?
- Müssen Sie nachts oftmals zur Toilette?
Hilfreich kann es sein, wenn vor dem Arztbesuch schon ein Miktionsprotokoll geführt wird und hierin die tägliche Trinkmenge sowie die Anzahl der Toilettengänge eingetragen wird. Der Arzt hat dann die Möglichkeit, die Ergebnisse objektiv zu beurteilen.
Nach dem Gespräch erfolgt die körperliche Untersuchung, um organische Ursachen ausschließen zu können. Da die Prostata und die Gebärmutter ähnliche Beschwerden wie bei einer Reizblase verursachen können, werden diese beiden Organe auch untersucht. Um einen Harnwegsinfekt auszuschließen, wird in der Regel auch ein Urintest durchgeführt.
Bei der überaktiven Blase kommt es vor, dass die Blase nicht mehr richtig entleert werden kann. Deshalb wird der Arzt nach dem Toilettengang mithilfe des Ultraschalls die Blasenfüllung sowie den Restharn kontrollieren. Urologen führen zudem eine urodynamische Untersuchung durch, bei der mithilfe von Elektroden und Drucksonden die Blasenfunktion überprüft wird.
Darüber hinaus wird unter Umständen ein Abstrich aus den unteren Harnwegen entnommen, der dann auf einen Östrogenmangel hin untersucht wird. Denn auch ein Mangel des Hormons Östrogen kann eine Reizblase verursachen.
Reizblase behandeln – diese Therapiemöglichkeiten stehen zur Auswahl
Zur Behandlung der überaktiven Blase gibt es keine einheitliche Therapie. Deshalb findet bei der überaktiven Blase immer eine individuelle Behandlung statt. Zum Einsatz können medikamentöse und chirurgische Therapie als auch ein Blasentraining kommen. Dabei stellt letztgenanntes eine wichtige Komponente in der Behandlung dar. Es hat sich gezeigt, dass ein Blasentraining, die Beckenbodengymnastik sowie das Biofeedback-Training als effektiv erwiesen haben. Hier lernen die Betroffenen den häufigen Harndrang besser zu kontrollieren und den Urin bewusst zurückzuhalten. Aber auch das Erlernen von Entspannungsverfahren sowie eine Psychotherapie können hilfreich sein.
Überaktive Blase – welche Medikamente kommen zum Einsatz?
Geeignete Mittel gegen die Beschwerden der überaktiven Blase sind Medikamente aus der Gruppe der Anticholinergika. Zu diesen Anticholinergika gehören beispielsweise die Präparate Tolterodin und Oxybutinin. Dabei kann Oxybutinin nicht nur in Form von Tabletten gegen die überaktive Blase eingesetzt werden, sondern auch als Transdermalpflaster. Anticholinergika hemmen die Nerven, die für die Symptomatik der Reizblase verantwortlich sind, indem sie bestimmte Rezeptoren für den Transmitter Acetylcholin entsprechend blockieren.
Problematisch bei der medikamentösen Therapie mit Anticholinergika ist, dass diese mit einigen Nebenwirkungen verbunden ist, die insbesondere den Magen-Darm-Trakt, das zentrale Nervensystem sowie die Augen betreffen. Aufgrund der starken Nebenwirkungen setzen viele Betroffene die Medikamente ab. Hinzu kommt, dass nur 60 bis 70 Prozent der Patienten durch die Therapie mit Anticholinergika eine Erleichterung erfahren.
Reizstromtherapie – Reizblase alternativ behandeln
Eine weitere Therapievariante ist die Reizstromtherapie. Hier werden die Muskeln mithilfe von Reizstrom aktiviert. Sollte sich hierunter keine Besserung zeigen, wäre auch eine Neuromodulation denkbar, bei der der Kreuzbein-Nervenknoten elektrisch stimuliert wird, wodurch die Blase gehemmt wird. Möglich ist auch das Einsetzen eines Blasenschrittmachers.
Einige Betroffene lassen die Reizblase auch homöopathisch behandeln, wie zum Beispiel mit dem Mittel Nux vomica. Ebenso kann bei einer überaktiven Blase auch die Akupunktur hilfreich sein, wobei die Wirksamkeit wissenschaftlich nicht bewiesen ist.
Operation als letztes Mittel gegen die Reizblase
Sollten alle Therapieverfahren nicht zu einer Linderung der Symptomatik führen, besteht als letzte Therapieoption die Operation (Blasenaugmentation), bei der die Blase operativ angehoben oder entfernt (Zystektomie) und anschließend eine neue Harnableitung angelegt wird.
Aktuelle Studienlage: Cannabis als Medizin bei überaktiver Blase
Noch sind keine ausreichenden Studien zu Cannabis als Medizin bei einer überaktiven Blase vorhanden. Vermutlich liegt dies daran, dass die Cannabis-Wirkung bei einer Reizblase eher zufällig bei den Untersuchungen von Patienten mit Multipler Sklerose aufgefallen ist.
Forscher der Urologischen Klinik der LMU München und eine schwedisch-amerikanischen Arbeitsgruppe testeten den synthetischen Cannabis-Stoff „Cannabinor“ bei der OAB-Behandlung. Dabei stellten die Forscher fest, dass der Cannabis-Stoff auf eine bestimmte Untergruppe der Cannabinoidrezeptoren CB2 wirkt, die sich bei Ratten, Affen als auch bei Menschen auf den Nervenfasern in der Harnblasenschleimhaut befinden. Diese Rezeptoren vermitteln die Informationen von der Harnblase zum Gehirn und vom Gehirn zur Harnblase. An Tiermodellen, die mit dem Cannabis-Stoff behandelt wurden, zeigte sich eine geringere Frequenz des Wasserlassens und auch das Blasenvolumen hatte sich erhöht.
Die Forscher untersuchten den Cannabis-Stoff auch unter pathologischen Bedingungen. Nach einer Cannabinor-Gabe zeigten sich im Vergleich zur Placebogruppe eine Verminderung der unwillkürlichen Harnblasenkontraktion. Auch die Harnspeicherstörung verbesserte sich. Bevor jedoch Cannabinor beim Menschen zum Einsatz kommt, müssen die vorliegenden Studienergebnisse weiter überprüft werden.
Wie in der zu Beginn des Artikels vorgestellten Studie aus dem Jahr 2017 untersuchten britische Forscher die Wirksamkeit von Sativex bei MS-Patienten mit überaktiver Blase bereits im Jahr 2010. In den Ergebnissen heißt es, dass sich das THC-/CBD-Spray in der Mundhöhle bei MS-Patienten mit überaktiven Blasensymptomen als wirksam erwiesen hat.
Interessant ist auch eine Studie aus dem Jahr 2016. Britische Forscher untersuchten die Wirkung von CP55,940, ein synthetisches Analogon von Tetrahydrocannabidiol, auf die Blasenfunktion von Ratten mit Harnreizung. Sowohl die Blasenaktivität als auch die Harnfrequenz verringerten sich. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass CP55,940 die Häufigkeit des Harns, wie sie in einem Modell der überaktiven Blase vorkommt, umkehrt, was darauf hindeutet, dass es eine wirksame Behandlung für Patienten mit Symptomen der unteren Harnwege sein könnte.
Das synthetische Analogon Ajuleminsäure (IP-751) von Tetrahydrocannabinol war Bestandteil der Untersuchung von US-amerikanischen Forschern an der University of Pittsburgh. In den Ergebnissen wird erklärt, dass IP-751 eine starke entzündungshemmende Wirkung habe und ein starkes Analgetikum sei, weshalb untersucht wurde, ob IP-751 die durch nozizeptive Reize in der Blase induzierte Harnfrequenz am Tiermodell unterdrücken kann. Tatsächlich fielen die Ergebnisse positiv aus und es wurde eine Unterdrückung der Blasenaktivität sowie der Harnfrequenz festgestellt.
Die Ergebnisse dieser Studien sind vielversprechend. Es sind jedoch weitere Studien und Untersuchungen notwendig, um die Ergebnisse zu sichern. So könnte Cannabis als Medizin eine neuartige Therapie zur Behandlung der überaktiven Blase ermöglichen.
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: