Bis zu seiner Jugend war Patrick eher von fülliger Statur. Dies änderte sich rasant, als er eine Kochlehre begann, er wurde immer dünner. Diagnostiziert wurde ein eingeklemmter Muskel zwischen Galle und Magen, der bewirkte, dass der Magen sich nicht richtig schloss. Die Lösung der Ärzte: Pantoprazol, ein Medikament zur Behandlung von Magengeschwüren.
Als Patrick 2005 den Bundeswehrdienst absolvierte, bekam er Rückenschmerzen. Eine richtige Diagnose konnte nicht gestellt werden, ihm wurde lediglich erklärt, dass seine Rückenmuskulatur zu schwach wäre. Daraufhin begann Patrick zu trainieren. Die Rückenschmerzen ließen nicht nach, die Diagnose wurde nicht geändert. Patrick, der inzwischen den Halbmarathon lief, begann zu zweifeln. Gegen die Schmerzen nahm er Ibuprofen. Die Dosis erhöhte er in den folgenden Jahren bis auf acht mal 800 mg pro Tag.
Das Schicksal meint es mit Patrick nicht gut
2014 nahm Patrick das Angebot für eine sehr gute neue Stelle an. Zunächst hatte er eine Teilzeitstelle, die nach ein paar Monaten in Vollzeit umgewandelt wurde. Einen Tag nach Unterzeichnung des Vertrages schmerzte sein Rücken so sehr, dass er seinen Arm nicht mehr über die Schulterhöhe bewegen konnte. Als seine Chefin dies sah, schickte sie ihn zum Arzt. Er bekam eine Krankschreibung und einen Tag später die Kündigung. So rutschte Patrick nach einem Monat in die Arbeitslosigkeit.
Patrick wird zum Schmerzpatienten
Nun ließ sich Patrick komplett neu durchchecken. Eine Ganzkörperszintigrafie zeigte auf, dass sich seine Wirbelsäule arthrotisch verändert hatte. Diese so nachgewiesenen seronegativen Spondylarthropathien sollten in einer Rheumaklinik zu behandelt werden. Dies schlug leider fehl. Ein Verdacht auf Morbus Bechterew bestätigte sich gottseidank nicht. Gegen die Schmerzen wurde ihm das Opioid Tramadol verschreiben. Als eine anschließende Magnetresonanztomografie belegte, dass Patrick zusätzlich an einem Bandscheibenvorfall litt, wurde er im Schmerzzentrum stationär aufgenommen.
Patienten mit Cannabisvorgeschichte bekommen keine Medikamente verordnet
In den Jahren zuvor hatte Patrick gehört, das Cannabis in vielen Ländern erfolgreich in der Schmerzbehandlung eingesetzt wurde. Als sich eine Gelegenheit ergab, probierte er es aus – und er spürte, dass es bei ihm wirkte. Dies deutete er im Gespräch mit dem Arzt im Schmerzzentrum an. Infolgedessen stand im Abschlussbericht der Klinik, dass er Cannabis-, Tabak- und opiatabhängig sei, und verschrieb ihm das Antidepressiva Trimipramin und Tilidin. Die Nebenwirkungen ließen nicht lange auf sich warten: Schweißausbrüche, Schlafprobleme, Aggressionen, Hautprobleme, eine permanent laufende Nase. Patricks Persönlichkeit veränderte sich zusehends.
Morphine, Opiate und Antidepressiva gehören zum täglichen Mix, Cannabis jedoch nicht
Nach zwei Jahren zeigte das MRT-Bild keine Veränderungen. Inzwischen standen folgende Präparate auf seiner Tagesliste: Morphin, Pregabalin, Cymbalta, Novaminsolfon, Sidralut, Mitrazipam, Oxazepam, Melatonin, Circadin, Naproxen und Imipramin.
Der Schmerztherapeut fragte Patrick mit Blick auf seine Unterlagen, ob er schon mal Cannabis probiert hätte. Dies bejahte Patrick. Daraufhin attestierte der Arzt eine „chronische Schmerzstörung mit Abhängigkeiten“, drohte ihm mit der Polizei und wollte ihn in eine Suchtklinik schicken. Patrick verstand die Welt nicht mehr.
Opiate, Morphine und andere harte Medikamente hatten die Ärzte ihm ohne ein Wimpernzucken verschrieben, doch nur die einzige Bemerkung, dass er Cannabis probiert hat, sollte ihn nun zum Suchtpatienten machen? Patrick wehrte sich erfolgreich. Doch in der orthopädischen Rehaklinik wollte sich auch nach sechs Wochen kein Erfolg einstellen.
Eine radikale Entscheidung
Der Medikamentencocktail wirkte sich fatal auf Patrick aus. Gegen die Schmerzen half dieser kaum und die Nebenwirkungen verklebten seine Synapsen. Er verlor die Lust am Leben, nahm nicht mehr daran teil. Bald hatte er auch keine Kraft mehr für seine verzweifelte Suche nach dem genauen Grund für seine täglich andauernden Leiden, die Ursache für sein „chronisches Schmerzsyndrom“. Patricks bester Freund der, den physischen und psychische Verfall beobachtete, sprach es dann Mitte 2016 aus: „Du siehst scheiße aus“. Das war der Auslöser.
Medikamentenentzug auf eigene Faust
Patrick nahm alle Medikamente, schmiss sie in einen gelben Sack und entsorgte diesen. Er wollte wieder am Leben teilhaben. Die Entzugserscheinungen ließen nicht lange auf sich warten. Ein knappes halbes Jahr kämpfte sich Patrick durch die physischen und psychischen Symptome: Schweißausbrüche, Schlafentzug, Aggressionen, Depressionen, Panikattacken und vieles mehr beutelten ihn.
Eine Synapse nach der anderen öffnete sich, zeigte wochenlang ihre psychotische Seiten, bevor sie sich normalisierten und Patrick erlaubten, seine Seele wiederzuerobern. Nun hatte er wieder Kraft zur Suche nach einem neuen Weg im Kampf gegen die täglichen Schmerzen.
Cannabis als Medizin?
Bestärkt durch die damals aktuelle Diskussion über die Freigabe von Cannabis als Medizin und seine eigenen Erfahrungen, fuhr Patrick Ende 2016 nach Holland. Er wollte testen, ob Cannabis seine Schmerzen wirklich erträglicher machen konnte. Kurz nach seiner Ankunft im Coffeeshop fing er vor Freude zu weinen an. Das erste Mal nach vielen Jahren ging es ihm einfach Mal gut. Er wusste, dass er endlich sein Schmerzmedikament gefunden hatte.
Spätabends probierte er eine Anwendung zu Hause aus. Sofort stellte sich Entspannung ein. Endlich konnte er Normal liegen und schlief ein. Nach zwölf Stunden wachte er erfrischt auf. Patrick hatte das erste Mal nach 13 Jahren eine Nacht durchgeschlafen.
Ein Problem gelöst, neue Probleme entstehen
Patrick machte sich sofort auf die Suche nach einem Arzt, der Erfahrungen mit dem medizinischen Einsatz von Cannabis in der Schmerztherapie hatte. Er suchte einen Arzt, der ihn aufklären, über die Sorten beraten und ein entsprechendes Rezept ausstellen konnte. Es wurde ein Spießrutenlauf.
Sein Schmerztherapeut erklärte Patrick, dass er noch nicht austherapiert wäre. Er schlug die Verschreibung eines weiteren Morphins vor, statt die Möglichkeiten des Einsatzes von Cannabis als Medizin zu prüfen oder in Erwägung zu ziehen. Patricks Hausarzt verwies ihn zu einer Rheumatologin, welche eine weitere Diagnose stellte: Fibromyalgie.
Der erste Antrag bei der Krankenkasse, eine herbe Enttäuschung
Patrick war am Boden zerstört. Fibromyalgie ist eine unheilbare Krankheit, von der niemand weiß, woher sie kommt. Die Symptome sind Schmerzen von Kopf bis zu den Fußzehen.
Die nächsten 21 Tage verbrachte Patrick in einer schmerztherapeutischen Klinik.
Im Anschluss daran schrieb ihm sein Hausarzt den Antrag zur Behandlung mit 2,5 g Cannabisblüten pro Tag, da zu dem Zeitpunkt absehbar war, dass die Gesetzesänderung zur medizinischen Behandlung mit Cannabis bald kommen sollte.
Doch der Antrag wurde nach vielen Nachforderungen vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen abgelehnt. Die anschließende Berufung lehnte das Sozialgericht ab. Nun weigerte sich auch der Hausarzt, ihm ein entsprechendes Rezept auszustellen.
Eine neue Psychiaterin wurde hinzugezogen. Das Studium von Patricks vorliegenden alten Unterlagen ließ sie urteilen, Patrick hätte keine Fibromyalgie. Sie stellte die absurde Diagnose ADHS.
Patrick kämpft weiter
Patrick tun, was er kann, um seine Schmerzen zu dämpfen und irgendwann mal Cannabis als Medizin verschrieben zu bekommen. Er führt ein Schmerztagebuch. Er lässt alle möglichen, unmöglichen, sinnvollen und nicht sinnvollen Untersuchungen zu. Jeden Termin nimmt er wahr. Inzwischen wurde die Fibromyalgie auch nochmals bestätigt.
Zum Glück hat Patrick nun einen Arzt gefunden, der ihm die benötigte Medikamente auf Privatrezept verschreibt. Doch so kann es nicht bleiben, denn das ist so teuer, dass Patrick sich maximal die Dosis für eine Woche leisten kann und keine Dauermedikation.
Anm. der Red.: Wir hören immer wieder von Ärzten, dass Patienten mit einer Cannabisvorgeschichte kein Cannabis als Medizin verordnet werden darf, da von einer bestehenden Abhängigkeit also Cannabis-Missbrauchsstörung ausgegangen wird. Das scheint absurd, steht aber so in den Anweisungen für die Ärzte. Ein Unglück, das auch mit der Gesetzesänderung vom 10.03.2017 nicht besser, sondern nur schlimmer wurde. Besonders Schmerzpatienten wie Patrick leiden unter dieser Regelung. Ihnen bleibt oftmals nur der Weg der illegalen Beschaffung, da ihnen die legale Medikamente verweigert wird. Ein Teufelskreislauf, den die regulierenden Behörden dringend durchbrechen müssen.
Patienteninfos
Name: Patrick
Alter: 34
Wohnort/Bundesland: Nordrhein-Westfalen
Krankenkasse: AOK Nord/West
Diagnose: Fibromyalgie, Osteochondrose, Spondylarthrose, subligamentärer Bandscheibenvorfall, Morbus Baastrup, Seronegative Spondyloarthritis, beidseitige chronische ISG-Affektion, chronische Gastritis, LWS-Skoliose durch Beckenschiefstand, Fruktoseintoleranz.
Medikation: 2,5 g Blüten Indica pro Tag durch Verdampfen. Verteilt auf den Tag: ca. alle 2,5 Stunden
Bevorzugte Sorte: Blackout
Das Leafly.de Patienteninterview
Leafly.de: Seit wann wendest Du Cannabis als Medizin an?
Patrick: Seit Ende 2016
Leafly.de: Wie bist Du denn darauf gekommen?
Patrick: Ich habe darüber gelesen und weiter recherchiert.
Leafly.de: Wie war das erste Mal mit Cannabis?
Patrick: Beim allerersten Mal? Das war in Holland. Ich habe vor Freude angefangen zu weinen. Ich hätte an die Decke springen können. Euphorie kam hoch. Es war die Kombination der Erleichterung, endlich ein Mittel gefunden mit dem Gefühl mal keine Schmerzen zu haben. Zuhause am Abend war ich viel ruhiger. Da konnte ich mich endlich der Entspannung hingeben. Anschließend habe ich das erste mal nach 13 Jahren eine Nacht durchgeschlafen.
Leafly.de: In welchen Momenten wendest Du Cannabis es an?
Patrick: Ich würde es gern als Dauermedikation anwenden, doch ich kann es nicht zahlen. Daher kämpfe ich derzeit mit allen Mitteln darum einen Arzt zu finden und eine Kostenuebernahme von der Krankenkasse zu bekommen. So kann ich mir leider derzeit nur die Behandlung für eine Woche pro Monat leisten.
Leafly.de: Welches Präparat in welcher Dosierung nimmst Du?
Patrick: Die Sorte meiner Wahl ist Blackout. Die Dosis von 2,5 g verdampfe ich über den Tag verteilt.
Leafly.de: Gibt es Schwierigkeiten mit der Krankenkasse?
Patrick: Ja, immense Schwierigkeiten. Die Kostenübernahme wurde abgelehnt. Ich kämpfe weiter.
Leafly.de: Hast Du Angst vor einer Abhängigkeit?
Patrick: Nein, wer einmal einen Medikamentenentzug von Opiaten oder Morphinen mitgemacht hat keine Angst vor Cannabis oder einer Cannabisabhängigkeit. Derzeit reicht mein Geld ja nur für vier Tage Behandlung mit Cannabis pro Monat. Und in den drei Wartewochen habe ich auch keine Entzugserscheinungen.
Leafly.de: Was ist Dein Job? Bist Du Frühpensioniert?
Patrick: Meine Arbeit als Koch kann ich beim besten Willen nicht mehr ausüben. Ich strebe eine Umschulung an. Ich denke, wenn ich mal Medikamente für einen ganz Monat bekommen könnte, könnte ich das schaffen und endlich wieder für mich selbst sorgen.
Leafly.de: Geht es Dir gut? Bist Du glücklich?
Patrick: Eigentlich ja. Ich habe gute Freunde und ein strukturiertes Leben.
Vielen Dank, lieber Patrick. Wir wünschen Dir viel Glück und Kraft für Deine weiteren Vorhaben!
Weiterführende Links auf Leafly.de:
https://www.leafly.de/patientenakte-birgit-fibromyalgie/
https://www.leafly.de/leafly-de-patientenakte-pascal-fibromyalgie-depressionen-angstzustaende/
https://www.leafly.de/patientenakte-matthias-fibromyalgie/
https://www.leafly.de/patientenakte-isabelle-schmerzpatientin/
https://www.leafly.de/cannabis-medizin-schmerzen-therapie/
Hier finden Sie weitere Informationen zu Fibromyalgie und Medizinalcannabis.