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Ist Medizinalhanf die Waffe gegen die global drohende Opioid-Krise?

Autor:
Sandrina Koemm-Benson

Seit fast zehn Jahren gibt es Studien, in denen das Potenzial von Cannabis als Medizin für den Kampf gegen die wachsende nordamerikanische Opioid-Krise angesichts seiner Fähigkeit zur chronischen Schmerzlinderung untersucht wurde. Die Legalisierung in Kanada im kommenden Sommer hat diese Debatte wieder ins Rampenlicht gerückt. Leafly.de wirft einen genaueren Blick auf die Lage in den USA, Kanada und schaut auf die Statistiken in Deutschland.

Ist Medizinalhanf die Waffe gegen die global drohende Opioid-Krise?

In den USA wurde der nationale Notstand ausgerufen aufgrund der herrschenden Opioid-Krise. In Kanada starben 2017 so viel Menschen wie nie zuvor an einer Überdosis Schmerzmitteln und auch in Deutschland steigt der Verbrauch der süchtig machenden Medikamente drastisch an. Medizinalhanf kann hier eine entscheidende Rolle spielen, um Opioide zu ersetzen.

Laut aktuellen Zahlen sterben jeden Tag 142 US-Amerikaner an einer Überdosis von Opioiden wie Oxycodon, Fentanyl oder im Extremfall Heroin. In den vergangenen 15 Jahren sollen es bis zu 300.000 Opfer gewesen sein. So dramatisch ist die Entwicklung, dass US-Präsident Donald Trump im vergangenen Jahr den Notstand ausgerufen hat. Im Jahr 2017 brach Kanada einen landesweiten Rekord für die Zahl der Opioidtodesfälle, die zwischen Januar und September die Zahl der Todesfälle aus dem gesamten Jahr 2016 übertrafen. Und auch in Deutschland steigt der Pro-Kopf-Verbrauch drastisch an.

Was sagt die Forschung zu Cannabis als Ersatz für Opioide?

„Unsere Forschung zeigt, dass Patienten, die die richtige Dosierungsmethode durchlaufen, etwa 80 Prozent der Opiate reduzieren oder aufhören diese einzunehmen“, sagt Bryan Hendin, Gründer und Präsident der medizinischen Marihuana-Klinik in Toronto, Apollo Clinics.

Die jüngsten Studien, die diese Theorie unterstützen, wurden Anfang April im JAMA Internal Medicine Journal veröffentlicht und zeigen, wie die Legalisierung von Cannabis in bestimmten amerikanischen Staaten mit einer Reduzierung der Opiatverschreibungen in diesen Staaten einherging. Leafly.de berichtete.

„Es ist definitiv eine praktikable Option. Die Forschung zeigt definitiv, dass Cannabis wirksam ist, um Opiate für eine bessere Lebensqualität zu reduzieren oder zu ersetzen „, sagte Dr. Michael Verbora, medizinischer Direktor von Aleafia Medical Cannabis Care.

Eine weitere Studie wurde 2017 vom International Journal of Drug Policy veröffentlicht, in der die Verwendung von medizinischem Cannabis als Ersatz für verschiedene Medikamente weiter untersucht wurde. Die an der Studie beteiligten Patienten berichteten von einem erfolgreichen Ersatz für viele verschreibungspflichtige Medikamente, einschließlich Opioide.

Bei der Durchführung einer eigenen Studie mit über 300 Patienten mit chronischem Schmerz über drei Jahre kamen die Apollo-Kliniken zu dem Schluss, dass die Teilnehmer eine 20-prozentige Reduktion der Symptomschwere und eine dramatische Reduktion des Opiatkonsums berichteten.

Steht Deutschland kurz vor einer Opioid-Krise?

Wenn man den Statistiken glaubt, muss man diese Frage eindeutig bejahen. Es werden immer mehr starke Schmerzmittel in viel zu großen Packungen verschrieben. Der Pro-Kopf-Verbrauch hierzulande ist inzwischen beinahe so hoch wie in den USA. Jetzt schlägt ein Mediziner Alarm und warnt vor einer Suchtwelle.

„In Deutschland droht eine Opioid-Epidemie wie in den USA“, sagt Christoph Stein, Direktor der Klinik für Anaesthesiologie und operative Intensivmedizin an der Charité Berlin. „Der Pro-Kopf-Verbrauch von Opioiden ist in Deutschland bereits erschreckend hoch und unterscheidet sich kaum noch von dem in den USA.“

Zu den Opioiden gehören etwa Schmerzmittel wie Tramadol, Tilidin oder Fentanyl, die hierzulande unter Markennamen wie Tramal und Durogesic verkauft werden. Opioide unterliegen hierzulande in der Regel dem Betäubungsmittelgesetz, weniger starke wie etwa Tramal können allerdings auch mit einem normalen Rezeptblock verschrieben werden.

Statistik zeigen, dass die Zahl der Verschreibungen in den letzten Jahren hierzulande tatsächlich gestiegen sind:

  • Laut der Daten des International Narcotics Control Board hat sich die Zahl der verschriebenen Tagesdosen zwischen 2000 und 2010 mehr als verdoppelt
  • Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen gibt an, dass zwischen 2006 und 2015 die verordneten Mengen um ein Drittel gestiegen ist
  • Das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg geht davon aus, dass die Rate der Erstverschreibungen für synthetische Opioide hierzulande zwischen 2000 und 2010 um 37 Prozent gestiegen ist.

Cannabis kommt für Schulmedizinier kaum in Betracht

Doch nicht alle Mediziner sehen den Anstieg der Verschreibungen als so dramatisch an. Einige begrüßen dies sogar und sehen darin Anzeichen für eine bessere Versorgung von Schmerzpatienten. Deutschland hat hier durchaus Nachholbedarf: Jahrelang wurden Schmerzpatienten, etwa Tumorpatienten, weit weniger Opioide als in anderen Ländern verordnet, weil Mediziner eine Abhängigkeit befürchteten. Einige Experten sprechen sogar von einer Unterversorgung bei den Schmerzpatienten, die von den Mitteln profitieren können. Insbesondere Krebspatienten, die keine Aussicht mehr auf Heilung haben, und nur noch palliativ behandelt werden, erleichtern die starken Schmerzmittel das Leben, so die Meinung der Mediziner.

Und genau hier kann Cannabis als Medizin ein wirksamer Ersatz sein. Cannabis enthält mehrere Verbindungen, darunter Tetrahydrocannabinol (THC, die wichtigste psychoaktive Komponente in Cannabis) und Cannabidiol (CBD). Über die psychoaktiven Wirkungen dieser Verbindungen hinaus hat die 2008 veröffentlichte Studie gezeigt, dass sie auch die Körpersysteme beeinflussen, die für die Schmerzregulation zuständig sind. Besonders Krebspatienten profitieren von innerhalb einer Chemotherapie von der appetitanregenden Wirkung. Palliativpatienten können dank Cannabis als Medizin ihre letzten Tage bei Bewusstsein und im Kreis ihrer Lieben verbringen, ohne dass sie betäubt im Bett liegen und nichts mehr von der Außenwelt mitbekommen.

Vorteile von pharmazeutischen Cannabisprodukten gegenüber Opioiden

Die Gabe von medizinischem Cannabis als Schmerzmittel kann zwar Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Mundtrockenheit, Schwindel und psychische Effekte haben, jedoch berichten viele Patienten, dass gegen diese Nebenwirkungen schnell eine Toleranz aufgebaut wird. Die von der Cannabis-Einnahme ausgelösten Nebenwirkungen sollten gegen die körper schädlichen Nebenwirkungen der Opioide abgewägt werden.

Einer der wohl größten Vorteile von medizinischem Cannabis gegenüber Opioiden ist die geringe Toleranzentwicklung. Der Körper gewöhnt sich sehr schnell an die Opioide und Patienten müssen dann die Dosis stetig erhöhen. Diese Problematik besteht bei der Gabe von Cannabis nicht. Selbst dann, wenn Cannabis-Medikamente langfristig eingenommen werden, muss die Dosis entweder gar nicht oder nur geringfügig erhöht werden, um die gleiche schmerzlindernde Wirkung zu erhalten. Auch die Gefahr der erhöhten Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) beim abrupten Absetzen der Opioide, besteht bei medizinischem Cannabis nicht.

Opioide und Medizinalcannabis: Hier erfahren Sie mehr.

 

Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.

Quellen:

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