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Hindernisse bei Cannabis als Medizin: Ärzte zögern

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

Ein hoher Arbeits- und Beratungsaufwand auf der einen Seite – eine schlechte Vergütung, die Sorge vor Regress sowie vor Haftungsproblemen auf der anderen Seite: Für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ist die Verordnung von Cannabis auf Rezept wenig attraktiv. Zehn Monate nach Einführung des Cannabisgesetzes hakt es noch an vielen Stellen.

Hindernisse bei Cannabis als Medizin: Ärzte zögern

Cannabisverschreibung: Probleme und Stolpersteine

Seit März 2017 können Ärzte Cannabis bei schweren Krankheiten verschreiben. Es gibt aber Hindernisse: Erst einmal muss die Krankenkasse die Behandlung genehmigen – und das ist laut neuester Zahlen nur bei gut zwei Drittel der Antragsteller der Fall. Aber selbst wenn der Patient ein Cannabis-Rezept erhalten hat, warten häufig weitere Probleme: Bei Cannabisblüten aus der Apotheke kommt es schon seit Monaten immer wieder zu Lieferengpässen.

Viele Betroffene, die sich eine Behandlung mit Medizinalhanf wünschen, scheitern sogar bereits daran, einen Arzt zu finden, der bereit ist, Cannabis zu verordnen. Ärztinnen und Ärzte schrecken häufig davor zurück, eine Cannabis-Therapie zu starten. Woran liegt das?

Zum einen ist Cannabis negativ behaftet: Viele Ärzte weigern sich, Cannabis zu verordnen, weil sie Sorge um ihren guten Ruf haben und nicht als „Drogenarzt“ verpönt sein wollen. Weitere Probleme beim Verschreiben von Cannabis sind:

  • hoher Aufwand für den Arzt, der nur mangelhaft vergütet wird
  • das Regressrisiko für den Vertragsarzt bei Kassenpatienten
  • das Haftungsrisiko für den Mediziner

Hindernisse Cannabis als Medizin: Regress

Ärztinnen und Ärzte haben – vereinfacht gesprochen – für ihre Praxen ein Budget für Kosten in verschiedenen Bereichen, das nicht überschritten werden darf. Wenn sie Medikamente, Heilmittel oder Anwendungen (beispielsweise Physiotherapie) in zu hohen Mengen verordnen, riskieren sie einen Regress. Das bedeutet, dass die Kosten nicht von der Krankenkasse übernommen werden – der verschreibende Arzt muss sie stattdessen aus eigener Tasche zahlen.

Besonders gemein an der Sache ist, dass ein Regress noch Jahre rückwirkend auf eine Arztpraxis zukommen kann.

Regress bei Cannabis auf Rezept – ein spezieller Fall

Cannabis als Medizin ist neu, bisher fehlt den Ärzten die Erfahrung – auch in Bezug darauf, wie die Kassen auf die neue Medizin reagieren. Bei den herkömmlichen Medikamenten kennen die Ärzte ihre Budgets. Wenn es um die Verschreibung von Medizinalhanf geht, sind jedoch viele Mediziner sehr vorsichtig. Und die subjektiven Regressängste lassen die Vertragsärzte davor zurückschrecken, Cannabis auf Rezept zu verordnen.

Allerdings ist Cannabis nicht ein Medikament, wie die meisten anderen: Eine Cannabisverordnung ist an besondere Voraussetzungen geknüpft. So hat der Gesetzgeber beispielsweise festgelegt, dass die Erstverordnung eines Cannabis-Rezeptes erst nach der Prüfung durch die Kasse erfolgen darf. Nur wenn die Krankenkasse die Behandlung genehmigt, kann ein Cannabis-Rezept zulasten der gesetzlichen Versicherungen ausgestellt werden.

Aufgrund dieser speziellen Hürde sollte sich eigentlich die Frage nach dem Regressrisiko für Ärzte gar nicht mehr stellen, wie auch die Ärzte Zeitung online bemerkt. Denn die Krankenkasse hat die Behandlung ja bereits genehmigt. Leider ist es so einfach nicht!

Der Linken-Politiker Frank Tempel hat im letzten Jahr beim Bundesgesundheitsministerium nachgefragt: Die Antwort lautete, dass für eine Cannabisverordnung „die Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 ff. SGB V“ gelte.

Was bedeutet das konkret? Die Krankenkassen behalten sich trotz der bereits erfolgten Genehmigung vor, unwirtschaftliches Verhalten nachträglich zu prüfen und eventuell einen Regress zu fordern. Aufgrund der hohen Kosten für Cannabisblüten aus der Apotheke können solche Regressforderungen extrem teuer werden für den Mediziner.

Die Sorge vor Regress ist daher eines der wichtigsten Hindernisse für Cannabis als Medizin.

Was sagen die Krankenkassen dazu?

Leafly.de hat bei verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen nachgefragt: Kann es bei Cannabis auf Rezept zu Regressforderungen kommen? Wenn ja, unter welchen Umständen? Und wie können sich Ärztinnen und Ärzte vor Regress schützen?

Eine Pressereferentin der DAK-Gesundheit erklärt dazu, dass Ärzte eventuell dann Regressforderungen befürchten müssen, wenn sie einem Patienten eine höhere Dosierung verschreiben, als empfohlen ist. Darüber hinaus wird die Wirtschaftlichkeit in Bezug auf die Darreichungsform des Cannabisproduktes überprüft: Cannabisblüten aus der Apotheke sind teuer. Die DAK empfiehlt daher den Ärzten zu überlegen, ob nicht ein günstigeres Cannabisprodukt (wie Dronabinol-Tropfen) zum Einsatz kommen kann.

Laut DAK müssen die Ärzte – wenigstens bei dieser Kasse – jedoch keine Angst vor einem Regress haben:

„Um den Ärzten Sicherheit zu geben, bezieht sich die DAK-Gesundheit in der Bewilligung ausdrücklich auf die Darreichungsform, die der Arzt beantragt hat.“

Wenn die Genehmigung der Cannabis-Behandlung vorliegt, weiß der Mediziner somit genau, welches Cannabisprodukt er verschreiben darf. „Dann gibt es keine Unklarheiten und auch keine Regresse“, so die Sprecherin.

Auch bei der Barmer kann es zu einer Wirtschaftlichkeitsprüfung kommen. Jedoch betont ein Sprecher: Wenn die verordneten Leistungen nicht „das Maß des Notwendigen“ überschreiten, „dann sind Regressforderungen nach der Verordnung von Cannabis-haltigen Präparaten praktisch ausgeschlossen.“

Sollte ein Vertragsarzt durch die Kasse geprüft werden, „kann er im Regelfall im Prüfverfahren auch Cannabis-Verordnungen als individuelle Praxisbesonderheit geltend machen. Sind diese Verordnungen plausibel, schützt ihn das vor Regressforderungen.“

Wichtig sei, dass der Arzt im Vorfeld den Fragebogen für die weitere Begutachtung durch den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ausfüllt, bevor die Krankenkasse eine Cannabis-Therapie übernimmt. „Denn sollten hier Unstimmigkeiten oder Fragen auftreten, kann der Arzt diese ausräumen, bevor eine Therapie startet und letzten Endes Regressforderungen drohen könnten.“

Zum Hintergrund: Regressforderungen

Durch den Regress wird ein finanzieller Schaden ausgeglichen, der den Krankenkassen entstanden ist. Solche Sanktionen gegen Vertragsärzte, die unwirtschaftlich handeln, sollen unser System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlbar halten.

Allerdings wird immer wieder diskutiert, inwieweit das hinter den Regressforderungen stehende Wirtschaftlichkeitsgebot die Behandlung von Patienten beeinflusst. Denn alle Menschen in Deutschland haben einen Anspruch auf eine Versorgung nach dem Stand der Wissenschaft. Das Dilemma der Vertragsärzte: Solch eine Behandlung beschränkt sich nicht nur auf Standardtherapien, sondern kann auch die Verordnung teurer Arzneimittel erfordern. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung von Medizinern wird daher häufig kritisch diskutiert. So spricht sich auch der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen laut Ärzte Zeitung online für eine Abschaffung aus.

Hindernisse Cannabis als Medizin: Mehraufwand und mangelnde Vergütung

Ärztinnen und Ärzte rechnen ihre Arbeit nach einer Gebührenordnung ab. Nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes im März 2017 gab es zunächst keine Möglichkeiten, den Arbeitsaufwand für die verbindliche Begleiterhebung abzurechnen. Das heißt, für Ärzte bedeutete ein Cannabis-Patient einen Mehraufwand, der nicht vergütet wurde. Somit war Cannabis auf Rezept für den behandelnden Arzt auch noch in puncto Abrechnung finanziell unattraktiv.

Diese Situation hat sich im letzten Herbst ein wenig verbessert: Seitdem gilt die Gebührenordnung rückwirkend zum 1.10.2017 auch für die Verordnung von Cannabis. (Leafly.de berichtete.)

Was kann jetzt bei Cannabis auf Rezept abgerechnet werden?

Vergütung der Begleiterhebung:

Für die Aufklärung des Patienten über die Begleiterhebung und die damit verbundene verpflichtende Datenerhebung dürfen Ärzte jetzt 2,95 Euro abrechnen. Das ist für ein persönliches Gespräch, bei dem es eventuell Nachfragen und Erklärungsbedarf gibt, allerdings nicht besonders viel.

Die Erfassung der Daten für die Begleitstudie und deren elektronische Übermittlung an das BfArM werden mit 9,70 Euro vergütet. Der Zeitaufwand wird auf 30 bis 45 Minuten geschätzt. Somit ist auch hier die Vergütung der ärztlichen Arbeit unterdurchschnittlich.

Unterstützung bei der Antragstellung:

Eine Cannabis-Behandlung muss vom Patienten bei der Krankenkasse beantragt werden. Für die Hilfe bei der Antragstellung erhalten Ärzte 15,06 Euro. Da ein Wechsel von einer Darreichungsform auf eine andere genehmigt werden muss – beispielsweise von Cannabisblüten auf ein Fertigarzneimittel – können diese 15,06 Euro gegebenenfalls bis zu viermal abgerechnet werden.

Fest steht: Trotz der neuen Abrechnungsmöglichkeiten stehen der zeitliche Aufwand und die Vergütung einer Cannabis-Behandlung für den Vertragsarzt in einem Missverhältnis.

Cannabisverschreibung: Probleme der Haftung

Bei Cannabis als Medizin hat der Gesetzgeber auf die bei Medikamenten sonst nötige Zulassung verzichtet. Dadurch muss die Ärztin oder der Arzt individuell und besonders ausführlich über Nebenwirkungen aufklären. Bei Medizinalhanf besteht keine Produkthaftung eines pharmazeutischen Unternehmers – eben weil Cannabis kein zugelassenes Medikament ist. Tritt beim Patienten durch die Behandlung ein Schaden ein, steht der verordnende Arzt in der Haftung.

Daher wird Ärzten empfohlen, dass ihre Cannabis-Patienten einen Aufklärungsbogen ausfüllen, der unterschrieben ihrer Patientenakte beigefügt werden sollte.

Fazit: Probleme bei Cannabis für Ärzte

Die Verordnung von Cannabis auf Rezept ist für Ärzte unattraktiv: Bei Kassenpatienten bedeutet sie viel Arbeit und wenig Geld. Darüber hinaus lauert im Hintergrund noch die Angst vor Regressforderungen seitens der Krankenkassen – auch wenn diese weniger gerechtfertigt scheint, als viele Ärzte glauben.

Aufgrund dieser Hindernisse bei Cannabis als Medizin fällt es häufig Patientinnen und Patienten schwer, einen Arzt zu finden, der bereit ist, Medizinalhanf zu verschreiben. Leider wird den Betroffenen in absehbarer Zukunft wohl nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin nach Ärzten zu suchen, die offen sind für Cannabis als Medizin. Selbstverständlich ist dies noch lange nicht. Aber noch nicht einmal ein Jahr nach Einführung des neuen Cannabisgesetzes war das wohl auch nicht zu erwarten.

 

Quellen:

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