Update vom 29.03.19: Unbefristete Kostenübernahme
Vor knapp einem Jahr haben wir über Gregor berichtete, der an HMSN, einer erblich bedingten Muskelatrophie, leidet. Mit Cannabis als Medizin hat er die Schmerzen im Griff. So ist es dem alleinerziehenden Vater möglich, Vollzeit zu arbeiten und für seine 16-jährige Tochter da zu sein.
Als Gregors Cannabis-Behandlung genehmigt wurde, lag ihm zuerst nur eine Kostenübernahme der Krankenkasse für sechs Monate vor. “Ich war so verunsichert durch diese zeitliche Befristung, das war der Horror. Und das hat auch den Effekt eingeschränkt”, erzählt uns der Mann aus Bayern. So stellte er bereits nach zehn Wochen einen Folgeantrag bei seiner Versicherung, den er mit neuen Attesten und Gutachten untermauerte. Hilfe erhielt er dabei von einem Anwalt.
Im März 2018 erhielt er dann die so sehnlich erwartete Nachricht der Krankenkasse: Darin stellte die Kasse fest, dass der Therapieversuch mit Cannabisblüten erfolgreich war und daher der behandelnde Arzt weiterhin Blüten zu Lasten der Krankenkasse verordnen darf. Was für eine Erleichterung für Gregor!
“Seit diesem Tage habe ich ein einigermaßen schmerzfreies Leben. Ich arbeite Vollzeit, habe einen Arbeitsweg von zweieinhalb Stunden und fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Meine Tochter steht kurz vor dem Abi. Mir geht es gut – dank Cannabis als Medizin.”
Ursprüngliche Patientenakte vom 03.04.18:
Gregors erste Schritte waren sehr spät, er hatte ein schlecht ausgeprägtes Gleichgewichtsgefühl und konnte keinen Sport treiben. Daran erkannte seine Mutter, dass er an einem in ihrer Familie häufig auftretenden Gendefekt leidet. Jahrzehnte vorher wurde bei seiner Oma eine Friedreich’sche Ataxie diagnostiziert. Entsprechend wurde Gregor auch behandelt. Die Schule und eine Ausbildung zum Bürokaufmann schloss er dennoch erfolgreich ab.
Eine falsche Familiendiagnose
Gregors Zustand verschlechterte sich in den Jahren. Seine Füße neigten sich immer mehr nach innen. Bei einem Krankenhausaufenthalt fiel einem Arzt allein durch die Art des Gehens auf, dass er ein HMSN-Patient sei. Ein anschließender Molekulargentest zeigte dann auf, dass er bisher falsch diagnostiziert wurde. Da die Krankheiten ähnlich behandelt wurden, war der Schaden jedoch nicht groß.
Gregor kämpft weiter
Ab dem Jahr 2000 knickten Gregor Füße dann vollends weg. Er lief auf seinen Knöcheln. Ohne seine orthopädischen Schuhe konnte er nicht mehr gehen. Nur mit Schmerzmitteln war sein Leben zu ertragen. Doch Gregor kämpfte weiter. Lange suchte er eine Arbeitsstelle, bis er im Uniklinikum fündig wurde. Parallel zur Arbeit ging er von Arzt zu Arzt, um nach neuen Möglichkeiten für seine Behandlung zu suchen.
Gregor wird Vater
Inzwischen war Gregor in einer festen Beziehung. Nach der Heirat kündigte sich ein Kind an. Leider erkrankte seine Frau bei der Geburt an einer Psychose. Sie wurde direkt in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Gregor durfte seine Tochter erst mit nach Hause nehmen, nachdem er Klinikärzten und Schwestern bewiesen hatte, dass er in der Lage war, sich um seine Tochter kümmern zu können. Bald kam ein Brief von seiner Frau in dem sie erklärte, dass mit ihrer baldigen Rückkehr nicht zu rechnen ist. Entsprechend richteten Gregor und seine Tochter Jasmin sich ein und Gregors Mutter bot ihre Hilfe an.
Schmerzen und Nebenwirkungen
Das Leben als alleinerziehender Vater mit HMSN und Vollzeitbeschäftigung war nicht leicht. Permanent war Gregor auf der Suche nach Linderung. Kein Präparat, darunter Opiate und Morphine, konnte ihm diese verschaffen. Schlimmer noch: Auf jedes Medikament reagierte er mit heftigen Nebenwirkungen: Wasser in den Füßen, Benommenheit, Abgeschlagenheit und vieles mehr. Nichts war mit seinem Leben vereinbar, denn für seine Tochter und seine Arbeit musste er wach und fit sein. Sechs Jahre später kam seine Frau wieder. Doch die Psychose zeigte sich einige Jahre später wieder und sie ging für immer.
Gregor entdeckt Cannabis als Medizin
Ende 2016 besuchte Gregor seinen Cousin. Mit in der Runde saß eine Bekannte, deren Polyneuropathie mit Cannabisblüten behandelt wurde. Sie gab ihm eine kleine Dosis, die er gleich am Abend verdampfte. Innerhalb kürzester Zeit waren seine neuropathischen Beschwerden wie weggeblasen und dass ganz ohne Nebenwirkungen. Endlich hatte Gregor ein Medikament gefunden, welches sein Leben erträglich machen konnte.
Die Suche nach einem Arzt
Ermutigt durch die Freigabe von Cannabis für die medizinische Anwendung, begab sich Gregor auf die Suche nach einem Arzt mit entsprechenden Kompetenzen. Es wurde zu einer Odyssee: Sein Arzt überwies ihn zu einem Spezialisten, der ihm auch nicht weiterhelfen konnte. Monatelang suchte er weitere Ärzte auf. Die Antworten waren jedoch niederschmetternd. Ein Arzt wollte es erst dann mit Cannabis versuchen, wenn er alle anderen Mittel, darunter weitere Opiate und Morphine, ausprobiert hätte. Da Gregor mit den Nebenwirkungen nicht leben konnte, lehnte er ab. Verzweifelt erkundigte er sich bei einigen Apothekern nach Ärzten, die Cannabis verschrieben. Er wurde fündig.
Der Kampf um die Kostenübernahme
Mit einer klar formulierten Begründung beantragten Gregor und sein neuer Arzt die Übernahme der Kosten bei der Krankenkasse. Nach langem Warten kam die Ablehnung mit dem Hinweis darauf, dass der medizinische Dienst der Krankenkassen die Richtlinie aufgestellt hatte, die Kosten lediglich bei austherapierten oder palliativ eingestuften Patienten zu übernehmen. Dem Einspruch zur Ablehnung legte Gregor die inzwischen gesammelten vier Gutachten und sieben Atteste bei. Doch die Krankenkasse forderte immer mehr Nachweise. Nachdem Gregor glaubhaft versichern konnte, dass er mit Opiaten sein tägliches Arbeitspensum von acht Stunden pro Tag nicht leisten konnte, lenkten sie Ende Dezember 2017 ein. Allerdings wurde die Übernahme der Kosten auf sechs Monate begrenzt. Gregor hat den Verlängerungsantrag mit neuen Attesten schon eingereicht, denn die Behandlung schlägt sehr gut an.
Anmerkung der Redakteurin: Wie stark muss man sein, um das alles zu meistern: HMSN, alleinerziehender Vater, die Suche nach Ärzten und der Kampf um die Kostenübernahme. Alles schwer. Alles auf einmal. Immer allein. Ich ziehe meinen Hut vor Gregor.
Die Behandlung mit Cannabis ermöglicht Gregor, ein gutes Leben zu führen. Als Vater, als Mitarbeiter, als Mitglied unserer Gesellschaft. Die Haltung der Krankenkasse verstehe ich weder menschlich noch wirtschaftlich, denn mit den herkömmlichen Mitteln wäre Gregor nicht mehr in der Lage zu arbeiten.
Patienteninfos
Name: Gregor
Alter: 48
Wohnort/Bundesland: Bayern
Krankenkasse: AOK
Diagnose: HMSN, Typ 1
Medikation: Bedrocan, 6 x 0,25g pro Tag, verdampfen
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Allgemeinmediziner
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly.de: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Gregor: Seit dem 28.12.2017.
Leafly.de: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Gregor: Ich habe meinen Cousin in Berlin besucht. Eine Bekannte von ihm kam vorbei und erzählte mir, dass sie ihre polyneuropathischen Schmerzen durch eine Behandlung mit Cannabis in den Griff bekommen hatte. Damals noch mit Sondergenehmigung. Sie gab mir eine Dosis zum Ausprobieren mit.
Leafly.de: Wie war das erste Mal?
Gregor: Großartig. Plötzlich waren meine neuropathischen Schmerzen wie weggeblasen. Mein ganzer Körper entspannte sich endlich mal.
Leafly.de: In welchen Momenten wendest Du es an?
Gregor: Als Dauermedikation.
Leafly.de: Welches Präparat in welcher Dosierung nimmst Du?
Gregor: Ich bekomme Bedrocan-Blüten. Davon verdampfe ich sechsmal am Tag 0,25 Gramm.
Leafly.de: Gibt es Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Gregor: Sehr große. Meine Krankenkasse hat zuerst abgelehnt. Nach meinem Widerspruch haben sie immer mehr Nachweise eingefordert. Ich habe alle erbracht. Bisher habe ich erst eine vorübergehende Übernahme für sechs Monate erreichen können. Ich gebe nicht auf.
Leafly.de: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Gregor: Nein, absolut nicht.
Vielen Dank, lieber Gregor. Wir wünschen Dir und Deiner Tochter Jasmin alles Gute und drücken die Daumen,
dass dem Verlängerungsantrag bald stattgegeben wird.
Weiterführende Links auf Leafly.de:
https://www.leafly.de/leafly-de-patientenakte/
https://www.leafly.de/patientenakte-birgit-fibromyalgie/
https://www.leafly.de/florian-schmerzpatient-bandscheibenvorfall-patientenakte/
https://www.leafly.de/cannabis-medizin-schmerzen-therapie/
https://www.presseportal.de/pm/126559/3885695