Die Anzahl der Kinder, bei denen eine Autismus-Spektrum-Erkrankung (Autism Spectrum Disorder – kurz ASD) diagnostiziert wurde, sei laut der israelischen Forscher weltweit dramatisch angestiegen. Weiter führten die Forscher aus, dass gegenwärtig keine speziellen Behandlungen verfügbar seien. So würden sich die Maßnahmen vorwiegend auf das Training und das Lehren von Selbsthilfefähigkeiten für eine größere Unabhängigkeit konzentrieren. Verschiedene Studien haben in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass die Cannabisbehandlung dabei helfen kann, verschiedene Symptome/Beschwerden zu lindern (Leafly berichtete).
Cannabisbehandlung bei ASD-Patienten mit CBD
Im Jahr 2018 zeigte bereits eine Studie, dass die Cannabisbehandlung bei ASD-Patienten vorteilhaft sein kann. In dieser retrospektiven Studie mit 60 Kindern zeigte sich nach einer Behandlung mit CBD-angereichertem Cannabis, dass sich die Verhaltensausbrüche bei 61 Prozent der Patienten, Kommunikationsprobleme bei 47 Prozent, Angst bei 39 Prozent und Stress bei 33 Prozent der Patienten verbesserte. Hierzu führten die Forscher aus, dass die Gründe für diese Cannabisbehandlung auf den bisherigen Beobachtungen und der Theorie, dass CBD-Effekte die Linderung von Psychosen, Angstzustände, die Erleichterung des REM-Schlafs und die Unterdrückung der Anfallsaktivität basierten.
Cannabisbehandlung bei ASD-Patienten mit THC
Eine prospektive Einzelfallstudie mit Dronabinol (THC) zeigte signifikante Verbesserungen bei Hyperaktivität, Lethargie, Reizbarkeit, Stereotypie und unangemessener Rede nach sechs Monaten. Darüber hinaus führte die Cannabisbehandlung bei zehn jugendlichen Patienten mit intellektueller Beeinträchtigung dazu, dass acht Patienten eine Verbesserung bei der Behandlung des behandlungsresistenten selbstverletzenden Verhaltens zeigten.
Aktuelle Studie der israelischen Forscher
Die Forscher führten aus, dass, obwohl viele Menschen mit Autismus heutzutage mit Medizinalhanf behandelt werden, ein erheblicher Mangel an Wissen über das Sicherheitsprofil und die spezifischen Symptome, die sich bei einer Cannabisbehandlung am ehesten bessern, bestehe.
Ziel der Studie war es, die Epidemiologie von ASD-Patienten, die mit medizinischem Cannabis behandelt werden, zu charakterisieren und deren Sicherheit und Wirksamkeit zu beschreiben. Hierzu analysierten die Forscher die Daten, die prospektiv im Rahmen des Behandlungsprogramms von 188 ASD-Patienten gesammelt wurden, die zwischen 2015 und 2017 mit Medizinalhanf behandelt wurden. Dabei erfolgte die Cannabisbehandlung der Patienten hauptsächlich mit Cannabisöl, das zu 30 Prozent aus CBD und 1,5 Prozent THC bestand.
Die Bestandsaufnahme der Symptome, die allgemeine Beurteilung der Patienten und die Nebenwirkungen nach sechs Monaten waren von Interesse und wurden mit strukturierten Fragebögen bewertet.
Teilnehmer der ASD-Studie
Insgesamt nahmen 188 ASD-Patienten an der Studie teil. Dabei wurde die Diagnose der ASD gemäß der in Israel akzeptierten Praxis festgelegt. Für die Cannabisbehandlung von 125 Patienten waren sechs zertifizierte Kinderpsychiater und Neurologen verantwortlich. Die restlichen 30 Kinder wurden von 22 anderen Ärzten überwiesen. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 12,9 ± 7,0 Jahre, wobei 14 Patienten jünger als 5 Jahre waren. 70 Patienten waren zwischen 6 und 10 Jahre alt und 72 zwischen 11 und 18 Jahren. Zudem waren die meisten Teilnehmer Männer (81,9 Prozent). Darüber hinaus litten 27 Patienten auch unter Epilepsie und 7 Patienten an ADHS.
Zwischenergebnisse nach einem Monat
Nach einem Monat stoppten acht Patienten die Cannabisbehandlung. Die anderen Teilnehmer setzten die Cannabisbehandlung fort. 58 Patienten gaben an, eine deutliche Besserung zu erkennen und 37 Patienten eine mäßige Besserung. Zudem erklärten 17 Patienten, dass Cannabis ihnen nicht half und ein Patient wechselte zu einem anderen Cannabislieferanten.
Sieben Patienten berichteten unter anderem über folgende Nebenwirkungen:
- Schläfrigkeit (1,6 Prozent)
- schlechter Geschmack und Geruch des Öls (1,6 Prozent)
- Unruhe (0,8 Prozent)
- Appetitlosigkeit (0,8 Prozent)
Ergebnisse nach sechs Monaten
Nach der sechsmonatigen Cannabisbehandlung wechselten neun Patienten zu einem anderen Cannabislieferanten. 15 Patienten beendeten die Behandlung und 155 setzten die Therapie fort. 28 Patienten berichteten von einer signifikanten Verbesserung, 50 Patienten zeigten eine mäßige Besserung und sechs Patienten berichteten von einer leichten Besserung. Außerdem erklärten acht Patienten, dass sie keine Änderung ihres gesundheitlichen Zustandes bemerkt haben.
Vor und nach der Cannabisbehandlung wurden die Lebensqualität, Stimmung und die Fähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen, beurteilt. Die Forscher ermittelten folgende Ergebnisse:
- Eine gute Lebensqualität wurde von 31,3 Prozent der Patienten vor Behandlungsbeginn berichtet. Nach der sechsmonatigen Cannabisbehandlung gaben 66,8 Prozent der Teilnehmer an, eine gute Lebensqualität zu haben.
- 42 Prozent der Eltern bescheinigten ihren Kindern vor der Behandlung eine positive Stimmung. Nach der Behandlung waren es 63,5 Prozent.
- Die Fähigkeit, sich unabhängig zu kleiden und zu duschen, verbesserte sich signifikant. Vor der Behandlung hatten 26,4 Prozent keine Schwierigkeiten bei diesen Aktivitäten. Nach der sechsmonatigen Behandlung waren es 42,9 Prozent.
- Vor der Behandlung berichteten 3,3 Prozent der Teilnehmer über einen guten Schlaf und eine gute Konzentration. Nach der Behandlung waren es 24,7 Prozent.
- Von den noch übrig gebliebenen 13 Patienten, die unter Epilepsie litten, erklärten 11 Patienten nach der Behandlung, dass sich die Symptomatik verbessert habe.
- 72 Patienten erklärten außerdem, dass sich die Unruhegefühle und Wutanfälle gebessert hätten.
Veränderungen bei der Medikamenteneinnahme
Die Teilnehmer der Studie bekamen am häufigsten die folgenden Medikamente:
- Antipsychotika (56,9 Prozent)
- Antiepileptika (26,0 Prozent)
- Hypnotika und Sedativa (14,9 Prozent)
- Antidepressiva (10,6 Prozent
Von 93 Patienten 67 an, regelmäßig Medikamente einzunehmen. Sechs Patienten berichteten von einem Anstieg ihres Medikamentenkonsums. Hingegen blieb bei 38 Patienten der Medikamentenkonsum gleich und 23 Patienten reduzierten die Medikamenteneinnahme.
Nach der sechsmonatigen Cannabisbehandlung nahmen 41 Patienten ihr Antipsychotika in gleichbleibender Dosis ein. Drei Patienten verringerten jedoch ihre Dosis und elf Patienten brachen die Einnahme ganz ab.
Nebenwirkungen bei der sechsmonatigen Cannabisbehandlung
Die häufigsten Nebenwirkungen, die nach sechs Monaten bei 23 Patienten auftraten, waren:
- Unruhe (6 Patienten)
- Schläfrigkeit (3 Patienten)
- psychoaktive Wirkung (3 Patienten)
- erhöhter Appetit (3 Patienten)
- Verdauungsprobleme (3 Patienten)
- trockener Mund (2 Patienten)
- Appetitlosigkeit (2 Patienten)
Von den 23 Patienten, die die Behandlung abbrachen, hatten 17 nach sechs Monaten auf den Follow-up-Fragebogen geantwortet. Die Gründe für den Abbruch der Behandlung waren keine therapeutische Wirkung (12 Patienten) und Nebenwirkungen (5 Patienten). Allerdings hatten sieben Patienten, die die Behandlung abgebrochen hatten, die Absicht, die Behandlung wieder aufzunehmen.
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Cannabisbehandlung bei ASD-Patienten scheint eine gut verträgliche, sichere und scheinbar wirksame Option zur Linderung der Symptome zu sein, so die Forscher.
Der genaue Mechanismus der Cannabis-Wirkungen bei Patienten mit ASD ist nicht vollständig geklärt. Befunde aus ASD-Tiermodellen deuten auf eine mögliche Fehlregulierung des Endocannabinoid-Systems hin. Weiter führen die Forscher aus, dass der Wirkungsmechanismus möglicherweise mit der GABA- und Glutamat-Übertragungsregulierung zusammenhängt, an dem auch das Endocannabinoid-System beteiligt ist
Einen weiteren möglichen Erklärungsansatz finden die Forscher an den Neurotransmittern Oxytocin und Vasopressin, die als wichtige Modulatoren für soziales Verhalten fungieren. Es wurde gezeigt, dass die Verabreichung von Oxytocin an Patienten mit ASD unter anderem die Verarbeitung sozialer Informationen erleichtert, die emotionale Erkennung verbessert, soziale Interaktionen stärkt und sich wiederholende Verhaltensweisen reduziert. Es fanden sich Hinweise, dass CBD die Freisetzung von Oxytocin und Vasopressin während den Aktivitäten mit sozialer Interaktion erhöhen kann.
THC- und CBD-Wirkung auf eine Autismus-Spektrum-Störung
Die Cannabinoide THC und CBD können unterschiedliche psychoaktive Wirkmechanismen haben. THC kann die Symptome von ASD-Patienten verbessern. Zum Beispiel berichteten Patienten über eine geringere Häufigkeit von Angstzuständen, Stress und Depressionen nach der Verabreichung von THC sowie über eine verbesserte Stimmung und bessere Lebensqualität. Bei Patienten, die an Angst leiden, führte THC zu einer Verbesserung der Angstzustände im Vergleich zu Placebo und bei Demenzpatienten zu einer Verringerung der nächtlichen motorischen Aktivität, der Gewalttätigkeit und von Verhaltensstörungen. Darüber hinaus zeigte sich, dass Cannabis die zwischenmenschliche Kommunikation verbessern und feindselige Gefühle in kleinen sozialen Gruppen verringern kann.
In der Studie konnten die Forscher zeigen, dass eine mit CBD angereicherte Behandlung von ASD-Patienten möglicherweise zu einer Verbesserung der Verhaltenssymptome führen kann. Diese Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen von zwei doppelblinden, placebokontrollierten Crossover-Studien überein, die die anxiolytischen Eigenschaften von CBD bei Patienten mit Angststörung zeigen. In einer Studie hatte CBD einen signifikanten Effekt auf die erhöhte Gehirnaktivität im rechten hinteren Kortex, von dem angenommen wird, dass er an der Verarbeitung emotionaler Informationen beteiligt ist. In einer weiteren Studie heißt es, dass CBD unter anderem kognitive Beeinträchtigungen und Ängste reduzieren konnte.
Wie sicher ist die Cannabisbehandlung bei ASD-Patienten?
Die Forscher erklärten, dass die Cannabisbehandlung sicher zu sein scheint und die von den Eltern der Patienten berichteten Nebenwirkungen seien moderat und relativ leicht zu bewältigen. Die häufigsten Nebenwirkungen, die nach sechs Monaten gemeldet wurden, waren Unruhezustände, die bei weniger als 6,6 Prozent der Patienten auftraten. Darüber hinaus war die Compliance mit der Behandlung hoch und nur weniger als fünf Prozent haben die Behandlung aufgrund der Nebenwirkungen abgebrochen. Weiter heißt es, dass der sorgfältige Titrationsplan, insbesondere in der pädiatrischen ASD-Bevölkerung wichtig sei, um eine niedrige Nebenwirkungsrate aufrechtzuerhalten und die Erfolgsquote zu erhöhen.
Placebokontrollierte Studien sind notwendig
Die vorliegenden Ergebnisse sollten aus verschiedenen Gründen mit Vorsicht interpretiert werden. Zum einen handelt es sich um eine Beobachtungsstudie ohne Kontrollgruppe. Daher könne keine Kausalität zwischen der Cannabisbehandlung und der Verbesserung des Wohlbefindens der Patienten festgestellt werden. Zudem basiere diese Studie auf einem subjektiven Selbstbericht der Beobachtungen der Eltern der Patienten und nicht auf den Patienten selbst. Diese Berichte mit subjektiven Variablen wie Lebensqualität, Stimmung und allgemeine Auswirkungen können von der Meinung der Eltern über die Behandlung beeinflusst werden. Auch wenn der Effekt nach sechs Monaten beurteilt wurde, kann die Möglichkeit der überhöhten Erwartungen nicht ausgeschlossen werden.
Die Beantwortungsrate des Fragebogens lag nach sechs Monaten bei 60 Prozent. Daher können die Schätzungen der Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung verzerrt sein. Eine hohe Compliance (über 80 Prozent) der Behandlung liefert jedoch einen guten Beweis für die Zufriedenheit der Patienten und der Eltern mit der Behandlung.
Während diese Studie darauf hindeutet, dass die Behandlung mit Cannabis sicher ist und die ASD-Symptome verbessern und die Lebensqualität von ASD-Patienten verbessern kann, glauben die Forscher, dass doppelblinde, placebokontrollierte Studien für ein besseres Verständnis der Cannabis-Wirkung bei ASD-Patienten von entscheidender Bedeutung sind.
Hier erfahren Sie mehr zur Cannabis-Therapie bei Autismus.
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.