Manchmal gibt es Geschichten, die schwierig zu erzählen sind. Und ganz selten gibt es Geschichten, die sich sehr einfach erzählen lassen, obwohl sie von schweren Zeiten erzählen. Weil die Menschen aus diesen Geschichten trotz der Schwere so lebhaft sind, und uns dazu bringen, uns so leicht zu fühlen. Eine Geschichte, die mir trotz ihrer Schwere leicht über die Lippe kommt, ist die Geschichte von Jana.
Jana ist eine junge Mutter von drei Kindern und hat einen tollen Mann. Sie arbeitet mit obdachlosen Jugendlichen, hilft ihnen von der Straße, um den Drogen und der Selbstzerstörung zu entkommen. Letzte Woche habe ich Jana eine entspannende Nacken- und Rückenmassage mit Aroma Therapie verabreicht. Während ich ihre schneewittchenweiße Haut knetete, konnte ich ihre gute Seele förmlich unter meinen nach Sandelholz duftenden Händen spüren. Jana ist sehr geerdet.
Sie ist zuversichtlich, voller Vertrauen und schwimmt mit Wonne gegen den Strom unserer konventionellen und immer gestressten Leistungsgesellschaft. Ihre Kinder, drei wilde Mädchen a la Pippi Langstrumpf zwischen zwei und neun Jahren durften sich vom ersten Atemzug an frei entfalten. Sie besuchen auch eine freie Schule und Jana erlaubt es ihnen stets kreativ, neugierig und vor allem anders zu sein. Während ich Jana massiere, wünsche ich mir insgeheim in meinem nächsten Leben mit einer MUTTER wie Jana beschenkt zu werden.
Jana und der Krebs
Ich durfte sie oft dabei beobachten, wie sie liebevoll die selbst gebastelten Geschenke einpackt und dabei überlegt worüber sich ihre Kindern zu Weihnachten freuen würden. Jana ist nicht nur intelligent, sie hat auch ein riesiges Herz. Sie macht sich Gedanken über unsere Welt und nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie ist direkt und ehrlich. Deswegen macht sie sich, ihrer Familie und ihren Freund*innen nichts vor.
Denn die Ärzte wissen: Lange wird sie nicht mehr leben. Jana hat einen unheilbaren Knochen Tumor an der rechten Schulter der auch schon an der Lunge metastasiert. Jana weiß: ihre Lebenserwartung ist gering. Nicht alle Menschen in ihrem Umfeld halten das aus.
Manche Freund*innen haben sich in der letzten Zeit von Jana entfernt. Und auch Jana hat auf die leeren Floskeln, die einem in dieser Situation vor die Füße geschmissen werden keine Lust mehr. „Sei stark“ oder „Das wird schon wieder“ sind Sätze, die sie oft hören muss, die allerdings nichts mehr mit Janas Realität zu tun haben und ihre wirklich kostbare Lebenszeit vergeuden.
Den genauen Zeitpunkt ihres Ablebens kennt Jana nicht und auch die Ärzt*innen sind da sehr vage. Ein Mal sprach jemand von zwei bis drei Monaten. Manchmal wird sogar von Jahren gesprochen, falls es möglich ist, eine sehr seltene und riskante Operation durchzuführen.
Jana ist somit gezwungen im JETZT zu leben und sie sagt oft, das es für sie am schwierigsten ist keinen Einfluss mehr zu haben. Sie sagt manchmal, dass sie sich wie ein Spielstein fühlt, der gespielt wird.
„Und wer spielt mit dem Stein?“, frage ich sie.
„Die Ärzte und der Krebs,“, sagt sie ohne mit der Wimper, die es seit der Chemo nicht mehr gibt, zu zucken.
Ich spreche sehr gerne mit Jana und unsere Gespräche sind immer im Hier und Jetzt verankert. Jana ist SUPER dankbar für das Cannabis als Medizin was sie seit ihrer Diagnose problemlos und wie selbstverständlich verschrieben bekommt.
Besonders nach der Chemie Keule (so nennt sie ihre Chemo) hat es ihr geholfen wieder Appetit zu bekommen und auch die Morphin Dosierung ist nach ihrem Ermessen dadurch sogar ertragbar und weniger einschläfernd. Momentan ist sie deswegen tatsächlich komplett schmerzfrei, dabei wach, klar und einigermaßen kräftig genug um die Wochenenden mit ihren drei Kindern und ihrem Mann zu genießen, die sie dann gemeinsam im Hospiz verbringen.
„Wo Schlafen denn die Kinder?“ frage ich Jana.
„Von Schlafen kann keine Rede sein!“
Sie zeigt auf ihr kleines Krankenhausbett, was am Wochenende nun auch ihre Kinder beherbergen wird, die kein Stück von ihrer Seite weichen.
In diesem Moment höre ich auch schon ein wildes Klopfen. Mit einem Ruck ist das ruhige, warme Zimmer gefüllt mit plappernden Mädchen, die ihrer Mama die neuesten Kunstwerke aus der Kita zeigen, von der Schule berichten und um die Wette erzählen. Dabei überschlagen sie sich beinahe vor Wiedersehensfreude.
Unbemerkt mache ich mich von dannen. Mein lautes und wohlwollendes „Auf Wiedersehen!“ geht im Trubel komplett unter. Ich bin dankbar für die Unvorhersehbarkeit des Lebens und den Schnee, der draußen grade anfängt zu rieseln.
Auf meinem Heimweg sitze ich in der vollgepackten Tram und beobachte die Menschen, die im Strudel der Alltagshektik förmlich untergehen. Ich lasse mich davon nicht anstecken- ich denke lieber an Jana’s warmes Bett, was heute Nacht eine ganz besondere Familie beherbergen wird.
Ich wünsche allen Lesern ein gesundes neues Jahr!
Miri
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