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Tinnitus: Kann Cannabis bei Ohrgeräuschen helfen?

Leafly: Alexandra Latour Autor:
Alexandra Latour

Piepsen, Pfeifen, Brummen, Scheppern im Ohr – diese Geräusche treten plötzlich auf und sind äußerst unangenehm. Zwar sind Ohrgeräusche nicht gefährlich, Betroffene leiden aber meist erheblich darunter. Aufgrund des breiten Wirkungsspektrums von pharmazeutischem Cannabis stellen sich viele Betroffene die Frage, ob und inwieweit Cannabis als Medizin hier hilfreich sein könnte.

Tinnitus: Kann Cannabis bei Ohrgeräuschen helfen?

Was ist ein Tinnitus?

Genau genommen ist der Tinnitus keine Krankheit, sondern ein Symptom. Die Tinnitus-Symptome können sich in Form von Geräuschen und Tönen unterschiedlichster Art äußern, wie zum Beispiel Klingeln, Rauschen, Pfeifen, Brummen oder Sägen. Dabei können die Geräusche im Ohr unterbrochen oder kontinuierlich sein, leiser oder lauter werden und sogar ihre Tonhöhe verändern.

Ohrensausen – wie viele sind betroffen?

Geräusche im Ohr sind ein Phänomen, das häufig auftritt. So erlebt zwischen 5 und 15 Prozent der Erwachsenen irgendwann in ihrem Leben eine längere Tinnitus-Episode. Bei 10 bis 20 Prozent der Betroffenen ist das Rauschen im Ohr so stark ausgeprägt, dass die Lebensqualität massiv beeinträchtigt wird und eine Therapie bzw. Behandlung erforderlich ist.

Gerade ein chronischer Tinnitus geht mit weiteren Beschwerden einher. Häufig leiden Patienten unter Schlafproblemen, Konzentrationsstörungen und depressiven Symptomen. Das kann dazu führen, dass die Ohrgeräusche in ihrer Stärke zunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass Betroffene Stress von sich fernhalten. Um die Lebensqualität von Patienten zu verbessern, könnte pharmazeutisches Cannabis hilfreich sein. Ob die Cannabinoide (u.a. THC und CBD) aus der Cannabispflanze direkt auf den Tinnitus wirken, ist nicht geklärt. Es existiert jedoch die Annahme, dass auch hier das körpereigene Endocannabinoid System mit seinen Cannabinoidrezeptoren eine bedeutende Rolle spielt.

Tinnitus: Symptome und Beschwerden

Der Großteil der Menschen erlebt die Ohrgeräusche als sehr belastend und obwohl sie bedrohlich erscheinen, sind sie jedoch nicht gefährlich. Häufig treten die Tinnitus-Symptome auch als Folge weiterer Beschwerden und Krankheiten auf, wie beispielsweise:

Die Tinnitus-Symptome mit den zuvor beschriebenen Beschwerden können die Lebensqualität von betroffenen Menschen erheblich einschränken. In einigen Fällen werden Patienten sogar arbeitsunfähig, da die begleitenden Beschwerden zu noch mehr Stress führen und dadurch die Tinnitus-Symptome noch verstärken können.

Tinnitus: Welche Ursachen sind bekannt?

Geräusche im Ohr können verschiedene Ursachen haben. Unterschieden wird hier zwischen dem subjektiven und dem objektiven Tinnitus. Während Patienten die Ohrgeräusche beim subjektiven Tinnitus nur selbst hören können, kann der Arzt diese beim objektiven Tinnitus auch wahrnehmen.

Die subjektiven Tinnitus-Ursachen können in unterschiedlichen Bereichen des Ohrs oder Gehirns liegen, wie zum Beispiel:

  • Verschluss des Gehörgangs (Fremdkörper oder Ohrenschmalz)
  • Exostosen (vorspringende Knochen im Gehörgang)
  • Trommelfelldefekt oder -riss
  • Mittelohrentzündung
  • Trommelfellunbeweglichkeit
  • Knalltrauma
  • Hörsturz
  • Morbus Meniére
  • Akustikusneurinom (Tumor des Hörnervs)
  • Hirnhautentzündung
  • Multiple Sklerose
  • Hirntumor

Darüber hinaus können die Ohrgeräusche auch im Zusammenhang mit folgenden Beschwerden auftreten:

  • Stress
  • Bluthochdruck/zu niedriger Blutdruck
  • Probleme mit der Halswirbelsäule oder den Kiefergelenken (z. B. Zähneknirschen)

Der subjektive Tinnitus kann auf folgenden Wegen entstehen:

  • Entstehung im Hörnerv: Die Funktion des Hörnervs im Innenohr kann durch verschiedene Einflüsse wie Lärm oder bestimmte Medikamente gestört werden. In der Regel entstehen in den Nervenfasern sogenannte spontane elektrische Impulse (Spontanaktivität), die nicht wahrgenommen werden. Wenn das Ohr beschallt wird, ändert sich die Spontanaktivität und enthält dann verschlüsselte Informationen des Schallreizes, die dann an das Schallzentrum im Gehirn weitergeleitet werden. Die Spontanaktivität ist im erkrankten Zustand vermindert oder aber in der zeitlichen Abfolge verändert, sodass im Gehirn ein Höreindruck wahrgenommen wird, der die Entstehung des subjektiven Tinnitus bedingt.
  • Entstehung im Gehirn: Im Gehirn befindet sich das Hörzentrum, das in Wechselwirkung mit dem Innenohr steht. So übermitteln vom Gehirn kommende Nervenfasern verschiedene Botschaften an die Haarzellen im Innenohr und umgekehrt. Es kann aber passieren, dass das Gehirn die Informationen, die von den Hörnerven übermittelt werden, falsch verarbeitet. Infolge dessen produziert das Gehirn ein nicht vorhandenes Geräusch oder einen nicht vorhandenen Ton. In diesem Fall wird von einem zentralen Tinnitus gesprochen.
  • Tinnitus durch Stress: Eine der häufigsten Tinnitus-Ursachen ist Stress. Durch Stress wird im Körper unter anderem das Stresshormon Kortisol ausgeschüttet, was dazu führt, dass sich die Blutgefäße verengen und die Fließeigenschaften des Blutes verschlechtern. Hierdurch kann es in den kleinsten Blutgefäßen zu Verschlüssen kommen, wie etwa im Innenohr. Die Tinnitus-Ursache liegt dann in einer nicht ausreichenden Durchblutung des Innenohrs, wobei die genauen Vorgänge noch nicht vollständig geklärt sind.

Wenn ein objektiver Tinnitus besteht, kann der Arzt die Ohrgeräusche mit speziellen Geräten wahrnehmen. Die Tinnitus-Ursachen können sein:

  • Probleme mit den Kiefergelenken (bspw. reiben Knorpelflächen aneinander beim Öffnen und Schließen des Mundes, wodurch mahlende oder knirschende Geräusche auftreten)
  • Verschlussdefekt der Ohrtrompete, die das Mittelohr mit dem Nasenrachenraum verbindet, wodurch Luft in das Mittelohr gelangt (hier entstehen dann atemabhängige Ohrgeräusche)
  • Gefäßverengungen, infolge dessen ist das Geräusch oftmals pulssynchron
  • Verkrampfungen des im Mittelohr befindlichen Binnenmuskels oder des Gaumenmuskels, wodurch knackende oder klickende Ohrgeräusche entstehen

Tinnitus, was tun? – Diagnose und Behandlung

Wenn der Verdacht auf Tinnitus besteht, nimmt der Arzt nach einem ausführlichen Anamnesegespräch unterschiedliche Untersuchungen vor. Wichtig ist hier vor allem die Analyse der Ohrgeräusche wie die Bestimmung der Frequenz und der Lautstärke. Ebenso wird die Trommelfellbeweglichkeit (Tympanogramm) sowie der Stapediusreflex getestet.

Mithilfe von Hochleistungsmikrofonen lassen sich außerdem otoakustische Emissionen messen, womit die Funktionsfähigkeit der Hörschnecke überprüft wird.

Neben diesen Standarduntersuchungen können auch weitere Untersuchungsmethoden sinnvoll sein, um die Diagnose Tinnitus entweder zu bestärken oder auszuschließen. Hierzu gehören:

  • Gleichgewichtsprüfung
  • Hirnstammaudiometrie (BERA)
  • Blutuntersuchung
  • Magnetresonanztomographie (MRT) und/oder Computertomographie (CT) des Schädels
  • Untersuchung der Halswirbelsäule und des Kauapparates

Tinnitus: Einteilung in Schweregrade

Mediziner unterscheiden zwischen dem akuten Tinnitus sowie einem chronischen Tinnitus. Von einem chronischen Tinnitus wird ausgegangen, wenn die Ohrgeräusche seit über drei Monaten bestehen. Zusätzlich wird der Tinnitus in verschiedene Schweregrade eingeteilt:

  • Schweregrad I: Der Betroffene nimmt Ohrgeräusche war, hat jedoch keinen Leidensdruck.
  • Schweregrad II: Die Ohrgeräusche treten bei Stress verstärkt auf.
  • Schweregrad III: Die Lebensqualität des Betroffenen ist stark eingeschränkt und es treten weitere Beschwerden auf, wie zum Beispiel Schlafprobleme, Muskelverspannungen oder Konzentrationsstörungen
  • Schweregrad IV: Die Ohrgeräusche werden vom Betroffenen ständig wahrgenommen und das Privat- sowie Berufsleben ist massiv beeinträchtigt. Infolge dessen kommt es zu weiteren gesundheitlichen Problemen.

Subjektiver Tinnitus: Behandlung

Die Tinnitus-Behandlung richtet sich nach der Ursache sowie der Dauer des Bestehens. Am besten sind die Aussichten, wenn der Tinnitus noch nicht lange besteht. Zeigt sich der Tinnitus seit über drei Monaten, so hat er sich in aller Regel verselbstständigt. Trotzdem gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Behandlung, die insbesondere darauf basieren, die Aufmerksamkeit von den Ohrgeräuschen wegzulenken, sodass sie weniger oder gar nicht mehr wahrgenommen werden.

Darüber hinaus kann die tägliche Einnahme von Magnesium hilfreich sein, da Magnesium auf bestimmte Rezeptoren einwirkt, die verhindern, dass übermäßig viel Calcium in die Haarzellen im Innenohr gelangt.

Akuter subjektiver Tinnitus: Behandlung

Wenn die Ursache im Innenohr liegt, werden in der Regel zunächst Infusionen mit durchblutungsfördernden Medikamenten gegeben. Inzwischen ist jedoch bekannt, dass eine Durchblutungsstörung nur sehr selten die Ursache ist, weshalb Infusionen nur noch selten zum Einsatz kommen. Die Standardbehandlung sieht aktuell vor, Infusionen oder Medikamente mit entzündungshemmenden Wirkstoffen (Glukokortikoide) zu geben.

Tinnitus: Weitere Behandlungsmöglichkeiten

Alternativ oder ergänzend zu den Standardtherapien kann auch die sogenannte hyperbare Sauerstofftherapie in Erwägung gezogen werden. Diese wird jedoch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt und ist zudem umstritten. Dabei basiert diese Therapie auf der Annahme, dass im Innenohr ein Sauerstoffmangel vorliegt. Der Betroffene atmet dann in einer Überdruckkammer Sauerstoff über eine Atemmaske ein, sodass der Sauerstoff mithilfe des erhöhten Drucks ins Blut und Gewebe gelangt.

Sollte die Tinnitus-Ursache in einer Durchblutungsstörung begründet liegen, können die Ohrgeräusche in einigen Fällen durch die hyperbare Sauerstofftherapie mindern. Eher selten zeigt diese Therapie bei einem chronischen Tinnitus eine Wirkung.

Eine weitere Behandlungsmethode ist die Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT), die beim chronischen Tinnitus zum Einsatz kommen kann. Mithilfe der Therapie sollen Betroffene die Ohrgeräusche aus ihrem Bewusstsein verdrängen. Außerdem lernen sie, die Ohrgeräusche nicht mehr negativ zu bewerten. Eine Heilung des Tinnitus ist jedoch nicht möglich.

Hilft Cannabis gegen Tinnitus?

Aktuell gibt es keine Studien, die Hinweise darauf geben, dass die Cannabinoide aus der Cannabispflanze die Ohrgeräusche reduzieren können. Dr. Franjo Grotenhermen führt jedoch Fallberichte auf, in denen Patienten mit einem Tinnitus von einer Cannabis-Therapie profitieren konnten. So berichten die Patienten, dass die Ohrgeräusche mehr in den Hintergrund getreten sind und dass sich die Konzentrationsfähigkeit verbessert habe. Auch die Schlafqualität sei durch die Verwendung von Cannabis besser geworden.

Bestimmte Formen des Tinnitus sind vermutlich auf Veränderungen im Gehirn bzw. im Netzwerk der Hörwahrnehmung zurückzuführen. Weiter wird angenommen, dass die Ohrgeräusche ähnlich wie ein Phantomschmerz durch eine fehlerhafte Überaktivität der Nervenzellen verursacht werden. So würde im Gehirn eine Geräuschwahrnehmung entstehen, wo aber eigentlich keine vorhanden ist (Phantomgeräusch).

Es ist bekannt und gilt als erwiesen, dass das (körpereigene) Endocannabinoid-System zu den wichtigsten Systemen im Gehirn gehört, wenn es um die Hemmung der Überaktivität verschiedener Botenstoffe geht. Studien konnten zeigen, dass Beschwerden wie Schmerzen oder Übelkeit mit Cannabinoiden gelindert werden können. Deshalb könnte dies auch eine Erklärung dafür sein, dass Cannabis als Medizin bei Betroffenen, die an Tinnitus leiden, eine Minderung der Beschwerden verzeichnen kann.

Cannabis als Medizin: Verminderung der stressbedingten Verstärkung der Ohrgeräusche

Darüber hinaus darf auch nicht vergessen werden, dass die häufigste Ursache eines Tinnitus emotional belastende Stresssituationen sind, die die Ohrgeräusche sogar noch verschlimmern können. Man geht heute davon aus, dass bestimmte Nervenüberträgerstoffe wie etwa Glutamat oder körpereigene Dynorphine (vom Körper selbst produzierte Opioide) am Stress-Tinnitus beteiligt sind.

Studien an Tieren konnten belegen, dass Cannabinoide wie THC und CBD die Überaktivität von Glutamat hemmen. Solch eine Überaktivität tritt zum Beispiel infolge einer Hirnschädigung nach einem Schlaganfall auf. Auch dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum Cannabinoide die stressbedingte Verstärkung der Ohrgeräusche abschwächen könnte.

Tinnitus und Cannabis: Studien sind erforderlich

Forscher der University of Otago in Neuseeland konnten in den Nuclei cochleares in Gehirnen von Ratten, die dem menschlichen Gehirn sehr ähneln, eine große Anzahl von Neuronen finden, die den Cannabinoidrezeptor 1 (CB1) enthalten. Bei den Nuclei cochleares („Schneckenkerne“) handelt es sich um zwei Kerngebiete im Hirnstamm. Nach einer Salicylat-Injektionen, die die Verhaltensmanifestationen von Tinnitus induzierten, nahm die Anzahl der Hauptneuronen im Nucleus cochlearis ventralis (vorderer „Schneckenkern“), signifikant ab, während sich die Anzahl der CB1-positiven Hauptneuronen im Nucleus cochlearis dorsal (hinterer „Schneckenkern“) nicht signifikant veränderte. Diese Ergebnisse legen nahe, dass CB1-Rezeptoren für die auditorische Funktion wichtig sind und dass eine Herunterregulierung von CB1-Rezeptoren im Nucleus cochleares ventralis mit der Entwicklung von Tinnitus zusammenhängen könnte.

Es ist unbedingt notwendig, Studien zu dieser Thematik durchzuführen. Zwar kann Cannabis für einige Betroffene eine wirksame Hilfe sein, um die psychische Belastung und die damit einhergehenden Beschwerden zu reduzieren, wie vielen damit aber wirklich geholfen werden kann, müssen klinische Studien ermitteln.

 

 

Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.

Quellen:

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