Chronische Rückenschmerzen
Die Leidensgeschichte von Günter nimmt seinen Anfang im Sommer 2016. Durch einen Sportunfall erfährt er eine Knorpelabsplitterung im rechten Kniegelenk. Die Folge sind Schmerzen in beiden Beinen bis hinunter zu den Füßen. Im November des gleichen Jahres kommen Schmerzen im Rücken hinzu – zuerst auf der linken Seite, dann auf der rechten.
“Vermutlich durch die Fehlhaltung erlitt ich einen Bandscheibenvorfall und eine Ischialgie mit einem tief sitzenden, sehr starken Schmerz in der linken Po-Backe, welcher bis in die Fußspitze des linken Beins ausstrahlte. Eine linke Fußschwäche von circa 10 bis 15 Prozent ist mir verblieben. Darauf folgten ein Bandscheibenvorfall links und ein Bandscheibenvorfall rechts”, erzählt uns Günter.
Für den heute 71-Jährigen beginnt eine Odyssee von einem Arzt zum nächsten. Er erhält eine Überweisung zum Neurochirurgen. Dort wird sowohl ein MRT wie ein CT gemacht. Vier Ärzte begutachten die Bilder des MRT – und haben dazu vier Meinungen. Die Bandscheibenvorfälle können die Fachärzte nicht eindeutig diagnostizieren. Eine Operation ist nicht nötig. Am Ende wird bei Günter ein “nervlich bedingter Rückenschmerz” festgestellt – “das bedeutet, dass ein Muskel auf eine Nervenbahn im Lendenwirbelsäulen-Bereich drückt”, so Günter.
Keine Therapie bringt den ersehnten Erfolg
Nachdem keine Behandlung anschlägt, erhält Günter im Krankenhaus Köln-Weyertal eine stationäre Schmerztherapie. Dort bekommt der Mann aus NRW unterschiedliche Anwendungen: Spritzen, Psychotherapie, Physiotherapie und anderes – eine sogenannte multimodale Schmerztherapie.
Leider zeigte auch diese Behandlung nicht den gewünschten Erfolg, wie uns Günter erzählt:
“Die stationäre Schmerztherapie wurde ohne Erfolg im Dezember 2016 beendet. Das angedachte Abschlussgespräch hat nie stattgefunden. Im Krankenhaus wurde ich mit Oxycodon angedockt. Zu Weihnachten war ich schon bei 120 mg pro Tag, die maximale Tagesdosis.”
Oxycodon ist ein stark wirkendes Opioid mit hohem Suchtpotenzial, das als Schmerzmittel bei starken bis sehr starken Schmerzen eingesetzt wird. Die steigende Oxycodon-Dosis verschafft Günter einzelne schmerzfreie Tage – meistens begleiten ihn aber dennoch starke Schmerzen.
Günter leidet unter den starken Nebenwirkungen
Darüber hinaus machen dem Schmerzpatienten extreme Nebenwirkungen zu schaffen: Er leidet unter Atemnot sowie starken Verdauungsproblemen, die die Gefahr eines Darmverschlusses mit sich bringen. Beides führt bei Günter zu Todesängsten. Darüber hinaus hat er Ganzkörperschmerzen, die einem starken Muskelkater gleichen. Hinzu kommen Gelenk- und Gliederschmerzen, temporäre Herzbeschwerden sowie viele andere Nebenwirkungen. Gegen diese Nebenwirkungen muss Günter weitere Medikamente einnehmen.
“Ich wurde, ohne dass ich es wusste oder wollte, süchtig. Richtig positiv „angeschlagen“ hat das Medikament bei mir aber erst bei 280 bis 320 mg pro Tag. Ich fühlte mich in einer ausweglosen Situation gefangen. Teilweise hatte ich Todesängste und habe auch wegen der extrem starken Nebenwirkungen manchmal daran gedacht, meinem Leben ein Ende zu bereiten.”
Entzug vom Oxycodon
Als die Angstgefühle extrem wurden, reduziert Günter nach Rücksprache mit seinem behandelnden Orthopäden das Oxycodon. Von seinen alten Ärzten fühlt er sich nicht unterstützt. Auf der Suche nach einem neuen Orthopäden mit Kenntnissen in der Schmerztherapie hat Günter wenig Erfolg. Wenn er seine Tagesdosis von rund 320 mg Oxycodon pro Tag anspricht, bekommt er zur Antwort: “Das sollen die Ärzte wieder in Ordnung bringen, die dafür verantwortlich sind”.
Durch die Vermittlung der DAK Hamburg findet Günter schließlich einen neuen Orthopäden, zu dem er Vertrauen fasst. Inzwischen ist der Schmerzpatient bei rund 250 mg Oxycodon pro Tag angekommen und sein neuer Orthopäde begleitet den Entzug. Parallel erhält Günter
Physiotherapie und eine Spritzentherapie. Als er eine Tagesdosis von 60 mg erreicht hat, kommt der Entzug ins Stocken und die Schmerzen treten wieder verstärkt auf. Im Dezember 2018 ist Günter wieder bei einer Tagesdosis von rund 190 bis 200 mg angekommen.
Die Fachärzte der DAK Hamburg empfehlen Günter, einen Arzt zu suchen, der sich mit einer Cannabinoid-Therapie auskennt. Durch Empfehlung der Krankenkasse findet Günter einen Anästhesisten, der ihn betreut, ihm Mut macht und einen zweiten Entzugsversuch startet. Dieser ist allerdings anders, denn parallel zum Oxycodon erhält der Schmerzpatient Cannabinoide auf Privatrezept.
“Dank meines neuen Arztes und Cannabis habe ich diesen Entzug Gott sei Dank ohne starke Schmerzen und ohne AU-Bescheinigung hinter mich gebracht”, erklärt uns Günter. “Ohne meinen Schmerztherapeuten wäre ich heute noch ein durch Krankheit gekennzeichneter Mensch – bis hin zum körperlichen Wrack. Dank Cannabis als Medizin, und das möchte ich ausdrücklich betonen, ist das Gegenteil der Fall. Seit Beginn meines zweiten Entzugs im Dezember 2018 wurde mir eine normale Teilnahme am sozialen Leben wieder möglich gemacht. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich diesem Arzt einen großen, bunten Blumenstrauß zum Termin mitgebracht. Ich konnte richtig erkennen, dass sich dieser Arzt auch über den schnellen Erfolg freute.”
Krankenkasse lehnt die Cannabinoid-Therapie ab
Restschmerzen hat Günter immer noch – aber damit kann er leben. Oxycodon nimmt er inzwischen nur noch in einer geringen Menge ein, zurzeit ist er bei 50 bis 55 mg pro Tag angelangt. Akute Schmerzschübe behandelt der Patient mit Cannabinoiden oder mit Oxycodon Akut.
Auch wenn Günter Cannabis als Medizin als seine Rettung ansieht – seine Krankenkasse will die Kosten für die Therapie dennoch nicht übernehmen. “Es gleicht schon einer Schizophrenie, wenn mir drei verschiedene Fachärzte der DAK Hamburg (ein Neurologe und zwei Orthopäden), unabhängig voneinander den Therapieversuch mit Cannabis empfehlen, und mir die gleiche Krankenkasse das Cannabis aber verweigert”, so Günter.
Die Versicherung beziehungsweise der MDK empfiehlt in seinem Gutachten die weitere Behandlung mit Opioiden. Günters Widerspruch wurde bereits abgelehnt. Aber der Mann aus NRW gibt nicht so einfach auf. Nicht nach all dem, was er durchgemacht hat! Im September 2019 hat er Klage beim Sozialgericht eingereicht.
“Eine normale Teilnahme am sozialen Leben wurde mir durch die Abhängigkeit von der Horrordroge Oxycodon unmöglich gemacht. Genau das wird mir von der Gutachterin des MDK aber als “Leitmedizin” aufgezwungen und durch Widerspruchsentscheider, mit gleichem Tenor, gutgeheißen.”
Patienteninfos
Name: Günter
Alter: 71 Jahre
Wohnort: Nordrhein-Westfalen
Krankenkasse: DAK
Diagnose/n: nervlich bedingter Rückenschmerz
Medikation: Cannabisblüten
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Anästhesist
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Günter: Seit Ende Oktober, Anfang November 2018. Leider mit wöchentlichen Unterbrechungen, wenn mein Cannabismedikament (Bedrocan) nicht verfügbar war.
Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Günter: Drei Ärzte des medizinischen Dienstes der DAK Hamburg – welche mich bis heute auch noch „betreuen“, wenn ich ein Schmerz-Oxycodon-Problem habe – haben mir unabhängig voneinander empfohlen, es doch einmal mit Cannabis oder Cannabis-Tee zu versuchen. Mein behandelnder Orthopäde wollte davon nichts wissen und sagte, “die haben keine Ahnung, davon werden Sie süchtig”.
Als ich circa Oktober 2018 wieder bei rund 160 mg Oxycodon angekommen war und schon einen Entzug hinter mir hatte, habe ich mit dem zweiten Entzug begonnen. Allerdings in Begleitung von „Cannabis-Bedrocan“. Nachdem ich circa fünf bis acht Wochen keine nennenswerte Verbesserung verspürte, kam auf einmal der Durchbruch bei meinem permanenten Rückenschmerz. Ich war schon kurz davor, dass Cannabis wieder einzustellen, weil es auch relativ teuer ist und ich keine nennenswerte Besserung fühlte. Aber dann, noch im Dezember 2018, verspürte ich an drei bis vier Tagen überhaupt keinen – oder keinen nennenswerten – Rückenschmerz mehr! Was sich dann aber wieder änderte und ich weiter meine Oxycodon-Dosis einnahm. Es ging also ganz langsam, dafür war ich auch nicht mehr einen einzigen Tag „krank“ geschrieben.
Leafly: Wie war das erste Mal?
Günter: Da ich Nichtraucher bin, war das Verdampfen schon eine etwas unangenehme Sache, aber ich habe mich daran gewöhnt. Euphorische Erlebnisse hatte ich zu keiner Zeit! Seitdem habe ich einen sehr trockenen Mund und habe auch rund 12 Kilo Gewicht zugenommen.
Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?
Günter: Immer irgendwann, wenn ich kein Auto fahren muss oder sonst wie in die Öffentlichkeit gehe. Oftmals auch mitten in der Nacht.
Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Günter: Hatte? Ja, bis heute habe ich alles selbst bezahlen müssen, über ein Privatrezept. Und wenn ich die Kosten vergleiche, so ist der Unterschied von Oxycodon, Oxycodon-Akut zu Cannabis noch nicht einmal so groß.
Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Günter: Nein, absolut nicht! Ich habe auch noch die berechtigte Hoffnung, einmal ganz von dem Oxycodon wegzukommen.
Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?
Günter: Mein Medikament Oxycodon war immer verfügbar. Leider nicht das Cannabis. Zweimal war ich gezwungen, mir das Cannabis aus Holland zu besorgen.
Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?
Günter: Wenn diese verdammten Schmerzen nicht wären, wäre ich immer gut „drauf“ – aber so mit dem Oxycodon und dem Cannabis geht es einigermaßen gut. Ich habe jedenfalls täglich immer einige Stunden, an denen ich keinen Schmerz mehr verspüre.
Lieber Günter, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg für Dein Gerichtsverfahren.
Weitere interessante Artikel zum Thema auf Leafly.de:
https://www.leafly.de/patientenakte-guenter-weiglein/
https://www.leafly.de/leafly-de-patientenakte-markus-bandscheibenschaden-arthritis-brandenburg/
Weitere Informationen zu chronischen Wirbelsäulensyndromen erhalten Sie hier.