Karl-Heinz arbeitet als gelernter Landschaftsgärtner Vollzeit auf Baustellen. Die schwere körperliche Arbeit bringt den 37-Jährigen inzwischen an seine körperlichen Grenzen, denn Karl-Heinz leidet seit seiner Jugend an einer verkrümmten Wirbelsäule im Brustwirbelbereich. Inzwischen kann er seinen Rücken nicht mehr aufrichten: Er hat einen Buckel. Ärzte sprechen bei dieser Fehlbildung von Hyperkyphose. Diese Verkrümmung der Wirbelsäule entstand bei Karl-Heinz durch die Scheuermann Erkrankung, auch Morbus Scheuermann genannt.
Starke Schmerzen im Rücken und den Knien
Aufgrund der verkrümmten Wirbelsäule leidet Karl-Heinz unter chronischen Rückenschmerzen. Er hatte bereits mehrfach einen Bandscheibenvorfall und seine Bandscheiben im Lendenwirbelbereich sind stark degeneriert. Außerdem hat er ausgeprägte Knochenmarksödeme.
Aber nicht nur im Rücken plagen den Mann aus der Oberpfalz starke chronische Schmerzen, sondern auch in den Knien, die beide einen Knorpelschaden vorweisen. Vor 20 Jahren wurde Karl-Heinz operativ Knorpel aus dem Knie entfernt. Darüber hinaus hat er Probleme mit seiner Schulter: Die Rotatorenmanschette und das Labrum in der linken Schulter sind kaputt. Sein rechtes Handgelenk wurde bereits erfolglos operiert und das linke schmerzt, ohne dass dafür eine Ursache gefunden werden kann.
Krankenkasse lehnt Therapie mit Cannabinoiden ab
Karl-Heinz hat eine behandelnde Ärztin, die die Therapie mit Cannabisblüten in seinem Fall unterstützt. Im Oktober 2018 erhält er ein Privatrezept für Cannabisblüten und stellt gleichzeitig den Antrag auf Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse. Zusätzlich macht er dauerhaft Physiotherapie und diese Kombination hilft ihm, die Schmerzen zu lindern und seine Lebensqualität zu verbessern.
Dennoch lehnt die Krankenkasse die Cannabis-Behandlung von Karl-Heinz Ende 2018 ab. Der junge Mann legt direkt Widerspruch ein. Danach hört er lange nichts mehr von seiner Krankenkasse. Er hakt mehrmals telefonisch nach, was aber zu keinem Ergebnis führt.
Als Karl-Heinz eine Untätigkeitsklage androht, kommt es zu einem Mediationsverfahren durch seine Rechtsschutzversicherung. Leider lässt sich die verfahrene Situation auch so nicht lösen – das Mediationsverfahren scheitert.
Sozialgericht lehnt Untätigkeitsklage ab
Die Rechtsschutzversicherung rät Karl-Heinz, eine Untätigkeitsklage gegen seine Krankenkasse einzureichen. Im Juni weist das Sozialgericht Regensburg die Klage und ein Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung ab.
“Das Gericht folgt in seiner Begründung ausschließlich den Ausführungen des MDK, ohne die Situation selbst abzuwägen. Es sei nicht klar, ob ich schwer chronisch krank bin, obwohl mir das eine hoch angesehene Wirbelsäulenspezialistin so attestiert hat. Und die Bilder des MRT zeigen klar, dass meine Lebensqualität durch die Schmerzen stark eingeschränkt ist. Des Weiteren sei ich nicht austherapiert, was mit meinen Diagnosen überhaupt nicht möglich ist. Da gäbe es noch Therapieoption bis zum Ende meines Lebens”, empört sich Karl-Heinz. “Ich bin verzweifelt und echt wütend im Moment. Leider fehlt mir gerade die Kraft, sofort etwas zu unternehmen.”
Inzwischen steht für Karl-Heinz aber fest: Er wird weiter klagen. Besonders ärgert ihn, dass das Gericht sich nur an dem Gutachten des MDK (Medizinische Dienst der Krankenversicherung) orientiert hat. Seine Ärzte wurden nicht angehört oder nach einer Stellungnahme gefragt.
Zurzeit muss der Landschaftsgärtner sein Medizinalcannabis aus eigenen Tasche zahlen. Die Kosten für sein Medikament verschlingen mehr als die Hälfte seines monatlichen Nettogehalts. Das ist eine enorme finanzielle Belastung, die sich der Mann aus Bayern nicht dauerhaft leisten kann. Und so gibt es Zeiten, in denen er auf sein Cannabis-Medikament verzichten muss.
Verliert Karl-Heinz seinen Führerschein?
Die Schwierigkeiten mit der Krankenkasse und die Niederlage vor dem Sozialgericht sind allerdings nicht die einzigen Probleme, die Karl-Heinz belasten. Der Mann aus Bayern bangt auch um seinen Führerschein.
Nachdem er die Therapie mit Cannabinoiden im Herbst 2018 startete, bewegte er für die ersten zwei Wochen kein Fahrzeug. Gerade zu Beginn einer Therapie, wenn Arzt und Patient die richtige Dosierung finden müssen, kann es zu einer eingeschränkten Fahrtüchtigkeit kommen. Daher sollten Cannabispatienten in dieser Phase vorsichtig sein und auf das Autofahren verzichten.
Am 26.10.2018 kommt Karl-Heinz in eine Fahrzeugkontrolle. Der Drogenschnelltest reagiert positiv auf THC. Der Polizist fotografiert das Cannabis-Rezept und den Schnelltest und lässt Karl-Heinz mit den Worten „alles ok, keine Ausfallerscheinungen“ weiterfahren.
Im Januar meldet sich dann die Führerscheinstelle bei dem Cannabispatienten. Um eine MPU (Medizinisch-Psychologische Untersuchung) abzuwenden, schreibt Karl-Heinz eine Stellungnahme und lässt sich von einem Anwalt beraten. Außerdem reicht er alle geforderten Dokumente – wie Atteste, Diagnosen und so weiter – fristgerecht ein.
Dennoch erhält er im Mai 2019 eine Aufforderung, eine MPU abzulegen. Bereits zu diesem Zeitpunkt haben wir von Leafly.de Kontakt zu Karl-Heinz. Die Situation wühlt ihn emotional auf:
“Ich bin entsetzt und körperlich und psychisch ziemlich am Ende. Ich werde keine MPU machen, wie jeder x-beliebige Kiffer, der kontrolliert wird. In der Akte der Führerscheinstelle ist sogar vermerkt, dass der Polizist keine Ausfallerscheinungen feststellen konnte. Ich kam gerade von der Arbeit. Ich soll unterschreiben, dass triftige Tatsachen vorliegen, die erwarten lassen, dass ich nicht fahrtüchtig bin. Das werde ich nicht tun! Ich habe jetzt ein persönliches Schreiben an den Landrat verfasst.”
Karl-Heinz kämpft für seine Rechte und seinen Führerschein
Der Mann aus Bayern setzt sich persönlich ein, nimmt Kontakt zum Landrat und zum Leiter der Führerscheinstelle auf. Inzwischen liegt die Angelegenheit beim Innenministerium in Bayern zur Entscheidung. “Bis dahin ruhen alle Fristen”, so Karl-Heinz.
Patienteninfos
Name: Karl-Heinz
Alter: 37
Wohnort: Bayern
Krankenkasse: DAK Gesundheit
Diagnose/n: Hyperkyphose, Bandscheibenvorfall
Medikation: Red No. 4 und Penelope
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Allgemeinärztin
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Karl-Heinz: Seit Oktober 2018.
Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Karl-Heinz: Durch andere Patienten mit verschiedenen Krankheitsbildern.
Leafly: Wie war das erste Mal?
Karl-Heinz: Stärker als erwartet. Ich hatte damals das Red No. 4 und dachte erst, das ist falsch für mich.
Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?
Karl-Heinz: Morgens nach dem Aufstehen und nach der Arbeit – da sind die Schmerzen am größten.
Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Karl-Heinz: Habe ich leider noch immer.
Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Karl-Heinz: Nein, ich bin eine gefestigte Persönlichkeit. Körperliche Abhängigkeit ist sowieso kein Problem. Und schlimmer als bei den anderen Medikamenten, die ich eingenommen habe, ist die Abhängigkeitsgefahr sicherlich nicht.
Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?
Karl-Heinz: Es ist leider meistens nicht lieferbar und es wirken einfach nicht alle Cannabissorten gleich gut für meine Probleme. Ich wende Medizinalcannabis hauptsächlich zur Muskelentspannung für meinen Rücken an. Und da wirken Sativa-Sorten nicht so gut. Außerdem spielen die Terpene eine enorm wichtige Rolle. Ich bin auf ähnliche Indica-lastige Sorten umgestiegen, sofern verfügbar.
Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?
Karl-Heinz: Es ist leider so, dass die Gesetzesänderung in der Realität noch einige Stolpersteine zu überwinden hat: Da ist die unterschiedliche Behandlung in Führerscheinsachen von Bundesland zu Bundesland, teilweise von Landkreis zu Landkreis. Dann die unverschämten Preise in der Apotheke, unter denen die Patienten mit Privatrezept leiden. Die Behandlung durch Krankenkassen und MDK ist teilweise menschenunwürdig.
Aber mein Medikament – sofern ich gerade Geld habe und eine passende Sorte verfügbar ist – hilft mir sehr gut. In Verbindung mit dauerhafter Physio und eigener Achtsamkeit im Alltag sorgt es definitiv für eine Verbesserung meiner Lebensqualität.
Lieber Karl-Heinz, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Dir alles erdenklich Gute und viel Erfolg vor Gericht. Wir werden gerne darüber berichten, wie es mit Deinem Führerschein weitergeht.
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