Seit seinem fünften Lebensjahr leidet der 28-jährige David aus Sachsen unter Migräneanfällen und ADHS. Es folgte eine Jahrzehnte andauernde Odyssee von Fehlmedikationen, Ärztesuche, sozialer Ausgrenzung und vor allem der Suche nach Respekt und Anerkennung, die David erst vor zwei Jahren erhielt.
Die ersten Hinweise, dass mit David etwas nicht stimmte, zeigten sich im Kindergarten. Er fiel öfter mal einfach um und erbrach sich häufig. Mit sechs Jahre wurde bei ihm eine Migräne-Symptomatik diagnostiziert. Eine Krankheit, die schon seine Oma hatte. Durchschnittlich vier bis acht Migräneanfälle beutelten den Jungen pro Monat mit immensen Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit und Brechanfällen, teilweise bis der Hals blutete. Mit zehn Jahren wurde David auf eine Kur geschickt. Hier verbesserte sich sein Zustand vorübergehend.
Davids Verhalten wird immer auffälliger
Nach der Kur ging es jedoch wieder bergab. Davids soziales Verhalten ließ schon immer ein wenig zu wünschen übrig, doch nun wurde es auffällig. Er folgte seinem permanenten inneren Drang, sich aufzulehnen. Gefühle konnte er nicht ausdrücken. Mit zwölf Jahren hing er mit den älteren Teenies rum, riss nachts aus, verschwand über ganze Wochenenden.
Die geschlossene Psychiatrie
Da Davids Mutter eines Tages keinen Ausweg mehr sah, brachte sie ihn in die geschlossene Psychiatrie. Dort wurde sehr schnell die Diagnose „soziale Störung mit ADHS“ gestellt. Alle Präparate, die es zu dem Zeitpunkt gab, wurden an ihm ausprobiert. Entlassen wurde er mit der medikamentösen Einstellung auf Pipamperon, einem hochpotenten Neuroleptika.
Drei Jahre ruhig gestellt bis zu einem Anfall
Die sedierende Wirkung des Medikamentes machte sich schnell bemerkbar. Die nächsten drei Jahre verbrachte David wie im Schlaf. Da er nicht mehr richtig am sozialen Leben teilnahm, flog er in der 6. Klasse von der Schule. In seinem 15. Lebensjahr fiel er beim Fußball plötzlich um und wachte im Krankenhaus wieder auf. Dort erklärte der Arzt ihm, dass er einen epileptischen Anfall aufgrund der Medikamente hatte, die er nahm. Er setzte das Präparat ab.
Neue Schule, neue Hoffnung, es geht bergauf
David kam anschließend auf eine soziale Schule für Erziehungshilfe. Dies tat ihm sehr gut – er war nicht mehr der Einzige, der einzigartig war. Hier fand er einen Freund. Mit diesem begann er hier und da Cannabis zu rauchen. Immer wenn er dies tat, merkte er, wie außerordentlich gut es ihm ging. Plötzlich fiel es ihm leicht, Schulaufgaben zu machen und sich zu konzentrieren. Seine Noten verbesserten sich so sehr, dass er in der 8.Klasse die Schule wieder wechseln konnte.
Wieder eine neue Schule
In der neuen Schule fehlte David jedoch der Kontakt zu seinem Freund. Er rauchte kein Cannabis mehr, sein Verhalten wurde wieder schlechter. Den Abschluss schaffte er dann leider nicht mehr, doch durch die Unterstützung der Schulleiterin konnte er in einer Internatsschule für ein berufsvorbereitendes Jahr aufgenommen werden. Hier suchte er sich für eine Hausarbeit das Thema Cannabis aus. Durch seine Recherchen entdeckte er erstmalig Studien und Artikel zur medizinischen Wirkung von Cannabis. Er suchte seinen Freund wieder auf und besorgte sich Cannabis.
David wird erwischt und verliert alles
An manchen Wochen kam David nicht an Cannabis. In diesen Wochen ging es ihm sehr schlecht – er machte keine Hausaufgaben, pflegte sich nicht und war unleidlich. Dieses Verhalten fiel seiner Betreuerin auf. Als er beim Rauchen erwischt wurde, musste er zum Drogentest infolge dessen er seinen Führerschein, seinen Ausbildungsplatz, seinen Platz im Internat sowie den Rückhalt seiner Eltern verlor. Aus einer Therapie wurde er nach sieben Tagen mit dem Befund einer Cannabisabhängigkeit entlassen.
David verliert die Lust am Leben
Ohne Rückhalt und Perspektive verlor David die Freude. Da man ihn überzeugt hatte, dass Cannabis nicht gut sei, ließ er auch komplett die Finger davon. Zeitweise wohnte er bei seinem Bruder. Doch er vereinsamte immer mehr. Er ging nicht mehr raus. Eine große Depression machte sich in ihm breit. Er begann eine Lehre als Trockenbauer, doch auch hier fiel er durch. Er war am Boden, teilweise sogar obdachlos.
David räumt auf
Als David 23 Jahre alt war, verließ ihn seine Freundin. Dies war der Punkt, an dem er wieder zu Cannabis griff. Sein Körper reagierte wieder sehr gut darauf. Für ihn war nun klar: Cannabis war seine Medizin. Sein Selbstbewusstsein war nun so gestärkt, dass er wieder Kontakt zu seiner Mutter aufnahm und ihr in einem langen Brief alles erklärte. Bisher dachte seine Mutter immer wenn er schlecht aussah, dass er Cannabis genommen hatte. Doch nun sah sie ein, dass dies die Zeiten waren, in denen er kein Cannabis genommen hatte.
Die Suche nach einem Arzt hat nach zwei Jahren Erfolg
Im Anschluss suchte David nach einem Arzt, der Cannabis verschreibt. In Sachsen war dies sehr schwer. Zwei Jahre waren vergangen, da entdeckte er Frau Dr. Milz aus Berlin, eine Psychiaterin, die sich mit der Cannabis-Behandlung auskannte. Im Februar 2016 bekam er einen Termin.
Nach dem zweistündigen Gespräch war David ein neuer Mensch. Endlich wurde er ernst genommen. Endlich wurde er gehört, respektiert und nicht für verrückt erklärt. Nun entwickelten sie eine Strategie für das Rezept, denn erstens musste nachgewiesen werden, dass er austherapiert ist und zweitens musste aufgezeigt werden, dass eine medikamentöse Einstellung auf Cannabis bei David Sinn machte.
Die Verschreibung und der Kampf mit der Krankenkasse
Zunächst bekam David ein CBD-Präparat, um nachzuweisen, dass er auf eine entsprechende Behandlung anspringt. Da es in der Zwischenzeit ein neues ADHS-Präparat gab, musste er dies noch einige Wochen nehmen, um als austherapiert zu gelten. Er machte alles mit. Im Februar 2017 war es dann soweit: das erste privatärztliche Rezept mit Ausnahmegenehmigung lag vor. Doch nun musste David sich einen Kassenarzt suchen, der das Privatrezept auf ein Kassenrezept umschrieb. All dies kostete Zeit, Kraft und Nerven. Kraft und Nerven, die man als Patient eigentlich nicht hat. Die Krankenkasse schiebt eine endgültige Entscheidung seit einem Jahr durch immer weitere Anforderungen von Unterlagen und Kopien, durch Ablehnungen, Schikanen und Prozesse vor sich hin. Derzeit befindet sich das Verfahren in der zweiten Instanz am Landessozialgericht Chemnitz.
Da David inzwischen sehr viele Kenntnisse im medizinischen Umgang mit Cannabis gesammelt hat und sich gern austauscht, hat er die Facebook-Gruppe ADHS, Migräne, Ängste und Naturmedizin gegründet, um auch anderen Menschen helfen zu können.
Patienteninfos
Name: David
Alter: 28
Wohnort/Bundesland: Sachsen
Krankenkasse: IKK Classic
Diagnose: ADHS, Migräne
Medikation: Bedrocan 2 x 1g tagsüber, Bediol 1x1g abends
Bevorzugte Sorte: Bediol
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: privatärztliche Psychologin, Allgemeinmediziner
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly.de: Wie bist Du denn auf Cannabis als Medizin gekommen?
David: Durch Zufall. Zuerst habe ich es als Jugendsünde ausprobiert und dabei gemerkt, wie gut es mir tut. Die Bestätigung dieser Annahme, habe ich erst viel später erhalten.
Leafly.de: Wie war das erste Mal?
David: Sehr entspannend. Vor allem habe ich gemerkt, dass ich mich das erste Mal in meinem Leben konzentrieren konnte.
Leafly.de: In welchen Momenten wendest Du es an?
David: Als Dauermedikation.
Leafly.de: Welches Präparat in welcher Dosierung nimmst Du?
David: Tagsüber 2 mal 1g Bedrocan zur Symptomkontrolle oder gegen die Übelkeit und Schmerzen der Migräne. Ab 18 Uhr am Abend Bediol 1g zum Runterfahren der Gedanken, damit ich nachts schlafen kann und zur Prophylaxe der Migräne.
Leafly.de: Gibt es Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
David: Immense Schwierigkeiten. Seit einem Jahr kämpfe ich um die Kostenübernahme. Es ist besonders schwer, denn wenn man Patient ist und sich dann auch noch über eine so lange Zeit mit der Bürokratie herumschlagen muss, geht es besonders schwer. Aber vielleicht ist das ja auch so von den Kassen gewollt.
Leafly.de: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
David: Nein, ganz und gar nicht. Ich habe schon öfter aufgehört. Es war nicht schlimm.
Leafly.de: War Dein Medikament schon einmal in der Apotheke nicht lieferbar? Wenn ja, wie lange nicht und wie hast Du die Situation lösen können?
David: Bediol ist seit langem nicht lieferbar. Ich nehme dann das Bedrocan.
Leafly.de: Was ist Dein Job? Bist Du frühpensioniert?
David: Leider habe ich keine Ausbildung. Ich schlage mich mit Nebenjobs durchs Leben.
Leafly.de: Geht es Dir gut? Bist Du glücklich?
David: Ja, inzwischen kann ich das wieder von mir behaupten. Der Tag, an dem ich den Termin bei Frau Dr. Milz hatte, veränderte mein Leben. Mit der Verschreibung endete die Diskriminierung, die ich erfahren habe. Ich muss mich nicht mehr verstecken, ich habe meine Familie zurück und eine neue Freundin. Man respektiert mich und das Cannabis als meine mir helfende Medizin. Es gibt noch viele Probleme, wie zum Beispiel den noch immer eingezogenen Führerschein und natürlich die Kostenübernahme, aber das werde ich auch noch schaffen. Hoffnung und eine Perspektive sind wieder da.
Leafly.de: Das hört sich spitze an! Wir wünschen Dir und Deiner Familie viel Glück und weiterhin viel Freude.
Vielen Dank, lieber David. Wir wünschen Dir von Herzen alles Liebe und Gute für die Zukunft.
Ausführliche Informationen zum Thema ÁDHS/ADS finden Sie in diesem Artikel.