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Lukes Leben: Die Kostenerstattung

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

Luke – eigentlich Karl-Heinz – ist unser neuer Kolumnist und Cannabispatient. Er nimmt das Medikament gegen seine Schmerzen ein, denn der Mann aus Bayern leidet an einer verkrümmten Wirbelsäule im Brustbereich. Auf Leafly.de berichtet Luke über seinen Alltag. Heute geht es um seine Schwierigkeiten, eine Kostenerstattung von der Krankenkasse für seine Cannabinoid-Therapie zu erhalten.

Lukes Leben: Die Kostenerstattung
"Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher als die anderen"

Mutmacher mit Abstrichen

Letzte Woche habe ich Eriks Patientenvideo gesehen und war (und bin) schwer beeindruckt von ihm und seiner positiven Lebenseinstellung, die im Video richtig gut rüberkommt. (Zum Video geht es hier.) Da ich diesmal über meinen Weg zu Cannabis als Medizin berichten will, welcher bis heute andauert und ziemlich holprig verläuft, muss ich leider auch auf eine Aussage von Erik Bezug nehmen, die ich nur bestätigen kann. Er erwähnt, wie schwer es, selbst für schwerst kranke Patienten wie ihn ist, eine Kostenerstattung für ihr Cannabis-Medikament zu bekommen. Auch ich musste und muss diese Erfahrung machen.

„Der Glöckner“

Schon relativ früh in meiner Kindheit/Jugend war klar, dass mit meiner Wirbelsäule etwas nicht so läuft, wie es sollte. Ich machte einen ziemlichen Wachstumsschub und meine Muskulatur hat das einfach nicht mitgemacht. So, grob zusammengefasst, kam es zum sogenannten „Morbus Scheuermann“, im Volksmund oft Rundrücken genannt. Der damals behandelnde Orthopäde hätte mich am liebsten in ein Korsett gesteckt. Aber ihr könnt ja mal versuchen, einen rebellischen Jugendlichen, dem sein Ansehen in seinem Umfeld extrem wichtig ist, das klar zu machen.

Und so kam es, wie es kommen musste: Mein Rücken wurde immer krummer. Bereits mit 15 Jahren riefen mich einige aus meiner eigenen Fußballmannschaft nur „Glöckner“. Ihr wisst schon, an welche Berühmtheit dieser Spitzname angelehnt war. Die Jahre vergingen, den Jungs wurde das Glöckner-Geblödel auch irgendwann zu dumm und mein Rücken immer krummer. Meine folgenden Berufswahlen (erst ein paar Jahre nur Sitzen im Büro, dann volle Pulle Baustelle) haben meinem Rücken wohl den Rest gegeben.

Theoretisch ganz einfach

Irgendwann habe ich meine Schmerzen akzeptiert, da für mich klar war, dass eine Heilung im klassischen Sinne nicht möglich ist. Die Alternative in Form von medikamentöser Schmerzbehandlung stellte für mich keine Option dar. Natürlich habe ich so einige Schmerzmittel und Muskelrelaxer durchprobiert. Jedoch mit mäßigem oder keinem Erfolg. Und auch immer verbunden mit einem schlechten Gewissen meinen Organen gegenüber.

Etwa ein Jahr nach der Gesetzesänderung erzählte mir ein Bekannter von seiner erfolgreichen Schmerztherapie mit Cannabisblüten. Er gab mir die Nummer seiner behandelnden Ärztin. Wie ich in meiner letzten Kolumne schon berichtet habe, wusste ich bereits von der Gesetzesänderung und doch habe ich noch einige Monate mit mir gehadert, bevor ich einen Termin ausgemacht habe. Das war gar nicht so leicht, denn wie mir die nette Dame am Telefon mitteilte, pilgerten schon damals die Menschen aus ganz Bayern zu ihr, da sich sonst kaum Ärzte fanden und finden, die sich offen für eine Cannabistherapie zeigen.

Bei meinem ersten Termin haben wir dann meine Krankengeschichte ausführlich besprochen. Ich hatte einen Stapel Atteste, Diagnosen und Aufnahmen dabei und meine Ärztin sagte mir zu, einen Antrag auf Kostenerstattung mit mir zu stellen, da ich ein ziemlich klassischer Fall für die Anwendung von Cannabis als Schmerzmittel sei. An dieser Stelle sollte man wissen, dass die Antragstellung und alles was danach kommt, für die ohnehin überlasteten Ärzte einen ziemlichen Arbeitsaufwand bedeutet. Das schreckt wohl auch viele Ärzte bei dem Thema ab.

Sie hat also den ärztlichen Fragebogen für die Krankenkasse bzw. den MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ausgefüllt und ich habe einen Antrag auf Kostenerstattung aufgesetzt. Zusammen mit dem besagten Stapel Diagnosen habe ich alles persönlich bei meiner Krankenkasse abgegeben und gewartet.

Kostenerstattung – das Rad beginnt sich zu drehen

Laut Gesetz sind die Krankenkassen verpflichtet, über einen Erstantrag auf Kostenübernahme innerhalb von fünf Wochen ab Antragstellung zu entscheiden. Das hat meine Krankenkasse auch getan – allerdings nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Der MDK lehnt die Kostenerstattung einer Cannabistherapie ab, weil für den Gutachter nicht klar wird, dass ich an einer schwerwiegenden Erkrankung leide. Gleichzeitig empfiehlt er eine „multimodale Schmerztherapie in entsprechender Intensität und Kontinuität“. Das bedeutet übersetzt grob: So viel Medizin, so lange wie nötig.

Wenn man den Begriff der multimodalen Schmerztherapie in eine Suchmaschine tippt, stößt man schnell darauf, dass diese für Patienten vorgesehen ist, die an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden. Merkt ihr was?

Ich war vorher bereits von mehreren Seiten darauf vorbereitet worden, dass die Krankenkassen dazu neigen, Erstanträge abzulehnen. Viele Patienten geben dann direkt auf und so fällt schon ein Teil der Anträge weg. Nach einer kurzen, intensiven Phase des Ärgers habe ich mich daran gemacht, einen rechtlich fundierten Widerspruch zu verfassen. Meine behandelnden Ärzte haben diesen unterstützt. Den Widerspruch reichte ich wieder persönlich und fristgerecht ein – und dann Begann das große Warten.

Hier muss man wissen, dass die Krankenkassen innerhalb einer „angemessener Frist“ über den Widerspruch entscheiden müssen. Konkret heißt das, innerhalb von spätestens drei Monaten muss ein Bescheid ergehen. Nachdem ich über drei Monate nichts von meiner Krankenkasse gehört habe, beschloss ich, telefonisch nach dem Stand der Dinge zu fragen. Leider ohne Erfolg. Zwei Tage danach sprach mir eine Mitarbeiterin der Kasse auf Band, dass die Sache noch beim MDK ist, dieser total überfordert sei und ich mich bitte noch ein paar Tage gedulden solle.

Die Fronten verhärten sich – leider

Mein Geduldsfaden hielt noch weitere zwei Monate. Danach versuchte ich wieder telefonisch bei der Krankenkasse mein Glück. Wieder mit mäßigem Erfolg. Die Sache ist immer noch beim MDK, fast fünf Monate nach Eingang des Widerspruchs. Jetzt war es wieder einmal an der Zeit, meine Rechtsschutzversicherung zu kontaktieren.

Auch mit Leafly.de und dem DHV war ich zu dieser Zeit schon in Kontakt. Die Rechtsschutzversicherung strebte ein Mediationsverfahren an, bei dem ein Jurist als Vermittler eingeschaltet wird, um einen Rechtsstreit zu vermeiden. Mir war das ganz lieb, da ich nicht sonderlich erpicht darauf war (und immer noch nicht bin) vor Gericht zu ziehen. Mir ist das persönliche Gespräch am liebsten, das war jedoch mit meiner Krankenkasse zu keinem Zeitpunkt möglich.

Zwei Wochen später erklärt der Mediator den Vermittlungsversuch für gescheitert – die Kasse blocke total ab. Er empfiehlt mir, eine Untätigkeitsklage verbunden mit einem Eilantrag einzureichen. Die Versicherung gibt mir dazu eine Kostendeckungszusage für die erste Instanz. Zu dem Zeitpunkt war ich mir absolut sicher, dass jedes Sozialgericht in Deutschland für mich entscheiden würde, da die Rechtslage eigentlich (zumindest für mich) ziemlich eindeutig ist. Weit gefehlt.

Innerhalb von vier Wochen kam der Ablehnungsbeschluss vom Sozialgericht. In der Urteilsbegründung wird letztlich nur das Gutachten des MDK zitiert. Weder werde ich gehört, noch wird von den von mir unterschriebenen Schweigepflichtsentbindungen Gebrauch gemacht oder auch nur einer meiner Ärzte kontaktiert.

„Vor Gericht und auf Hoher See…

…ist man in Gottes Hand.“ Und ob man nun an Gott glaubt oder nicht, die Bedeutung dieses Sprichwortes kennt wohl jeder, und das kommt auch nicht von ungefähr.

In der Zwischenzeit hat der Widerspruchsausschuss meiner Krankenkasse entschieden (über sechs Monate nach Widerspruch), dass ich nicht schwer krank bin. Außerdem gäbe es ja noch genügend andere Therapiemöglichkeiten. Da musste ich fast lachen: Natürlich gibt es für „Rücken“ Tausende andere Mittel, aber von denen wird mich auch keines heilen. Und bis ich die alle durchgetestet habe, bin ich tot. Wieder wird mir die ominöse multimodale Schmerztherapie empfohlen.

Natürlich konnte ich das Urteil des Sozialgerichts so nicht hinnehmen. Im Gegenteil: Jetzt war mein Kampfgeist erst richtig erwacht. Und so reichte meine Anwältin Beschwerde gegen das Urteil vor dem Landessozialgericht ein. Auch hierfür musste ich wieder alle behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden, was ich gerne gemacht habe.

Vor ungefähr sechs Wochen dann befand ich mich auf stationärer Reha, von der ich für meinen Job als Gärtner arbeitsunfähig entlassen wurde. Während des Aufenthalts erhielt ich Post von meiner Anwältin, mit der Zurückweisung meiner Beschwerde vom Landessozialgericht. An dem Tag habe ich meinen Glauben in die deutsche Justiz endgültig verloren.

Wieder wurde ich weder gehört, noch begutachtet. Wieder wurde in der Urteilsbegründung nur das MDK-Gutachten zitiert. Wieder wurde keiner meiner Ärzte befragt. Wieder wird versucht, mich in eine multimodale Therapie zu zwingen. Der Beschluss ist unanfechtbar, was bedeutet, dass der Eilantrag endgültig vom Tisch ist. Jetzt läuft noch meine Klage in der Hauptsache, aber aus Erfahrungsberichten anderer Patienten weiß ich, dass sich das jahrelang ziehen kann. Ich werde Euch auf jeden Fall auf dem Laufenden halten.

Wir haben noch ein Stück zu gehen

Abschließend möchte ich noch einmal auf Erik zurückkommen. Auch er beschreibt, wie hart der Kampf der Patienten ist. Letzten Endes kann man nur einen korrekten Antrag mit möglichst vielen Unterlagen stellen und dann hoffen. Es gab Tage (nach 10 Stunden Baustelle heimkommen und das Erste, was ich lese, ist wieder eine Ablehnung), an denen ich kurz daran gedacht habe aufzugeben. Weil ich einfach nicht mehr konnte.

Wer will schon vor Gericht streiten, permanent E-Mails schreiben, faxen, scannen, drucken. Das Leben hat ständig andere Herausforderungen parat und nimmt auch keine Rücksicht darauf, wofür du deine Kraft gerade eigentlich brauchst. Aber dann habe ich mir wieder die Menschen vor Augen geführt, die gesundheitlich noch schlechter dran sind als ich – und das sind einige. Krebspatienten, Patienten mit Autoimmunkrankheiten und so weiter.

Ich bewundere jeden von ihnen für seine Kraft und doch weiß ich, dass einige von ihnen bis zum Schluss gegen Windmühlen kämpfen. Ich hoffe einfach, dass ich mit einem eventuellen Erfolg vor Gericht den Weg auch für andere Patienten wieder ein Stück weit ebnen kann. Und dass andere Patienten nicht aufgeben, auch wenn es immer mal wieder Rückschläge gibt.

Vielleicht liegt es dann tatsächlich irgendwann einmal in der Therapiehoheit der behandelnden Ärzte, ob sie Cannabis verschreiben.

Aber bis dahin ist noch ein Stück Weg zu gehen.

 

Hier geht es zu Lukes Patientenakte auf Leafly.de.

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