Essstörung: Was ist das?
Essstörungen gehören in den Kreis der psychosomatischen Erkrankungen und sind Verhaltensstörungen, bei denen das Thema Essen eine zentrale Rolle spielt. In der Regel gehen diese Verhaltensstörungen mit langfristigen und schwerwiegenden Gesundheitsschäden einher. Zu den häufigsten Essstörungen gehören die Magersucht (Anorexia nervosa), Bulimie (Bulimia nervosa) und die Binge-Eating-Erkrankung.
Häufigkeit der psychischen Erkrankung
Statistiken zufolge leiden von 1.000 Menschen etwa 30 bis 50 an gestörten Essverhaltensweisen. Ungefähr ein Fünftel der in Deutschland lebenden Kinder und Jugendliche zeigen im Alter von 11 bis 17 Jahren entsprechende Symptome. Dabei sind junge Mädchen sowie junge Frauen wesentlich häufiger betroffen als junge Männer.
Welche Arten von Essstörungen gibt es?
Magersucht (Anorexia nervosa) – Definition
Menschen, die unter einer Magersucht leiden, verspüren das krankhafte Bedürfnis, ihr Gewicht zu vermindern. Dieses zwanghaft geprägte Verhalten kann sogar bis zur lebensbedrohlichen Unterernährung führen, was schwere gesundheitliche Folgen hat.
Charakteristisch für die Magersucht ist, dass das Körpergewicht immer weiter abnimmt. Magersüchtige nehmen zudem ihren eigenen Körper verzehrt wahr (Körperschemastörung) und haben große Angst vor einer Gewichtszunahme. Dabei wird bei etwa der Hälfte der Magersüchtigen der Gewichtsverlust selbst herbeigeführt. Entweder mit anschließendem Erbrechen nach der Nahrungsaufnahme, Nahrungsverweigerung, Diäten, Abführmitteln oder anderen gewichtsreduzierenden Medikamenten.
Typische Symptome sind:
- Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme nimmt einen zentralen Stellenwert ein
- Versagungsängste und/oder Leistungsorientierung
- Weigerung, an gemeinsamen Essen teilzunehmen
- extrem langsames Essverhalten
Langfristige körperliche Folgen äußern sich in Störungen der Fruchtbarkeit/Potenz, Störungen im Magen-Darm-Bereich, Haarausfall, niedriger Blutdruck und Zahnschäden. Zudem können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenschäden sowie eine Osteoporose auftreten.
Des Weiteren kommt es auch zu körperlichen und psychischen Einbußen, wie zum Beispiel Konzentrationsstörungen, schnelle Ermüdbarkeit oder depressive Symptome.
Klassifikation gemäß DSM-IV
Die Magersucht lässt sich in die zwei Arten Purging-Typ und Non-Purging-Typ (Nicht-Purging-Typ) unterscheiden. Dabei zeichnet sich der Nicht-Purging-Typ durch ein exzessives Hungern aus. Hingegen ruft der Purging-Typ zusätzlich noch das Erbrechen hervor und missbraucht Medikamente. Zu diesen Medikamenten gehören zum Beispiel Diuretika, Laxanzien oder Abführmittel. Um das Gewicht des Körpers weiter zu reduzieren, wird zudem eine strenge Diät eingehalten und oft auch exzessiv Sport getrieben.
Ess-Brech-Sucht (Bulimie / Bulimia nervosa) – Definition
Betroffene, die an Bulimie (Bulimia nervosa) leiden, haben ein unkontrolliertes Essverlangen. Nach dem Essen führen sie gewichtsreduzierende Maßnahmen (Erbrechen) durch. Begleitend nehmen einige Bulimiker auch Abführmittel.
Für die Bulimie Diagnose müssen unter anderem folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Ess-Brech-Attacken treten durchschnittlich zweimal pro Woche seit mindestens drei Monaten auf
- krankhafte Furcht, dick zu werden
- Körpergewicht beeinflusst übermäßig die Selbstbewertung
- kompensatorische Verhaltensweisen
Zu den Symptomen gehören Essattacken und Erbrechen und Gewichtsschwankungen. Außerdem bestehen bei vielen Bulimikern Schuldgefühle, ein niedriges Selbstwertgefühl und das Gefühl der Isolation, weshalb sie sich aus dem sozialen Leben zurückziehen. Viele empfinden auch Angst und Wut, innere Spannungen sowie depressive Gefühle.
Im weiteren Krankheitsverlauf äußert sich die Krankheit auch in körperlichen Beschwerden, wie zum Beispiel Herz-Kreislaufstörungen, Müdigkeit, Muskelkrämpfe, Entzündung der Bauchspeicheldrüse, Verätzung des Rachens und der Speiseröhre. Auch ein Mineralverlust und Zahnschäden können auftreten.
Essattacken mit Kontrollverlust (Binge-Eating-Störung) – Definition
Diese Störung ist durch wiederkehrende Essattacken gekennzeichnet. Jedoch werden hier keine gewichtsreduzierenden Maßnahmen vorgenommen, weshalb Betroffene zu einem starken Übergewicht (Adipositas) neigen.
Für die Diagnose sind folgende Kriterien maßgeblich:
- Essanfälle treten durchschnittliche zweimal pro Woche seit mindestens sechs Monaten auf
- Gefühl des Kontrollverlusts
- große Scham-, Ekel- und Schuldgefühle nach den Essanfällen
Auch die Psyche spielt hier eine wesentliche Rolle. So leiden Betroffene oft unter depressiven Verstimmungen, Schamgefühlen und Überforderungsgefühlen. Außerdem verlieren sie durch die Essanfälle (ohne Erbrechen) das Gefühl für die Sättigung. Infolge dessen essen sie zu große Mengen ungesunder Nahrungsmittel, sodass es zu einem Übergewicht kommt.
Langfristig kommt es dann zu Erkrankungen des Bewegungsapparates, Kreislaufstörungen und Störungen der Atemfunktion.
Was führt zu Essstörungen?
Meist gelingt es nicht, die eine Ursache bei gestörten Essverhaltensweisen ausfindig zu machen.
Denn eine Magersucht (Anorexia nervosa), eine Bulimie (Ess-Brechsucht) oder andere Essstörungen entwickeln sich in der Regel aus einer Kombination von folgenden möglichen Faktoren:
Biologische Ursachen
Untersuchungen haben gezeigt, dass erbliche Komponenten bei der Entwicklung von Ess-Störungen eine Rolle spielen können. Ebenso kann ein hohes oder niedriges Körpergewicht vor dem Krankheitsausbruch das Erkrankungsrisiko erhöhen. Interessant ist zudem, dass häufig Stoffwechselfehlfunktionen, Neurotransmitterstörungen sowie Störungen des Hormonsystems oder des Hunger- und Sättigungsgefühls beobachtet werden können. Kommen neben diesen biologischen Faktoren weitere Belastungsfaktoren hinzu, ist das Risiko erhöht.
Familiäre Beweggründe
Oft ist in Familien von magersüchtigen Menschen ein enger Zusammenhalt zwischen den einzelnen Familienmitgliedern sowie ein hoher Leistungsdruck zu beobachten. Hingegen leben Bulimie-Erkrankte meist in konfliktreichen Familien, in denen die Familienmitglieder nur ein geringes Einfühlungsvermögen besitzen. Hinzu kommt, dass hier Familienangehörige nicht selten unter psychischen Krankheiten (z. B. Depressionen oder Alkoholabhängigkeit) leiden.
Soziokulturelle Gründe
Die heutige Gesellschaft suggeriert, dass ein dünner Mensch attraktiv, glücklich und erfolgreich ist. Das Dicksein wird hingegen mit Unattraktivität und Unbeliebtheit gleichgesetzt. Unterstützt werden diese Ansichten vor allem durch die Werbung, die retuschierte Idealfiguren von Männern und Frauen präsentiert. Auch die Bekleidungsindustrie wirkt mit, indem sie kleine Konfektionsgrößen auf den Markt bringt und Menschen dazu bringt, den abgemagerten Models nachzueifern. Durch all dies entsteht ein Klima, in dem Essverhaltensstörungen ihren Nährboden finden.
Darüber hinaus sind es aber auch die Verhaltensweisen der Eltern, Familienangehörigen, Freunden und Bekannten, die in den Betroffenen die Überzeugung wachsen lassen, schlank sein zu müssen. Ausgelöst wird dies sowohl durch körperbezogene Kommentare als auch durch Hänseleien.
Individuelle Veranlassungen
Es gibt verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel ein niedriges Selbstwertgefühl, Impulsivität oder Perfektionismus, die eine Ess-Störung begünstigen können. Dabei steht bei Magersüchtigen häufig der Perfektionismus im Vordergrund. Für die Entwicklung einer Bulimie scheint eher die Impulsivität relevant zu sein.
Die Ursachen von Binge-Eating sind bisher noch unklar. Da etwa die Hälfte der Binge-Eating Erkrankten unter Depressionen litten oder leiden, scheint es hier einen Zusammenhang zu geben.
Wann kommt es zum Ausbruch eines gestörten Essverhaltens?
Die zuvor genannten Ursachenfaktoren können das Risiko für die essbedingte Verhaltensstörung erhöhen. Jedoch lässt sich nicht vorhersagen, ob und wann die Essstörung ausbricht. Meist geht dem Beginn der Krankheit ein belastendes Ereignis voraus, dem sich Betroffene nicht gewachsen fühlen. Aber auch selbst wenn die Ursache gefunden wird, hält die Verhaltensstörung weiter an, da bereits andere Faktoren hinzugekommen sind, die den Teufelskreis weiter anfeuern. Den Betroffenen fehlt es an geeigneten Strategien, um Belastungen zu bewältigen und zu verarbeiten.
Hinzu kommen eine verzerrte Körperwahrnehmung sowie falsche Denkmuster in Bezug auf das Essen, Gewicht und die Figur. Speziell für die Magersucht ist auch das zwanghafte Kontrollgefühl, ein wichtiger Faktor, der die Krankheit aufrechterhält. So verspüren Betroffene ein gutes und angenehmes Gefühl, wenn sie ihren Hunger und damit auch ihren Körper beherrschen können.
Häufige Begleiterkrankungen
Es können weitere psychiatrische oder psychosomatische Krankheiten auftreten. Hierzu gehören unter anderem die folgenden Erkrankungen, sortiert nach ihrer Häufigkeit:
- depressive Störungen
- Angststörungen
- Suchterkrankungen
- Persönlichkeitsstörungen (z. B. Borderline-Persönlichkeitsstörung, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität)
Bin ich magersüchtig? Habe ich eine Störung im Essverhalten?
Wer dünn ist, leidet nicht automatisch an gestörten Essverhaltensweisen. Wenn man sich jedoch durch absichtliches Hungern auf ein extremes Untergewicht herunter hungert und sich dennoch zu dick fühlt, könnten dies Anzeichen einer Magersucht sein. Um sein Essverhalten zu überprüfen, stehen im Internet Selbsttests zur Verfügung. Um herauszufinden, ob bereits ein Untergewicht besteht, kann der BMI-Rechner genutzt werden. Dieser berechnet nach Angabe verschiedener Daten den Body-Mass-Index.
Therapie und Behandlung
Magersucht-Behandlung
Bei der Magersucht kann die Behandlung auf unterschiedlichen Arten erfolgen. So können sich Magersüchtige in eine spezielle Klinik begeben oder sich ambulant in einer Tagesklinik behandeln lassen. Häufig zieht sich die ambulante oder stationäre Behandlung über viele Jahre hinweg, in denen sich die Behandlungsvarianten abwechseln. Ein Klinikaufenthalt ist vor allem dann dringend erforderlich, wenn Betroffene die Nahrungsaufnahme verweigern, ein starkes Untergewicht sowie schwere Depression und eine Suizidgefahr bestehen.
Wichtigstes Therapieziel ist es, das Körpergewicht zu erhöhen, um gesundheitliche Gefahren abzuwenden. Allerdings sind viele Magersüchtige krankheitsbedingt uneinsichtig, sodass Nährstoffe über eine Infusion zugeführt werden müssen, wenn eine akute Lebensgefahr besteht. Deshalb ist es auch wichtig, die Patienten regelmäßigen körperlichen Untersuchungen zu unterziehen. Auf Dauer kann sich jedoch das Körpergewicht erst dann normalisieren, wenn die Therapie auf die Ursachen der Krankheit abzielt.
Und da immer verschiedene Faktoren an der Entstehung einer Anorexie beteiligt sind, besteht die Therapie aus verschiedenen Komponenten. Eltern von Minderjährigen sollten sich hierzu eine umfassende Beratung in Anspruch nehmen.
Besonders hilfreich ist für Betroffene die Psychotherapie, in der Magersüchtige lernen, wieder eine realistische Vorstellung von ihrem Gewicht zu bekommen und ihr Selbstwertgefühl aufbauen können. Infrage kommen auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Methoden. Aber auch eine Familientherapie, Körpertherapie sowie eine Ernährungsberatung stellen wichtige Komponenten der Therapie dar, damit sie ihr Essverhalten normalisieren und ihre psychischen Probleme bewältigen können.
Bulimie (Bulimia nervosa): Behandlung
Auch bei der Bulimie (Bulimia nervosa) zielt die Therapie darauf ab, die Auslöser der Erkrankung zu erkennen. In der Regel ist bei der Esssucht bzw. Ess-Brech-Sucht eine tiefliegende psychische Ursache anzunehmen, weshalb sich hier eine Psychotherapie oder kognitive Verhaltenstherapie anbietet. Auch sollten die Eltern in die Therapie einbezogen werden.
Neben der psychotherapeutischen Unterstützung ist meist auch ein Ernährungsmanagement notwendig. Denn oft lassen sich Bulimiker zwar auf eine Ernährungsumstellung ein, ergreifen aber heimlich zu gewichtsreduzierenden Maßnahmen (z. B. Abführmittel oder harntreibende Mittel) aus Angst vor einer Gewichtszunahme. Deshalb ist eine Kontrolle des Bulimikers bei schwerer Krankheitsausprägung unbedingt notwendig.
Ess-Störungen: Medikamentöse Therapie
In einigen Fällen ist eine medikamentöse Behandlung erforderlich. Vor allem dann, wenn weitere psychische Störungen wie Depressionen oder Zwangssymptome auftreten. Im Rahmen der psychosomatischen Medizin kommen dann meist Antidepressiva, und zwar die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) zum Einsatz.
Verschiedene Studien haben jedoch gezeigt, dass die Wirksamkeit auf die Kernsymptomatik einer Essstörung relativ schwach ist. Zu Bedenken ist auch, dass Antidepressiva nicht nebenwirkungsfrei sind. An erster Stelle sollte stets die psychotherapeutische Behandlung stehen.
Essstörungen und ihr Krankheitsverlauf
Die Magersucht kann einen variablen Verlauf nehmen. Dieser erstreckt sich in der Regel über viele Jahre. Auch wenn sich die Verhaltensstörung bessert und Patienten ihr Körper-Gewicht steigern konnten, bleiben die verzerrte Einstellung zum Körper und die Angst vor einer Gewichtszunahme meist bestehen. Die Chancen, die Krankheit zu überwinden, stehen umso besser je früher sie behandelt wird. Statistiken zeigen, dass die Aussicht auf Heilung deutlich schlechter ist, wenn die Magersucht bei Kindern vor dem 11. Lebensjahr beginnt.
Darüber hinaus hängt die Prognose auch vom Körpergewicht ab. Wenn Patienten nach einer stationären Therapie ihr Sollgewicht erreicht haben, bestehen bessere Heilungschancen, als wenn sie bei ihrer Entlassung immer noch Untergewicht haben. Außerdem haben Magersüchtige eine hohe Sterberate. Bis zu 20 Prozent der Magersuchtfälle enden tödlich, entweder durch Selbstmord oder medizinische Komplikationen.
Auch der Krankheitsverlauf bei einer Bulimie verläuft individuell, da der Großteil der Bulimiker versucht, ihr gestörtes Essverhalten geheim zu halten, und nehmen dementsprechend auch erst spät Hilfe an. Wenn Betroffene jedoch eine Behandlung in Anspruch nehmen, stehen die Heilungschancen sehr gut. Laut Statistik bekommen ungefähr acht von zehn therapierten Bulimikern ihre Krankheit in den Griff.
Medizinisches Cannabis bei Essstörungen
Die medizinische Verwendung von Cannabis-Medikamenten und medizinischen Cannabisblüten und deren Wirksamkeit bei verschiedenen Beschwerden wird seit einigen Jahren intensiv erforscht.
Verschiedene Studien zeigen insbesondere bei chronischen Schmerzen ein therapeutisches Potenzial. Diese schmerzlindernde Wirkung wird vor allem dem Cannabinoid Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) aus der Cannabis-Pflanze zugeschrieben.
Dem zweiten wichtigen Cannabinoid namens Cannabidiol (CBD) werden hingegen unter anderem entzündungshemmende, beruhigende und appetithemmende Eigenschaften belegt. Dabei entfalten die Cannabinoide wie THC und CBD ihre Wirkung, indem sie an die Cannabinoid-Rezeptoren im Endocannabinoidsystem binden.
Cannabis als Medizin bei Essstörungen ist ebenfalls schon Gegenstand der Forschung. Britische Forscher fanden zum Beispiel heraus, dass die tägliche Gabe von 0,5 Milligramm des psychoaktiven Cannabinoids Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) bei Labormäusen mit aktivitätsbasierter Magersucht zur Steigerung des Appetits und des Gewichts führte. Ermutigend war auch eine Studie aus Dänemark. Hier führte die Verabreichung von Dronabinol (THC) bei Magersüchtigen zu einer kleinen, jedoch signifikanten Gewichtszunahme.
Im Jahr 2015 führten die dänischen Forscher erneut eine prospektive, doppelblind-randomisierte klinische Studie durch. 24 junge Frauen mit chronischer Anorexie erhielten über vier Wochen lang täglich 5 Milligramm Dronabinol-Kapseln oder ein entsprechendes Placebo. Im Vergleich zum Placebo konnte auch hier eine Gewichtszunahme bei den Patientinnen beobachtet werden.
Cannabis und seine appetitanregende Wirkung
Dass Cannabis einen appetitanregenden Effekt hat, konnte in vielen Studien bereits gezeigt werden. Deshalb wird Cannabis als Medizin auch bei verschiedenen schweren Erkrankungen empfohlen, zum Beispiel im Rahmen einer Chemotherapie gegen Krebs oder bei HIV-/AIDS-Patienten. Forscher gehen davon aus, dass das Endocannabinoidsystem unter anderem bei der Steuerung des Appetits und der Sättigung eine wesentliche Rolle spielt.
Aus einer Studie der University of Naples geht hervor, dass im Blut von Anorexiepatienten ein erhöhter Wert des körpereigenen Cannabinoids Anandamid gefunden wurde. Hingegen wiesen Bulimiepatienten normale Blutwerte auf. Zudem wurde beobachtet, dass die Anandamid-Konzentration mit dem Gehalt an Ghrelin zusammenhängt. Hierbei handelt es sich ebenfalls um einen Botenstoff, der bei der Appetitregulierung sowie der Nahrungsaufnahme eine bedeutende Rolle spielt.
Die Zusammenhänge zwischen Ghrelin und dem Endocannabinoidsystem sind gut erforscht. So konnte festgestellt werden, dass THC als Ersatz für Ghrelin bei Krebspatienten dienen kann, die eine Chemotherapie erhalten. Die Aufgabe des Botenstoffes Ghrelin ist es, das Gehirn sowie das periphere Nervensystem zu aktivieren, um Hungergefühle auszulösen, wenn der Magen leer ist.
Bestimmte Medikamente, die bei der Chemotherapie verabreicht werden, hemmen die Freisetzung des Botenstoffes Ghrelin. Fehlt dieser Botenstoff, wird auch bei leerem Magen kein Hunger verspürt. Wenn nun davon ausgegangen wird, dass das körpereigene Cannabinoid Anandamid dem Cannabinoid aus Cannabis ähnelt, so wäre es logisch, dass eine erhöhte Anandamid-Konzentration Patienten mit Magersucht zu exzessivem Essen verleiten könnte. Unklar ist jedoch, warum Magersüchtige mit einem ähnlich erhöhten Anandamid-Gehalt keine Esslust verspüren oder aber dieser widerstehen können.
Cannabis-Therapie: Welche Darreichungsformen gibt es?
Medizinisches Cannabis kann in Form von Cannabis-basierten Medikamenten (z. B. Sativex), Rezepturarzneimitteln (z. B. ölige THC- bzw. Dronabinol-Lösung) oder medizinischen Cannabis-Blüten verordnet werden. Aufgrund dessen, dass die Dosierbarkeit bei den medizinischen Cannabisblüten oft schwierig ist, entschieden sich viele Mediziner für Cannabis-Medikamente, die ölige Dronabinol-Lösung oder aber Vollspektrumextrakte, die oral eingenommen werden können.
Welche Rolle spielt das Endocannabinoidsystem?
Ein Ungleichgewicht im Endocannabinoidsystem könnte für das Entstehen einer Essstörung mitverantwortlich sein. Hinweise darauf liefert eine Studie der University Hospital and Katholieke Universiteit Leuven in Belgien. Die Forscher untersuchten die Gehirne von gesunden Probanden und Frauen, die an Anorexie oder Bulimie (Bulimia nervosa) litten mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
In den kortikalen und subkortikalen Gehirnregionen der Anorexiepatientinnen zeichnete sich im Vergleich zu den gesunden Patientinnen ein Anstieg der CB1-Cannabinoid-Rezeptor-Dichte auf. Zudem wurde festgestellt, dass die Anorexie- und Bulimiepatientinnen im Inselkortex, der am Belohnungssystem beteiligt ist, ebenfalls eine erhöhte CB1-Rezeptordichte aufwiesen. Sowohl bei den Anorexiepatientinnen als auch bei den Bulimiepatientinnen war der Gehalt an körpereigenen Cannabinoiden (Endocannabinoiden) signifikant niedrig. Hieraus schlossen die Forscher, dass der Anstieg der CB1-Rezeptordichte im Inselkortex vermutlich mit einer Störung des Belohnungssystems zusammenhängt.
Auch italienische Forscher beschäftigten sich mit diesen Zusammenhängen und fanden heraus, dass das Endocannabinoidsystem sowohl bei Tieren als auch bei Menschen die Nahrungsaufnahme kontrolliert. Weiter heißt es in den Ergebnissen der Forscher, dass die hypothalamischen Endocannabinoide Teil der neuronalen Schaltkreise zu sein scheinen, die an der modulierenden Wirkung von Leptin auf die Energiehomöostase beteiligt sind.
Daher könnten Veränderungen des Endocannabinoidsystems an der Pathophysiologie von Essstörungen beteiligt sein, bei denen auch über eine Störung der Signalübertragung durch Leptin berichtet wurde. Um diese Hypothese zu verifizieren, haben die Forscher die Plasmaspiegel von AEA, 2-AG und Leptin bei 15 Probandinnen mit Anorexia nervosa (AN), 12 Probandinnen mit Bulimia nervosa (BN), 11 Probandinnen mit Binge-Eating-Störung (BED) sowie 15 gesunden Probandinnen untersucht.
Ergebnisse der Untersuchung
Die AEA-Plasmaspiegel waren sowohl bei Anorexie- als auch bei BED-Frauen signifikant erhöht, nicht jedoch bei Bulimie-Patienten. Bei allen Patientengruppen traten keine signifikanten Veränderungen der Plasmaspiegel von 2-AG auf. Darüber hinaus korrelierten die zirkulierenden AEA-Spiegel sowohl bei gesunden Kontrollen als auch bei anorektischen Frauen signifikant und invers mit den Leptin-Plasmakonzentrationen.
Diese Ergebnisse zeigen zum ersten Mal eine Störung in der Produktion des endogenen Cannabinoids AEA bei drogenfreien symptomatischen Frauen mit AN oder mit BED. Obwohl die pathophysiologische Bedeutung dieser Veränderung weitere Studien zur Klärung erwartet, legt sie eine mögliche Beteiligung von AEA an der Vermittlung der lohnenden Aspekte des anormalen Essverhaltens nahe.
Die gleichen Forscher fanden vier Jahre später heraus, dass Endocannabinoid-Gene vermutlich zur biologischen Anfälligkeit für ein gestörtes Essverhalten beitragen können.
Gerade in diesem Gebiet sind weitere Forschungen und Untersuchungen notwendig. Denn sollte sich die Annahme bestätigen, so könnte Cannabis als Medizin bei Patienten, die einen Endocannabinoidmangel haben, aus medizinischer Sicht therapeutisches Potenzial besitzen.
CBD- und THC-Gehalt in Cannabis
Zum Thema Essstörungen und Cannabis als Medizin ist zu sagen, dass – sofern Cannabis für medizinische Zwecke eingesetzt wird – darauf geachtet werden sollte, dass der THC-Anteil höher ist als der CBD-Gehalt. Denn CBD kann eine appetithemmende Wirkung entfalten, weshalb es bei der Behandlung von gestörten Essverhaltensweisen kontraproduktiv wäre. CBD-reiches medizinisches Cannabis könnte hier bei einer Fettleibigkeit (Adipositas) zum Einsatz kommen.
Rezeptfreie Cannabidiol-Produkte wie CBD-Öl, könnten ebenfalls eine appetithemmende Wirkung entfalten, weshalb hier Vorsicht geboten ist.
Sehr THC-haltiges Cannabis könnte hingegen den Appetit anregen und eine positive Wirkung auf die Stimmung haben. Möglich wäre der medizinische Einsatz bei magersüchtigen Patienten. Das gilt jedoch nicht für Kinder und Jugendliche.
Wo finden Betroffene Hilfe?
Menschen die unter einer Anorexia nervosa, Bulimia nervosa oder unter Binge Eating leiden, stehen viele Hilfen zur Verfügung. Problematisch ist jedoch, dass Betroffene in der Regel lange Zeit der festen Überzeugung sind, Herr der Lage zu sein und dass sie die Krankheit kontrollieren und nicht umgekehrt. Nicht selten begeben sich Betroffene erst in Therapie, wenn es bereits zu erheblichen Gesundheitsschäden gekommen ist. Andere bleiben ihr Leben lang therapieresistent und nehmen keinerlei Hilfen an. Der erste Schritt, um Hilfe anzunehmen, besteht also darin, sich ein Problem einzugestehen.
Hilfe und Beratung finden Betroffene und Angehörige auf der Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), beim ANAD e.V. sowie bei der Online-Beratung für Angehörige (Von Waage e.V.).
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: