Vanessa ist keine Cannabispatientin im anerkannten Sinne. Obwohl ihr Arzt die Behandlung mit CBD unterstützt und die Frau aus Nordrhein-Westfalen einen Antrag auf Kostenerstattung bei ihrer Krankenkasse gestellt hat, bezahlt diese die Behandlung leider nicht. Vanessa könnte CBD-Blüten auf Privatrezept aus der Apotheke beziehen. Da sie sich das aber nicht leisten kann, kauft sie CBD zur Selbstmedikation privat. Auch wenn dies keine “klassische” Patientenakte ist, sehen wir Vanessas Geschichte als exemplarisch für sehr viele Patientinnen und Patienten und haben uns daher dazu entschieden, über sie zu berichten.
Kindheit in ärztlicher Behandlung
Seit ihrer Geburt leidet Vanessa unter einer Blasenfunktionsstörung, einer sogenannten Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD). Bei dieser Störung funktioniert die Koordination von Blasenmuskulatur und äußerem Harnröhrensphinkter nicht. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das: Statt dass sich der Körper beim Wasserlassen entspannt, kommt es zu spastischen Kontraktionen. Dadurch kann der Urin nicht richtig abfließen. Letztendlich führt diese Störung zum Harnverhalt.
Im Laufe ihres Lebens haben die Ärzte Vanessa schon viele Fehldiagnosen gestellt. Die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie ist eine seltene Erkrankung, die eher bei älteren Menschen auftritt. Bei einem Kind rechnen Mediziner nicht unbedingt mit dieser Diagnose.
“Ich habe fast meine ganz Kindheit bei Ärzten und in Krankenhäusern verbracht – Wochen, Monate”, erzählt uns Vanessa.
Als kleines Mädchen von sechs Jahren erhält sie im Krankenhaus ihren ersten Blasenkatheter. Ein Blasenkatheter ist ein Kunststoffschlauch, der den Urin ableitet. Dieser wird anschließend in einem Beutel aufgefangen. Der Katheter kann entweder über die Harnröhre oder durch die Bauchdecke direkt in die Harnblase gelegt werden. Bei Vanessa war Letzteres der Fall. Sie behält diesen Katheter für mehrere Wochen während ihres Klinikaufenthaltes.
Mit 11 Jahren bekommt sie einen Langzeitkatheter eingesetzt. Damit wurden ihre Symptome besser, aber die Behandlung war sehr schmerzhaft. Vanessa trägt den Bauchdeckenkatheter ein Jahr lang. Die seelische Belastung durch solch ein “Anhängsel” ist für ein junges Mädchen groß. Das normale Leben einer Jugendlichen ist durch einen Katheter enorm eingeschränkt.
Was ist die Ursache?
Die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie beruht auf einer neurologischen Störung. Diese kann durch eine Querschnittslähmung begründet sein, durch eine Multiple Sklerose (MS) oder auch durch einen Tumor. Auf Vanessa trifft keine dieser Ursachen zu. Und kein Arzt konnte bisher den Grund für ihre Erkrankung herausfinden.
Schon seit Jahren macht sich die 45-Jährige schlau, liest Artikel über ihre Art der Blasenfunktionsstörung und versucht, Leidensgenossen zu finden. Auf Erklärungen ist sie kaum gestoßen.
Vanessa – starke Medikamente und Nebenwirkungen
Die Blasenfunktionsstörung bringt durch die Spastik und den Harnverhalt große Schmerzen mit sich. Zunächst wurde die Frau aus Nordrhein-Westfalen mit Baclofen, einem Arzneistoff aus der Gruppe der Muskelrelaxantien behandelt. Dieses Medikament wird bei Spastik und Multipler Sklerose eingesetzt. Baclofen gilt allgemein als gut verträglich, kann aber zu Müdigkeit und Magen-Darm-Beschwerden führen. Zusätzlich erhält sie Tamsulosin, das die Muskeln entspannt und dadurch den Harnfluss erleichtern soll.
Vanessa reagierte auf die Medikamente mit starken Nebenwirkungen, wie bleierne Müdigkeit. Dazu kommen Schluckbeschwerden, Sehstörungen und eine verwaschene Stimme. Ihr Gang wird unsicher und sie lässt Dinge fallen.
“Ich arbeite als Friseurin und habe eine Familie. Mit den Medikamenten war der Alltag nicht mehr zu schaffen. In meinem Handwerk sind gute Augen und eine funktionierende Feinmotorik Grundvoraussetzung. Und auch zuhause muss ich als Mutter von drei Kindern funktionieren, auch wenn diese schon groß sind,” erzählt Vanessa.
Letzte Option Blasenschrittmacher
Der Patienten wird ein Blasenschrittmacher empfohlen. Das ist ein Gerät, das die Muskeln der Blase stimuliert und damit entweder einer überaktiven Blase entgegenwirkt oder bei einer Blase hilft, die nicht vollständig entleert werden kann. Das kleine Gerät wird operativ eingesetzt und sendet dann elektrische Impulse zu den Nerven, die die Muskulatur der Blase und den Harnaustritt regulieren.
Linderung durch CBD
Auf der Suche nach einer Alternative zu der Implantation und einem Medikament, mit dem sie sich besser fühlt und ihren Alltag meistern kann, stößt Vanessa auf CBD. Sie probiert es in Selbstmedikation aus und ist begeistert von der Wirkung: “Das ist wirklich wie ein Wunder. Meine Schmerzen sind weg. Das CBD hilft genauso gut wie meine schweren Medikamente. Ich benötige jetzt kein anderes Mittel mehr. Aber kein Arzt hat mir jemals den Tipp gegeben: “Versuchen Sie mal CBD”.”
Inzwischen nimmt Vanessa CBD-Blüten ein und katheterisiert sich bei Bedarf selbst. Sie hat auch CBD-Öl ausprobiert, aber die Blüten helfen ihr am besten. Ihr Neuro-Urologe kennt sich mit Cannabis als Medizin nicht aus, daher hat er ihr bisher auch kein Rezept für medizinische CBD-Blüten ausgestellt. Immerhin unterstützt er die Behandlung und stellte einen Antrag auf Kostenerstattung bei der Krankenkasse.
Krankenkasse lehnt Behandlung mit CBD-Blüten ab
Der Antrag auf Cannabistherapie wird, wie so häufig, abgelehnt. Die Begründung: Die Patientin solle sich erst einmal einen Blasenschrittmacher implantieren lassen und weiterhin die verschriebenen Medikamente einnehmen.
Vanessa hat ihre Krankenkasse über die starken Nebenwirkungen, die die Arzneimittel bei ihr hervorrufen, informiert. Der MDK antwortet ihr darauf: “Aus den eingereichten Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Therapie mit den Arzneimitteln Baclofen und Tamsulosin erfolgreich verläuft. Desweiteren bleibt zunächst der mögliche Erfolg der geplanten Implantation eines Blasenschrittmachers abzuwarten.”
Der Einsatz von CBD, einem von der WHO als unbedenklich eingestuften Medikament, lehnt die Krankenkasse bzw. der MDK ab. Stattdessen erwartet die Kasse von ihrer Versicherten, sich einer Operation und der Implantation eines Schrittmachers zu unterziehen? Diese Entscheidung ist für Außenstehende schwer nachzuvollziehen.
Beleg für Wirksamkeit durch Untersuchung?
Vanessa bezieht weiterhin ihre CBD-Blüten privat. Die gute Wirkung möchte sie demnächst mit einer Untersuchung in einer Spezialklinik in Herne testen lassen – und wenn möglich beweisen.
Vor einiger Zeit hat die Patientin dieselbe Untersuchung ohne Medikamente machen lassen. Daher hofft sie, dass hier der gute Effekt von CBD deutlich wird. “Ich erhoffe mir davon viel. Mein Facharzt vor Ort ist darüber informiert und fand die Idee ganz gut”, so Vanessa.
Darüber hinaus würde Vanessa gerne an einer Studie im Neuro-Urologischen Bereich teilnehmen. “Aber da wird leider nicht viel angeboten”, beklagt sie.
Patienteninfos
Name: Vanessa
Alter: 45 Jahre
Wohnort: Nordrhein-Westfalen
Krankenkasse: ikk classic
Diagnose/n: Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD), Neurogene Blasenfunktionsstörung
Medikation: CBD-Blüten mit 8% CBD und THC <0,2%, Baclofen und Tamsulosin
Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Neuro-Urologe
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Vanessa: Seit circa sechs Monaten.
Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Vanessa: Durch meinen erwachsenen Sohn. Ich kannte CBD bis dahin gar nicht.
Leafly: Wie war das erste Mal?
Vanessa: Wie ein Wunder! Keine Schmerzen, keine Spastik, kein Harnverhalt. Wahnsinn, ich war und bin begeistert!
Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?
Vanessa: Wenn ich mir es finanziell leisten kann, täglich!
Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Vanessa: Ich habe Probleme mit der Krankenkasse! Mein Antrag wurde abgelehnt. Mit der Begründung, ich soll mir erstmal den Blasenschrittmacher implantieren lassen und weiterhin Baclofen und Tamsulosin Tabletten nehmen. Obwohl ich der Ikk classic ausführlich über die starken Nebenwirkungen der Medikamente berichtet habe.
Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Vanessa: Nein.
Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?
Vanessa: In der Not muss ich zu meinem herkömmlichen Medikament zurückgreifen. Ohne Medikation geht es leider nicht! Auch wenn die Nebenwirkungen stark sind.
Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?
Vanessa: Sehr! Ich bin dank CBD nach Jahren schmerzfrei! Meine Lebensqualität hat sich sehr stark verbessert. Keine Spastik, keine Schmerzen!
Liebe Vanessa, vielen Dank für dieses Gespräch. Wir wünschen Dir alles erdenklich Gute für Deine Zukunft.
Weitere interessante Artikel zum Thema auf Leafly.de:
Leafly.de Patientenakte: Jürgen, 64, Guillain-Barré-Syndrom, Niedersachsen
Cannabis als Medizin bei überaktiver Blase (OAB) oder Reizblase