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Kolumne Recht: Legalized! – wie man in den USA legalisiert. Ein Reisebericht

Kai-Friedrich Niermann, Cannabiskontrollgesetz legalisiert Autor:
Kai-Friedrich Niermann

Als Mitglied der International Cannabis Bar Association (INCBA) hatte ich auch dieses Jahr wieder die Ehre, auf der jährlichen Veranstaltung am Internationalen Eröffnungstag des Cannabis Law Institutes in der New York Law School zu sprechen. Zuvor entschloss ich mich aber, zwei der Bundesstaaten zu besuchen, die Cannabis bereits seit längerer Zeit legalisiert haben.

Kolumne Recht: Legalized! – wie man in den USA legalisiert. Ein Reisebericht

Reisebericht: Wie man in den USA legalisiert

Los ging die Reise in Denver, der Hauptstadt vom Bundesstaat Colorado. Von Colorado ging nach Washington State seinerzeit die Veränderung der Drogenpolitik in den USA aus: es erfolgte die Legalisierung. Wie genau, konnte ich mir vor Ort ansehen. Freundlicherweise hatte ein Mandant eine Führung durch einen „Grow“ organisiert.

Legalisiert: Anbau in Colorado

Dieser Anbau lag in einem unscheinbaren Gewerbegebiet von Denver, von außen nur durch seine massive Vergitterung zu erahnen. Empfangen wurden wir von einem freundlichen Produktionsleiter, der uns durch die komplette Anlage führte. Beginnend bei den Klonen über den Trimmraum bis zur Verpackung erhielten wir einer Erklärung des kompletten Produktionsablaufes.

Mit einer Unmenge von Listen wird festgehalten, wann welcher Raum gereinigt wurde, welcher Gewichtsverlust sich durch das Trocknen ergibt, welcher Wasserschlauch zuletzt auf Bakterien getestet wurde und welche Werte sich nach der Analyse ergeben haben.

Anwalt Niermann besichtigt die Anbauhalle in Colorado

Anwalt Niermann besichtigt die Anbauhalle in Colorado

Denn die Behörden melden sich regelmäßig zu Besuch an. Sie überprüfen die strengen Qualitätskriterien, die für den Anbau in Colorado gelten. Das Unternehmen muss hierfür bis zu 1000 Euro Analysekosten pro Monat tragen.

Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften in Colorado

Früher mussten Geschäfte in Colorado vertikal integriert sein, d.h. in den Fachgeschäften durfte nur das verkauft werden, was vom selben Unternehmen auch angebaut wurde. Diese Regelung gilt heute allerdings nicht mehr. Der erwähnte „Grow“ versorgt aber immer noch seine eigenen drei Geschäfte, wobei diese auf dem Großmarkt auch zukaufen müssen, um den Bedarf zu decken. Und alles, wirklich alles funktioniert natürlich nur mit Bargeld, da auf Bundesebene Cannabis immer noch eine illegale Substanz ist.

Einkaufserlebnisse in Dispensaries

In der sogenannten Dispensary, die dem Anbau in Colorado angeschlossen ist, herrschte eine freundliche Betriebsamkeit. Allerdings war die Auswahl sehr beschränkt, insbesondere bei den neuen Produkten wie Vape Pens, Edibles (Essbares) und Beverages (Getränke). Da Cannabis bundesweit immer noch als illegale Droge eingestuft ist, ist es nicht möglich, zwischen den einzelnen Bundesstaaten Handel zu treiben. Die Vertriebskette ist auf den jeweiligen Staat beschränkt, der legalisiert hat.

So kommt es immer wieder zu Versorgungsengpässen. Auch war es nicht besonders einfach, mit den Verkäufern zu sprechen. Eine umfassende Beratung konnte nicht stattfinden, da es auf Fragen immer recht kurze und knappe Antworten gab. Eine Erklärung hierfür ergab sich später in Seattle im Bundesstaat Washington an der Westküste. Auch dort ist Cannabis legalisiert.

In einer Dispensary dort konnte mit dem Inhaber sprechen. Dieser berichtete, dass am Freitag und Samstag bis zu 2.500 Kunden je Abend zu bedienen seien: „Wir versuchen hier, eine Maschine zu bauen!“, so seine Aussage, um mit riesigen Andrang fertig zu werden. Daher bliebe keine Zeit für ausführliche Gespräche über neue Cannabisprodukte und die Wirkungsweise von THC, zum Beispiel in Edibles. Ebenso sind die, nicht besonders ausgebildeten, Verkäufer angewiesen, diese Maschine am Laufen zu halten und nicht zu viel Zeit mit jedem einzelnen Kunden zu verbringen.

Dispensary und Cannabisfachgeschäft sind nicht dasselbe

Von den Vorgaben des Cannabiskontrollgesetzes, dessen Entwurf wir in den vorangegangenen Kolumnen besprochen haben, ist diese Praxis in den USA weit entfernt.

Wir erinnern uns: In Deutschland müssten Cannabisfachgeschäfte demnach ein Sozialkonzept erstellen. Zusätzlich muss das dort tätige Personal das Zertifikat „Verantwortungsvolles Verkaufen“ erwerben.

In den USA hat allerdings niemand Zeit, sich um solche Dinge zu kümmern. Zu groß ist der Andrang. Auch einen potentiellen, riskanten Drogenkonsum zu erkennen, geschweige denn diesem entgegenzuwirken, ist schier unmöglich.

Immerhin: Der Verkauf der getrockneten Cannabisblüten erfolgt in einer Plastikverpackung, die so fest zu ist, dass man sie nur mit einem Messer oder einer Schere aufbekommt. Gleiches gilt für Edibles.

Auswahl an CBD Produkten

Auswahl an CBD Produkten

CBD Markt: Dort legalisiert und dennoch gleichermaßen unübersichtlich wie hier

In den USA ist der CBD Markt ähnlich unübersichtlich wie in Europa. Insbesondere haben hier die einzelnen Bundesstaaten jeweils eigene Regelungen. Alle warten außerdem gespannt auf die Entscheidungen der Federal Drug Authority, die bundesweite Regelungen zu CBD-Produkten angekündigt hat.

Große Drogerieketten in Washington State bieten verschiedenste CBD Produkte in kleinen abgeschlossenen Schränken an. Der Schrank muss beim Kauf vom Personal aufgeschlossen werden.

In New York findet man Hanfläden, wie wir sie auch aus Deutschland kennen. Dort werden CBD Blüten, Hanfsamenöl, CBD-Öl und Tierprodukte mit CBD angeboten.

Harte Fakten in New York

Bisher war meine Reise gespickt mit Erlebnissen und Eindrücken. Auf der Konferenz in der New York Law School ging es dann um harte Fakten. Es war beeindruckend, wie engagiert und genau im Detail um eine verantwortungsvolle Lösung bei einzelnen Produkten gerungen wird.

Unser Kolumnist ist ein weltweit gefragter Experte. Hier beim Panel in New York

Unser Kolumnist ist ein weltweit gefragter Experte. Hier beim Panel in New York

So berichteten in einem Podium die sogenannten Regulators aus den Bundesstaaten, die die Legalisierung demnächst einführen, wie zum Beispiel mit Wax, einem extrem hochprozentigen THC-Extrakt umgegangen werden soll, dass von Konsumenten für das sogenannte Dabbing verwendet bzw. geraucht wird.

Beim Dabbing ist es das Ziel, möglichst effektiv viel Wirkstoff aufzunehmen. Das ist bei bestimmten Patienten in der medizinischen Anwendung sehr beliebt. Aber bei ungeübten Nutzern kann es einen extremen Rausch auslösen.

„Wir sind nicht glücklich damit“, so der Tenor der Regulatoren. Denn das Wax ist ohne weitere Aufklärung oder Einführung in diese Praxis in Dispensaries zum Erwerb erhältlich.

Kanadische Syndikusanwälte berichteten von großen lizenzierten Produzenten für medizinisches Cannabis. Sie waren beeindruckt von den Unterlagen verschiedener, ehemals im Schwarzmarkt tätigen sogenannten „Mastergrowern“. Diese hatten über Jahrzehnte penibel Buch über ihre Züchtungsergebnisse geführt. Dabei hatten sie stabile Sorten kreiert, wovon die legalen Produzenten noch weit entfernt sind. Ein interessanter Aspekt, der nicht nur Fragen des geistigen Eigentums, sondern die Legalisierung als soziale Frage betrifft.

Vaping-Krise und die Folgen

Die Vaping-Krise war selbstverständlich auch ein Thema. Einig war man sich, dass übereilte Verbote von Liquids keine Lösung sind, da diese dann im Schwarzmarkt gehandelt und dann noch mehr Probleme bereiten würden.

Eine Legalisierung von Cannabis auf Bundesebene sei vorzugswürdig, sodass durch die Bundesbehörden einheitliche Qualitätsstandards und Prüfroutinen festgelegt und überwacht werden könnten.

Der Grund für die Krise ist dabei längst noch nicht ausgemacht. Mittlerweile wurden 1.604 wahrscheinliche Fälle bestätigt, allein 125 noch in der letzten Woche. Patienten wurden in 49 US-Bundesstaaten gemeldet. Die Anzahl von bestätigten Todesfällen ist auf 34 gestiegen. Dass die meisten Fälle aber mit dem Schwarzmarkt zusammenhängen, sowohl in Bezug auf die verwendete Kartusche als auch das Liquid, scheint sicher.

Von dem Erwerb entsprechender Produkte aus dem Schwarzmarkt in Deutschland, in dem diese auch bereits gehandelt werden, ist daher dringend abzuraten!

Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass diese Produkte nicht aus einer regulierten US-Produktion stammen , so die Experten, mit denen ich sprechen konnte. Die Wahrscheinlichkeit einer Gesundheitsgefährdung ist damit hoch.

New York State selbst ringt immer noch um die Legalisierung, allerdings fand die Entkriminalisierung des Konsums bereits statt. Privat ist der Konsum straffrei, in der Öffentlichkeit kann es ein Bußgeld geben.

Besuch in einem Speakeasy

Da in öffentlich zugänglichen Räumen in New York aber generell das Rauchen nicht erlaubt ist, gibt es illegale Konsumräume, sogenannte Speakeasy. Hier kann der Konsum und gelegentlich auch der Kauf von Cannabis stattfinden. Speakeasy waren in den USA in der Prohibition bekannt als sogenannte Flüsterkneipen. Hier fand auch der Ausschank von illegalem Alkohol statt, bis die Abschaffung der Prohibition erfolgte.

In dem größten und bekanntesten New Yorker Speakeasy fand eine Veranstaltung zu einer Debatte statt, mit der wir uns in Deutschland im Falle einer Legalisierung auch beschäftigen müssen: wie geht man mit Personen um, die aufgrund von Cannabisbesitz oder –handel verurteilt wurden und wohlmöglich auch inhaftiert waren oder noch sind.

Die Forderung nach einer Rehabilitierung der Betroffenen, ähnlich wie bei den homosexuellen Opfern des sogenannten „Schwulenparagraphen“ in Deutschland, wird nicht lange auf sich warten lassen. In Colorado und Kalifornien konnten bereits viele ehemalige Häftlinge entlassen werden, wenn der Handel mit Cannabis nicht in Zusammenhang mit anderen Drogen oder sonstigen Gewaltverbrechen stand.

Auch kann die Berichtigung von Strafakten der Konsumenten erfolgen. In New York erfolgte die Vorstellung des „Last Prisoner Projects“. Mitbegründet von Steve de Angelo, dem US-amerikanischen Pionier der Legalisierungsbewegung. De Angelo fordert: „Wir werden nicht ausruhen und aufhören bis der letzte Cannabis Häftling freigelassen ist“.

Fazit: Legalisiert oder nicht, es gibt noch viel zu tun hier wie dort

Insgesamt wird in den USA eine fortschrittliche und verantwortungsvolle Debatte geführt. In immer mehr Bundesstaaten wird der Schwarzmarkt durch einen regulierten Markt ersetzt.

Man wünscht sich, dass mehr deutsche Regulatoren und Politiker auf diese Entwicklung und auf diese Debatten im Einzelnen schauen, vielleicht auch häufiger sich vor Ort einen Eindruck verschaffen und das Potenzial für Gesellschaft und Wirtschaft entdecken würden. Wie man legalisiert, kann man jetzt sehen, und zwar nicht im Modell, sondern live.

 

Autoreninfo:
Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät Unternehmen und Organisationen in allen Fragen des Wirtschafts- und Vertragsrechts. Schon während seines Studiums an der Philipps Universität in Marburg beschäftigte er sich mit der Prohibition, da 1994 ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Eigenbedarf ergangen ist. Nach der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2017 startete er einen Blog zu rechtlichen Aspekten rund um das Thema Cannabis (canna-biz.legal) und den Vertrieb neuer Cannabisprodukte.

Kai spricht regelmäßig auf internationalen Konferenzen zum deutschen und europäischen Rechtsrahmen für Cannabisprodukte, zuletzt auf dem First Asian Hemp Summit 2019 in Hongkong und im Oktober beim Cannabis Law Institute in New York. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Beiträge auf den online Plattformen Prohibition Partners und Cannabis Law Report. Heute berät Kai nationale und internationale medizinische Cannabisproduzenten und CBD Hersteller. Kai ist Mitglied des Deutschen Hanfverbandes, der European Industrial Hemp Association, der Law Enforcement Against Prohibition (LEAP Germany) und der International Cannabis Bar Association.

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