Wer sich aktuelle Fotos von Benjamin ansieht und mit Bildern von vor acht Jahren vergleicht, wundert sich: Ist das ein und derselbe junge Mensch? Benjamin wog früher 195 Kilo – alle Probleme und Sorgen fraß er buchstäblich in sich hinein. Heute wiegt der sportliche 29-Jährige rund 80 Kilo. Geschafft hat er das mit einer Magenverkleinerung, einer sogenannten bariatrischen Operation. Die Krankengeschichte von Benjamin ist aber noch viel komplizierter: ADHS, Multiple Sklerose und Depressionen sind nur einige der Erkrankungen, mit denen er noch immer zu kämpfen hat.
In der Kindheit erkrankt Benjamin an ADHS
Mit sieben Jahren wurde bei Benjamin ADHS festgestellt und mit Ritalin behandelt. Heute, im Erwachsenenalter, begleitet ihn die Krankheit noch immer. Das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom – kurz ADHS – ist eine neurologische Erkrankung, die im Kindesalter auftritt. Bei 60 Prozent der ADHS-Patienten zeigen sich allerdings auch im Teenager- und Erwachsenenalter Symptome. Wie genau diese ADHS-Symptome aussehen, verändert sich im Laufe des Lebens ganz individuell.
Die motorische Unruhe, das typische ADHS-Symptom bei Kindern, geht im Erwachsenenalter meist in eine innere Unruhe über. Außerdem beobachten Mediziner, dass erwachsene ADHS-Patienten häufig an Begleiterkrankungen leiden. So ist ADHS ein Risikofaktor für viele andere psychiatrische Erkrankungen wie Depessionen.
Ausführliche Informationen zum Thema ÁDHS/ADS finden Sie in diesem Artikel.
Ängste und Depressionen
Auch Benjamin kämpft seit vielen Jahre mit psychiatrischen Symptomen: wiederkehrende depressive Störungen, Schlafstörungen und Angstträume. Die Schlafstörungen sind extrem und werden begleitet durch Jaktation – starkes Umherwerfen und Unruhe. Traumatisierungen in Benjamins Kindheit, die nur unzureichend aufgearbeitet wurden, führten bei ihm zu einer Essstörung. Das Resultat war Adipositas, also extremes Übergewicht: Mit 21 Jahren brachte Benjamin 195 Kilo auf die Waage.
Magenverkleinerung zieht Probleme nach sich
Eine bariatrische Operationen – wie eine Magenverkleinerung, ein Magenballon, Mangenschlauch oder Magenbypass-Operation – ist für extrem Übergewichtige häufig die einzig effektive Möglichkeit, ihre Kilos loszuwerden. Auch Benjamin verlor nach seiner Magenverkleinerung im Jahr 2011 extrem viel Gewicht: ganze 130 Kilo innerhalb von 16 Monaten. Zwischenzeitlich war er auf unter 60 Kilo abgemagert, inzwischen hat er wieder zugenommen. Am Ende dieses Prozesses fand sich Benjamin in einer buchstäblich zu groß gewordenen Haut wieder.
Dieses Problem tritt meist nach sehr starkem Abnehmen auf. Denn auch wenn das Fett weg ist – die Haut bleibt. Ausgeprägtes Übergewicht führt dazu, dass das Bindegewebe dauerhaft ausleiert. Dann können weder Sport noch Massagen die Entwicklung rückgängig machen. Ein plastischer Eingriff, um die Haut zu straffen, ist die einzige Möglichkeit für ehemals fettleibige Menschen, ihre Hautfalten wieder los zu werden.
Und diese Hautfalten sind für die Betroffenen nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern häufig auch ein medizinisches. Die Haut kann sich an diesen Stellen stark entzünden, was Pilzinfektionen und Ekzeme nach sich ziehen kann. Außerdem erschweren die Hautfalten die Körperhygiene.
Auch Benjamin wünschte sich eine Hautstraffung. Die ausgeleierte Haut stellt eine psychische Belastung dar. Der junge Mann, der so viel Gewicht verloren hat, reagiert mit einer depressiven Verstimmung.
Multiple Sklerose und Gelenkbeschwerden
Die Schlafstörungen und das krankhafte Umherwerfen in der Nacht begleiten Benjamin seit seiner Kindheit. Durch das Umherwerfen entwickelte er verschiedene Gelenkbeschwerden. 2018 wird darüber hinaus eine Multiple Sklerose diagnostiziert. Die neurologischen Symptome wie Zuckungen, Schmerzen und Kribbelmissempfindungen werden auf die MS zurückgeführt. Seine Gelenkbeschwerden in der Schulter und dem Knie verschlechtern sich durch die Multiple Sklerose. Hinzu kommen Rückenschmerzen und Kopfschmerzen.
2016 verschreibt ihm seine behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie das Cannabis-Mundspray Sativex auf Privatrezept. Dieses Fertigarzneimittel enthält THC und CBD im Verhältnis 1:1. Zu diesem Zeitpunkt geht es Benjamin psychisch sehr schlecht, aber Sativex hilft ihm. Da die Wirkung bei oralen Cannabis-Produkten zwar lange anhält, dafür aber verzögert eintritt, verordnet ihm die Ärztin zusätzlich Cannabisblüten, um akute Symptome schnell lindern zu können. Mit dieser Kombination verbessert sich Benjamins psychischer wie auch sein körperlicher Zustand massiv.
Jetzt hat er auch die Energie, wichtige Aufgaben anzugehen – wie sich für eine hautstraffende Operation einzusetzen. Da er aber seine Cannabis-Arzneimittel nur auf Privatrezept erhält, ist er nicht immer finanziell in der Lage, sich die ausreichende Menge Medikamente zu kaufen. So kommt es wiederholt zu erneuten Stimmungseinbrüchen und Schmerzattacken.
Im Herbst 2018 ist es endlich soweit: Nach sechs Jahren zähem Ringen mit der Krankenkasse erhält Benjamin eine hautstraffende Operation im Bauchbereich. Es gibt allerdings noch weitere Hautfalten, die ihn im Alltag behindern und die er sich entfernen lassen möchte. Diese für ihn so wichtigen Eingriffe lehnt seine Krankenkasse allerdings bisher ab.
Cannabis-Therapie und Selbstreflektion
Benjamin erzählt, dass er aufgrund seiner unverarbeiteten psychischen Probleme “vor der Cannabis-Therapie nicht therapierbar” war:
“Erst durch Cannabis war ich fähig, mich zu öffnen, konnte mich selbst reflektieren und meinem verletzten inneren Kind zuhören. Dadurch verschlechterte sich mein Zustand zunächst in den ersten 12 Monaten, da ich mit all den blockierten Gedanken, Erinnerungen und Traumatas nun täglich konfrontiert wurde. Das war hart! Die Fähigkeit, mich selbst zu reflektieren und mich selbst zu lieben und anzunehmen, fand ich einerseits durch die Behandlung mit THC und CBD, andererseits aber auch durch die MS Diagnose.”
In den letzten acht Monaten hat sich für Benjamin sehr viel zum Positiven gewendet: Er treibt Sport, baut Muskulatur auf, ist aktiv und fit. Darüber hinaus beginnt der junge Mann zu meditieren und sich mit seiner Psyche auseinanderzusetzen. Dabei hilft ihm auch CBD, das er inzwischen seit eineinhalb Jahren einnimmt. “Ich bin ein sehr großer Fan der positiven Eigenschaften von CBD. Es hat mir psychisch sehr viel geholfen und auch dabei, die Nebenwirkungen des THC in den Griff zu bekommen”, erzählt uns Benjamin.
Er sieht sich selbst noch nicht als geheilt an und ist weiter in ärztlicher Behandlung, aber er ist stolz auf das, was er bisher erreicht hat. Inzwischen arbeitet Benjamin an einem Buch, um seine Geschichte zu erzählen.
“Meine Vorstellung ist es, Menschen in ähnlichen Situationen durch meine Erfahrungen zu helfen.”
Patienteninfos
Name: Benjamin
Alter: 29
Wohnort: Baden-Württemberg
Krankenkasse: IKK Classic
Diagnose: ADHS, MS, Depressionen, PTBS
Medikation: Sativex, CBD, Cannabisblüten
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Benjamin: Ich bekomme es seit Dezember 2016 auf Privatrezept über Dr. Milz aus Berlin. Ich habe auch Ärzte mit kassenärztlicher Zulassung, die meine Cannabis-Behandlung unterstützen. Seitdem die Kosten für Cannabis über die Krankenkasse erstattungsfähig sind, kämpfe ich darum, dass meine Kasse die Behandlung übernimmt. Bisher leider ohne Erfolg.
Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Benjamin: Durch Dr. Milz.
Leafly: Wie war das erste Mal?
Benjamin: Meine ersten Kontakte mit Cannabis waren nicht positiv – von gar keinem Effekt bis zum Übergeben. Nach meiner Gewichtsabnahme probierte ich es an einem Tiefpunkt in meinem Leben nochmals. Die Wirkung war so positiv, dass ich mich immer mehr damit beschäftigte und mir dann auch einen Arzt suchte. Zu diesem Zeitpunkt war der Zweifel groß, ob Cannabis wirklich hilfreich ist wie auch die Angst vor Nebenwirkungen.
Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?
Benjamin: Zu Beginn der Therapie habe ich bis zu drei Gramm Cannabisblüten täglich eingenommen. Da ich die Kosten selber tragen muss, konnte ich mir diese Menge aber nicht immer leisten. Daher waren es in der Vergangenheit auch häufig nur ein oder zwei Gramm – oder ich musste komplett auf mein Cannabis-Medikament verzichten. Inzwischen nutze ich Cannabis in belastenden, stressigen Situationen oder auch zum Meditieren. Außerdem hilft es mir beim Schlafen und der Appetitsteigerung. Wichtig ist aber ganz klar der stimmungsregulierende Effekt.
Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Benjamin: Leider sehr viele! Ich streite mit der Krankenkasse seit sechs Jahren für nötige Hautoperationen und seit zwei Jahren wegen Cannabis als Medizin. Das Sozialgericht lässt mich seit einem Jahr im Verfahren gegen die Kasse warten. Dadurch ist meine Versorgungssituation teilweise sehr schwierig.
Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Benjamin: Nein.
Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?
Benjamin: Ja, ständig gab es Ausfälle oder Engpässe. Das ist sehr belastend!
Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?
Benjamin: Ich habe sehr viel geschafft, aus eigener Motivation und eigenem Willen. Das erste Mal in meinem Leben verspüre ich mir selbst gegenüber nach monatelangem Meditieren und Muskelaufbau wahrhaftig Stolz. Jetzt kann ich auch den Erfolg des Abnehmens in fast vollen Zügen genießen – bis auf die ausstehenden Operationen, die mir noch das Leben schwer machen. Für mich ist es ein unbeschreibliches Gefühl, durch Meditation Körper und Geist zu verbinden und nach all den Jahren mit Kampf, Stress, Ängsten und der massiven körperlichen sowie psychischen Veränderung endlich zur inneren Ruhe zu finden und zu mir selbst. Es gibt aber auch noch viel zu erreichen. Ich bleibe stark, bin motiviert, und gebe nicht auf.
Lieber Benjamin, vielen Dank für das offene Gespräch. Wir wünschen Dir alles erdenklich Gute für Deine Zukunft.
Link Benjamin:
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