Das Jahr begann mit der völlig überraschenden Änderung des Novel-Food-Kataloges für Cannabinoide. Der zunächst bestehende Eintrag Cannabidiol definierte Extrakte von Cannabis sativa L., in denen die Gehalte an CBD höher als in der Ursprungspflanze waren, als neuartiges Lebensmittel. Im Januar 2019 erfolgte dann die Erweiterung des Eintrages auf Cannabinoide. Ab sofort sollten sämtliche Extrakte aus der Hanfpflanze als Novel food gelten, die Cannabinoide enthalten. Ohne Rücksicht auf den Gehalt.
Das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) präzisierte im März 2019 den Eintrag im EU Novel-Food-Katalog dahingehend, dass immer dann von einem neuartigen Lebensmittel auszugehen sei, wenn Cannabinoide speziell an- oder abgereichert werden.
Was diese Änderungen für Folgen hatten, konnten wir im Juni sehen. Der größte deutsche Drogeriediscounter DM musste auf behördlichen Druck seine CBD Produkte von den Regalen nehmen. Das Vertriebsverbot wurde ausdrücklich mit der Anwendung der Novel-Food-Verordnung begründet.
Viele Polizeiaktionen im Jahr 2019
Aber nicht nur die großen Handelsketten waren von der Änderung betroffen, sondern auch viele kleine und innovative Hanfläden. Über das ganze Jahr hinweg gab es Polizeiaktionen, bei denen nicht nur die nicht verkehrsfähigen CBD-Blüten beschlagnahmt wurden, sondern auch entsprechende CBD-Lebensmittel. Sei es mit Verweis auf die Novel-Food-Verordnung, denn das vorsätzliche Inverkehrbringen eines neuartigen Lebensmittels ist gemäß § 1a Neuartige Lebensmittelverordnung eine Straftat und kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft werden. Oder mit Verweis auf das Arzneimittelgesetz, sofern Heilsversprechen auf dem Produkt selbst oder in Zusammenhang mit seinem konkreten Umfeld gemacht wurden.
EIHA: Änderung des Novel-Food-Kataloges
Die European Industrial Hemp Association (EIHA) hat dieses Problem erkannt und bemüht sich weiterhin in Brüssel um eine Änderung des Novel-Food-Kataloges. Sie hat sich aber auch Anfang November auf ihrer Generalversammlung entschlossen, mit ihren Mitgliedern zusammen zu prüfen, ob gemeinsame Anträge auf Zulassung nach der Novel Food Verordnung Sinn machen und zu realisieren sind.
Seit 2016 ist nur ein Antrag auf Zulassung eines CBD-Produktes als neuartiges Lebensmittel bei der europäischen Kommission anhängig. Antragsvoraussetzung ist die Einreichung eines umfassenden und kostenintensiven toxikologischen Gutachtens, dass die Unbedenklichkeit des Produktes bestätigt. Aufgrund der immensen Kosten, schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Euro, scheuen viele Unternehmer aber diesen Schritt.
Langfristig ist eine Marktauthorisation nach der Novel-Food-Verordnung aber unumgänglich. Dass Cannabisextrakte, die Cannabinoide enthalten, als neuartige Lebensmittel zu qualifizieren sind, wurde nämlich erst Ende September vom Verwaltungsgericht Düsseldorf als auch im November 2019 vom Verwaltungsgericht Hannover ausdrücklich bestätigt.
In beiden Eilverfahren wurde die sofortige Vollziehung des Vertriebsverbotes für CBD-Nahrungsergänzungsmittel bestätigt. Ob gegen die Urteile Berufung eingelegt wurde, ist nicht bekannt. Da die Begründungen der beiden Gerichte sich auffällig ähneln, ist aber davon auszugehen, dass sich weitere Gerichte dieser Auffassung anschließen werden. Zieht man außerdem die lange Verfahrensdauer von verwaltungsgerichtlichen Prozessen in Betracht, ist eine Lösung über die Rechtsprechung derzeit nicht zu erwarten.
Das behördliche Handeln ist in seiner Gesamtheit für den Verbraucher nur schwer verständlich. Die Lebensmittelaufsicht ist in Deutschland dezentral organisiert und dazu noch völlig überlastet und fachlich sowie personell überfordert. Dem rechtsuchenden Publikum ist es nur schwer vermittelbar, warum in manchen Städten hart, in manchen ein bisschen, in vielen Regionen gar nicht und im Internet überhaupt nicht durchgegriffen wird.
Bedarf an CBD-Produkten kann nicht ignoriert werden
Der Bedarf nach entsprechenden Produkten in der Bevölkerung, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, kann allerdings nicht ignoriert werden. Die derzeitige Handhabung dieser Produkte führt nun dazu, dass CBD-Produkte nunmehr hauptsächlich im kaum kontrollierbaren Internet gehandelt werden, oder als Aromaprodukte ohne jeglichen Warn- oder Verzehrhinweise angeboten werden.
Die Frage darf gestellt werden, ob dem Verbraucherschutz hiermit nicht ein Bärendienst erwiesen wurde. Die Etablierung von Qualitätsstandards durch Industrie und Handel, die vor allem die großen Handelsketten hätten gewährleisten können, ist 2019 jedenfalls ausgeblieben.
Bei kosmetischen Produkten mit CBD gab es ebenfalls eine Änderung im Oktober. Bis zum Oktober 2019 war kein kosmetisches Produkt mit Cannabisextrakten marktfähig. Das CosIng-Register, die europäische Datenbank für Kosmetikprodukte, wies aufgrund der Regelung in Art. 14 der europäischen Kosmetikverordnung, die auf die Single Convention von 1961 verweist, entsprechende Beschränkungen auf.
Die EIHA konnte mit einem Positionspapier erreichen, dass zumindest die Blätter vom Anwendungsbereich des Artikels 14 der europäischen Kosmetikverordnung ausgenommen wurden. Kosmetik mit dem Zusatz von Cannabis Sativa Leaf Extract ist nunmehr möglich. Ob dies für die Kosmetikbranche eine handhabbare Alternative ist, bleibt abzuwarten.
Rückblick: Medizinisches Cannabis
Beim medizinischen Cannabis steigen die Patientenzahlen weiter an. Im Jahr 2018 wurden allein an getrockneten Blüten 3,1 Tonnen importiert. Insgesamt erstatteten die Krankenkassen 78 Millionen Euro für medizinische Cannabisprodukte. Von Januar bis Juni 2019 wurden bereits 54 Millionen € erstattet und 2,5 Tonnen Cannabisblüten importiert. Also wieder eine deutliche Zunahme.
Die Cannabisagentur hat im Mai 2019 das Vergabeverfahren für den Anbau und die Lieferung von Medizinalcannabis in Deutschland erfolgreich abgeschlossen. Es erfolgte die Vergabe von 13 Losen mit insgesamt 10.400 kg Cannabis. Verteilt auf vier Jahre mit jeweils 2.600 kg.
Die erste Ernte wird für das vierte Quartal 2020 erwartet. Die Vergabe der Lizenzen erfolgte an drei Firmen, die zu kanadischen Mutterkonzernen gehören. Die 13 Lose à 200 Kilogramm Medizinalhanf pro Jahr wurden zu je fünf Losen an Aphria und das Berliner Unternehmen Aurora Deutschland verteilt, macht eine Tonne pro Jahr. Das Berliner Startup Demecan darf dank der übrigen drei Lose pro Jahr 600 Kilogramm Cannabis anbauen.
Der Abgabepreis an die staatliche Cannabisagentur beträgt 2,3 Euro pro Gramm, wie zuletzt durch die Bekanntgabe des Gesamtvolumens bekannt wurde. Ob die Unternehmen mit diesen Preisen angesichts der enormen Anfangsinvestitionen in die Produktionsanlagen langfristig Gewinne einfahren können, bleibt zweifelhaft. Die Anlagen müssen mit enormen Mitteln gegen den unbefugten Zutritt Dritter gesichert werden und höchste Produktionsstandards einhalten.
Deutschland wird weiter auf Importe angewiesen sein
Sofern selbst die möglichen Produktionssteigerungen von 10 Prozent ausgeschöpft werden, wird Deutschland weiterhin auf Importe angewiesen sein, um den Bedarf an medizinischen Cannabis zu decken. Verschiedener europäische und außereuropäische Länder machen sich bereit, um in den deutschen Markt zu exportieren und Kanada und die Niederlande als einzige Exportnationen abzulösen. Im September gab es bereits eine erste Lieferung von 500 kg aus Portugal.
Brancheninsider gehen deshalb davon aus, dass nächstes Jahr förmlich eine Schwemme an medizinischen Cannabis in den Markt strömen wird und die Versorgungsprobleme ein Ende finden werden.
Verbesserungen für Cannabispatienten
Im Bundestag wurden im Juni 2019 einige Verbesserungen für Cannabispatienten durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung beschlossen. Nach einer stationären Therapie mit Cannabis als Medizin müssen die Krankenkassen innerhalb von drei Tagen entscheiden, ob sie die Behandlung weiterhin genehmigen. Bei einem Wechsel der Dosierung oder dem Wechsel zwischen getrockneten Cannabisblüten oder Extrakten benötigen Patienten keine neue Genehmigung. Ein Wechsel auf Cannabisblüten ist jedoch weiterhin nicht möglich, jedenfalls nicht ohne neuen Antrag.
Außerdem will das Gesetz die Preise für Cannabis aus der Apotheke verringern. Die bisherige Preisbildung soll reformiert werden und der Apothekenzuschlag, wie es ihn bisher gibt, wegfallen.
Ein dringend erforderlicher Schritt, wenn man bedenkt, dass medizinisches Cannabis in den Niederlanden zum Beispiel für 7 €/g anstatt bis zu 24 €/g an Patienten abgegeben wird.
Ergebnisse der Begleiterhebung
Im Mai wurden noch die Ergebnisse der Begleiterhebung vorgestellt, die mit der Gesetzesänderung zu Cannabis als Medizin im Jahr 2017 beschlossen wurde. Es erfolgte die Auswertung von insgesamt 4774 Datensätzen.
Am häufigsten wird medizinisches Cannabis für Schmerzpatienten verschrieben, fast 70 Prozent. Interessant an der Studie war vor allem die Erkenntnis, dass bei einer Therapie mit Cannabisblüten Patienten am seltensten über Nebenwirkungen berichten. Die Abbruchrate bei einer Therapie mit medizinischen Cannabisblüten liegt bei 12,6 Prozent. Im Vergleich zu über 40 Prozent bei Sativex und Dronabinol.
Entschließungsantrag des Europaparlamentes
Abschließend sei noch der Entschließungsantrag des Europaparlamentes aus Februar 2019 erwähnt. Die Europa-Abgeordneten fordern die Mitgliedsländer auf, die finanzielle Förderung für die Cannabis-Forschung und klare rechtliche Definitionen von medizinischem Cannabis zu ermöglichen. Ein erster Schritt, um auch bei medizinischem Cannabis eine Harmonisierung von Forschung und Anwendung in der Europäischen Union zu erreichen.
In der nächsten Kolumne beschäftigen wir uns mit dem Jahresrückblick zu den Entwicklungen der Legalisierung von Cannabis zum Freizeitgebrauch. Auch hier war 2019 ein durchaus spannendes Jahr.
Autoreninfo:
Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät Unternehmen und Organisationen in allen Fragen des Wirtschafts- und Vertragsrechts. Schon während seines Studiums an der Philipps Universität in Marburg beschäftigte er sich mit der Prohibition. Denn 1994 erging ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Eigenbedarf. Nach der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 startete er einen Blog zu rechtlichen Aspekten rund um das Thema Cannabis (canna-biz.legal) und den Vertrieb neuer Cannabisprodukte.
Kai spricht regelmäßig auf internationalen Konferenzen zum deutschen und europäischen Rechtsrahmen für Cannabisprodukte. Zuletzt auf dem First Asian Hemp Summit 2019 in Hongkong und im Oktober beim Cannabis Law Institute in New York und der EuroAMCBC in Prag.
Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Beiträge auf Online-Plattformen wie Prohibition Partners und Cannabis Law Journal. Heute berät Kai nationale und internationale medizinische Cannabisproduzenten und CBD Hersteller. Kai ist Mitglied des Deutschen Hanfverbandes, der European Industrial Hemp Association, der Law Enforcement Against Prohibition (LEAP Germany) und der International Cannabis Bar Association.