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Palliativmedizin: Wie Cannabinoide sinnvoll eingesetzt werden können

Autor:
Dr. Christine Hutterer

Anders als Medizin, die Krankheiten heilen möchte, wird in der Palliativmedizin versucht, Patienten mit unheilbaren Krankheiten bis zum Lebensende möglichst hohe Lebensqualität zu ermöglichen. Häufig steht die Behandlung von Schmerzen, Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Übelkeit und Appetitlosigkeit im Vordergrund. Cannabinoide können für Palliativpatienten eine sinnvolle Option oder Ergänzung darstellen.

Palliativmedizin: Wie Cannabinoide sinnvoll eingesetzt werden können

Phasen der Versorgung in der Palliativmedizin

Palliativpatienten sind häufig von einer langen und/oder intensiven Krankheitsgeschichte gezeichnet. Dabei geht es nicht nur um Patienten mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung oder Krebs im Endstadium. Auch schwere Herz- und Lungenerkrankungen wie eine Herzinsuffizienz oder COPD, schwere Schlaganfälle, Parkinson, Demenz, schwere Leber- und Nierenerkrankungen oder Infektionskrankheiten (z.B. AIDS) sind typische Krankheitsbilder, in denen Patienten palliativmedizinisch betreut werden. Häufig wurde bereits eine Reihe von Therapieoptionen versucht. Doch auch schon in frühen Phasen einer unheilbaren Krankheit oder ab der Diagnose kann ein Patient palliativmedizinisch unterstützt werden, um sein Leben möglichst beschwerdearm weiterführen zu können.

Die Palliativmedizin ist daher keine Sterbemedizin – sie steht bejahend zum Leben. Das Leben soll nicht vorzeitig beendet, aber auch nicht durch unnötige und absehbar nicht erfolgversprechende Therapien zusätzlich belastet werden.

Symptome in der Palliativversorgung

Das Ziel der Palliativmedizin ist es, die Symptome möglichst gut unter Kontrolle zu bekommen. Häufige Symptome im Zusammenhang mit unheilbaren Krankheiten oder im Endstadium sind:

  • (chronische) Schmerzen
  • Angst und Angstzustände und Unruhe
  • Luft- und Atemnot
  • Schlafstörungen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Kraftlosigkeit
  • Antriebslosigkeit und Depressionen

Merkmale von Palliativpatienten

Im Kontext der Palliativbehandlung spielen Aspekte wie eine mögliche Abhängigkeit von Cannabis keine oder – je nach Zeitpunkt der Behandlung – nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch ist das Ziel nicht, möglichst hohe Dosierungen einzusetzen, um den Patienten in Watte zu packen. Vielmehr soll eine, in Abhängigkeit der körperlichen Verfassung, möglichst weitgehende Teilhabe am Leben ermöglicht werden.

Medizinisches Cannabis und Cannabinoide bei Tumorerkrankungen

Cannabis und cannabinoidhaltige Arzneimittel können bestimmte Symptome bei Menschen mit einer Tumorerkrankung oder Krebs lindern. Cannabis kann Krebs nicht heilen, auch wenn in einigen Untersuchungen in Zellkulturen gezeigt wurde, dass Cannabis wachstumshemmend auf Krebszellen wirken kann.

Übelkeit und Erbrechen

In zahlreichen Studien nachgewiesen wurde allerdings eine günstige Wirkung von Cannabis auf typische Begleiterscheinungen einer Chemotherapie, wie Übelkeit und Erbrechen. Doch nicht nur durch Chemotherapie leiden Krebspatienten unter Übelkeit. Bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen betrifft es 40-70 Prozent der Patienten. Die Ursachen dafür reichen von Stenosen im Magen-Darm-Trakt, metabolische Entgleisungen, erhöhten Hirndruck und als Folge von Schmerzen oder Angst. Auch die Strahlentherapie oder die Einnahme von Opioiden kann Übelkeit fördern. Im Rahmen der palliativen Krebsbehandlung wurden mit Cannabis bzw. cannabinoidhaltigen Rezepturarzneimitteln (wie z.B. Dronabinol) gute Erfahrungen gemacht. Es kann die Übelkeit und das Erbrechen lindern.

Der Mechanismus der antiemetischen Wirkung ist noch nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich ist es, dass eine Wirkung über Cannabinoid Rezeptoren im Nucleus Tractus Solitarius erfolgt.

Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust

Eine weiteres Symptom bei einer Krebserkrankung und/oder Behandlung ist fehlender Appetit. Durch die Chemotherapie verändert sich der Geschmackssinn bei vielen Patienten. Sie berichten davon, dass das Essen nicht mehr oder anders schmeckt. Außerdem wirkt die Übelkeit oder das Erbrechen ebenfalls nicht appetitfördernd. Als Folge verlieren die Patienten Gewicht, Kraft und körperliche Reserven, die der Körper aber im Kampf gegen die Krankheit benötigt. Daher ist es wünschenswert, wenn Patienten essen können und kein oder nur wenig Gewicht verlieren. Auch hierbei kann Cannabis unterstützen, indem das THC die CB1-Rezeptoren aktiviert. Es wurde festgestellt, dass die Anwendung von Cannabis bei vielen Patienten eine Steigerung des Appetits zur Folge hatte. Zusammen mit abnehmender Übelkeit ist das eine günstige Kombination!

Angst und Unruhe

Des Weiteren war mehrfach beobachtbar, dass Cannabis stimmungsaufhellend wirken kann. Somit kann es auch bei Angstzuständen und Unruhe unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden. Es gibt aber auch Patienten, die berichten, dass durch die Einnahme die Angst verschlimmert wurde. Hier muss jeweils individuell ausprobiert werden, ob, wie gut und in welcher Dosierung medizinisches Cannabis oder ein cannabinoid haltiges Arzneimittel eingesetzt werden kann.

Chronische Schmerzen

Schmerzen sind ebenfalls typische Begleiterscheinungen fortgeschrittener Krebserkrankungen. Es gibt zahlreiche Schmerzmittel, mit denen Tumorschmerzen behandelbar sind. Manchmal helfen diese nicht oder nicht mehr, oder haben so starke Nebenwirkungen, dass der Einsatz nicht gerechtfertigt ist. In vielen Untersuchungen war zu beobachten, dass Cannabis gut wirksam gegen Schmerzen sein kann. Die Datenlage ist jedoch nicht eindeutig. Andere Untersuchungen finden keinen oder nur einen geringen Effekt. Allerdings beschreiben auch viele Cannabis Nutzer, dass sie Cannabis gegen die Schmerzen einnehmen und es wirksam ist.

Cannabis und Cannabinoide bei HIV/Aids

Ähnliche Wirkungen wie bei Tumorpatienten sind auch bei HIV-Patienten beobachtbar. Bei Patienten, bei denen AIDS ausgebrochen ist, kommt es häufig zu Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust. Auch die Medikamente, die das HI-Virus in Schach halten sollen, können Übelkeit und Appetitlosigkeit und psychische Auswirkungen als Nebenwirkung haben. Wie schon im Abschnitt zur Therapie von Tumorerkrankungen beschrieben, kann Cannabis appetitsteigernd wirken und dadurch den Gewichtsverlust stoppen.

Eine Studie mit 139 Patienten, bei denen sich durch AIDS Magersucht (Anorexie) entwickelt hat, zeigte, dass die Behandlung mit Dronabinol im Vergleich zu Placebo eine deutliche Verbesserung des Appetits und Abnahme der Übelkeit zur Folge hatte, sowie der Gemütszustand deutlich besser wurde.

Cannabis und Cannabinoide bei Demenz und Alzheimer

Im Sommer 2017 wurde eine Studie veröffentlicht, bei der gezeigt wurde, dass bei älteren Mäusen, die THC erhielten, die Gedächtnisleistung wieder auf das Niveau junger Mäuse gebracht werden konnte. Wirkt Cannabis also gegen Demenz? Leider weiß man noch nicht, ob das auch beim Menschen funktioniert und die Entstehung oder das Fortschreiten einer Demenz aufgehalten werden könnte.

Daher wird es auch in den kommenden Jahren vorwiegend darum gehen, die Symptome möglichst gut zu behandeln. Dabei ist die Behandlung von dementen Menschen nicht immer einfach, denn oftmals können sie nicht mehr ausdrücken, welche Beschwerden sie quälen. So “vergessen” Demenzpatienten, was Schmerzen sind – leider spüren sie diese aber dennoch. Sie können sich nur nicht mehr richtig äußern. In niedriger Dosierung kann medizinisches Cannabis bei dementen Menschen mit Schmerzen hilfreich sein, um die Schmerzen zu lindern.

Alzheimer- und Demenzpatienten sind zudem häufig unruhig und umtriebig und können sich, Angehörige und Pflegende in Probleme bringen. Eine niederländische Studie untersuchte daher, ob sehr niedrige Dosierungen von medizinischem Cannabis die bekannte, leicht sedierende Wirkung haben und die dementen Menschen beruhigen. Zwar war eine positive Wirkung zu beobachten, doch diese war ebenso stark wie bei der Gabe eines Scheinmedikaments (Placebo). Die Wissenschaftler vermuten, dass die Dosierung zu niedrig war.

Eine andere Untersuchung nahm sich die psychischen Symptome und Verhaltensstörungen bei Demenz vor und versuchte, diese mit THC-haltigem Cannabisöl zu behandeln. Nach vier Wochen wurden signifikante Rückgänge maßgeblicher Symptomer wie Wahnvorstellungen, Reizbarkeit, Aggression oder Apathie festgestellt.

Cannabinoide als Therapieoption

Cannabis und andere cannabinoidhaltige Arzneimittel sind keine Wundermittel. Auch wird der häufigere Einsatz nicht die palliative Behandlung komplett verändern. Dennoch gibt es eine Reihe von Krankheitsbildern, Krankheitszuständen und Symptomen, bei denen medizinisches Cannabis im Rahmen palliativer Versorgung eine Option neben oder zusätzlich zu anderen sein kann. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) begrüßt, dass es diese Option nun mit der Gesetzesänderung im Frühjahr 2017 gibt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin ist froh um Cannabis als neue Option, die bei stillen Schmerzen und der Schmerztherapie in der Lebensendphase zum Wohl der Patienten eingesetzt werden kann.

 

Quellen:

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