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Patientenakte: Florian Regano, 27, ADHS, NRW

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

Florian Regano leidet seit seiner Kindheit an schwerer ADHS. Klassische Medikamente brachten keinen Therapieerfolg, daher wurde seine Krankheit jahrelang nicht behandelt. Der junge Mann konnte seine Gedanken nie lange auf eine Sache fokussieren, hat keinen Beruf erlernt. Inzwischen hilft ihm Cannabis als Medizin. Florian hofft, dass er in Zukunft arbeiten und finanziell für seine Familie sorgen kann. Jetzt kämpft er darum, dass die Krankenkasse die Kosten für seine Cannabisblüten übernimmt.

Patientenakte: Florian Regano, 27, ADHS, NRW
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Florian Reganos Kindheit war nicht so behütet, wie wir uns das für ein Kind wünschen. Zunächst lebten er und seine Schwester bei seiner Mutter. Als diese sich aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr ausreichend kümmern konnte, kam Florian zu seinem Vater. Dieser misshandelte den Jungen. Für diese und weitere schwerwiegende Taten musste der Vater später eine Gefängnisstrafe verbüßen.

ADHS – Medikamente bringen keinen Erfolg

Die Ärzte diagnostizierten ADHS bei Florian bereits mit sechs Jahren. Zunächst wurde die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung mit Ergotherapie behandelt. 2003 begannen die Ärzte dann die medikamentöse Behandlung.

Als Florian 2004 in ein Kinderheim einzog, wurde die Therapie mit Medikamenten dort fortgeführt – teilweise gegen seinen Willen. Allerdings brachte sie keinen wirklichen Erfolg, obwohl die Ärzte unterschiedliche Medikamente ausprobierten. Neben dem ADHS-Arzneistoff Methylphenidat (Equasym Retard, Concerta, Medikinet) erhielt Florian auch Neuroleptika wie Dipiperon und diverse andere. Diese Medikamente wirken teilweise stark sedierend, machen schläfrig und antriebsarm.

Florian litt unter starken Nebenwirkungen der ADHS-Arzneimittel. Da die gewünschte Wirkung aber nicht eintrat, wurde auf seine eigene Bitte hin ein Placebo-Versuch durchgeführt. Kinderheim, Schule und Arzt waren in die Entscheidung involviert. Jeden Tag wurde über Florians Verhalten Buch geführt. Nach einer Testphase von vier Wochen kamen alle Beteiligten zu dem Schluss, dass es am sinnvollsten sei, die Medikation komplett einzustellen.

“Seitdem leide ich an einer unbehandelten, schweren ADHS. Ich bin austherapiert”, so Florian.

Die Erkrankung besteht bei dem jungen Mann aus Nordrhein-Westfalen auch im Erwachsenenalter noch fort.

Adulte ADHS – innere Unruhe, Unaufmerksamkeit …

Rund ein Drittel der ADHS-Patient*innen leidet auch im Erwachsenenalter an der Störung. Das Syndrom äußert sich nur mit zunehmendem Alter anders: Die körperliche Unruhe geht zurück und wird durch eine innere Unruhe abgelöst.

Typische Symptome der adulten ADHS sind Unaufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit, sprunghaftes Verhalten und die Unfähigkeit, Aufgaben zu Ende zu bringen. Mit diesen Problemen hat auch Florian seine Erfahrungen gemacht:

“Ich war nie in der Lage, etwas langfristig durchzuhalten. Ich habe extrem oft den Wohnort gewechselt – quer durch Deutschland, nachdem ich 2009 aus dem Kinderheim entlassen wurde. Erst mit 17 zur Mutter, dann nach 6 Monaten dort vom Jugendamt in einer Jugendherberge untergebracht. Von dort aus dann mit 18 in die erste eigene Wohnung, die ich verloren hab, weil ich die Finanzen nicht geregelt bekommen habe.”

Florian ist arbeitsunfähig

Die Wohnorte von Florian wechseln weiterhin. Dabei möchte der junge Mann eigentlich sesshaft werden und eine eigene Familie gründen. “Mit dem Traum bin ich jedes Mal gescheitert. Zumeist wegen meiner Arbeitsunfähigkeit aufgrund meiner unbehandelten ADHS – nur wusste ich das selbst damals noch nicht.”

Florian findet eine Freundin und beginnt 2013 eine Ausbildung zum Fachlagerist. Aber der Mann sieht sich nicht in der Lage, bei der Stange zu bleiben und die Ausbildung abzuschließen. Ständig verliert er den roten Faden, seine Gedanken springen und er kann sich nicht auf seine Aufgaben konzentrieren.

Inzwischen ist Florian offiziell arbeitsunfähig – der Amtsarzt hat ihm bestätigt, dass er nicht in der Lage ist, mehr als zwei Stunden täglich zu arbeiten.

Die Selbstmedikation

Im Oktober 2018 fährt Florian mit seiner jetzigen Partnerin nach Holland, um dort in Selbstmedikation Cannabis auszuprobieren. “Ab dem Tag begann ein neues Leben”, erzählt er uns.

Zunächst musste sich Florian an die Dosierung herantasten. “Nach ca. 14 Tagen, als der Rausch nicht mehr eingetreten ist, hab ich mich wie verwandelt gefühlt. Seitdem bin ich in der Lage, meine Gedanken zu strukturieren und zu ordnen. Probleme stellen kein unüberwindbares Hindernis mehr dar.”

Mit Cannabis als Medizin kann sich der ADHS-Patient auch über längere Zeiträume mit einem Thema befassen, ohne Gedankenabbrüche oder Konzentrationsschwierigkeiten.

“Der Clown im Kopf, der andauernd nur Theater im Kopf hat, bleibt einfach ruhig”, so Florian.

Das lang ersehnte Cannabis-Rezept

Nach einigen Wochen fühlt sich Florian energiegeladen. Er will mehr und möchte als Kurier arbeiten. Dafür muss er aber erst einmal den Führerschein machen. “So begann mein 4-wöchiger Bürokratie-Krieg mit dem Jobcenter. Denn bei denen war ich ja als arbeitsunfähig eingestuft worden und die wussten nichts von meiner Cannabis-Selbsttherapie.”

Zu diesem Zeitpunkt ist Florian bei einem Neurologen in Behandlung, der eine Cannabinoid-Therapie nicht gutheißt. “Er war dennoch zu jeder Zeit im Bilde über meine Behandlung und hat sogar aufgrund der immensen Verbesserungen im Dezember attestiert, dass eine Arbeitsfähigkeit von 4 Stunden täglich durchaus realistisch sei. Das war dann meine Eintrittskarte für die Kostenübernahme der Fahrerlaubnis.”

Da der junge Mann aber zu diesem Zeitpunkt noch keinen Arzt gefunden hat, der ihm ein Cannabis-Rezept ausstellt, ist er weiterhin gezwungen, sich selbst zu therapieren. Als er in eine Fahrzeugkontrolle gerät, wird THC in seinem Urin festgestellt.

Florian wendet sich in seiner verzweifelten Situation an seine Hausarzt-Praxis und drängt auf den Kontakt zu einem Arzt, der dem Thema Cannabis als Medizin offen gegenüber steht. In Münster findet er diesen Arzt: Nach einem intensiven, langen Gespräch überreicht der Arzt Florian das lang ersehnte Cannabis-Rezept.

Allerdings sieht sich der Cannabispatient jetzt mit dem nächsten Problem konfrontiert: die Kostenübernahme.

Florian muss Kosten selber tragen

Die Krankenkasse lehnt den Antrag auf Kostenübernahme der Cannabinoid-Behandlung ab. Begründung: Der Patient sei nicht schwerwiegend erkrankt. Auf seinen Widerspruch hin stellt der MDK fest, dass Florian zwar schwer erkrankt sei, er aber zunächst eine Behandlung mit dem Medikament Medikinet Adult ausprobieren sollte.

“In Anbetracht meiner früheren Erfahrungen mit dem Mittel war das ein Witz”, erzählt uns Florian.

Seinen Antrag auf einstweilige Anordnung der Kostenübernahme lehnt das Sozialgericht Münster ebenfalls ab.

“Ich hatte der DAK in der Zwischenzeit unfassbar viele Unterlagen nachgereicht, welche dann der Grund waren, den Fall erneut vom MDK begutachten zu lassen. Dieser kam aber zu dem Entschluss, dass einer Kostenübernahme immernoch nicht stattgegeben werden könne.”

Die Krankenkasse beruft sich darauf, dass Cannabinoide keine empfohlene Therapie bei ADHS sei. So bleibt Florian bisher auf den Kosten für seine Cannabis-Medikamente sitzen.

Florian gibt nicht auf!

Kürzlich wurde über den ADHS-Patienten in einem Beitrag im WDR-Fernsehen berichtet. Dort kommt auch sein behandelnder Arzt zu Wort: Für den Patienten sei Cannabis als Medizin das einzige wirksame Mittel. Damit hat er seinen Alltag besser im Griff. Florian hofft, dass der Beitrag dazu führt, dass die DAK seinen Fall doch noch überdenkt und die Kosten für sein Cannabis-Medikament übernimmt.

Inzwischen hat Florian die Familie, die er sich immer gewünscht hat. In Kürze erwarten er und seine Partnerin das zweite Kind. Jetzt möchte der junge Mann auch finanziell für seine Familie sorgen und einer Arbeit nachgehen können. Dies funktioniert jedoch nur mit einer passenden Medikation.

 

Patienteninfos

Name: Florian Regano

Alter: 27 Jahre

Wohnort: Nordrhein-Westfalen

Krankenkasse: DAK Gesundheit

Diagnose/n: ADHS, PTBS, mittelschwere depressive Phasen

Medikation: Cannabisblüten

Fachrichtung des verschreibenden Arztes: Allgemeinmediziner

 

Das Leafly.de Patienteninterview

Leafly: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?

Florian: Seit Oktober 2018.

Leafly: Wie bist Du denn darauf gekommen?

Florian: Durch einen Beitrag auf YouTube von Dr. Eva Milz zum Thema Cannabis in der Psychiatrie, mit dem Schwerpunkt ADHS.

Leafly: Wie war das erste Mal?

Florian: Anstrengend für die ganze Familie. Meine Freundin war damals schwanger.

Leafly: In welchen Momenten wendest Du es an?

Florian: Während oder unmittelbar nach Stresssituationen und wenn ich merke, dass ich unaufmerksam oder unkonzentriert werde. Oder auch bei einer aufkeimenden Depression, was aber sehr selten ist. Leider kann ich mir mein Medikament finanziell nicht regelmäßig leisten, da ich es über ein Privatrezept selbst bezahlen muss.

Leafly: Hattest Du Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?

Florian: Habe ich immer noch. Die DAK versucht mit allen Mitteln, die Kostenübernahme zu verweigern.

Leafly: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?

Florian: Nein, gar nicht. Cannabis macht körperlich nicht abhängig. Und ich habe einen ausgeprägten Willen.

Leafly: War Dein Medikament einmal nicht lieferbar? Was hast Du dann gemacht?

Florian: Bei meiner Apotheke waren meine Blütensorte immer in ausreichender Menge verfügbar.

Leafly: Geht es Dir gut? Bist Du jetzt glücklich?

Florian: Solange ich medikamentös eingestellt bin, fühle ich mich durchweg gesund. Glücklich kann ich so nicht werden, da ich permanent im Kampf gegen die Krankenkasse stecke und den Vorurteilen in der Gesellschaft ausgesetzt bin.

 

Lieber Florian, vielen Dank für dieses Gespräch. Wir wünschen Dir und Deiner Familie alles erdenklich Gute für die Zukunft.

Ausführliche Informationen zum Thema ÁDHS/ADS finden Sie in diesem Artikel.

 

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