Ein Discobesuch in Aachen vor mehr als zehn Jahren endete für Sven dramatisch: Ein Mann greift ihn brutal mit einem Bierglas an. Als Folge verliert Sven das linke Augenlicht. Außerdem bricht der Angreifer ihm eine Rippe.
Bereits zwei Jahre zuvor erlitt Sven einen schweren Autounfall. Die Folge waren Schädel-Hirntrauma, Bruch des zweiten Halswirbels, Kieferbruch, Kreuzbandriss und eine Lungenembolie. Der junge Mann lag fünf Tage im künstlichen Koma.
Sven entwickelt eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Zwei so schwerwiegende Ereignisse gehen an einem Menschen nicht ohne Spuren vorbei. Ein schwerer Verkehrsunfall wie auch Gewalterfahrung sind beides Traumata – also bedrohliche Erlebnisse, die mit Gefühlen von Angst und Hilflosigkeit einhergehen. Solche Ereignisse können psychische Störungen hervorrufen.
Kurz nach dem Angriff in der Disco beginnen heftige Albträume Sven zu quälen. Die Erinnerungen an den fatalen Abend lassen ihn in der Nacht nicht zur Ruhe kommen. Er leidet unter Schlafstörungen, Ängsten und Wahnvorstellungen. Von einem Tag auf den anderen sieht Sven die Welt nur noch mit einem Auge. So entwickelt der Mann aus Nordrhein-Westfalen eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Er kämpft mit Depressionen und grübelt ständig: “Wieso ist gerade mir das passiert?”
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – was ist das?
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung. Sie entsteht als Reaktion auf ein stark belastendes Ereignis. Beispiele für ein solches Trauma sind neben einem Unfall oder einem Gewaltverbrechen auch eine Naturkatastrophe oder eine Kriegserfahrung. Die Betroffenen erleben hierbei Verzweiflung und Kontrollverlust.
Ein Symptom der PTBS ist, dass die Patienten das Erlebte ständig erinnern. Die Betroffenen haben tagsüber intensive Tagträume oder Flashbacks. Nachts leiden sie unter Angstträumen. Zur PTBS können aber auch Vermeidungs-Symptome gehören, wie Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit. Die Betroffenen vermeiden dann aktiv alles, was die Erinnerungen an die Extremsituation wieder wachruft.
Traumata sind nicht selten. Mehr als die Hälfte aller Menschen erleben mindestens einmal im Leben ein traumatisches Ereignis. Die Wahrscheinlichkeit, im Anschluss an einer PTBS zu erkranken, ist auch abhängig von der Art des Traumas. Nach Gewaltverbrechen und Kriegstraumata entwickeln bis zu einem Drittel der Betroffenen eine PTBS.
Stationäre Aufenthalte und Frühverrentung
Zwei Jahre nach der Bierglas-Attacke stirbt ein Mitglied aus Svens Familie, das ungefähr so alt war wie er. Svens Verfassung verschlechtert sich dadurch weiter. Es folgen mehrere stationäre Aufenthalte für ihn in verschiedenen psychiatrischen Kliniken.
Sven hatte nach der Schule eine Ausbildung zum Industriekaufmann abgeschlossen und arbeitete in einer Personalabteilung. Mit einem Abendstudium wollte sich der junge Mann weiter qualifizieren. Zum Zeitpunkt der Bierglas-Attacke war er gerade im 7. Semester. Danach war er nicht mehr in der Lage, das Studium zu Ende zu bringen. Im Jahr 2013 wird Sven frühverrentet.
Diagnose: Fibromyalgie
Drei Jahre später wird Sven erneut Opfer einer Gewalttat. Daraufhin beginnt er, bei kaltem Wetter starke Schmerzen zu empfinden. Zunächst nehmen ihn die Ärzte nicht wirklich ernst: Das Problem läge an der Ernährung.
Wenn Sven morgens aufsteht, fühlen sich seine Glieder und Gelenke steif an. Der junge Mann kommt kaum aus dem Bett. Trotz des warmen Bettes hat er das Gefühl, sein Körper sei ausgekühlt. Dazu kommen Krämpfe und Gelenkschmerzen. Ein Rheumatologe stellt Sven die Diagnose: Fibromyalgie.
Hier finden Sie weitere Informationen zu Fibromyalgie und Medizinalcannabis.
Sven begibt sich in eine Schmerzklinik. Dort soll er auf Schmerzmedikamente eingestellt werden – aber er verträgt die Arzneimittel nicht. Am Ende behandelt der Schmerzmediziner Sven mit Medizinalcannabis. Endlich hat er eine Medizin gefunden, die ihm hilft und die er verträgt.
“Seitdem ich Cannabis als Medizin einnehme, bin ich nicht mehr bettlägerig. Ich komme öfter vor die Tür und kann am Leben teilnehmen. Ich habe zwar immer noch massive Schmerzen, aber ich kann wesentlich besser damit leben. Mittlerweile schaffe ich wieder teilweise leichte Gerätetrainings.”
Zunächst erhält Sven Cannabisblüten auf Privatrezept. Die Krankenkasse lehnt den Antrag auf Kostenübernahme der Cannabinoid-Behandlung ab. Aber nach einem anstrengenden Kampf, der ein dreiviertel Jahr dauert, trägt die Krankenkasse die Kosten am Ende doch.
Patienteninfos
Name: Sven
Alter: 36
Wohnort: NRW
Krankenkasse: Techniker Krankenkasse
Diagnose/n: PTBS, Fibromyalgie Syndrom
Medikation: Cannabisblüten
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Schmerzmediziner
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Sven: Januar 2018. Mein Arzt und ich sind nach einer langen Schmerzmitteltestung bei Medizinalcannabis gelandet.
Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Sven: Eigene Erfahrungen. Ich habe es in einem Schmerzschub getestet und es hat mich von der Wirkung und den Nebenwirkungen überzeugt.
Leafly: Wie war das erste Mal?
Sven: Ungewohnt mit einem Vaporizer.
Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?
Sven: Leider muss ich sagen, dass ich es oft anwende, da ich ständig Schmerzen habe.
Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Sven: Ja extrem, aber ich habe am Ende doch gewonnen.
Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Sven: Nein, weil ich weiß, wie das zu bewältigen ist.
Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?
Sven: Ja, die Blüten, die ich beziehen soll, sind leider meistens schwer zu bekommen. Aber die Liefersituation verbessert sich.
Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?
Sven: Glücklich ist relativ – was die Erkrankungen halt zulassen. Aber ich probiere jeden Tag das Beste aus meiner Situation zu machen.
Gleichgesinnte oder Leute aus einem ähnlichen Boot kennenzulernen wäre noch echt toll.
Lieber Sven, vielen Dank, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Für die Zukunft wünschen wir Dir alles erdenklich Gute.
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