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Medizinalhanfkonsum in der Öffentlichkeit

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

Ist es verboten, seine Medikamente auf dem Balkon einzunehmen? Natürlich nicht – scheint die klare Antwort. Wenn es um Cannabis als Medizin geht, ist die Sache aber offensichtlich nicht so eindeutig: Gegen einen Cannabispatienten läuft derzeit ein Gerichtsverfahren. Seine Nachbarin hat ihn verklagt, da er auf dem Balkon Cannabisblüten per Vaporisator verdampft.

Medizinalhanfkonsum in der Öffentlichkeit

Cannabispatient wegen Medizinalhanfkonsum im Freien verklagt

Günter Weiglein ist von seiner Nachbarin verklagt worden. Sie fühlt sich durch unangenehme Gerüche belästigt, denn Weiglein inhaliert Cannabis als Medizin. Manchmal findet der Medizinalhanfkonsum auch auf seinem Balkon statt. Und das will die Nachbarin, die über dem Cannabispatienten wohnt, nicht länger hinnehmen.

Weiglein ist seit einem Motorradunfall im Jahr 2002 chronischer Schmerzpatient. Zur Linderung seiner Symptome bekommt er Cannabis auf Rezept. Die Cannabisblüten verdampft er mit dem in Deutschland zugelassenen medizinischen Vaporisator “Mighty” des Herstellers Storz & Bickel. Vaporisieren ist eine von Medizinern empfohlene Einnahmeform von Cannabis als Medizin.

Seit 2008 bewohnt Weiglein eine Wohnung in Würzburg. Konflikte mit seiner Nachbarin wegen Cannabis gab es auch bereits in der Vergangenheit, erzählt der Schmerzpatient im Gespräch mit Leafly.de. Diesmal ist die Frau erbost, da die Dämpfe des Vaporisators zu ihrem – ein Stockwerk höher gelegenen – Balkon aufsteigen würden.

“Meine Nachbarin behauptet, dass der Dampf aus dem Vaporisator zu ihr nach oben zieht, sich dann durch ihre Balkontür in ihre Räumlichkeiten schleicht und derart üble Gerüche verbreitet, dass einer Bekannten von ihr dadurch bereits schwindelig wurde”, so Günter Weiglein.

Richter will Termin vor Ort machen

Der Richter des Landgerichts Würzburg, der den Fall behandelt, hätte am liebsten, dass die Parteien zu einer gütlichen Einigung kommen. Diese ist jedoch bisher nicht in Sicht. Es wurden bereits mehrere Zeugen geladen, und der Richter will sich eventuell noch einen persönlichen Eindruck verschaffen und den Ort des Geschehens besichtigen.

Wie kann es sein, dass ein Cannabispatient in einen Zivilprozess verwickelt wird, nur weil er seine vom Arzt verschriebenen Arzneimittel einnimmt? Und das auch noch auf seinem eigenen Balkon. Welche gesetzliche Grundlage regelt die Einnahme von Cannabis als Medizin in der Öffentlichkeit?

Dürfen Patienten Cannabis in der Öffentlichkeit konsumieren?

Generell gilt, dass Patienten ihre Arzneimittel in der Öffentlichkeit zu sich nehmen dürfen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellte laut Deutschem Hanfverband klar, dass „die Medikamenteneinnahme grundsätzlich entsprechend der Vorgabe des verschreibenden Arztes zu erfolgen habe. Wenn die therapeutische Anwendung im Ausnahmefall nur in der Öffentlichkeit möglich sei, stelle dies keine Straftat dar.“ Besondere gesetzliche Regelungen zur Anwendung von Cannabis als Medizin in der Öffentlichkeit gibt es nicht.

Allerdings muss der Nichtraucherschutz eingehalten werden. Das bedeutet unter anderem, das Rauchen von Cannabis wie von Tabak ist in öffentlichen Gebäuden und Nichtraucherzonen verboten.

Nichtraucherschutz

Der Nichtraucherschutz ist in Deutschland anders geregelt als in den meisten anderen EU-Staaten. Anstelle einer bundesweit einheitlichen Gesetzgebung, wurden 16 Ländergesetze geschaffen, die sich zum Teil beträchtlich voneinander unterscheiden. Das bedeutet, jedes Bundesland ist für den Nichtraucherschutz im eigenen Land verantwortlich.

Generell ist das Ziel des Nichtraucherschutzgesetzes, die Bevölkerung in öffentlich zugänglichen und geschlossenen Räumen vor den gesundheitlichen Gefahren durch Tabakrauchen zu schützen. Beim Vaporisieren von pharmazeutischem Cannabis mit einem Verdampfer kommt aber kein Tabak zum Einsatz.

Medizinalhanfkonsum: Cannabis rauchen

Das Rauchen von Cannabis als Medizin lehnen Ärzte und andere Experten aus gesundheitlichen Gründen generell ab. Auch wir von Leafly.de weisen immer wieder darauf hin, dass man das keinesfalls machen sollte. Das erklärt auch das BfArM in seinen Hinweisen für Cannabispatienten.

Das Amt schreibt zu der Frage: “Darf man öffentlich Cannabis zu medizinischen Zwecken rauchen” auf Ihrer Webseite:

“Von der Anwendungsart Rauchen wird grundsätzlich abgeraten. Sollte Ihre behandelnde Ärztin bzw. Ihr behandelnder Arzt im Einzelfall dennoch diese Anwendungsart für die Therapie empfehlen, so sollte die Anwendung – wenn immer möglich – nicht im öffentlichen Raum stattfinden. Für unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger ist nicht erkennbar, ob es sich um die Anwendung eines Arzneimittels oder um den illegalen Konsum von Cannabis handelt. Dies sollte stets berücksichtigt werden.”

Wie sagen die Bundesländer?

Der Deutsche Hanfverband wollte wissen, wie die Bundesländer das Thema Einnahme von medizinischem Cannabis in der Öffentlichkeit handhaben. Daher hat der Verband Anfragen an alle Bundesländer geschickt und fragte “wie die polizeiliche Dienstanordnung zum Umgang mit Cannabispatienten, die in der Öffentlichkeit ihre Medizin zu sich nehmen müssen”, im jeweiligen Bundesland geregelt ist.

11 der 16 Bundesländer haben dem Deutschen Hanfverband auf seine Anfrage geantwortet. Grundsätzlich orientieren sich viele der eingegangenen Antworten inhaltlich an den Anweisungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Doch es gab auch über die Einschätzung des BfArM hinausgehende Anordnungen im Umgang mit Cannabispatienten. Beispielsweise werden in Thüringen Ermittlungsverfahren gegen Patienten eingeleitet. Denn “die Polizei muss jedem öffentlichen THC-Konsum nachgehen”, heißt es in der Stellungnahme des Thüringer Innenministeriums zum Thema Medizinalhanfkonsum in der Öffentlichkeit.

Alle Antworten der Bundesländer gibt es hier.

Medizinalhanf in der Öffentlichkeit verdampfen?

Günter Weiglein raucht sein Medizinalcannabis nicht, sondern verdampft es mit einem in Deutschland zugelassenen medizinischen Vaporisator. Vaporisierien ist eine offiziell anerkannte Einnahmeform von Cannabis als Medizin. Dürfen Patienten also ihre Cannabisblüten in der Öffentlichkeit verdampfen?

Da bei diesem Thema nach wie vor Unklarheit herrscht, haben wir von Leafly.de beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachgefragt, welche Regelung es für die Einnahme von Cannabis als Medizin in der Öffentlichkeit gibt. Das BfArM sieht sich allerdings nicht zuständig. Wer zuständig ist, konnte uns das Amt auf Nachfrage nicht mitteilen.

Auch der Hersteller von medizinischen Vaporisatoren, Storz & Bickel, konnte uns bei der Frage nicht weiterhelfen, da das Unternehmen die Rechtslage nach eigener Auskunft nicht einschätzen kann. Offensichtlich ist dieses Thema eine Grauzone, für die eine eindeutige gesetzliche Regelung fehlt.

Gerichtsverfahren könnte Klärung bringen

Günter Weiglein jedenfalls geht davon aus, dass in seinem Fall der Nichtraucherschutz nicht greift:

“Für Patienten gibt es keine Einschränkungen der Örtlichkeiten, um ihre Medizin einnehmen zu können – und schon gar nicht auf dem eigenen Balkon, wo es noch nicht einmal ein Rauchverbot gibt. Der Richter erwähnte ein Urteil vom BGH, wo es um das Nichtraucherschutzgesetz geht, was aber mit dem Verdampfen von Medizin nichts zu tun hat.”

Das Gerichtsverfahren gegen Günter Weiglein geht derweil weiter. Am 5. Februar 2019 werden neue Zeugen der Klägerseite gehört. Danach stattet eventuell der Richter Weiglein einen Besuch ab und verschafft sich vor Ort ein Bild der Lage. Wir sind gespannt, welche Erkenntnisse er gewinnt und wie dieses Verfahren gegen den Cannabispatienten ausgehen wird.

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