Patrick ist 29 Jahre alt und Vater einer Tochter. Seit seiner Kindheit leidet der junge Mann stark unter ADHS. Patrick wurde mit den gängigen Medikamenten gegen seine Erkrankung behandelt: Methylphenidat (Ritalin), Medikinet adult und andere. Diese zeigten aber keinen Therapieerfolg – das bestätigt auch sein Arzt. Seit einem Zusammenbruch ist der ausgebildete Rettungsassistent arbeitsunfähig. Die Spezialambulanz des Carl-Gustav-Carus Uniklinikums Dresden unterstützt eine Cannabinoid-Behandlung bei Patrick, da er austherapiert ist. Seine Krankenkasse ist allerdings anderer Meinung – und hat die Kostenübernahme abgelehnt.
ADHS-Therapie ohne Erfolg
Im März 2017 bricht Patrick zum zweiten Mal zusammen. Grund ist die enorme Belastung durch seine ADHS-Erkrankung. Der Mann aus Sachsen ist zunächst in Behandlung bei einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie verschreibt ihm die unterschiedlichsten ADHS-Medikamente – diese zeigen aber nicht “die gewünschte Wirkung”, wie die Medizinerin schriftlich bestätigt.
Für die behandelnde Ärztin steht fest: Alle ambulanten Behandlungsoptionen sind ausgeschöpft. Patrick begibt sich daraufhin in die psychiatrische Institutsambulanz des Carl-Gustav-Carus Uniklinikums in Dresden. Dort wird er auf ADHS und eine mittelgradige depressive Symptomatik behandelt.
Patrick erhält eine Cannabinoid-Therapie
Da die bisherigen Medikamente keine ausreichende Wirkung zeigten oder die Nebenwirkungen zu unangenehm waren, wird Patrick in der Klinik-Ambulanz ein Cannabis-Medikament verordnet. Wie der behandelnde Arzt in einer schriftlichen Stellungnahme bestätigt, zeigte sich nach den ersten Wochen der Cannabinoid-Therapie eine deutliche Verbesserung der ADHS-Symptome wie Konzentrationsstörungen, Gereiztheit und Impulsivität. Jetzt war es Patrick wieder möglich, Alltagsdinge zu regeln. Darüber hinaus hob sich seine stark gedrückte Stimmung – inklusive der grüblerischen und düsteren Gedanken. “Nebenwirkungen zeigten sich nicht, auch zeigt sich kein süchtiges Verhalten”, so der Arzt in seinem Bericht.
ADHS: Symptome
ADHS ist die Abkürzung für das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom. ADHS-Patient*innen haben nur wenig Ausdauer bei kognitiven Beschäftigungen. Sie wirken sprunghaft, unkonzentriert und desorganisiert. Neben der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität gehört eine ausgeprägte Impulsivität zu den typischen Symptomen.
Um die Diagnose ADHS zu stellen, müssen die Symptome erstmalig vor dem 7. Lebensjahr auftreten und über mindestens sechs Monate anhalten. Darüber hinaus müssen sie in mehreren Situationen beobachtet werden – beispielsweise zu Hause und in der Schule.
Die Erkrankung wird meist mit dem Amphetamin-Abkömmling Methylphenidat (Ritalin) behandelt. Dieses BtM-rezeptpflichtige Medikament reduziert das Aufmerksamkeitsdefizit und das Konfliktpotenzial der jungen Patient*innen.
ADHS bei Erwachsenen
Bei dem meisten Betroffenen reduzieren sich die typischen ADHS-Symptome mit dem Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Vor allem die Hyperaktivität nimmt ab, dadurch fällt die Erkrankung weniger auf. Aus diesem Grund glaubten Mediziner lange Zeit, dass ADHS bei Erwachsenen nicht existiere. Heute weiß die Ärzteschaft jedoch, dass in einem Drittel aller Fälle die Störung bis ins Erwachsenenalter fortbesteht.
Die Diagnose des adulten ADHS orientiert sich an folgenden Symptomen:
- Aufmerksamkeitsstörung (Unaufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit)
- Motorische Hyperaktivität der Kindheit wird durch innere Unruhe und sprunghaftes Verhalten abgelöst
- Gehäuft deprimierte Stimmung, Unzufriedenheit, Langeweile
- Desorganisiertes Verhalten (Aufgaben werden begonnen aber nicht abgeschlossen)
- Impulsives Verhalten, geringe Frustrationsschwelle
Krankenkasse lehnt Cannabinoid-Behandlung ab
Da die Behandlung mit Medizinalcannabis bei Patrick gut anschlägt und es ihm körperlich wie seelisch besser geht, spricht sich der behandelnde Arzt in der psychiatrischen Ambulanz für eine Cannabinoid-Therapie aus. In einer Stellungnahme zu Patricks Fall schreibt er:
“Wir erachten die Medikation mittels Cannabinoiden aktuell als beste Variante zur Behandlung des Patienten und befürworten eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse nachdrücklich.”
Leider folgt Patricks Krankenkasse der Empfehlung des Universitätsklinikums nicht – und lehnt den Antrag auf Kostenerstattung ab. Die Begründung von MDK und Kasse: Der Einsatz von Cannabinoiden für die Behandlung von ADHS und anderen psychischen Erkrankungen sei nicht empfohlen.
Patrick zieht vor Gericht
Seit nunmehr zwei Jahren bemüht sich Patrick um eine außergerichtliche Einigung mit seiner Krankenkasse. Bisher zahlt er seine Cannabis-Medikamente aus eigener Tasche, was er sich aber eigentlich gar nicht leisten kann. Seit seinem zweiten Zusammenbruch im Frühjahr 2017 ist der junge Mann aus Sachsen arbeitsunfähig geschrieben. Mittlerweile wurde ihm gekündigt und er ist privatinsolvent.
“Und ohne die Kostenübernahme und einer wirksamen Therapie bleibe ich laut meinen Ärzten arbeitsunfähig”, erzählt uns der ADHS-Patient.
Inzwischen hat Patrick rechtliche Schritte eingeleitet und gegen seine Krankenkasse geklagt. Das Eilverfahren wurde kürzlich abgelehnt. Aber der 29-Jährige gibt nicht auf und will weiter für die Kostenübernahme kämpfen:
“Die nicht geklärten rechtlichen Aspekte stellen ein großes Problem für die Cannabispatienten dar. Das Stigma der Droge ist allgegenwärtig und somit wird man als Patient systematisch ausgegrenzt.”
Patienteninfos
Name: Patrick
Alter: 29 Jahre
Wohnort: Sachsen
Krankenkasse: AOK Plus
Diagnose/n: ADHS, PTBS, Insel-Autismus, Schmerzpatient
Medikation: Cannabisblüten
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: AiW für Psychiatrie und Neurologie
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Patrick: Seit Februar 2018.
Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Patrick: Ich wurde nach einem totalen Zusammenbruch durch mein ADHS als austherapiert erklärt. Gängige Medikamente schlugen nicht an. Mir ging es richtig schlecht zu der Zeit und ich habe begonnen, nach Alternativen zu suchen. Ich bin über ein Forum auf Cannabis und ADHS gestoßen.
Leafly: Wie war das erste Mal?
Patrick: Völlig anders als ich es von Erzählungen kannte. Ich war sofort konzentrierter, ruhiger, konnte Gesprächen folgen, die Sprunghaftigkeit war nicht weg, aber auf ein Minimum reduziert. Das klassische „High“ war es nicht. Das Beste war allerdings der Schlaf danach. Ich konnte mal länger als vier Stunden am Stück schlafen. Das konnte ich bis dato noch nie in meinem damaligen Erwachsenenleben.
Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?
Patrick: Als Dauermedikation und als Intervention, um meine Schmerzspitzen zu dämpfen.
Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Patrick: Oh ja, von Anfang an wurden mir seitens der Krankenkasse Steine in den Weg gelegt.
Ich hatte das Gefühl, dass es meine Krankenkasse nicht interessiert. Die Ablehnungsgründe waren weit hergeholt. Selbst mein Arzt konnte und kann nur noch mit dem Kopf schütteln.
Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Patrick: Eher nicht.
Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?
Patrick: Mein Medikament ist natürlich des Öfteren nicht lieferbar. Ich wurde gezwungen, mich zu kriminalisieren, meiner Gesundheit wegen. Ich bin deswegen ja auch schon einmal straffällig geworden.
Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?
Patrick: Nein, ich bin wütend. Wütend darauf, dass eine ganze Patientengruppe unter fehlender Anerkennung und Aufklärung leiden muss.
Lieber Patrick, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg für Dein Gerichtsverfahren.
Ausführliche Informationen zum Thema ÁDHS/ADS finden Sie in diesem Artikel.