Nahezu alle Staaten auf der Welt sind Mitglieder der UN-Einheitsabkommen über Betäubungsmittel, einem internationalen Vertragswerk mit dem Ziel, die Verfügbarkeit einiger Drogen, unter anderem Cannabis, einzuschränken. Cannabis ist nach diesem völkerrechtlichen Vertrag bezüglich seiner Gefährlichkeit auf einer Stufe mit Heroin. Als Folge der Mitgliedschaft in diesem Abkommen wurde in Deutschland das Betäubungsmittelgesetz mit seinen Anlagen eingeführt. Dieses besitzt bis heute Geltung, und stellt den Besitz, den Handel, den Anbau und die Einfuhr von Cannabis unter Strafe. Das muss sich in Zukunft ändern.
Die Folgen der Prohibition sind bekannt: 500-800 t Cannabisblüten und Haschisch, die ausschließlich im Schwarzmarkt gehandelt werden, ohne jegliche Qualitätskontrolle und Zugangsbeschränkungen für Jugendliche. Hunderttausende von Strafverfahren werden geführt, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994 in der Regel eingestellt werden müssen. Dies bindet erhebliche Ressourcen in Polizei und Justiz.
Cannabis ist kein Neuland
Dem geneigten Leser werden diese Tatsachen bereits bekannt sein. Genauso wie den Grünen, der FDP und den Linken, die sich ausdrücklich für eine modernere Drogenpolitik einsetzen. Die Grünen haben bereits 2017 das sogenannte Cannabiskontrollgesetz im Bundestag eingebracht, das den Handel mit Cannabis basierend auf einem freien Marktmodell sozial verantwortungsvoll legalisiert und die Nutzer entkriminalisiert. Sozialkonzepte, Prävention und Aufklärung haben in diesem Gesetzentwurf oberste Priorität. Selbstverständlich ist dieses Gesetz damals noch an den Stimmen der Großen Koalition gescheitert.
„Die Welt wacht auf. Cannabis ist doch nichts Neues. Regierungen haben die Wahl. Sie können es ignorieren, dann kümmern sich Kriminelle darum. Oder sie regulieren es, verdienen Geld damit und klären die Gesellschaft auf“, so Bruce Linton, der CEO von Canopy, einem der größten Cannabisunternehmen der Welt, kürzlich in einem Interview.
Es bleibt zu hoffen, dass die verbleibenden konservativen und sozialdemokratischen Zweifler ihre drogenpolitische Position in diesem Sinne überdenken, um den dringend benötigten gesellschaftlichen Fortschritt in der Drogenpolitik für die Zukunft einzuleiten.
Ein Blick in die Zukunft: Kommt die Legalisierung, und wenn ja, wann?
Wohlmöglich kommt die Legalisierung aber schneller, als wir alle vermuten. Die Verwerfungen in der großen Koalition führen vermutlich schneller zu Neuwahlen, als bisher trotz aller Stabilitätsbeschwörungen angenommen. Wagen wir einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.
Die drei folgenden Szenarien mit den entsprechenden Wahrscheinlichkeiten waren vor den Europawahlen denkbar:
Szenario 1: Dezember 2019 Legalisierung, Wahrscheinlichkeit – gering (10 %)
Die Europawahl im Mai endet für die Große Koalition in einem Desaster und führt zur Kündigung und Neuwahlen im September 2019. Die Grünen werden Mitglied der neuen Bundesregierung und es erfolgt die Verabschiedung des Cannabiskontrollgesetzes der Grünen im Dezember 2019.
Szenario 2: Dezember 2021 Legalisierung, Wahrscheinlichkeit – hoch (80 %)
Die Große Koalition regiert bis September 2021 bis zu den nächsten Bundestagswahlen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Cannabis von der UN neu bewertet. Und alle Parteien, inklusive vieler konservativer Abgeordneter, einigen sich im Dezember 2021 auf die Legalisierung mit dem Cannabiskontrollgesetz als Vorbild.
Szenario 3: Keine Veränderung bis 2025 , Wahrscheinlichkeit – gering (10 %)
Die Große Koalition regiert bis September 2021 bis zu den nächsten Bundestagswahlen. Alle Parteien, die für die nächste Regierungskoalition verhandeln, sind gegen eine grundsätzliche Veränderung der Drogenpolitik im Bereich Cannabis. Keine Veränderung bis zu den nächsten Wahlen 2025.
Sollte es also zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, und eine progressive Koalition aus Grünen (wohlmöglich mit grünem Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin), Sozialdemokraten und Linken entstehen, ist es nur schwer vorstellbar, dass ein Cannabiskontrollgesetz nicht verabschiedet wird, mögen auch Details sich noch ändern oder umstritten bleiben.
Innovationsbedarf bei Medizinalcannabis in Zukunft nötig
Eine Cannabisindustrie, selbst eine medizinische, ist derzeit von der Regierung nicht erwünscht. Die ausgeschriebenen Anbaumengen für die heimische Produktion sind denkbar gering. Sie werden kaum den immer weiter steigenden Bedarf der Patienten decken können. Die Anbaufirmen, die den Zuschlag erhalten haben, dürften mit diesen Mengen und der großen Anzahl an zu erfüllenden Auflagen ebenfalls kaum profitabel wirtschaften können.
Dabei ist absehbar, dass alle europäischen Staaten ein medizinisches Cannabisprogramm auflegen werden. Der Bedarf an verlässlichen und hochqualitativen medizinischen Cannabisprodukten wird stetig steigen. Eine europäische Harmonisierung der einzelnen medizinischen Cannabisprogramme wäre deshalb, nebenbei gesagt, äußerst wünschenswert, damit sich Forschung und Handel in Europa besser entwickeln können. Stattdessen lässt das BfArM aber auf Nachfrage mitteilen, überschüssig provozierten Bedarf lieber zu vernichten, als über eine Exportstrategie nachzudenken.
Ein kleiner Lichtblick ist dabei die auf Initiative der Universität Hohenheim erst kürzlich erfolgte Einrichtung eines deutsch-kanadischen Forschungsnetzwerkes (Leafly.de berichtete). Die Förderung erfolgt durch das Bundeswirtschaftsministerium (allerdings nur geschuldet dem Druck der Unternehmen). Das Netzwerk besteht zurzeit aus vier kanadischen und sieben deutschen Partnern und soll den Anbau vom pharmazeutischen Cannabis in Deutschland optimieren. Der Forschungsschwerpunkt soll auf der Genetik sowie der Erntetechnik liegen.
Regulierungen schaden mehr als dass sie nutzen
Auch der Nutzhanfanbau in Deutschland ist immer noch strikt reguliert. Das BfArM genehmigt nur zögerlich und selten wissenschaftliche Forschungsprojekte zu Cannabis. Es ist schließlich nur zu gut verständlich, dass die Beamten, die jahrzehntelang damit beauftragt waren, die Prohibition durchzusetzen, sich nunmehr damit schwertun, Veränderungen einzuleiten.
Deshalb werden hier leichtfertig Chancen für eine heimische medizinische Cannabisindustrie, für Forschung und Innovation, und insbesondere viele neue Jobs, vertan. Auch insoweit wird man wolmöglich zunächst einen Regierungswechsel abwarten müssen, damit sich an der Spitze von Bundesgesundheitsministerium, Drogenbeauftragter, BfArM und BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) etwas verändert.
Vorschriften und Gesetze von vorgestern
Denn auch die bereits legalen Cannabis bzw. Hanfprodukte unterliegen Vorschriften aus dem letzten Jahrhundert. Dem Jahrhundert der Prohibition. So müssen Hersteller von Hanflebensmitteln um die Einhaltung extrem geringer Grenzwerte kämpfen, die vom BfR bereits vor dem Jahr 2000 festgelegt wurden. Nach Auffassung des Nova Institutes widersprechen diese strikten Grenzwerte aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und müssen dringend angepasst werden, um Wettbewerbsnachteile der deutschen und europäischen Hanfindustrie zu vermeiden. Würde man diese Grenzwerte für Alkohol anwenden, wäre Brot oder Orangensaft nicht länger marktfähig, so das Nova Institut.
Novel Food – und nun?
Aber nicht nur für die medizinischen Cannabisprogramme und die THC-Grenzwerte der einzelnen Mitgliedstaaten sind zu harmonisieren. Insbesondere ist auch eine europaweit einheitliche Anwendung der Novell Food Verordnung sicherzustellen. Im Moment nutzen mehrere Mitgliedsländer der Europäischen Union die Novel Food Verordnung, um insbesondere den beliebten CBD-Produkten Einhalt zu gebieten.
Nicht zuletzt deshalb, weil die Cannabispflanze nach wie vor stigmatisiert wird und das Aufkommen dieser zahlreichen Produkte, insbesondere den Staaten ungeheuer ist, wo Cannabis traditionell eher restriktiv gehandhabt wird. So gibt es in Spanien, Portugal, Frankreich und zuletzt Österreich gar keinen CBD-Markt. Italien steht womöglich vor einer ähnlichen Entwicklung. Der Sinn einer europäischen Verordnung kann aber nicht sein, dass jedes Land die Anwendung in seinem Sinne auslegt. Vielmehr ist ein einheitlicher und harmonisierter Rechtsrahmen für die gesamte EU zu schaffen.
CBD in Kosmetik
Ebenso absurd ist die Rechtslage bei CBD in Kosmetik. Art. 14 der europäischen Kosmetikverordnung, der auf das oben genannte Einheitsabkommen verweist, untersagt im Ergebnis den Einsatz von CBD-Extrakten in Kosmetika. Erlaubt aber den Einsatz von synthetischem CBD. Unternehmen sind somit daran gehindert, natürlich extrahiertes Cannabidiol zu verwenden und müssen stattdessen auf eine synthetische Variante ausweichen. Auch das ist eine obsolete Konsequenz des Überkommenen War on Cannabis, die in Zukunft geändert werden sollte. (Mehr hierzu auch in der letzten Kolumne.)
Viele Aufgaben für eine neue deutsche Bundesregierung, aber auch für das neue europäische Spitzenpersonal, das sich nach der Europawahl formieren wird.
Autoreninfo:
Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät Unternehmen und Organisationen in allen Fragen des Wirtschafts- und Vertragsrechts. Schon während seines Studiums an der Philipps Universität in Marburg beschäftigte er sich mit der Prohibition, da 1994 ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofes zum Eigenbedarf ergangen ist. Nachdem medizinisches Cannabis 2017 legalisiert wurde, startete er einen Blog zu rechtlichen Aspekten rund um das Thema Cannabis (canna-biz.legal) und den Vertrieb neuer Cannabisprodukte. Kai spricht regelmäßig auf internationalen Konferenzen zum deutschen und europäischen Rechtsrahmen für Cannabisprodukte, als nächstes auf dem First Asia Hemp Summit in Hong Kong.
Zuletzt sprach er auf der ICBC Berlin und CNBS in Dortmund zum Thema CBD. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Beiträge auf den online Plattformen Prohibition Partners, Cannabis Law Report und wird von der kanadischen Globe and Mail zitiert. Heute berät Kai nationale und internationale medizinische Cannabisproduzenten und CBD Hersteller. Kai ist Mitglied des Deutschen Hanfverbandes, der European Industrial Hemp Association und der International Cannabis Bar Association, einer internationalen Vereinigung von Anwälten, die im Bereich Cannabis beraten.