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Leafly.de Interview: Niema Movassat (Die Linke) zur Cannabis-Versorgung

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

Niema Movassat ist drogenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Im Interview mit Leafly.de beklagt er die aktuelle Versorgungssituation der Cannabispatienten und die Gefahr, dass sich diese noch weiter verschlechtern wird. Außerdem stellt er seine Ideen zu einer modernen Drogenpolitik vor: Damit Konsumenten nicht länger kriminalisiert werden und stattdessen die Präventionsarbeit gestärkt wird.

Leafly.de Interview: Niema Movassat (Die Linke) zur Cannabis-Versorgung
"Wenn ein Arzt Cannabis verschreibt, sollte der Zugang und die Kostenübernahme durch die Krankenkassen endlich der Normalfall sein."

Zur Person: Niema Movassat

Niema Movassat stammt aus Nordrhein-Westfalen und studierte Rechtswissenschaften in Düsseldorf. 2009 schloss er sein Studium als Diplom-Jurist ab und zog im selben Jahr mit gerade einmal 25 Jahren in den Bundestag ein. Movassat ist Obmann im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sowie Sprecher für Drogen- und Verfassungspolitik der Linksfraktion. Darüber hinaus ist er stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss und Parlamentarischer Geschäftsführer.

Leafly.de: Herr Movassat, Sie sind der neue drogenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag und stellvertretendes Mitglied im Gesundheitsausschuss. Von Haus aus sind Sie Jurist. Wie sind Sie zur Gesundheitspolitik gekommen?

Movassat: Das Thema Drogenpolitik ist fachpolitisch tatsächlich ein Querschnittsthema. Die Drogenpolitik wirft viele Gesundheitsfragen auf, mit denen ich mich auch intensiv beschäftige. Allerdings handelt es sich bei der Drogenpolitik auch um ein Bürgerrechtsthema. Die Verbotspolitik wird mit rechtlichen Mitteln und unter – auch verfassungsrechtlich nicht unproblematischen Gesichtspunkten – durchgesetzt. Insofern passt es bestens, dass ich als Jurist die bürgerrechtliche Perspektive in das Thema mit einbringe.

„Den Patienten muss dringend geholfen werden“

Leafly.de: Das Cannabisgesetz hat gerade seinen Jahrestag gefeiert. In dem Zusammenhang haben Sie moniert, dass der leichtere Zugang zu Cannabis als Medizin – den das Gesetz mit sich bringen sollte – nicht ausreichend erfolgt sei. Erklären Sie das unseren Leserinnen und Lesern doch bitte noch einmal.

Movassat: Gerade erst meldete sich wieder ein Bürger in meinem Büro und berichtete von einem unsäglichen Zustand. Er ist Schmerzpatient und hat ärztlich die höchste Schmerzstufe attestiert bekommen. Er leidet zudem unter Clusterkopfschmerzen, also extrem starken, plötzlich auftauchenden Schmerzen. Seine Lebensqualität leidet massiv. Keine Therapiemöglichkeit hat bislang gewirkt. Erst die Einnahme von Cannabis hat sein Leben lebenswert gemacht. Bislang erhielt er Medizinalhanf auf Privatrezept. Er gehört nämlich zu den sehr wenigen Erlaubnisinhabern, die ein strenges und aufwendiges Verfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hinter sich haben.

Nun denkt man bestimmt, dass gerade jemand wie er unproblematisch vom neuen Cannabis-als-Medizin-Gesetz profitieren und die Kasse die Kosten übernehmen würde. Doch weit gefehlt. Die Kasse weigert sich strikt, die Kosten zu übernehmen. Der Patient kann sich sein Medikament nicht mehr leisten, insbesondere hat es einen massiven Preisanstieg gegeben. Der Fall ist einer von vielen.

Die Quote der Ablehnung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse liegt bei erstmaligen Anträgen bei etwa 40 Prozent. Dabei sollte das neue Gesetz die Ablehnung der Kostenübernahme eigentlich zur Ausnahme machen, aber so ist es in der Realität nicht. Den Patienten muss dringend geholfen werden. Die Haltung der Krankenkassen sollte den Gesetzgeber dazu bewegen, eine solche Prüfung durch die Krankenkassen gänzlich abzuschaffen. Wenn ein Arzt Cannabis verschreibt, sollte der Zugang und die Kostenübernahme durch die Krankenkassen endlich der Normalfall sein.

„2019 mit dem ersten Cannabisanbau in Deutschland zu rechnen ist utopisch“

Leafly.de: Sie haben kürzlich eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Darin erkundigen Sie sich nach der aktuellen Versorgungslage mit Cannabis als Medizin sowie nach dem Stand des Ausschreibungsverfahrens der Cannabisagentur. Offensichtlich sehen Sie die Gefahr weiterer Lieferengpässe …

Movassat: Das ist richtig. Die Lieferengpässe werden von der Bundesregierung auch gar nicht mehr bestritten. Die Folge sind hohe Preise in den Apotheken. Das Ziel des Ausschreibungsverfahrens wird aller Wahrscheinlichkeit nicht realisiert werden können.

2019 mit dem ersten Cannabisanbau in Deutschland zu rechnen ist utopisch. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie rasant sich die Versorgungssituation daher noch weiter verschärfen wird, wenn die Bundesregierung nicht dringend einen Lösungsweg findet.

„Die Preise müssen im Interesse der Patienten sinken“

Leafly.de: Thema Preise von Cannabis aus der Apotheke: Seit letztem Herbst verhandeln der Apothekerverband und die GKV mit dem Ziel, die Preise für Medizinalhanf zu reduzieren. Bisher gibt es aber keine Einigung. Wie kann das sein?

Movassat: Ich war bei den Verhandlungen natürlich nicht dabei. Fakt aber ist: Die Preise müssen im Interesse der Patienten sinken. Wir haben die absurde Situation, dass man Cannabis auf dem Schwarzmarkt teilweise für die Hälfte des Preises kriegt, den man in der Apotheke zahlen muss. Das kann so nicht bleiben.

Leafly.de: Viele Ärztinnen und Ärzte sind immer noch sehr zurückhaltend bei der Verordnung von Cannabis auf Rezept. Weil sie sich nicht genug auskennen, weil sie Vorbehalte gegen die Droge Cannabis haben oder auch aus Sorge vor einem möglichen Regress. Was kann hier getan werden, um die Mediziner zu unterstützen?

Movassat: Das zeigt, dass die rechtliche Unklarheit noch immer nicht rückhaltlos beseitigt ist und auch hier eine klarere und gelockerte Regelung hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die Kassen notwendig ist. Außerdem sollten in diesem Bereich mehr Fortbildungen für Ärzte angeboten werden.

„Apotheken sollten kein Drogentreffpunkt werden“

Leafly.de: Die Linke steht für eine progressive Drogenpolitik. So setzen Sie sich auch für die Legalisierung des Cannabiskonsums ein. Wie genau sehen Ihre Ideen dazu aus?

Movassat: Wir streiten als Linke für eine Legalisierung von Cannabis. Wir wollen, dass Erwachsene an sauberes Cannabis, frei von Verunreinigungen gelangen. Dafür ist es notwendig, dass Cannabis in zertifizierten Cannabisfachgeschäften verkauft wird.

Als Linke haben wir vorgeschlagen, Cannabis-Clubs einzurichten. Hier wird für die Mitglieder Cannabis angebaut, eine Gewinnerzielungsabsicht darf nicht bestehen. Nur Volljährige haben Zugang und der Vorstand muss seine Sachkunde für den Anbau von Cannabis nachweisen können. Einen Verkauf von Cannabis an Nicht-Patienten würde ich hingegen als problematisch ansehen. Apotheken sollten kein Drogentreffpunkt werden. Außerdem halten sich auch Kinder und Jugendliche in Apotheken auf.

„Unsere Forderungen sind weitgehender“

Leafly.de: Neben der Linken haben auch die Grünen und die FDP ihre eigenen Vorstöße zum Thema Cannabis-Legalisierung gemacht. Die Grünen fordern ein Cannabiskontrollgesetz, die FDP unterstützt die Idee der wissenschaftlich begleiteten Modellprojekte. Wie beurteilen Sie diese Initiativen der anderen Parteien?

Movassat: Das Cannabiskontrollgesetz der Grünen wäre natürlich ein großer Meilenstein in der Drogenpolitik. Modellprojekte könnten ein guter Einstieg für eine Auflockerung der repressiven Drogenpolitik sein.

Unser Antrag zur Entkriminalisierung von Cannabis steht dazwischen, auch wenn unsere politischen Forderungen weitergehend sind. Wir wollten aber einen Antrag einreichen, der auch für progressive Teile der SPD zustimmungsfähig ist. Und wir wollten die heftigste Auswirkung der bisherigen Cannabispolitik, dass nämlich Kleinkonsumenten und -konsumentinnen kriminalisiert werden, beenden.

Dem Bundestag liegen somit mehrere mögliche Optionen vor. Es wäre fatal, wenn der progressive Teil der SPD aus Koalitionsräson, der repressiven Verbotspolitik der Union folgt, statt das politisch Richtige zu tun.

Leafly.de: Die Legalisierungs-Debatte hat auch einen finanziellen Aspekt: Viele Befürworter merken an, dass der Staat durch eine Cannabis-Steuer zusätzliche Einnahmen generieren könne. Diese Mittel könnten dann in Prävention, Aufklärung und Suchthilfe investiert werden. Ist das für Sie ein Argument pro Cannabis-Legalisierung?

Movassat: Selbstverständlich! Das Geld fließt zurzeit in den dubiosen Schwarzmarkt, wohingegen durch die Steuereinnahmen Therapie- und Präventionsarbeit finanziert werden könnte. Es werden außerdem Unmengen an finanziellen Mitteln in den sinnlosen Kampf gegen Drogen bzw. vielmehr gegen die Konsumenten und Konsumentinnen gesteckt. Auch Einsparungen in der Strafverfolgung wären massiv und ein weiteres gewichtiges Argument.

Herr Movassat, herzlichen Dank für das Interview.

 

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