Die selbsterfüllende Prophezeiung – Fahrt mit Cannabis als Medizin
Es ist ein sonniger Tag im Oktober, ich laufe von meinem Auto in Richtung Haustür und freue mich auf den Feierabend. Gerade eben war ich nach der Arbeit noch bei meiner Hausärztin, um mir das zweite Cannabisrezept meines Lebens abzuholen und einige Fragen zu klären. Das Rezept ist natürlich nicht auf den Namen Luke ausgestellt – aber außer nahen Verwandten und Ärzten nennt mich niemand Karl-Heinz.
Ich benutze Cannabis als Schmerzmedikament, da meine Wirbelsäulenfehlstellungen und -schäden immense Muskelverspannungen verursachen, die sich quasi vom Kopf bis zur Ferse auswirken. Von der Gesetzesänderung zu Cannabis als Medizin wusste ich bereits seit geraumer Zeit. Aber ich traute mich nicht so recht, einen Termin bei meiner Ärztin deswegen zu vereinbaren. Aus irgendeinem Grund hatte ich im Hinterkopf immer eine gewisse Angst vor der offiziellen Nutzung eines Betäubungsmittels, der damit verbundenen Erfassung und eventuell folgenden Repressalien.
Fahrt mit dem Auto – anschließend Polizeikontrolle
Ich bin in Gedanken noch halb auf meiner Baustelle, als mich Motorengeräusche und eine Stimme hochschrecken lassen. „Schönen guten Tag. Polizei. Allgemeine Verkehrskontrolle. Bleiben Sie doch bitte mal stehen!“
Augenblicklich schnellt mein Puls in die Höhe und meine Hände werden feucht. „Ruhig bleiben, Du hast nichts Falsches oder Verbotenes getan!“, denke ich mir instinktiv. Genau dieses Szenario hatte ich noch ein paar Minuten vorher mit meiner Ärztin besprochen – und so wirklich beruhigt war ich danach leider nicht. Nun folgt also der Realitätstest!
Den beiden Polizisten teile ich mit, dass ich meine Papiere aus dem Fahrzeug holen muss und trete den Rückweg zum Carport an. Die Beamten parken ihren SUV mitten auf der Straße und folgen mir. Die Tatsache, dass sie wahrscheinlich keine Berechtigung haben, meine Garage zu betreten, schlucke ich. Ebenso wie die bissigen Kommentare zum Zustand meines Autos. Nachdem ich Alkoholkonsum verneint habe, lege ich trotzdem den obligatorischen Atemalkoholtest ab, welcher nicht überraschend negativ ausfällt.
Ich wundere mich noch darüber, dass ich weder nach meiner Brille, noch nach einem Warndreieck gefragt werde, da verschlägt mir die nächste Frage auch schon die Sprache. Wie es denn mit dem Gift aussehe, will der jüngere der Beamten wissen. Auf meine Frage, was er denn mit Gift genau meine, sagt er, dass doch klar sei, dass er damit illegales Rauschgift meint. Nach einigem Hin und Her zeige ich ihm mein Rezept. Ich erkläre den beiden, dass ich die letzte Dosis am Morgen zu mir genommen habe und versichere ihnen, dass ich keine illegalen Drogen konsumiere. Ein Urintest, auf den die Polizisten bestehen, bestätigt meine Aussage.
Während der junge Beamte damit beschäftigt ist, mein Rezept und den Schnelltest mit dem Smartphone zu fotografieren, nutze ich die Gelegenheit, mich mit dem Älteren zu unterhalten. Er versichert mir, dass ich alles richtig gemacht habe und er keinerlei Probleme oder Ausfallerscheinungen bei mir erkennen kann. Ich verabschiede mich erleichtert von den beiden Polizisten – den Urinbecher drücken sie mir noch zum Abschied in die Hand.
Der Kreis schließt sich
Ein paar Monate später, Anfang Januar, flattert ein gelber Brief der Führerscheinstelle ins Haus. Es ist Freitagnachmittag und unweigerlich bekomme ich wieder ein flaues Gefühl in der Magengegend. „Ein gelber Brief von einer Behörde kann nichts Gutes heißen“, denke ich mir. Und ich behalte leider recht!
Das Landratsamt wurde durch das Polizeipräsidium darüber informiert, dass ich ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt habe, obwohl ich zuvor Cannabis konsumiert habe. Aufgrund dieser Tatsache wird nun beabsichtigt, mich zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufzufordern. Ich bekomme zwei Wochen Frist, mich zum Sachverhalt zu äußern und notwendige Atteste, Diagnosen und ausführliche Angaben zu meiner Medikation beizubringen.
Nach kurzer Rücksprache mit meiner Rechtsschutzversicherung übergebe ich die Sache an einen Verkehrsanwalt. Dieser beantragt Akteneinsicht, verfasst die entsprechende Stellungnahme und reicht sie mit allen geforderten Dokumenten ein. Ich fahre, von meinem Anwalt halbwegs beruhigt, für ein paar Wochen in den Süden. Bei meiner Rückkehr ist noch alles beim Alten.
Grüße vom Anwalt
Mitte Mai – vier Monate, nachdem mein Anwalt alle Unterlagen beim Landratsamt eingereicht hat – erreicht mich (natürlich wieder an einem Freitag) eine Mail von meinem Anwalt. Der Inhalt lässt mir beinahe das Herz aus der Brust springen. In dem Schreiben wird eine ärztliche Begutachtung angeordnet. Innerhalb von fünf Arbeitstagen soll ich auf eigene Kosten einen Termin für eine Begutachtung in den nächsten zwei Monaten mitteilen. Weiterhin liegt eine Einverständniserklärung zur Unterschrift bei, in der ich erkläre, dass ich ein Gutachten vorlegen soll, da dem Landratsamt „Tatsachen vorliegen, die vermuten lassen, dass ich zum Führen von Fahrzeugen ungeeignet bin“.
Und das alles, obwohl der Polizeibeamte schriftlich bestätigt hat, dass bei mir keinerlei Ausfallerscheinungen festzustellen waren. Das konnte ich durch die Akteneinsicht erfahren. Eine Kostenrechnung über 26,50 Euro für die Anordnung rundet das Schreiben ab.
Nachdem die Schnappatmung ein wenig nachgelassen hat, kontaktiere ich sofort meinen Anwalt. Er meint, er könne da im Moment nichts weiter tun. Ich kann das natürlich so nicht akzeptieren. Schließlich habe ich nichts Illegales getan und werde behandelt, wie irgendein x-beliebiger Drogensüchtiger, der in eine Verkehrskontrolle geraten ist. Mir fallen meine anfänglichen Bedenken bezüglich des Cannabisrezeptes und damit verbundenen negativen Folgen wieder ein – und irgendwie schließt sich für mich der Kreis.
Wir müssen uns wehren
Nach zwei schlaflosen Nächten reift am Sonntag der Entschluss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Je länger ich mir den Kopf zerbreche, desto klarer wird mir, dass mir einfach Unrecht widerfährt.
Ich verfasse einen Brief an den Landrat, in dem ich meine Situation schildere und ihn darum bitte, mir zu helfen. Montag fahre ich ganz früh los, um ja nicht zu spät zu kommen. Ich habe beschlossen, ihm den Brief persönlich zu übergeben und ihn dafür privat aufzusuchen – aus Angst, sonst kein Gehör zu finden.
Über mein persönliches Auftauchen bei ihm zu Hause ist der Landrat erst einmal etwas erstaunt. Er bittet mich aber schließlich, ihm mein Anliegen zu schildern. Abschließend verspricht er mir, alles rechtlich Mögliche zu unternehmen. Er verweist mich an den Chef der Führerscheinstelle, bei dem er mich vorher schon telefonisch angemeldet hat.
Immer noch ziemlich nervös, aber doch schon ein bisschen hoffnungsvoller, klopfe ich kurze Zeit später an die Tür des Leiters der Führerscheinstelle. Es erwartet mich ein ziemlich gut vorbereiteter, total offener Mann. Er versichert mir sofort, dass er meine Aufregung durchaus verstehen kann. Mein Fall stelle sich für ihn medizinisch als völlig schlüssig dar. Er kennt sogar die Orthopädin, bei der ich in Behandlung bin und versichert mir, dass er alles unternimmt, um diese Untersuchung abzuwenden. Auch ihm ist aufgefallen, dass der Polizist „keinerlei Ausfallerscheinungen“ feststellen konnte. Wieder einmal bin ich etwas beruhigt nach dem Gespräch, doch so richtig traue ich der Sache noch nicht.
Rechtssicherheit geht anders
Im Laufe der Woche melde ich mich noch mal telefonisch in der Führerscheinstelle, um die gesetzte Frist für die MU nicht verstreichen zu lassen. Hörbar zerknirscht teilt mir der Chef mit, dass er in jedem Bundesland – außer eben hier in Bayern – die ganze Geschichte hätte einstampfen können. Hier seien ihm die Hände aufgrund einer Anweisung des Innenministeriums gebunden. Diese zwingt die Landratsämter in Bayern, jeden bekannt gewordenen Fall von Betäubungsmittelgebrauch im Straßenverkehr zu verfolgen.
Er sei jedoch nach wie vor der Ansicht, dass eben gerade in meinem Fall diese Untersuchung nicht nötig ist. Ich brauch die Medizin ja, um überhaupt schmerzfrei am Alltag teilhaben zu können. Dies hat er auch in einem Schreiben an die Regierung, mit der Bitte um eine Entscheidung vonseiten des Innenministeriums, deutlich gemacht. Jedenfalls versichert er mir das. Bis zu dieser Entscheidung ruhen alle Fristen und ich habe nichts weiter zu befürchten. Ich lasse mir das noch schriftlich geben und nehme das, wieder ein bisschen stärker verunsichert, so hin.
Seitdem ist Stille um meine Fahrtauglichkeit. Einmal erreicht mich (wieder freitags) eine Mahnung der Zahlstelle des Landratsamts, weil ich die Gebühr für die Anordnung nicht bezahlt habe. Nach kurzer Rücksprache weiß nun auch die Dame in der Zahlstelle, dass die Fristen ruhen.
Jetzt, Ende September, fahre ich immer noch Auto. Und immer noch reagiert mein Körper mit Stresssymptomen, wenn ich bei der Fahrt ein Polizeiauto sehe. Ich habe nicht das Gefühl, dass mein Führerschein sicher ist. Außerdem bin ich nach wie vor ein wenig paranoid, weil ich jetzt als gegen das BtmG-Verstoßender registriert bin.
Ich weiß, dass ich im Prinzip nichts falsch gemacht habe. So, wie viele andere Patienten auch, die wahrscheinlich schon eine MPU oder MU über sich ergehen lassen mussten – und das noch auf eigene Kosten. Rechtssicherheit fühlt sich für mich jedenfalls anders an.
Hier geht es zu Lukes Patientenakte auf Leafly.de.