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Razzien in Hanfläden: “wie Schwerverbrecher behandelt”

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

“Unverhältnismäßig, entwürdigend und entehrend” – so beschreibt der Besitzer eines Hanfladens das Verhalten der Polizisten bei einer Razzia. In zahlreichen Hanf-Shops in Bayern ist es zu Durchsuchungen gekommen, manche Geschäfte wurden leer geräumt. Die Betroffenen berichten davon, dass sie vor ihren Kindern in Handschellen auf dem Boden festgehalten wurden. Andere erzählen, wie Beamte mit Maschinengewehren ihren Laden stürmten.

Razzien in Hanfläden: “wie Schwerverbrecher behandelt”

In den letzten Wochen und Monaten kam es in Bayern immer wieder zu Polizei-Einsätzen in Hanfläden. Dabei wurden sowohl Ladenräume wie auch Privatwohnungen der Geschäftsbetreiber*innen durchsucht. Die Betroffenen beschweren sich, dass das Aufgebot und das Verhalten der Polizei bei den Razzien unverhältnismäßig ist. Darüber hinaus beklagt beispielsweise das Unternehmen Cannameleon den Einsatz von körperlicher und physischer Gewalt durch die Polizeibeamten. (Leafly.de berichtete.)

Cannameleon

Cannameleon Geschäftsführer Lukas Schwarz

Cannameleon: Zu viel THC im Tee?

Das Cannameleon ist ein Hanf-Shop und Hanf-Café. Das Start-up aus Würzburg in Unterfranken hat inzwischen drei Ableger. Die Betreiber*innen setzen dabei auf ein nachhaltiges, gesundheitsorientiertes Konzept. Die Hanfläden bieten eine Kombination aus Einzelhandel mit Hanf- und CBD-Produkten aller Art und einem Café mit abgetrenntem Bereich für Cannabispatienten.

Wie das Unternehmen erklärte, lautete der Vorwurf der Polizei, dass die Hanfläden BtM-Produkte vertreiben – auch an Jugendliche. Die Hanf-Shop Betreiber*innen wehren sich jedoch gegen die Unterstellung, dass sie sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten würden und betonen stattdessen, nur Produkte aus Nutzhanf anzubieten.

Konkret gehe es dabei um Hanftee. Stichproben der Produkte sollen zwischen 0,16 und 0,3 Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) enthalten, so die Polizei. THC wirkt berauschend und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz. In Deutschland dürfen nur Cannabis-Produkte aus zertifiziertem Nutzhanf mit einem THC-Gehalt von unter 0,2 Prozent legal verkauft werden.

“Unverhältnismäßig, entwürdigend und entehrend”

Die Ladenbesitzer empören sich über das Vorgehen der Polizeibeamten. Die teils schwerbewaffneten Beamten drangen auch in den Privatwohnungen der Betreiber ein. Die Unternehmensgründer wurden von der Polizei überwältigt und in Handschellen gelegt – vor den Augen ihrer kleinen Kinder. Der Cannameleon-Chef Lukas Schwarz spricht von Willkür, von psychischer Gewalt und massiven körperlichen Attacken.

Grüne: Razzien in Hanfläden unverhältnismäßig

Die bayerischen Grünen kritisieren die Razzien in Hanf-Shops. Die Polizeieinsätze seien übertrieben, erklärt Dieter Janecek. Der Münchner sitzt für die Grünen im Bundestag und ist Sprecher für digitale Wirtschaft & Industriepolitik.

„Es ist unverhältnismäßig, wenn die bayerische Polizei mit einem Großaufgebot gegen Hanfläden vorgeht. Wenn der Verdacht besteht, dass die angebotenen Öle oder Tees die zulässigen THC-Grenzwerte überschreiten, kann man das auch weniger martialisch überprüfen, dafür braucht man keine schwer bewaffneten Einheiten“, so Janecek.

Ein Ort für Cannabispatient*innen

Die Cannabispatienten Minyi ist Stammkundin bei Cannameleon. Leafly.de hat in einer Patientenakte über die Pharmaziestudentin berichtet, die ihre Arthrose erfolgreich mit Cannabis als Medizin behandelt. Minyi war entsetzt, als sie von der Razzia erfuhr. Außerdem ist sie besorgt darüber, wie sich die Vorkommnisse für die Hanf-Branche auswirken werden:

“Ich komme gerne ins Cannameleon, um mit anderen Patienten und den sehr netten Mitarbeitern tolle Gespräche zu führen und Neuheiten auszuprobieren. Sie sind mir innerhalb kurzer Zeit ans Herz gewachsen. Dafür fahre ich gerne eine Stunde und wünschte, es gäbe auch ein Café in meinem Wohnort. Ein derartiger Ort fehlt mir als Cannabispatientin. Es wäre sehr schade, wenn aufgrund der Razzien Leute entmutigt werden, ins CBD Geschäft einzusteigen.”

CBD im Visier

Nicht bei allen Razzien geht es um THC – vor allem CBD-Produkte sind ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Der Wirkstoff Cannabidiol (CBD) soll beruhigend wirken, Krämpfe lösen, und gegen Entzündungen und Übelkeit helfen. CBD-Produkte erleben einen wahren Hype, allerdings ist die Rechtslage unklar.

CBD fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Aber nach der Rechtsauslegung der Staatsanwaltschaft München dürfen Produkte mit CBD dennoch nicht an Endkunden verkauft werden. Das Bundesamt für Verbraucherschutz sieht eine Verschreibungspflicht für CBD – und so geht die Justiz teilweise gegen Cannabidiol-Produkte vor.

Betreiber Greenz

Betreiber des Bio-Hanf-Fachgeschäfts Greenz in Nürnberg

Razzia im Greenz

Gemeinsam mit einem Geschäftspartner betreibt Max Ezel den Hanfladen Greenz in Nürnberg. Max ist auch Cannabispatient. In einer Patientenakte hat Leafly.de bereits über seine Krankengeschichte berichtet.

Das Greenz ist Nürnbergs erstes Bio-Hanf-Fachgeschäft. Die Eröffnung des Ladens fand am 8. Juni dieses Jahres statt. Am 26. Juni kam die Razzia: Geschätzt 10 SEK-Beamte durchsuchten den Hanfladen und noch mal so viele SEK-Beamte die privaten Wohnräume.

“Um circa 12 Uhr standen plötzlich vier Mannschaftswagen vor unserem Laden. Dann sind die Beamten mit Maschinenpistolen bewaffnet in den Laden gestürmt, haben unsere Kunden verscheucht und erst mal alles auf den Kopf gestellt. Wir wurden wie Schwerverbrecher behandelt”, erzählt uns Max.

Die Polizisten beschlagnahmten alle CBD-Produkte: von der Schokolade über den Kaugummi bis zu CBD-Ölen. Auch Bücher und Zeitschriften über CBD nahmen sie mit. “Die Kasse und das Tablet mit dem Kassensystem wurden ebenfalls mitgenommen”, so Max. Am Ende zog die Polizei einen Großteil der Produkte des Hanfladens ein.

Privaträume umgekrempelt bei Razzien

Darüber hinaus durchsuchten die Beamten die Wohnungen der Ladenbesitzer, nahmen private Laptops und PCs mit. Außerdem “sämtliche USB-Sticks und Ordner, die nichts mit den Tatvorwürfen zu tun hatten”. Laut Polizei sollen die Betreiber des Hanf-Shops gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen haben. Cannabidiol sei ein verschreibungspflichtiges Mittel – also der Handel illegal.

Max kann das nicht nachvollziehen: “Wir haben niemals irgendwelche Heilversprechen oder sonstige gesundheitliche Ratschläge gegeben. Außerdem kann man CBD-Tee, CBD-Kaugummis und CBD-Schokolade wohl kaum als Arzneimittel bezeichnen.”

Wirtschaftlicher Totalschaden durch Razzien

Die beiden Betreiber des Greenz bekamen ihre Computer, Laptops und das Kassensystem nach sieben Wochen zurück. Wann sie ihre Produkte zurückerhalten, wissen die beiden jungen Männer nicht. “Die Analyse unserer Produkte kann noch bis in 2020 dauern. Das wäre unser finanzieller Ruin”, erklärt uns Max.

“Wirtschaftlich ist das natürlich ein Totalschaden. Mein bester Freund und ich haben den Laden mit all unseren Ersparnissen aufgebaut. Wir hatten von Juli bis Oktober kein Einkommen. Wir kommen nicht aus reichen Verhältnissen, sodass wir uns das nicht mal eben leisten können. Mittlerweile sind wir wirklich an der Existenzgrenze angekommen.”

Wie geht es weiter mit den Hanfläden?

Die Unverhältnismäßigkeit der Razzien ist eine Sache – eine andere ist die unsichere wirtschaftliche Situation der Branche. Max und sein Geschäftspartner wollen sich mit anderen Hanfshop-Betreibern zusammentun, um eine deutschlandweite Kampagne ins Leben zu rufen.

“Das öffentliche Interesse für Hanf ist vielleicht nicht so groß, jedoch für wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit und Polizeischikane”, erklärt der junge Unternehmer Max. “Es kann doch nicht sein, dass in einem fortschrittlichen Land wie Deutschland im Jahr 2019 keine klaren Gesetze zum Verkauf existieren.”

Im Sinne der Betreiber*innen von Hanfläden und deren Kund*innen bleibt zu hoffen, dass die unsichere Rechtslage möglichst bald geklärt wird.

 

Weiterführender Artikel zum Thema auf Leafly.de:

Rechtsanwalt und CBD-Experte Kai-Friedrich Niermann erklärt in seiner Kolumne Recht: CBD – eine endlose Geschichte der Konfusion die komplizierte Rechtslage in Sachen CBD.

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