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Kolumne Recht: Cannabis Legalisierung – der Jahresrückblick

Kai-Friedrich Niermann, Cannabiskontrollgesetz legalisiert Autor:
Kai-Friedrich Niermann

Ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende. Grund genug, um die Ereignisse rund um die Cannabis-Legalisierung in Deutschland und auf der ganzen Welt zusammenzufassen.

Kolumne Recht: Cannabis Legalisierung – der Jahresrückblick

Um die schlechte Nachricht vorwegzunehmen: Weder die Legalisierung von Cannabis noch die Entkriminalisierung der Konsumenten ist 2019 realisiert worden. Im Schwarzmarkt wurden auch dieses Jahr höchstwahrscheinlich mehr als 500 Tonnen gehandelt. Ohne jegliche Kontrolle des Staates über Jugendschutz, Prävention, Produktqualität, Steueraufkommen, und organisierte Kriminalität. Es werden immer noch 180.000 Ermittlungsverfahren wegen Cannabis geführt. Davon 2/3 gegen Konsumenten. Im Görlitzer Park wird immer noch gedealt. Sogar vor den Augen der neuen Bundesdrogenbeauftragten, die dort letztlich einen Besuch abgestattet hat.

Allerdings hat sich eine öffentliche Diskussion entwickelt, wie es vor wenigen Jahren noch undenkbar war. In diesem Sinne war 2019 doch ein ereignisreiches Jahr, auf das sich ein Rückblick lohnt.

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Hanfverband und Schildower Kreis Konferenz 

Der Deutsche Hanfverband hat mit den Mitteln der Weihnachtsspendenaktion von 2018 mit über 110.000 € eine Justizkampagne gestartet, um Richter und Angeklagte zu ermutigen, die Strafen für Cannabisbesitz und -konsum durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.

Dafür entwickelten zwei Rechtsanwälten eine Mustervorlage, die Richter zur direkten Vorlage beim Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrollklage vorlegen können, nachdem sie auf den konkreten Fall angepasst wurde.

Außerdem erfolgte die Schaltung einer Anzeigenkampagne in juristischen Fachzeitschriften. Der bekannte Jugendrichter Andreas Müller hat hiervon bereits medienwirksam Gebrauch gemacht. Wie schnell und ob diese Kampagne zum Erfolg führt, bleibt abzuwarten.

Die neue Kampagne des Hanfverbandes im nächsten Jahr zielt auf eine breit angelegte Öffentlichkeitskampagne ab. Diese soll die Zustimmungswerte für die Cannabis-Legalisierung in der Bevölkerung (derzeit 42%) weiter erhöhen. Hier sind sicherlich erhebliche Mittel notwendig, um eine entsprechende mediale Aufmerksamkeit wie damals bei der Kinowerbung zu erzeugen.

Erster antiprohibitionistischer Kongress 

Im November organisierte der Schildower Kreis, standesgemäß in der Universität Frankfurt, den 1. Antiprohibitionistischen Kongress mit mehr als 150 Teilnehmern. Die Vereinigung von mehr als 122 Strafrechtsprofessoren, die 2013 eine Erklärung gegen die Prohibition bestimmter illegaler Drogen unterschrieben haben, ist an sich schon bemerkenswert.

Die Hälfte der deutschen Strafrechtsprofessoren stellt sich damit gegen eine Kriminalisierung der Konsumenten. Insbesondere der 4 Millionen Cannabiskonsumenten. Auf der Konferenz erfolgte die Vorstellung bestimmter Regulierungsmodelle für Cannabis und MDMA.

Zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde gegen das Cannabisverbot wurde angemerkt, dass das Verfassungsgericht erst Anfang November in Zusammenhang mit Hartz-IV-Sanktionen dem Gesetzgeber aufgegeben hat, die Wirksamkeit eines Gesetzes regelmäßig zu überprüfen. Würde diese Überprüfung konsequent auf das Cannabisverbot angewendet, und die neuesten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erkenntnisse angewendet, müssten die Verfassungsbeschwerden eigentlich Erfolg haben. Denn das Gesetz schafft es weder, den Konsum von Cannabis wirksam einzudämmen, noch ist es bei der Erreichung dieses Ziels verhältnismäßig.

Druck aus den Kommunen / Pilotprojekte 

Auch der Druck aus den Kommunen ist nach wie vor hoch. Die Bremer Landesregierung plant ein Pilotprojekt zur Abgabe von Cannabis für Erwachsene. Auch das Land NRW-SPD hat auf dem Parteitag einen Antrag verabschiedet, ein Modellprojekt für selbst angebautes medizinischen Cannabis zu ermöglichen.

Zum Jahresende hat die Berliner SPD tatsächlich einen Antrag für ein Modellprojekt an das BfArM verschickt, über den in den nächsten 3 Monaten entschieden werden muss.

Der paritätische Wohlfahrtsverband Bremen, als Teil eines Dachverbandes mit über 10.000 eigenständigen Organisationen, hat neue Wege für das Bundesland Bremen gefordert. Insbesondere die Entkriminalisierung der Konsumenten und die Freigabe des privaten Anbaus zum Eigengebrauch.

Neue Drogenbeauftrage 

Die Position der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, dessen Neubesetzung nach dem Fortgang von Marlene Mortler ins Europaparlament aufgrund der koalitionsinternen Machtverhältnisse der CSU zustand, war seit der Europawahl im Mai nicht besetzt. Daraufhin erfolgte eine gesellschaftliche Debatte darüber, ob so eine wichtige Position allein nach Parteiproporz zu besetzt ist oder nach Kompetenz.

Diese Debatte führte zu einem Positionspapier der führenden drogenpolitischen Organisationen in Deutschland, die die Berufung von Burkhard Bienert empfahlen. Burkhard Bienert war von 2013-2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und drogenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

In dieser Funktion gestaltete er maßgeblich die Legalisierung von Cannabis als Medizin mit. Er konnte unter anderem erreichen, dass die Therapiehoheit beim Arzt liegt und die Kosten für das medizinische Cannabis unter bestimmten Bedingungen von der Krankenkasse zu übernehmen sind.

Mit dieser Erfahrung wäre er sicherlich ein geeigneter Kandidat für die Position des Drogenbeauftragten der Bundesregierung gewesen, der die Drogenpolitik der Bundesregierung koordinieren, Anstöße geben und Empfehlungen der Fachwelt aufnehmen soll.

Daniela Ludwig – die neue Drogenbeauftragte

Nicht zuletzt aufgrund dieser Initiative erfolgte im September die Bestimmung von Daniela Ludwig (CSU), eine Verkehrspolitikerin aus dem Bundestag, zur neuen Drogenbeauftragten der Bundesregierung.

In ihren ersten Interviews Ende September hat sie öffentlich zu einem Neuanfang in der deutschen Cannabispolitik aufgerufen. Sie werde mit allen verantwortlichen Organisationen und Institutionen sprechen und sich auch bei unseren europäischen Nachbarn umschauen, dass diese anders und vielleicht besser machten.

Nach ihrem letzten Besuch im Görlitzer Park kamen allerdings wieder missverständliche Bemerkungen, da sie anscheinend für eine bundesweit einheitliche Eigenbedarfsmenge von 6 g Cannabis votierte. Die Bayerische Polizeigewerkschaft hat unmittelbar darauf mitgeteilt, dass an der Grenze von 6 g nicht gerüttelt werden sollte, da polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen „möglich“ bleiben müssten. Ein liberalerer Umgang mit Cannabis im Hinblick auf die Konsumenten sieht allerdings anders aus. Einer Entkriminalisierung von harten Drogen ist Ludwig ebenfalls entschieden entgegengetreten.

Für 2020 bleibt spannend abzuwarten, inwieweit dieser „Neuanfang“ in der Drogenpolitik von ihr begleitet und gestaltet werden wird.

Internationale Entwicklungen

Die internationalen Entwicklungen zeigten ein gemischtes Bild. Kanada und Kalifornien kämpfen offensichtlich mit den nur unzureichenden regulatorischen Voraussetzungen, die der Gesetzgeber geschaffen hat. So kam es in beiden Ländern das gesamte Jahr über zu Überkapazitäten von mehreren 100 t. Diese liegen derzeit auf Lager und sind nicht abverkaufbar.

Zum einen, weil es zu wenig lizenzierte Verkaufsstellen gibt. Zum anderen sind die Steuern für legale Cannabisprodukte so hoch, dass Konsumenten nach wie vor zu Schwarzmarktprodukten greifen. Außerdem sind die Aktienkurse der größten Produzenten bis zu 70 % gefallen, sodass manche internationale Kollegen schon fragen, ob die Legalisierung gescheitert ist.

Weitere Legalisierungsbestrebungen zeigten sich dagegen in Mexiko. Aufgrund einer Entscheidung des höchsten Gerichts muss Mexiko die gesetzliche Grundlage für die legale Abgabe von Cannabis schaffen.

In Frankreich hat ein staatliches Expertengremium, das die Regierung berät, die negativen Folgen des Cannabisverbots aufgezeichnet und zu einer Legalisierung angeraten. Frankreich gehört zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an illegalem Cannabis und der zugleich strengsten Gesetzgebung zur Durchsetzung der Prohibition.

Aus Italien kamen zuletzt widersprüchliche Mitteilungen. Dort sollte zumindest die Legalisierung von „Cannabis Light“ erfolgen.

Höhepunkt der europäischen Entwicklung der Legalisierung bleibt aber Luxemburg. Die Ausarbeitung der Details der Gesetzesreform soll in den nächsten zwei Jahren erfolgen. Damit wird Luxemburg ein Stachel in der europäischen Staatengemeinschaft werden, endgültig neue Wege beim Konsum von Cannabis zum Freizeitgebrauch in Europa zu gehen.

Der Gesundheitsminister von Luxemburg, Etienne Schneider, hat bereits die europäischen Nachbarstaaten aufgerufen, ihre Cannabisgesetzgebung zu überdenken und eine gemeinsame Position zu entwickeln.

Wendepunkt in der CDU

Angesichts dieser weltweiten Entwicklungen kamen im Oktober die ersten Stimmen aus der CDU-Bundestagsfraktion. Diese stellten die bisherige Cannabispolitik der Partei infrage. Marian Wendt und Karin Maag gaben offen zu, dass die Union über eine Legalisierung nachdenkt. Sie könnten die ersten ernsthaften konservativen Stimmen sein, die ein Umdenken in der bestehenden Cannabispolitik bei den Konservativen ermöglichen. Beide berichteten davon, dass aus der Partei in Ländern und Kommunen verstärkt Unmut in die Bundestagsfraktion gemeldet wird. Denn die Situation vor Ort rechtfertige nicht mehr die starre Haltung der letzten Jahrzehnte.

Bei der Union haben wir oft gesehen, dass man sich gegen gesellschaftliche Strömungen und liberale Forderungen lange gestemmt hat. So zum Beispiel beim Atomausstieg, der Homo-Ehe und der Abschaffung der Wehrpflicht. Sobald sich allerdings eine Mehrheit in der Bevölkerung abzeichnet, kann auf einmal alles auch sehr schnell gehen.

Diese Entwicklung in der Union kann man nach Jahrzehnten des Stillstandes durchaus als Wendepunkt bezeichnen. Nicht zuletzt an Nordamerika kann man sehen, welch erhebliches wirtschaftliches Potenzial sich durch eine Legalisierung von Cannabis ergeben kann. Sobald die Union als Partei der Wirtschaft dieses Potenzial versteht, sollte auch der letzte Widerstand gegen einen Neuanfang in der Drogenpolitik bröckeln.

Ausblick

Die große Koalition scheint nun doch, nach der durchgeführten Evaluierung der Halbzeitergebnisse und des SPD-Parteitages mit der Wahl einer neuen Führungsspitze, bis zum Ende der Legislaturperiode durchregieren zu wollen. Das gibt der SPD die Gelegenheit, ihre Beschlusslage im Hinblick auf Cannabis auf Bundesebene zu harmonisieren. Entschließt sich die SPD zu einer Entkriminalisierung der Konsumenten, bestünde bereits jetzt eine Mehrheit im Bundestag. Zwar hat die FDP noch im Sommer gegen einen entsprechenden Antrag der Linken gestimmt. Dies ist jedoch als Berliner Taktikgeplänkel vernachlässigbar.

Die Petition des Hanfverbandes als auch das Cannabiskontrollgesetz der Grünen stehen in dieser Legislaturperiode noch zur Abstimmung an. Die Fraktionen haben hierzu weiteren Beratungsbedarf angemeldet. Sobald die taktischen Voraussetzungen in den Fraktionen gegeben sind, scheint eine Abstimmung bzw. eine erneute Abstimmung durchaus möglich. Hier sind die nächsten Wochen und Monate und die (Neu-)Positionierung der handelnden Kräfte abzuwarten.

Kommt das Cannabiskontrollgesetz?

Die Grünen, in den Umfragen nach wie vor stark, können mit dem bereits 2017 im Bundestag eingebrachten Cannabiskontrollgesetz den umfassendsten Vorschlag zur Neuordnung der Cannabis-Politik vorlegen. Es bleibt damit wahrscheinlich, dass dieses Gesetz die Blaupause für eine Legalisierung nach der nächsten Bundestagswahl mit einer neuen Bundesregierung werden wird.

Damit ab September 2021 keine Hektik ausbricht, sollten bereits jetzt Überlegungen zur Ausgestaltung der Einzelheiten einer staatlich kontrollierten Abgabe von Cannabis angestellt werden. Die Aspekte des Jugendschutzes und der Prävention berücksichtigt das Cannabiskontrollgesetz bereits eingehend.

Aber wollen wir tatsächlich auch ein freies Marktmodell, mit der Gefahr, dass große Unternehmen am Ende den Markt unter sich aufteilen? Insbesondere, wenn Anforderungen, Regulierungen und Auflagen (siehe Sozialkonzept Mitarbeiter-Zertifizierung) nur mit immensem Kapitalbedarf gedeckt werden können? Ist die Legalisierung auch eine soziale Frage?

In welchem Spannungsverhältnis stehen Werbeverbot und Aufklärungsbedarf der Gesellschaft? Wie schaffen wir es, ausreichend lizenzierte Abgabestellen einzurichten, um mit dem Schwarzmarkt tatsächlich den Kampf aufnehmen zu können? Wie kann sich ein deutscher Neuanfang in der Drogenpolitik in der Europäischen Union einfügen? 

Es wird also auch in 2020 spannend bleiben! 

Autoreninfo

Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät Unternehmen und Organisationen in allen Fragen des Wirtschafts- und Vertragsrechts. Schon während seines Studiums an der Philipps Universität in Marburg beschäftigte er sich mit der Prohibition. Denn 1994 erging ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Eigenbedarf. Nach der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 startete er einen Blog zu rechtlichen Aspekten rund um das Thema Cannabis (canna-biz.legal) und den Vertrieb neuer Cannabisprodukte.

Kai spricht regelmäßig auf internationalen Konferenzen zum deutschen und europäischen Rechtsrahmen für Cannabisprodukte. Zuletzt auf dem First Asian Hemp Summit 2019 in Hongkong und im Oktober beim Cannabis Law Institute in New York und der EuroAMCBC in Prag.

Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Beiträge auf Online Plattformen wie Prohibition Partners und Leafly. Heute berät Kai nationale und internationale medizinische Cannabisproduzenten und CBD Hersteller. Kai ist Mitglied des Deutschen Hanfverbandes und der European Industrial Hemp Association. Außerdem ist er Mitglied der Law Enforcement Against Prohibition (LEAP Germany) und der International Cannabis Bar Association.

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