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Der Kommissar: Was wir von Kanada lernen können

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Der Kommissar

Vor Kurzem berichteten unsere Kollegen aus den USA darüber, dass das FBI nun mehr das dritte Jahr in Folge einen Anstieg der cannabisbezogenen Verhaftungen in den Vereinigten Staaten vermeldete. Und das trotz der zunehmenden rechtlichen und öffentlichen Zustimmung für die Pflanze. In der heutigen Kolumne riskieren wir einen Blick über den großen Teich und berichten über die aktuellen Entwicklungen in den USA. Außerdem sehen wir uns das Geschehen in Kanada an. Denn hier ist Cannabis seit einem Jahr voll legalisiert.

Der Kommissar: Was wir von Kanada lernen können

Die neuen Daten des FBI: Was wir daraus lernen können

Die Strafverfolgungsbehörden in den USA vollstreckten laut Bundesdaten im Jahr 2018 schätzungsweise 663.367 Verhaftungen im Zusammenhang mit Cannabis. Dem stehen 659.700 Verhaftungen des Vorjahres gegenüber. Das bedeutet, dass in den Vereinigten Staaten mehr als eine Cannabisverhaftung pro Minute im letzten Jahr erfolgte. Im selben Jahr gaben auf der anderen Seite zwei Drittel der Amerikaner an, dass sie die Legalisierung unterstützten. Daraus lässt sich noch nicht allzu viel ableiten oder lernen.

Auf den ersten Blick mögen ca. 3.500 mehr cannabisbezogene Verhaftungen bei einer derzeitigen Bevölkerung von mehr als 330 Millionen Menschen in den USA, fast schon als statistische Schwankung und damit als zu vernachlässigen betrachtet werden. Jedoch sollte man dabei berücksichtigen, dass immer mehr Bundesstaaten sich für eine Entkriminalisierung bzw. völlige Legalisierung öffnen.

So entkriminalisierte New Mexico im Juli 2019 per Gesetz den Cannabis-Besitz. Michigan legalisierte als mittlerweile zehnter Bundesstaat den Konsum.  In den Staaten Kalifornien, Maine, Massachusetts sowie Nevada ist es bereits seit Anfang 2018 legal. Seitdem erhalten über 50 Millionen Bürgerinnen und Bürger dadurch straffreien Zugang zu Cannabis. Und zwar sowohl für medizinische Zwecke als auch für den Freizeitgebrauch.

 

Quelle: NZZ Digital National Congress of State Legislature

 

Anhand dessen lässt sich erkennen, dass sowohl der allgemeine Zuspruch als auch die legalen Nutzungsmöglichkeiten für Cannabis in den USA in den letzten Jahren deutlichen Zuwachs erhielten.

Was bedeuten diese Zahlen?

Fast 91% aller Cannabis-Verhaftungen im Jahr 2018 – oder etwa 608.776 – waren wegen einfachen Besitzes. Dabei waren die Verhaftungsraten von Cannabisbesitz im Nordosten der USA am höchsten. Sie machten fast die Hälfte aller Verhaftungen von Drogenbesitz aus. Dicht gefolgt von den Regionen mittlerer Westen und Süden. Im Westen, wo mehrere große Staaten Hanf für den Konsum von Erwachsenen legalisiert haben, waren die Verhaftungen wegen Cannabisbesitzes signifikant geringer. Sie machten lediglich 13,4% aller Drogenverhaftungen aus.

Die Aussagekraft dahinter ist, dass Bundesstaaten, in denen der Besitz und Konsum weiterhin unter Strafe steht, ihre Bemühungen zur Vollstreckung von Haftbefehlen in den Ermittlungsverfahren innerhalb weniger Jahre um ein Vielfaches erhöhten. Scheinbar wurde es sich zur Aufgabe gemacht, innerhalb dieser Bundesstaaten besonders die Konsumenten in den Fokus der Ermittlungen zu stellen. Die Motive dahinter mögen mannigfaltig sein. Doch ob es sich hierbei um die richtige Priorisierung polizeilicher Ressourcen handelt, ist fraglich.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Zahlen in den kommenden Jahren entwickeln. Mit einem deutlichen Abwärtstrend der Cannabis-Verhaftungen in den USA ist jedoch vorerst nicht zu rechnen.

Der Blick nach Kanada

Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das nördliche Nachbarland der USA, so offenbart sich ein vollkommen anderes Bild.

Ein Jahr nach der landesweiten Legalisierung von Cannabis in Kanada (Leafly.de berichtete), angestoßen und umgesetzt von der Regierung des Premier Ministers Justin Trudeau im Oktober 2018, liegen bislang noch keine offiziellen statistischen Erhebungen vor, die belastbar wären. Doch es existieren erste Abfragen diverser Behörden und Dienststellen, darunter einige Dutzend Polizeidienststellen der größeren und kleineren Provinzen und Countys des Landes.

 

Quelle: https://twitter.com/DrShaneMorris/status/1155191809867259905

 

Dabei konstatierte die kanadische Polizei, dass in diesen ersten Monaten nach der Legalisierung keine deutlich erhöhten Verhaftungen aufgrund von Cannabis am Steuer zu verzeichnen seien. Sie seien jedoch stets darum bemüht, die Teilnehmer des Straßenverkehrs daran zu erinnern, Cannabis während der Fahrt außen vor zu lassen.

Chief Constable Mike Serr vom Abbotsford Police Department in British Columbia und zugleich der Co-Vorsitzende der „Canadian Association of Chiefs of Police’s Drug Advisory Committee“, sagte auf Anfrage gegenüber der kanadischen Presse, dass die einzelnen Polizeidienststellen den Fokus ihrer polizeilichen Ermittlungen im Zusammenhang mit Drogen auf Fentanyl und Methamphetamin verlagert haben.

„Wir sind uns dessen bewusst, dass das organisierte Verbrechen noch immer an der Produktion von Cannabis und dem Verkauf an die illegalen Geschäfte beteiligt ist. Und wir priorisieren auch weiterhin unsere Ermittlungen in diesen Feldern, wenn uns derlei Delikte bekannt werden. Aber die meisten Polizeidienststellen konzentrieren sich mittlerweile tatsächlich auf die Drogen, von denen wir wissen, dass sie Menschen töten, wie Opiate und Methamphetamine. Diese bereiten im ganzen Land große Sorgen.“

Die häufigsten Bußgelder

Eines der häufigsten Bußgelder seit der Legalisierung betreffe die falsche Lagerung von Cannabis in Fahrzeugen. Die Provinzpolizei von Ontario habe 962 Bußgelder allein für das Fahren eines Autos oder Bootes mit leicht zugänglichem Cannabis verhängt, welche darüber hinaus auch den größten Teil aller Bußgelder im Rahmen der Cannabisgesetzgebung der Provinz ausmachen.

Es sei so, dass die Menschen in der Öffentlichkeit nicht mehr versuchen, ihre Cannabisprodukte zu verstecken. Stattdessen müsse die Polizei die Leute explizit und immer wieder aufs Neue darauf hinweisen, dass Cannabis genau wie Alkohol zu behandeln sei. Und anstatt es auf dem Vordersitz des Autos liegen zu lassen, es im Kofferraum zu lagern.

Insgesamt seien die Bußgeldverfahren in Bezug auf Cannabisverstöße in den jeweiligen Provinzen weitestgehend überschaubar. Das Vancouver Police Department hatte bislang etwa 100 Bußgelder im Zusammenhang mit unsachgemäßer Lagerung von Cannabis in Fahrzeugen ausgestellt. In Edmonton laufen in der ersten Jahreshälfte 17 Untersuchungen über cannabisbedingte Beeinträchtigungen des Fahrverhaltens, was in etwa der gleichen Rate entspricht,  die 2018 zu 38  Untersuchungen über auffälliges Fahrverhalten in Verbindung mit dem Konsum von Cannabis führte.

Einige Departments berichteten von drogenbedingten Verfahren im einstelligen Bereich. So soll es in Charlottetown zu vier  erhobenen Anzeigen gekommen sein. Während das Justizministerium  Yukon angab, es sei dort nur gegen eine einzige Person innerhalb des letzten Jahres aufgrund eines Verstoßes gegen die Regularien von Cannabis zu einer Anklage gekommen. Die Fredericton Police Force habe sogar niemanden wegen cannabisbezogenem fehlerhaften Fahrverhaltens angeklagt.

Die kanadische Provinz Saskatchewan stellte einen großen Unterschied zwischen betrunkenen Fahrzeugführerinnen und durch Drogen berauschte Fahrer fest. Zwischen November letzten und Februar dieses Jahres wurden gerade einmal sieben Bußgelder im Zusammenhang mit Cannabis verhängt, verglichen mit 596 Bußgeldverfahren innerhalb des gleichen Zeitraums für beeinträchtigtes Fahren durch Alkohol.

Der Kampf gegen den Schwarzmarkt

Neben der Verringerung von Delikten durch Konsumenten hatte die Regierung Trudeaus ein weiteres Ansinnen mit dem politischen Paradigmenwechsel in Bezug auf Cannabis im Sinn.

Übergeordnetes Ziel war und ist es, das einst illegale Geschäft staatlich zu kontrollieren und zu regulieren. Dahinter steht einerseits, es Minderjährigen zu erschweren, an Cannabis heranzukommen. Auf der anderen Seite stehen die Verkäufe, die zumindest zum Teil in staatliche Erlöse umgewandelt werden sollen.

Dass nicht-lizenzierte Dealer aber noch lange nicht abgemeldet sind, zeigen jüngste Umfragen. Der kanadischen Statistikbehörde zufolge gaben bei einer Studie im ersten Halbjahr 2019 zwar knapp die Hälfte der Konsumenten an, ihr Cannabis auch auf dem neuen, offiziellen Weg zu kaufen. Doch gleichzeitig bekommen mehr als 40 Prozent ihr Cannabis zumindest manchmal noch immer illegal.

„Wir führen einen harten Kampf gegen den grauen Markt, solange die kanadische Post noch immer Cannabis verschickt“, Trevor Duncan, laut einem Medienbericht. Duncan ist Besitzer einer Drogerie speziell für Cannabis (Dispensary)  in Winnipeg. Es gebe unzählige nicht lizenzierte Internetseiten, bei denen die Preise oft deutlich niedriger seien. Ein anderer großer Nachteil sei, dass der Verkauf von Lebensmitteln mit Cannabis (z.B. Kekse oder Getränke) noch immer nicht erlaubt sei. Das soll sich erst in den kommenden Monaten ändern.

Wir lernen: Die gesellschaftliche Akzeptanz wächst

Aus Angst von einer möglichen Strafe sei ein gewisser Teil der Bevölkerung bis zur Legalisierung vor dem Konsum von Hanf zurückgeschreckt und habe deshalb nie selber Cannabis gekauft. Dies soll sich nun geändert haben. Mittlerweile etabliert sich Cannabis innerhalb der Gesellschaft sowohl als medizinisches Mittel, aber auch mehr und mehr als Alternative zu Tabak und Alkohol. Schon jetzt, nach nur einem Jahr der landesweiten Legalisierung, erfreut sich Cannabis nach jüngsten Umfragen einer großen Akzeptanz unter der kanadischen Bevölkerung.

Eine Zwischenbilanz

Blicken wir nun auf die bisherigen Resultate der Legalisierung in Kanada. Können wir diese in einem weiteren Schritt auf Deutschland extrapolieren und anhand dieses Exempels lernen?

Nach Auswertung der ersten Schätzungen der Behörden und Polizeidienststellen Kanadas ist zu resümieren, dass es zu keinem deutlichen Anstieg von Straftaten oder missbräuchlichem Verhalten in Verbindung mit Cannabis nach der Legalisierung vor einem Jahr gekommen zu sein scheint.

Trotzdem wurden die Hoffnungen der kanadischen Regierung insoweit nicht gänzlich erfüllt. Denn der Schwarzmarkt mit Cannabis konnte noch nicht trocken gelegt werden. Über ein Drittel aller Verkäufe laufen weiterhin zumindest zum Teil über illegale Betriebswege, die nicht durch staatliche Kontrollen reguliert werden. Doch dem steht gegenüber, dass in nur zwölf Monaten mehr als 50% aller Käufe aus dem Schwarzmarkt heraus in legale Kanäle umgeleitet werden konnten. Diese Zahlen gehen weit über einen schlichten Achtungserfolg hinaus und stimmen optimistisch für die Zukunft.

Was wir von Kanada lernen können

Die bisherigen Erfahrungen Kanadas können als Abbild dessen dienen, in welch – mehr oder minder – geordneten Bahnen sich eine Legalisierung von Cannabis in einem Industriestaat bewegt.

Auch in Deutschland wächst die gesellschaftliche Akzeptanz. Nachdem die medizinische Nutzung vor zwei Jahren vom Bundestag verabschiedet wurde, gilt es nun, auf dieser Grundlage aufzubauen. Ressentiments, welche mit einem antiquierten Bild von Cannabis genährt wurden, können durch eine gelungene Legalisierungspolitik nach dem Vorbild Kanadas aufgebrochen werden.

Es ist wichtig, dabei die positiven Effekte der Legalisierung herauszuarbeiten. Innerhalb der Polizei würden Ressourcen umverteilt werden können, die an anderen Stellen dringend gebraucht werden. Innerhalb der Gesellschaft bröckeln Stigmata, die einer flächendeckenden therapeutischen Nutzung von Medizinalhanf zugutekommen würden. Und auf staatlicher als auch wirtschaftlicher Ebene würde durch die steuerlichen Mehreinnahmen und neuen Produktionsstätten nach kontrolliert ökologischem Anbau ein zukunftsträchtiges Fundament errichtet werden.

All dies können wir bereits nach nur wenigen Monaten als scheinbar geglückte Essenz aus der landesweiten Legalisierung von Cannabis in Kanada heraus destillieren. Da dies – trotz so mancher Unkenrufe, ob der Trägheit unserer Legislative – den politischen Akteuren unseres Landes sehr wahrscheinlich nicht entgangen sein wird, erscheint es somit mehr und mehr realistisch, dass auch die Bundesrepublik sich in den kommenden Jahren einer deutschlandweiten Legalisierung von Cannabis öffnen wird. Bis dahin wünsche ich euch alles Gute und stets eine sichere Lagerung eurer Ladungen auf allen Fahrten!

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