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Medizinalcannabis und Arzneimittelwechselwirkungen

Autor:
Dr. Christine Hutterer

Medizinalcannabis scheint im Zusammenhang mit vielen Krankheitssymptomen interessante Wirkungen zu zeigen. Doch besonders, wenn cannabisbasierte Arzneimittel zusammen mit anderen Medikamenten eingenommen werden, ist Vorsicht geboten. 

Medizinalcannabis und Arzneimittelwechselwirkungen

Immer mehr Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Endocannabinoidsystem und wie es beeinflusst werden kann, mit Medizinalcannabis insgesamt und seinen Wirkungen bei bestimmten Erkrankungen und mit den Wirkungen einzelner Cannabinoide wie THC oder CBD. Cannabinoide werden in den meisten Fällen gut vertragen und haben ein überschaubares Spektrum an Nebenwirkungen. Bisher noch wenig untersucht und daher auch wenig beachtet sind Wechselwirkungen, die auftreten können, wenn cannabisbasierte Arzneimittel zusammen mit anderen Medikamenten eingenommen werden (Arzneimittelwechselwirkungen).

Was sind Arzneimittelwechselwirkungen?

Arzneimittelwechselwirkungen können entstehen, wenn die Einnahme von zwei oder mehr Wirkstoffen oder Substanzen gemeinsam erfolgt. “Gemeinsam” bedeutet dabei nicht nur “zeitgleich”, sondern in einem zeitlichen Zusammenhang. Wechselwirkungen können auch auftreten, wenn eine Substanz morgens und eine andere abends eingenommen wird, weil die Wirkdauer im Körper so langanhaltend sein kann oder sich Veränderungen des Stoffwechsels ergeben, die zu einer gegenseitigen Beeinflussung der Wirkungen führen können.

Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln können dazu führen, dass die pharmakologisch erwünschte Wirkung abgeschwächt, verstärkt oder aufgehoben wird und/oder dass Nebenwirkungen auftreten (pharmakodynamische Wechselwirkung). Der Eintritt der Wirkung kann schneller oder langsamer erfolgen und verkürzt oder verlängert auftreten (pharmakokinetische Wechselwirkung). Der Abbau einer Substanz vom Körper kann schneller oder langsamer als erwünscht erfolgen. Dadurch kann auch der Wirkspiegel im Körper zu schnell abfallen oder zu lange auf hohem Niveau erhalten werden. Bei einer erneuten Einnahme kann eine Überdosierung drohen. Oder aber der Wirkstoff wird viel zu schnell abgebaut und kann daher seine Wirkung nicht im gewünschten und benötigten Maß entfalten. Das sind aber nicht die einzigen Gefahren: Bei vielen Kombinationen von Wirkstoffen ist vollkommen unklar, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Schwere Nebenwirkungen können die Folge sein.

Wechselwirkungen auch mit Arzneipflanzen und Lebensmitteln

Substanzen, die die Wirkung von Medikamenten beeinflussen können, sind übrigens nicht nur chemische Substanzen. Auch natürliche Stoffe und Arzneipflanzen kommen hier in Frage, z.B. im Grapefruitsaft, in der Milch, im grünen und schwarzen Tee, Koffein, Nikotin, Alkohol und viele pflanzliche Stoffe (Johanniskraut, Knoblauch, Baldrian, Ingwer usw.).

Die häufigste Art der Arzneimittelwechselwirkungen sind pharmakokinetisch und beeinflussen Wechselwege, die für die Verstoffwechselung des Wirkstoffes wichtig sind (z.B. Cytochrome P450 bzw. CYP450).

Cannabinoide binden häufig an Membran-Transportproteine (z.B. ATP-binding cassette superfamily, breast cancer-resistant protein (BCRP), Glykoprotein P). Abhängig davon, wie lang die Cannabinoide im Körper vorhanden sind und an die Transportproteine binden, verändert sich die Menge an gebildetem Protein.

Effekte von Cannabis auf wirkstoffabbauende Enzyme

Der wichtige CYP450-Stoffwechselweg ist, das zeigen zahlreiche Studien, an der Umsetzung von Cannabinoiden beteiligt. So wird THC , CBD und CBN sicher von den Enzymen dieser Stoffwechselkette verarbeitet. Die Bindung der Cannabinoide an Moleküle dieser Stoffwechselkette kann mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass der Abbau andere Substanzen und Wirkstoffe von diesen Enzymen nur verlangsamt oder beschleunigt erfolgt. Das hat einen Einfluss auf die Wirkung und die Wirkdauer. Zahlreiche andere Medikamente werden ebenfalls über den P450-Stoffwechselweg im Körper verarbeitet, beispielsweise viele Antidepressiva, Neuroleptika, Benzodiazepine (Schlaf- und Beruhigungsmittel) und eine Reihe von Antidiabetika.

Bei Medizinalcannabis spielt auch die Anwendungsart eine Rolle dabei, über welche Enzyme der CYP450-Familie die Verstoffwechselung erfolgt. Werden Cannabisblüten geraucht, wird die Bildung eines bestimmten Enzyms (CYP1A2) angeregt, welches wiederum andere Medikamente (z.B. das Neuroleptikum Chlorpromazin) deutlich schneller als sonst abbaut. Bei (Tabak)Rauchern ist das übrigens ebenfalls so! Werden Cannabisblüten hingegen vaporisiert, bleibt die Bildung von CYP1A2 aus und die Wirkung und Verstoffwechselung anderer Medikamente wird nicht beeinflusst.

Eine Studie zeigte beispielsweise, dass die Mengen an Wirkstoff im Blutserum von Topiramate, Rufinamide, Clobazam, Eslicarbazepine und Zonisamide, welche bei der Behandlung von therapieresistenter Epilepsie Anwendung finden, durch die gleichzeitige Einnahmen von CBD signifikant verändert werden. Auch veränderte Leberwerte waren zu beobachten.

Da eine (ergänzenden) Therapie mit Medizinalcannabis oder cannabisbasierten Arzneimitteln in der Regel zum Ziel hat, die bestehende Therapie zu unterstützen oder bestehende Symptome zu lindern (z.B. Übelkeit), ist sicherzustellen, dass die Wirkung und Wirksamkeit der anderen Medikamente nicht negativ beeinflusst wird. Zum Beispiel, dass eine Chemotherapie oder Epilepsiebehandlung weniger wirksam ist. Ebenso ist natürlich darauf zu achten, dass die Wirkung der Cannabinoide nicht deutlich stärker oder schwächer als gewünscht ausfällt.

Medizinalcannabis und Opioide

Mehrere Untersuchungen haben sich mit der Interaktion zwischen Medizinalcannabis und Opioiden befasst. Eine kleine Studie zeigte, dass vaporisiertes Cannabis die schmerzlindernden Effekte erhöhte, ohne die Werte der Opioide im Plasma zu verändern. Andere Studien haben gezeigt, dass die Einnahme von Medizinalcannabis die Menge an benötigten Opioiden verringern kann. Eventuell sind hier keine oder nur geringe Wechselwirkungen anzutreffen.

Eine Untersuchung an einem Mausmodell mit neuropathischen Schmerzen ergab, dass die gleichzeitige Gabe von Gabapentin und THC die Wirkung von THC verbesserte.

Bekannte Arzneimittelwechselwirkungen

Von einer Reihe von Medikamenten bzw. Wirkstoffen ist recht gut bekannt, durch welche anderen Substanzen, Nahrungsmittel oder Arzneipflanzen sie beeinflusst werden. Hier einige Beispiele:

  • Patienten mit Gerinnungsstörungen sollten nicht gleichzeitig Ginkgo-, Papaya- oder Knoblauchpräparate verwenden.
  • Die gleichzeitige Einnahme von Medikamenten gegen hohen Blutdruck und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) kann den Blutdruck weiter erhöhen. NSAR sind z.B. Indometacin, Naproxen, Ibuprofen oder Diclofenac.
  • Johanniskraut, bzw. der Wirkstoff Hyperforin, führt zu einer schnelleren Verstoffwechselung bestimmter Wirkstoffe, wodurch die Wirksamkeit geringer wird. Beispiele sind Cyclosporin (z.B. bei Patienten mit Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Glomerulomephritis, nach Transplantationen oder zur Behandlung von Tumoren), die Antibabypille, antiretrovirale Wirkstoffe (z.B. bei HIV-Patienten) und Chemotherapeutika.

Fazit: Einnahme von cannabisbasierten Arzneimitteln immer dem Arzt mitteilen

Die bisherigen Untersuchungen legen nahe, dass cannabisbasierte Arzneimittel in jeder Form mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit die Wirkung, Wirksamkeit und Wirkdauer anderer Medikamente in vielen Fällen ungünstig beeinflussen können oder von anderen Wirkstoffen beeinflusst werden können. Nur wenige Studien finden keine Wechselwirkungen oder günstige Effekte. Eine Einnahme von Medizinalcannabis (auch CBD-Ölen, Cannabisextrakten und Blüten) – und auch die Anwendungsart (Rauchen, Vaporisieren, Tropfen etc.) ist daher immer dem behandelnden Arzt mitzuteilen, damit überwacht werden kann, ob und wie sich die Wirkung verändert. Die Änderung der Anwendungsart sollte nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt erfolgen.

Mehr zu Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Cannabis.

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