Update vom 03.09.2019: Klage gegen Günter Weiglein abgewiesen
Günter Weiglein wurde im letzten Jahr von seiner Nachbarin verklagt, da sie sich durch unangenehme Gerüche belästigt fühlt, wenn der Mann Medizinalcannabis auf dem Balkon inhaliert. Die Nachbarin, die über dem Schmerzpatienten wohnt, will die Einnahme des Medikaments im Freien nicht länger hinnehmen. (Leafly.de berichtete)
Jetzt hat das Gericht in der Sache ein Urteil gesprochen und die Klage gegen Günter Weiglein abgewiesen. Der Cannabispatient freut sich über das Urteil – es überrascht ihn aber nicht. “Ich habe das nicht anders erwartet.”
“Soweit der Konsum von Cannabis zur Schmerztherapie aufgrund ärztlicher Verordnung im Raum steht, ist die Klägerin zur Duldung verpflichtet (§ 1004 Abs. 2 BGB) bzw. widerspricht ein entsprechender Gebrauch des Balkons oder der Wohnung des Beklagten nicht dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen (§15 Abs. 3 WEG)”, so der Urteilstext.
Weiterhin weist das Gericht darauf hin, dass Einwirkungen – wie Rauch, Geräusche und Gerüche – nicht verboten werden können, wenn sie die Nachbarschaft nur unwesentlich beeinträchtigen. Das Rauchen von Zigaretten gehört allerdings nicht zu diesen unwesentlichen Beeinträchtigungen: Aufgrund des Nichtraucherschutzes ist es verboten, auf dem Balkon stark zu rauchen, da dies als nicht mehr “sozialadäquates” Verhalten gilt.
Medizinalcannabis: Einnahme auch auf Balkon erlaubt
Im Fall von Günter Weiglein allerdings stellt das Gericht durch das Verdampfen von Medizinalcannabis keine starke Beeinträchtigung der Nachbarin fest. Zum einen konnte der Richter bei dem Besichtigungstermin keinen starken Geruch feststellen, der von dem Vaporisator bei der Einnahme von Cannabis ausging. Auch in der Wohnung des Schmerzpatienten konnte der Richter keinen unangenehmen Geruch ausmachen.
Darüber hinaus betont das Gericht in dem Urteil auch, dass in dem vorliegenden Fall berücksichtigt werden muss, dass Günter Weiglein Cannabis als Medizin einnimmt. Das ist grundsätzlich etwas Anderes, als Rauchen zu Genusszwecken.
Spannend ist, dass das der Richter im Urteil erklärt, dass sich an dem Ergebnis “auch dann nichts ändern” würde, wenn der Geruch “als eine wesentliche Beeinträchtigung zu qualifizieren wäre”. Dann wären das Eigentumsrecht der Nachbarin, das Eigentumsrecht von Günter Weiglein, sein Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gegeneinander abzuwägen. Die Tatsache, dass der Schmerzpatient Cannabis als Medikament einnimmt, würde dabei schwer wiegen und so würde der Klägerin die generelle Unterlassung, die sie gefordert hatte, keinesfalls zustehen.
Keine Entscheidung bei beantragtem Eigenanbau
Der Schmerzpatient Günter Weiglein ist noch in ein anderes Gerichtsverfahren involviert: In diesem Jahr hat er den Eigenanbau von Cannabis vor Gericht beantragt. Sein behandelnder Arzt wird bald nicht mehr praktizieren und es steht nicht fest, wer ihm danach Cannabis-Rezepte ausstellen wird. Außerdem sieht Weiglein die Versorgung der Cannabispatienten mit Medizinalhanf nicht gewährleistet. Auch sei die Qualität der Ware teilweise mangelhaft. In diesem Verfahren gibt es bisher keine neuen Entwicklungen. Wir werden aber weiter darüber berichten.
Update vom 14.06.19: Eigenanbau beantragt
Günter Weiglein ist einer der gut 1.000 Patienten, die vor dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes eine Ausnahmegenehmigung des BfArM für Cannabis besaßen. Darüber hinaus hatte er im Jahr 2014 vor Gericht erstritten, dass er Hanf zur eigenen medizinischen Versorgung anbauen darf. Gegen dieses Urteil legte die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BfArM, Berufung ein. Dann kam das Cannabisgesetz und änderte die Situation grundlegend.
Der Schmerzpatient Günter Weiglein baute 2016, also vor der Legalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken, dennoch selbst Cannabis an – und wurde verklagt. Im Dezember 2017 hat das Amtsgericht Würzburg den Patienten wegen illegalen Eigenanbaus von Cannabis zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Sein Anwalt, Matthias Schillo, legte gegen das Urteil Berufung ein. (Leafly.de berichtete.) Dieses Strafverfahren wurde inzwischen eingestellt.
Lieferschwierigkeiten und schlechte Qualität
Jetzt hat sich Günter Weiglein entschieden, zum zweiten Mal den Eigenanbau von Cannabis vor Gericht zu beantragen. Die Begründung: Die Versorgung der Cannabispatienten mit Medizinalhanf ist nicht gewährleistet. Der Anbau von Cannabis made in Germany ist noch nicht gestartet. Darüber hinaus importiert das BfArM Medizinalhanf aus dem Ausland in nicht ausreichenden Mengen. Teilweise ist die Qualität der Ware auch mangelhaft.
Aufgrund der Lieferschwierigkeiten von Medizinalhanf sind in den Apotheken häufig nur einige wenige Sorten verfügbar. Das bedeutet, Cannabispatienten können oft nicht die Sorte erhalten, die ihnen der behandelnde Arzt verschrieben hat – und die für die spezielle Therapie sinnvoll ist. Auch Günter Weiglein leidet unter diesem Problem.
Darüber hinaus berichtet der Schmerzpatient, dass Medizinalcannabis häufig verunreinigt ist, zum Beispiel mit Schimmel:
“Wenn ich die Dose öffne, kommt mir oft ein modriger Geruch entgegen, der auf Schimmel oder eine Vorstufe davon schließen lässt.”
Wegen Einnahme von Medizinalhanf im Freien verklagt
Das Gerichtsverfahren zum Eigenanbau ist nicht das einzige, in das Günter involviert ist – er kämpft an verschiedenen Fronten: Der Cannabispatient wurde im letzten Jahr von seiner Nachbarin verklagt, da sie sich durch unangenehme Gerüche belästigt fühlte, wenn Weiglein Cannabis auf dem Balkon inhaliert. Die Nachbarin, die über dem Patienten wohnt, will die Einnahme des Medizinalhanfs im Freien nicht länger hinnehmen. (Leafly.de berichtete)
Vor einigen Tagen hat der zuständige Richter in einem Vor-Ort-Termin die Wohnungen von Günter Weiglein sowie der Klägerin in Augenschein genommen. In der Wohnung der Nachbarin konnte tatsächlich ein “etwas eigenartiger Geruch” festgestellt werden. Die Ursache für den Geruch konnte laut Weigleins Anwalt jedoch nicht geklärt werden.
Bei einer Probe-Inhalation auf dem Balkon des Patienten wurde auf dem Balkon der Nachbarin für ein bis zwei Atemzüge ein leichter Geruch festgestellt. Den bewertete der Richter in seinem Protokoll aber als “nur unerheblich”.
Wie von Leafly.de werden darüber berichten, wie das Gerichtsverfahren zum Eigenanbau weitergeht. Und auch beim Streit zum Thema Verdampfen von Medizinalcannabis auf dem Balkon bleiben wir am Ball. Zu diesem Thema wird am 1. August eine Entscheidung fallen.
Ursprüngliche Patientenakte vom 12.09.17:
Patienten Infos:
Name: Günter Weiglein
Alter: 52
Wohnort: Würzburg
Krankenkasse: Techniker Krankenkasse
Anamnese: chronische Schmerzen
Medikation: THC, Cannabisblüten nach Verfügbarkeit
Cannabis gegen Schmerzen – früher nur mit Ausnahmegenehmigung des BfArM
Günter Weiglein hat schon einige Kämpfe ausgefochten, um medizinisches Cannabis legal gegen seine Schmerzen einnehmen zu können: Seit Dezember 2009 besaß er eine Ausnahmegenehmigung des BfArM für medizinisches Cannabis. In ganz Deutschland gab es nur gut 1.000 Patienten mit solch einer Ausnahmegenehmigung. Aber das ist noch längst nicht alles: Günter Weiglein hatte im Jahr 2014 vor dem Verwaltungsgericht in Köln erstritten, dass er Hanf zur eigenen medizinischen Versorgung anbauen darf. Für das Gericht stand fest: Der Schmerzpatient ist austherapiert – andere Medikamente kann er nicht anwenden, da sie in seinem Fall entweder nicht anschlagen oder die Nebenwirkungen zu unangenehm sind. Da die Krankenkasse die Kosten für Medizinalhanf nicht übernimmt, bleibt Weiglein nur der Selbstanbau. Gegen dieses Urteil legte die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BfArM, Berufung ein. Dann folgte die Neuregelung des BtMG, allgemein als „Cannabis-Gesetz“ bekannt – und alles änderte sich für Günter Weiglein.
Schmerzpatient Günter Weiglein hilft nur Cannabis
Seit einem schweren Motorradunfall im Jahr 2002 ist Günter Weiglein chronischer Schmerzpatient: „Ich hatte einen schlimmen Unfall mit dem Motorrad, bei dem ich mir mehrere Knochenbrüche zugezogen habe. An verschiedenen Stellen in meinem Körper befand sich Metall. Das wurde über die Jahre teilweise entfernt, einiges ist immer noch da.“
Nur die ärztlich kontrollierte Einnahe von THC bewirkt bei ihm eine Linderung seiner Symptome. Durch die Behandlung mit Cannabis wird er nicht schmerzfrei, aber die Schmerzen sind deutlich geringer und er kann besser schlafen.
Seit dem neuen Cannabis-Gesetz vom März 2017 gelten die Ausnahmegenehmigungen des BfArM nicht mehr – immerhin gab es eine Übergangsfrist von drei Monaten, aber die ist jetzt abgelaufen. Und auch die Anbaugenehmigung wird nicht mehr anerkannt. Dabei hat Günter Weiglein sich so verhalten, wie es das neue Cannabis-Gesetz vorsieht: Er sucht seinen Arzt auf, der füllt einen Fragebogen aus. Im Anschluss stellt der Patient bei seiner Versicherung, der Techniker Krankenkasse, einen Antrag auf Kostenübernahme der Behandlung mit Cannabis flos. Was passiert dann? Im Fall von Günter Weiglein schaltet die Krankenkasse den MDK ein, um ein Gutachten erstellen zu lassen. Am 23. Mai 2017 wird sein Antrag auf Kostenübernahme für eine Behandlung mit Cannabinoiden offiziell abgelehnt.
Zum Hintergrund: Das sagt das neue Cannabis-Gesetz
Seit März 2017 können Ärztinnen und Ärzte Cannabis zu medizinischen Zwecken auf Kassenrezept verschreiben. Vor dieser Neuregelung mussten Patienten eine Ausnahmegenehmigung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragen, wenn sie medizinische Cannabisblüten aus der Apotheke erhalten wollten. Die Kosten für den Medizinalhanf mussten sie selbst tragen. Mit der Gesetzesänderung des BtMG übernehmen die Krankenkassen in der Regel die Kosten für die Cannabis-Therapie. Allerdings prüft die Krankenversicherung erst einmal den Bedarf, im begründeten Einzelfall kann sie die Kostenübernahme ablehnen.
Patientinnen und Patienten haben mit dem neuen Gesetz bei schwerwiegenden Erkrankungen die Möglichkeit, sich von ihrem Arzt mit Cannabinoiden behandeln zu lassen. Voraussetzung ist, dass nach der Einschätzung des behandelnden Arztes eine spürbare positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome zu erwarten ist. Typische Anwendungsbereiche sind die Schmerztherapie, bestimmte chronische Erkrankungen oder schwere Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Als begleitende Maßnahme des neuen Cannabis-Gesetzes hat das BfArM eine Cannabisagentur eingerichtet. Diese soll den Anbau, die Ernte und den Handel mit medizinischem Cannabis kontrollieren. Außerdem ist sie verantwortlich für die Begleiterhebung: Dazu übermitteln Ärzte und Ärztinnen anonymisierte Daten, zum Beispiel zur Diagnose, zur Therapie, zu Dosis und Nebenwirkungen. Diese Behandlungsdaten werden ausgewertet, um weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis zu gewinnen. Darüber hinaus sollen Informationen zum langfristigen Gebrauch von Cannabinoiden zu medizinischen Zwecken gesammelt werden.
Hohe Ablehnungsquote bei Cannabis-Therapie durch gesetzliche Krankenkassen
Bisher liegen noch keine offiziellen Verschreibungsdaten zu medizinischem Cannabis vor, aber einige Versicherungen haben bereits Einblick in die Zahlen von eingegangenen Anträgen, Bewilligungen und Absagen gewährt. Diese Daten zeigen, dass die Ablehnungsquote von Cannabis-Behandlungen bei etwa 50 % liegt, abhängig von der Krankenversicherung. Mehr Fakten und Zahlen zum Thema Bewilligung von Cannabis-Therapien erhalten Sie hier.
Experten kritisieren das Verhalten der Krankenkassen
Das Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin beklagt, dass auch Patienten, die früher im Besitz einer Ausnahmegenehmigung waren, häufig von ihrer Krankenkasse eine Absage erhalten. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. med. Eva Milz aus Berlin, behandelt etwa 70 Patienten, die früher eine Ausnahmegenehmigung besaßen. Die Ärztin berichtet dem Deutschen Ärzteblatt, dass „nur sehr wenige dieser Patienten bisher eine Kostenübernahme erhalten hätten – etwa fünf.“
Und Prof. Dr. med. Martin Schmelz, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft, gibt im Deutschen Ärzteblatt zu bedenken: „Es kann nicht sein, dass Patienten, denen das BfArM bereits eine Ausnahmegenehmigung erteilt hatte, nach der gesetzlichen Änderung sogar schlechtergestellt sind.“ Gegenüber der Frankfurter Rundschau äußert sich Michael Schäfer, Schmerzexperte der Charité in Berlin, ebenfalls zu diesem Thema. Für ihn ist es „unverständlich und sicher nicht im Sinne des Gesetzgebers”, dass einige Betroffene mit Sondergenehmigung vom BfArM jetzt von der Kasse eine Ablehnung erhalten.
Günter Weigleins Rechtsanwalt hat Widerspruch gegen den abschlägigen Bescheid der Techniker Krankenkasse eingereicht. Und Leafly.de hat bei der Versicherung nachgefragt, wie es sein kann, dass einem Patienten, der früher über eine Ausnahmegenehmigung verfügte, jetzt die Behandlung mit Cannabis nicht genehmigt wird. Die Techniker Krankenkasse wollte zu dem Fall leider keine Stellung beziehen.
Krankenkassen setzen auf MDK
Stattdessen äußert sich die Techniker Krankenkasse aber zum grundsätzlichen Vorgehen bei der Beurteilung einer Cannabis-Behandlung: „Für die erstmalige Leistung bei einem Versicherten ist die Genehmigung durch die Krankenkasse bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vorgegeben. Der MDK überprüft dann, ob die Begründung den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Über die Anträge entscheidet die jeweilige gesetzliche Krankenkasse auf Grundlage des MDK-Gutachtens.“
Der MDK allerdings berücksichtigt laut Ärzteblatt bei seinen Gutachten über eine mögliche Behandlung mit Cannabis nicht, ob das BfArM dem Patienten zuvor eine Ausnahmegenehmigung erteilt hatte, da dieser als austherapiert bewertet wurde.
Aber ist es richtig, jetzt den Krankenkassen den Schwarzen Peter zuzuschieben?
Der Pressesprecher der DAK übt seinerseits Kritik am neuen Cannabis-Gesetz: „Aus unserer Sicht ist es zu schwammig formuliert. Es sind beispielsweise keine Indikationen angegeben, für die Cannabis als Therapie geeignet ist. Wäre das Gesetz konkreter, wäre der Weg über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung häufig nicht nötig, was den Prozess beschleunigen würde.“
Preise für Cannabisblüten aus der Apotheke seit März 2017 enorm gestiegen
Die Übergangsfrist von drei Monaten, die Patienten mit einer Ausnahmegenehmigung eingeräumt wurde, ist inzwischen abgelaufen. Wie kommt ein Schmerzpatient wie Günter Weiglein jetzt an seine Cannabinoide? Er kann sich von seinem Arzt ein Privatrezept für medizinisches Cannabis ausstellen lassen. Diese Möglichkeit besteht auch nach dem neuen Cannabis-Gesetz. So umgehen Patienten die Krankenkasse und benötigen keine Bewilligung. Aber die Kosten müssen sie dann aus der eigenen Tasche bezahlen. Und das kann sich Günter Weiglein nicht leisten – infolge des neuen Gesetzes haben sich seit März 2017 die Preise für Cannabis in den Apotheken nahezu verdoppelt.
Das Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin empört sich in einer Protest-Mail über die hohen Preise für Medizinalhanf aus der Apotheke: „Daraus folgt, dass Patienten (…) trotz möglicherweise existierender Ausnahmeerlaubnis sich Cannabis aus der Apotheke finanziell schlicht nicht mehr leisten können.“
Aber wie kommt es zu dieser Preiserhöhung?
Das Selbsthilfenetzwerk kritisiert, dass die Apotheken seit Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes im März 2017 die angelieferten Behälter mit Cannabisblüten öffnen und erneut prüfen: Das nach der Ernte bereits geprüfte Cannabis wird „nunmehr bei der Abgabe einer neuerlichen sensorischen oder weiterführenden Prüfung unterzogen. Dabei gibt es nach allem Ermessen keinen erkennbaren Grund, warum Apotheker den Doseninhalt nochmals überprüfen müssten, es sei denn wegen gewünschter Verteuerung durch diese Prüfungs-Handgriffe.“
Gegen diese Kritik wehrt sich Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK). In einem offenen Brief an Dr. Franjo Grotenhermen, den Vorsitzenden der Selbsthilfegruppe, weist Dr. Kiefer darauf hin, dass die Apotheke die Identität und Qualität des Cannabis überprüfen muss, die Blüten zerkleinern und im Anschluss sieben muss. Und diese Arbeit der Apothekerinnen und Apotheker wirkt sich selbstverständlich auf den Preis aus.
Illegales Handeln und Strafprozess folgen der abgelehnten Cannabis-Behandlung
Als Günter Weiglein ohne Cannabis-Rezept dasteht, bezieht er seine Cannabisblüten beim Biobauern von nebenan: „Da zahle ich nur 1/3 des Preises, den medizinische Cannabisblüten aus der Apotheke haben. Ich bin gezwungen, mir mein Cannabis auf illegale Weise zu besorgen.“
Aber das ist nicht sein einziges Problem: Früher durfte Günter Weiglein legal Cannabis zu medizinischen Zwecken anbauen, jetzt wurde er wegen Eigenanbaus angezeigt und sollte einen Strafbefehl akzeptieren. Weigleins Anwalt hat dagegen Einspruch eingelegt – was bedeutet, dass das Strafverfahren vor dem Amtsgericht Würzburg durchgeführt werden muss.
Weiglein wird freigesprochen werden, meint sein Anwalt: „Das Recht auf wirksame Medikamente ist ein Teil des grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechts, hinter das die Umgangsverbote des Betäubungsmittelrechts zurücktreten.“
Kürzlich hat Günter Weiglein gute Nachrichten erhalten: Als Reaktion auf seinen Widerspruch hat die Techniker Krankenkasse der Kostenerstattung zugestimmt. Aber dafür macht der behandelnde Arzt einen Rückzieher und teilt Weiglein schriftlich mit, dass die Hausarztpraxis keine Cannabis-Rezepte ausstellt – aus Sorge vor einer Überschreitung ihres Budgets. Zum Glück hat der Patient jetzt einen Schmerztherapeuten gefunden, der bereit ist, ihn zu behandeln und die Cannabis-Rezepte auszustellen.
Das Cannabis-Gesetz muss nachgebessert werden
Politiker verschiedener Parteien fordern, dass das Cannabis-Gesetz nachgebessert werden muss. So auch Burkhard Blienert, drogenpolitischer Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion: „Wir erhalten viel Feedback von Patienten und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es bei manchen Betroffenen Schwierigkeiten bei der Genehmigung ihrer Cannabis-Therapie gibt. Wir hören auch Klagen darüber, dass der Preis von Cannabis in der Apotheke sich verdoppelt hat. Das sind alles Probleme, die wir im Blick haben. Daher ist es mir auch sehr wichtig, dass wir uns nach der Bundestagswahl, egal wie sie ausgeht, sofort daran setzen und an einer Novellierung des Gesetzes arbeiten. (…) Wir benötigen schnelle Lösungen für diejenigen Patienten, die von ihrer Krankenkasse einen abschlägigen Bescheid erhalten haben.“
Lesen Sie hier das komplette Interview mit Burkhard Blienert zum Cannabis-Gesetz.
Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Partei Die Linke, geht noch weiter: In einem offenen Brief an das Gesundheitsministerium kritisiert er gemeinsam mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch die restriktive Handhabung der Krankenkassen sowie den hohen Preis von medizinischen Cannabisblüten. Darüber hinaus fordert er, dass „alle Patientinnen und Patienten mit einer Besitzerlaubnis vom Stichtag des 10. März 2017 eine Übernahmegarantie zur Kostenerstattung durch die Krankenkassen erhalten müssen.“
Wie steht es mit der Therapiehoheit?
Politiker aller Parteien betonen, wie zufrieden sie damit sind, dass die Therapiefreiheit des Arztes im neuen Cannabis-Gesetz verankert wurde. Aber gerade damit scheinen die Krankenkassen sich schwerzutun – oder sie interpretieren den Gesetzestext anders.
Dr. Eva Milz, die langjährige Erfahrung mit dem medizinischen Einsatz von Cannabis besitzt, beklagt gegenüber dem Ärzteblatt die Einflussnahme der Krankenkassen: „Die Entscheidungsmacht der Krankenkassen untergräbt die gesetzlich geschaffene Option der Therapiehoheit des Arztes.“
Das neue Cannabis-Gesetz soll Patientinnen und Patienten, denen Cannabinoide Linderung bei Schmerzen und anderen Krankheitssymptomen verschaffen, die Therapie mit medizinischem Cannabis ermöglichen. Darüber hinaus soll es die Voraussetzungen schaffen, dass die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. So viel zur Theorie – in der Praxis sieht es im Moment leider häufig anders aus. Günter Weiglein war am Ende erfolgreich und erhält jetzt seine Cannabinoide auf Kosten der Krankenkasse, der Weg dahin war allerdings lang und holprig.
Für Patienten wie ihn selbst wünscht er sich in der Zukunft einen anderen Umgang mit dem Cannabis-Gesetz: „Die Entscheidung, ob ein Patient mit Cannabis behandelt werden soll oder nicht, gehört nicht in die Hände eines Sachbearbeiters einer Krankenkasse – das muss die alleinige Entscheidung eines Arztes sein.“
Quellen:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/07/14/tk-lehnt-zwei-von-fuenf-cannabis-antraegen-ab
https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=16&aid=191848&s=cannabis&s=rezept
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=69886
https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=186476
http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Versorgung/Cannabis.pdf
http://www.fnp.de/nachrichten/wissenschaft/Cannabis-als-Therapie-Hohe-Erwartung-mit-Fragezeichen;art153,2653296
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/4_Pressemitteilungen/2017/2017_1/170119_02_PM_Cannabis_als_Medizin.pdf
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=69810
https://www.cannabis-med.org/german/acm-mitteilungen/ww_de_db_cannabis_artikel.php?id=237
http://www.frank-tempel.de/uploads/media/Offener_Brief_Cannabismedizin.pdf