Die Migräne-Behandlung mit medizinischem Cannabis hat eine lange Geschichte. Im Jahr 1840 verschrieb bereits der in London ansässige Dr. Clendinning seinen Patienten mit chronischer Migräne Cannabis mit einem niedrigen THC-Gehalt. Weitere Mediziner folgten und verschrieben ihren Migränepatienten ebenfalls tägliche Dosen von Cannabis. Darunter auch der Arzt der britischen Königsfamilie Sir John Russel Reynolds im Jahre 1890.
Eine Studie der University of Colorado veröffentlichte im Jahr 2016 spannende Ergebnisse. Untersucht wurden die Auswirkungen von medizinischem Cannabis auf die Häufigkeit der Migräneanfälle pro Monat. Hierfür wurden 121 erwachsenen Betroffenen über einen vierjährigen Zeitraum medizinisches Cannabis ärztlich verschrieben. 85 Prozent der Betroffenen berichteten von einem Rückgang der Migräneattacken von durchschnittlich 10,4 Anfällen auf 4,6 Anfälle im Monat. Bei 12 Prozent der Probanden kam es zu gar keinen Migräneattacken mehr.
Interessant ist auch, dass die Probanden zur akuten Behandlung medizinische Cannabisblüten inhalierten. Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Wirkung und Dosis hatten Probanden, die Edibles aßen. So berichteten einige Probanden, dass essbares Cannabis (Edibles) im Vergleich zu anderen Anwendungsformen negative Auswirkungen hatte. Die Wissenschaftler fassten in den Ergebnissen zusammen, dass medizinisches Cannabis ein natürliches Mittel gegen die neurologische Erkrankung sein kann.
Migränearten im Überblick
Migränebedingte Kopfschmerzen lassen sich in zwei Typen unterscheiden. Und zwar in Migräne mit und ohne Aura. Rund 90 Prozent aller Betroffenen leiden an Kopfschmerzen ohne Aura. Die Schmerzen treten in der Regel nur in einer Kopfhälfte auf, woher die Migräne auch ihren Namen hat. So leitet sich der Name „Migräne“ aus dem griechischen Wort „Hemikranie“ ab. Übersetzt bedeutet dies „halbköpfig“.
Häufig setzen die starken Schmerzen am Morgen beim Aufwachen ein. Begleitet werden sie von einer Überempfindlichkeit gegen Licht bei ca. 60 Prozent aller Migräneattacken, Geräuschen (ca. 50 Prozent) sowie Gerüchen (ca. 10 Prozent). Betroffene ziehen sich dann in abgedunkelte und ruhige Räume zurück. Neben den pulsierenden pochenden Schmerzen im Kopf, die sich häufig durch Aktivität verstärken, können Begleitsymptome in Form von Appetitlosigkeit sowie Übelkeit und Erbrechen auftreten. Dabei dauert die Migräne-Attacke meist zwischen 4 und 72 Stunden.
Bei rund 10 Prozent der Betroffenen treten die Kopfschmerzen mit Aura (Migraine accompagnée) auf. Häufig kommt es ungefähr eine halbe Stunde vor der eigentlichen Attacke zu Sehstörungen. Im Gesichtsfeld können Schlieren, Schleier oder ein Flimmern erscheinen. Einige Migräniker berichten auch von sternförmigen Figuren mit bunt flimmernden und gezackten Rändern oder „blinden“ Flecken. Eher selten kommt es zu Taubheitsgefühlen oder „Ameisenkribbeln“ im Gesicht, Armen oder Beinen. Auch Sprachstörungen oder Schwindel sind weniger häufig zu beobachten. Nach der Aura-Phase folgt dann meist der Kopfschmerz mit einseitig pulsierendem Schmerz, Licht- und Lärm-Überempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Sonderformen der migräneartigen Kopfschmerzen
Experten unterscheiden zwischen den folgenden weiteren Migränearten:
- Migraine sans migraine: Einige Migräniker leiden nur unter den Aura-Symptomen, ohne dass Kopfschmerzen auftreten.
- Vestibuläre Migräne: Da hier das vestibuläre System betroffen ist, kann es zu Gleichgewichtsstörungen und Schwindel kommen. Weitere Symptome können Übelkeit und Erbrechen sein.
- Hemiplegische Migräne: Diese ist eine Unterform mit Aura. Neben den typischen Symptomen kommen noch Bewegungseinschränkungen hinzu.
- Basiläre Migräne: Die Basiliarismigräne ist ebenfalls eine Unterform mit Aura. Typischerweise treten die Schmerzen hier im Hinterkopf auf. Aufgrund der Minderdurchblutung der Arteria basilaris kann es zu Sprachstörungen, Bewegungsstörungen, Hörminderung, Schwindel sowie Bewusstseinsstörungen kommen.
- Opthalmoplegische und retinale Migräne: Beide Sonderformen dieser migräneartigen Kopfschmerzen treten nur sehr selten auf und betreffen vor allem die Augen. Leitsymptome sind hier vor allem Sehstörungen.
- Menstruelle Migräne: Diese Kopfschmerzen zeigen sich nur in Zusammenhang mit der Menstruation und tritt einige Tage vor oder einige Tage nach der Monatsblutung auf. Nicht zu verwechseln ist diese Migräneart mit hormonell bedingten Kopfschmerzen, die durch Schwankungen des weiblichen Hormonhaushalts verursacht werden und auch zwischen den Monatsblutungen auftreten kann.
- Abdominelle Migräne: Hier sind vorwiegend Kinder betroffen. Zu Kopfschmerzen kommt es meist nicht, sondern zu einem dumpfen Schmerz rund um den Bauchnabel.
Migräne und ihre Ursachen
Die genauen Migräne-Ursachen und auch die Vorgänge im Gehirn sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Vermutet wird, dass einige Nervennetze im Gehirn während einer Migräneattacke stark erregt sind. Auch der Stoffwechsel des Botenstoffes Serotonin scheint verändert zu sein. Serotonin wirkt unter anderem auf die Blutgefäße und macht sie durchlässiger für Moleküle. Infolge dessen sind die Blutgefäßwände des Gehirns bei Migräneattacken gereizt, sodass verschiedene Substanzen ins Gewebe eindringen können. Es kommt dann zu einer neurovaskulären Entzündung. Auch der Botenstoff Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP) ist im Blut erhöht, sodass der Schmerz leichter weitergeleitet wird. Es ist jedoch unklar, ob dies die einzige Ursache ist.
Weitere Informationen zu den Ursachen finden Sie auf der Webseite der Deutschen Migräne – und Kopfschmerzgesellschaft.
Obwohl die Ursachen weitestgehend ungeklärt sind, scheint es bestimmte Auslöser (Trigger) zu geben, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind. Hierzu zählen vor allem Stress und Schlafmangel. Weitere Triggerfaktoren können Wetterumschwünge, Reizüberflutungen, unregelmäßige Mahlzeiten, Unterzuckerung durch Hunger, Flüssigkeitsmangel, Medikamente oder Koffein sein.
Wie wird die Diagnose Migräne gestellt?
Sollten sich migräneartige Beschwerden zeigen, sollte zunächst der Hausarzt aufgesucht werden. Dieser erfragt zunächst die aktuellen Beschwerden und erfasst die Krankengeschichte des Patienten. Ebenso wird der Patient danach gefragt, welche Medikamente regelmäßig eingenommen werden. Dies ist deshalb wichtig, weil bestimmte Medikamente wie Schmerzmittel oder nitrathaltige Medikamente Kopfschmerzen auslösen können.
Zur weiteren Festigung der Diagnose erfolgt in der Regel die Überweisung zu einem Neurologen. Dieser wird anhand der Beschwerden entscheiden, ob weitere Untersuchungen notwendig sind. Hierzu gehören zum Beispiel bildgebende Verfahren wie eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Kopfes. Anhand der Ergebnisse wird der Neurologe dann mit dem Patienten die weitere Vorgehensweise bzw. Therapie besprechen.
Migräne-Therapie und Behandlung
Die Migräne-Behandlung kann während eines akuten Anfalls oder als Prophylaxe erfolgen. Bei einem Migräneanfall mit leichten bis mittelschweren Symptomen eignen sich Schmerzmittel bzw. die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Paracetamol, Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen oder Acetylsalicylsäure (ASS). Dabei werden die Wirkstoffe am besten in Form von Kau- oder Brausetabletten vom Körper aufgenommen. Jedoch sollten Medikamente wie Paracetamol nicht länger als zehn Tage im Monat eingenommen werden. Denn diese sind nicht frei von Nebenwirkungen. Unter anderem können Magen- und Darm-Beschwerden sowie auch Kopfschmerzen auftreten.
Warum sich diese Medikamente nicht für die langfristige Einnahme eignen, wie sie gegen Schmerzen wirken, und welche Nebenwirkungen auftreten können, erfahren Sie in diesem Beitrag zum Thema „Unterscheidung: Schmerzmittel und Medizinalcannabis„.
Medikamentöse Behandlung bei schweren Kopfschmerzen
Bei schweren Migräneanfällen eignen sich sogenannte Triptane. Diese Medikamente greifen in den Serotoninstoffwechsel ein und verengen die erweiterten Blutgefäße. Am besten wirken Triptane, wenn die Einnahme frühzeitig erfolgt. Als Prophylaxe-Medikament eignen sich Triptane hingegen nicht.
Migräne-Patienten müssen bei dieser Behandlung jedoch mit Nebenwirkungen rechnen. Unter anderem können diese Medikamente auch chronische Kopfschmerzen auslösen. Zudem dürfen Triptane nicht bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäß- und Herzkrankheiten angewendet werden.
Therapie mit weiteren Arzneimitteln
Wenn diese Behandlungen keinen Erfolg haben, werden oft Mutterkornalkaloide (Ergotamine) eingesetzt, insbesondere bei sehr lang anhaltenden Migräneanfällen. Da Ergotamine jedoch mehr Nebenwirkungen als Triptane haben, werden sie bei akuten Migräneanfällen nur noch selten eingesetzt.
Gegen die Symptome wie Übelkeit und Erbrechen, die bei einer Migräne-Attacke auftreten können, können Antiemetika helfen. Diese regen den durch die Migräne gebremsten Magen an, sodass auch andere Wirkstoffe aus Migräne-Medikamenten besser aufgenommen werden können.
Prophylaxe und alternative Behandlungen
Bei chronischer Migräne ist eine Prophylaxe mit einem geeigneten Wirkstoff zu empfehlen. Es empfiehlt sich außerdem, nicht-medikamentöse Therapien zur Vorbeugung anzuwenden. Hier können beispielsweise Entspannungsmethoden und Ausdauersport helfen. Auch alternative Therapien wie Akupunktur, Biofeedback-Verfahren sowie ggf. eine Verhaltenstherapie können hilfreich sein. Welche Behandlung geeignet ist, ist von Patient zu Patient verschieden.
Behandlung mit medizinischem Cannabis
Bereits im Jahre 1985 hieß es in einem Artikel im International Journal of Clinical Pharmacology Research, dass Migräne mit der Serotonin-Signalübermittlung im Gehirn zusammenhängt, weshalb medizinisches Cannabis die Migräne-Beschwerden reduzieren kann, da es ebenfalls das Serotonin System beeinflusst. Forscher gehen davon aus, dass körpereigene Cannabinoide, wie zum Beispiel das Anandamid (Gegenstück zu Tetrahydrocannabinol – kurz THC), Schmerzen lindern können. Denn über die Cannabinoid-1-Rezeptoren (CB1) wird unter anderem das Eindringen der Schmerzsignale in das Gehirn gesteuert.
Im Rahmen einer US-amerikanischen Studie an der University of California fanden die Wissenschaftler heraus, dass die migräneartigen Kopfschmerzen auftreten, weil die schmerzempfindlichen trigemino vaskulären Nerven des Schädels (Craniums) erregt werden. Cannabinoide können die Schmerzreaktion dieser trigemino vaskulären Nerven verhindern. Deshalb nehmen die Forscher an, dass sich Migräneattacken möglicherweise mit medizinischem Cannabis behandeln lassen. Die Kranialnerven als auch die CB1-Rezeptoren werden durch Endocannabinoide gehemmt, wodurch die Schmerz Signalübertragung verhindert wird.
Lesen Sie hier mehr zu Kopfschmerzen und Medizinalcannabis.
Zusammenhänge zwischen Kopfschmerzen und Endocannabinoid-Mangel
Mittlerweile wird der klinische Endocannabinoid-Mangel (CECD) vielfach als Ursache unterschiedlicher Erkrankungen wie Migräne, Reizdarmsyndrom und Fibromyalgie vermutet. Alle drei Erkrankungen weisen ein gemeinsames biochemisches und pathophysiologisches Muster auf, die auf einen CECD hinweisen.
Die Symptomzusammenhänge von Migräne, des Reizdarmsyndroms und der Fibromyalgie haben zu der Annahme geführt, dass sie Ausdruck einer somatischen Krankheit sind. So berichten beispielsweise viele Betroffene des Reizdarmsyndroms von migräneartigen Symptomen und Fibromyalgie-Erkrankte leiden an Symptomen des Reizdarmsyndroms. Die Hypothese, dass das Endocannabinoidsystem für diese Erkrankungen verantwortlich ist, wurde erst in den vergangenen Jahren aufgestellt. Die Erkrankung CECD wurde erstmals im Jahr 2004 benannt.
Forscher und Wissenschaftler nahmen an, dass ein gestörtes Endocannabinoidsystem auf den hohen Grad an Komorbidität zurückführen sei. Viele bekannte Krankheiten sind so auf eine Fehlfunktion des Neurotransmitter-Systems zurückzuführen. Beispielsweise wird Alzheimer durch einen Acetylcholin-Mangel und Parkinson durch einen altersbedingten Dopaminmangel verursacht. Die Forscher zogen die logische Schlussfolgerung, dass ein Cannabinoid-Neurotransmitter-Mangel bestimmte Erkrankungen mitbedingt. Nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann die Beziehung zwischen dem CECD und dem Serotonin-Signalsystem nicht mehr ignoriert werden.
Einige Studien zeigen bereits, dass durch das Regulieren des Serotonin-Systems Effekte im Endocannabinoid-System auftreten. THC hemmt nachweislich die Serotoninausschüttung der Thrombozyten bei Migränepatienten. Gleichzeitig wird die zunehmende Synthese von Serotonin unterbunden. Ähnliche Effekte konnten bei Cannabidiol (CBD) nachgewiesen werden.
Die Forschung steht hier noch am Anfang. Dennoch bestehen bereits jetzt schon zahlreiche Belege dafür, dass sich eine Migräne vermutlich mit medizinischem Cannabis behandeln lässt.
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: