Dürfen Cannabispatienten Auto fahren?
Seit März 2017 können schwer kranke Patienten, für die keine andere Therapieoption besteht, Cannabis als Medizin verordnet bekommen. Auf Antrag übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung. Der normale Patient wird zum Cannabispatienten. Bekannte Erkrankungen sind unter anderem Multiple Sklerose, chronische Schmerzen sowie Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Das regelt das neue Cannabisgesetz.
Und wie gestaltet sich seit der Gesetzesänderung die Rechtslage für Cannabispatienten in puncto Autofahren? Cannabispatienten dürfen am Straßenverkehr teilnehmen, sofern sie aufgrund der Medikation nicht in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sind. Darauf hat die Bundesregierung bereits im Frühjahr hingewiesen – als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken.
Voraussetzung für die Teilnahme am Straßenverkehr ist allerdings, dass die Patienten in der Lage sind, das Fahrzeug „sicher zu führen“, so die Bundesregierung. Den Betroffenen drohe keine Strafe nach dem Straßenverkehrsgesetz, wenn Cannabis als Medizin von einem Arzt verschrieben wurde und für die Behandlung einer konkreten Krankheit bestimmt sei. Dies gilt auch für andere psychoaktive BtM-Medikamente.
Cannabispatienten und der Verlust der Fahrerlaubnis
Laut Gesetz droht Cannabispatienten der Führerscheinentzug, wenn sie ihr cannabishaltiges Medikament missbräuchlich einnehmen. Die Fahreignung von Patienten ist dann nicht mehr gegeben, wenn durch die Einnahme von Arzneimitteln ihr Leistungsvermögen beeinträchtigt ist.
Die Voraussetzung für die Teilnahme am Straßenverkehr ist daher:
- dass sich der Patient in einem gut eingestellten Zustand befindet
- und die Einnahme von Medizinalhanf (oder anderer BtM-Medikamente) den Allgemeinzustand nicht negativ beeinflusst.
So ist jeder Cannabispatient in der Pflicht, sich vor dem Autofahren kritisch zu hinterfragen: Fühle ich mich wirklich sicher, mein Fahrzeug zu führen? Oder ist meine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt?
Bei Cannabispatienten kann es vor allem in der Einstellungsphase zu Beginn einer Behandlung zu einer beeinträchtigten Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit kommen. Auch wenn die Dosierung während einer laufenden Therapie erhöht wird, oder auf ein anderes Cannabisprodukt gewechselt wird, können diese Nebenwirkungen auftreten.
Was kann die Fahrtüchtigkeit beeinflussen? Nebenwirkungen von Cannabis:
- Schwindel, Benommenheit, Müdigkeit
- Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit: Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, Orientierung, Feinmotorik
Gesetzliche Regelung zur Teilnahme am Straßenverkehr
Bisher gilt für alle Verkehrsteilnehmer der Grenzwert von 1,0 Nanogramm des Cannabiswirkstoffs THC im Blut (1,0 Nanogramm je Milliliter Blutserum). Cannabis-Patienten können sich aber auf die Ausnahmeklausel § 24a Absatz 2 Satz 3 des Straßenverkehrsgesetzes berufen, da sie Cannabis als Therapeutikum einnehmen.
Das Dilemma der Cannabispatienten: Die aktuellen gesetzlichen Regelungen zum Thema Teilnahme am Straßenverkehr sind für sie nicht klar formuliert. So gibt es beispielsweise keinen erhöhten Grenzwert von THC im Blut, der nur für Cannabis-Patienten gilt. Das bedeutet, dass zurzeit faktisch jeder Patient selbst über seine Fahrtüchtigkeit entscheidet.
Der TÜV SÜD kritisiert diese unsichere Ausgangslage, die nach seiner Einschätzung viele Risiken birgt: „Die Frage, ab wann eine verkehrssicherheitsrelevante Beeinträchtigung durch medizinisches THC besteht, ist aufgrund der individuellen Reaktion auf den Stoff schwierig pauschal zu beantworten.“ Um die Sicherheit im Straßenverkehr für sich und andere nicht zu gefährden, sollten Cannabis-Patienten daher äußerst vorsichtig sein und im Zweifel lieber das Auto stehen lassen, rät der TÜV.
Und auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) betont, wie wichtig ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis als Medizin im Straßenverkehr ist. „Es ist nicht einfach, zu bestimmen, welchen Einfluss der Gebrauch von medizinischem Cannabis auf das Fahrvermögen hat“, fasst Jacqueline Lacroix vom DVR das Problem zusammen. Die Expertin für Verkehrsmedizin weist darauf hin, dass die im Blut festgestellte THC-Konzentration oft nur zu einem geringen Grad der messbaren Beeinflussung entspricht. Auch lassen die Werte von THC im Blut keine sicheren Rückschlüsse auf die Menge an THC zu, die tatsächlich vom Fahrer eingenommen wurde.
Rechtssicherheit für Cannabispatienten gefordert
Die Linke hat mehrfach Rechtssicherheit für Cannabispatienten im Straßenverkehr gefordert. Sowohl im Bundestag wie in verschiedenen Landtagen, beispielsweise in Berlin und im Saarland, haben die Linken eine klare und verbindliche Lösung gefordert.
So erklärt der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im saarländischen Landtag, Dennis Lander: „Cannabispatienten dürfen auch nach Angaben der Bundesregierung am Straßenverkehr teilnehmen, solange ihre Fahrtüchtigkeit durch die Medikation nicht beeinträchtigt ist. Genau hier beginnt aber das Problem: Denn es gibt bislang noch keine wirksame Methode, einen Cannabisgrenzwert für die Fahrtüchtigkeit festzulegen. Entsprechend fehlt ein Wert, an dem sich Cannabispatienten, die Auto fahren wollen, orientieren können. (…) Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die betroffenen Cannabispatienten bald Rechtssicherheit erhalten.“
Cannabisgesetz und Führerschein: Polizisten kennen sich häufig nicht ausreichend aus
Was passiert, wenn Cannabispatienten in eine Straßenverkehrskontrolle geraten? Wie die Linke in ihrer Anfrage an die Bundesregierung feststellt, seien Polizeibeamte häufig „nicht ausreichend darüber aufgeklärt, dass es überhaupt legales Cannabis zum medizinischen Gebrauch gibt.“ Außerdem ist es für die Polizisten oft schwer zu beurteilen, ob es sich um Cannabis als Medizin handelt oder um illegales Cannabis zum Freizeitkonsum. So besteht die Gefahr, dass Cannabispatienten bei einer Verkehrskontrolle kriminalisiert werden.
Die Linken haben beim Berliner Senat angefragt, wie sich die Berliner Polizeibehörden auf das Cannabisgesetz vorbereitet hätten.
In seiner Antwort erklärt der Senat: „Die einschlägige polizeiliche Geschäftsanweisung über die Verhütung und Verfolgung von Verkehrsdelikten im Zusammenhang mit Alkohol-, Rauschmittel- oder Medikamenteneinfluss befindet sich zurzeit in der Neufassung und wird inhaltlich thematisch im notwendigen Maße ergänzt.“
Das bedeutet, bisher sind die polizeilichen Anweisungen nicht an die neue Situation der Cannabispatienten und ihrer Teilnahme am Straßenverkehr angepasst.

Führerschein und Cannabispatient: Wie passt das zusammen?
Cannabispatienten mit Fahrerlaubnis verhalten sich verantwortungsbewusst
Die Bundesregierung lobt Cannabispatienten in puncto Teilnahme am Straßenverkehr: Hinter dem Steuer verhielten sich diese sehr zuverlässig und verantwortungsvoll. Dies bestätigen auch Beobachtungen aus Kanada: Seit Einführung von Cannabis als Medizin im Jahr 2001 ist die Anzahl an Autounfällen nicht gestiegen.
Allerdings haben in Kanada einige Cannabispatienten ihren Führerschein verloren, weil bei ihnen zu viel THC im Blut nachgewiesen wurde. Leafly.de berichtete. Wie auch Deutschland hat Kanada seine Regeln zur Teilnahme am Straßenverkehr nicht an Cannabis als Medizin angepasst. Einige der betroffenen Patienten haben bis in die höchsten Instanzen gegen den Führerscheinverlust geklagt – nicht alle hatten Erfolg.
Cannabispatienten brauchen Nachweis für Therapie
Wie können Patienten gegenüber der Polizei beweisen, dass sie Cannabis als Medizin einnehmen – und nicht zum Freizeitkonsum?
Die Bundesregierung empfiehlt Betroffenen, die unter Cannabismedikamenten Auto fahren:
- eine Kopie des BtM-Rezeptes
- und/oder eine Bescheinigung des behandelnden Arztes
- einen Patientenausweis/Cannabis-Ausweis
bei sich zu tragen.
Der Kölner Importeur Cannamedical bietet Cannabispatienten seit Neuestem eine innovative Lösung an: Über die Apotheke können Betroffene einen Patientenausweis beantragen, auf dem der Name des Patienten, die abgebende Apotheke sowie das verordnete Cannabisprodukt vermerkt sind. In den ersten Wochen gab es bereits eine große Nachfrage: Cannamedical hat in ganz Deutschland knapp 400 Ausweise ausgeteilt.
Aber wie reagiert die Polizei auf diese neuen Patientenausweise? Ein Sprecher der Polizei in Köln erklärte auf Nachfrage, dass dieser Ausweis kein amtliches Dokument sei, berichtet die DAZ.online.
Wie geht es für Cannabispatienten weiter?
Wie kann die so oft geforderte Rechtssicherheit für Cannabispatienten in Deutschland endlich geschaffen werden? Eine Möglichkeit wäre eine Erhöhung der zugelassenen Werte von THC im Blut – selbstverständlich ausschließlich für den medizinischen Gebrauch von Cannabisprodukten. Allerdings gibt es bisher keine Pläne in diese Richtung.
Rechtssicherheit könnte der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag bringen, der Ende Januar 2018 stattfindet. Dort stehen die Themen: „Cannabis auf Rezept und Fahreignung?“ sowie „Neue verwaltungsrechtliche Grenzwerte?“ auf dem Programm. Hier könnten die Weichen für eine neue, patientenfreundliche Regelung gestellt werden.
Erst einmal gilt aber weiterhin der festgelegte Grenzwert von THC im Blut – allerdings mit der Ausnahmeregelung für Cannabispatienten, wenn sie trotz nachweisbarem THC im Blut keine beeinträchtigte Wahrnehmung haben und die Fahrtüchtigkeit nicht eingeschränkt ist.
Leafly.de wird weiter über das Thema berichten und verfolgen, welche Änderungen der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag bringt.
Quellen: