Bestehende Rechtsunsicherheiten für Cannabispatienten
Ärztinnen und Ärzte können seit März 2017 schwerkranken Patienten, für die keine andere Therapieoption besteht, Cannabis als Medizin verordnen. Im Alltag kommt es allerdings häufig zu Problemen aufgrund der mangelnden Rechtssicherheit. Cannabispatienten sind bei Polizeikontrollen, bei grenzüberschreitendem Verkehr auf Flughäfen, auf Bahnhöfen und im Straßenverkehr ständig der Angst ausgesetzt, nach positiven Drogentests kriminalisiert zu werden. Das Dilemma der Cannabispatienten: Nach der Einführung des Cannabisgesetzes wurden die Regelungen im Straßenverkehr nicht geändert, um sie auf Cannabis als Medizin anzupassen. Darüber hinaus sind Polizeibeamte oft überfordert, zwischen Freizeitkonsum und Therapie zu unterschieden.
Auch Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpolitik und Gesundheitsförderung in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, kritisiert die fehlende Rechtssicherheit: „Patientinnen und Patienten, die Cannabis auf Rezept erhalten, wissen nicht, woran sie sind.“
Cannabispatienten hinterm Steuer – fehlende Rechtssicherheit
Cannabispatienten und -patientinnen dürfen weiterhin im Straßenverkehr mit dem eigenen Auto unterwegs sein. Voraussetzung ist allerdings laut Bundesregierung, dass sich die Cannabispatienten fahrtüchtig fühlen. Die Betroffenen müssen ihr Fahrzeug jederzeit sicher beherrschen, hieß es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken. Wer sich hingegen auffällig im Straßenverkehr verhält oder eine unsichere Fahrweise an den Tag legt, riskiert eine Geldstrafe und sogar der Entzug der Fahrerlaubnis.
Für alle Verkehrsteilnehmer in Deutschland gilt derzeit ein Grenzwert von 1,0 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) je Milliliter Blutserum. Für Cannabispatienten gibt es keine explizite Ausnahmeregelung – sie sind daher vom 1,0-Nanogramm-Grenzwert nicht ausgenommen. Eine Empfehlung der Grenzwertkommission, den Wert für alle Verkehrsteilnehmer anzuheben, wurde bislang nicht umgesetzt.
Was kann die Fahrtüchtigkeit herabsetzen?
Viele Experten raten, am Anfang einer Cannabis-Therapie von Autofahrten abzusehen. Gerade in der Eingewöhnungsphase kann Cannabis als Medizin Nebenwirkungen hervorrufen und die Fahrtüchtigkeit negativ beeinträchtigen. Auch wenn der Arzt die Dosierung während einer laufenden Therapie erhöht, oder auf ein anderes Cannabisprodukt wechselt, können Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt sein.
Darüber hinaus müssen Patienten eventuelle Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Alkohol beachten. Die Experten des Verbandes der TÜV e.V. (VdTÜV) fordern sogar ein striktes Alkoholverbot für Cannabis-Konsumenten, die am Straßenverkehr teilnehmen wollen. Und dabei machen sie keine Unterscheidung, ob es sich um Cannabispatienten oder Freizeitkonsumenten handelt.
Polizisten kennen Ausnahmeregelung oft nicht
Wie die Linke in ihrer Anfrage betont, seien Polizeibeamte häufig „nicht ausreichend darüber aufgeklärt, dass es überhaupt legales Cannabis zum medizinischen Gebrauch gibt. Oftmals ist sich die Polizei nicht sicher, ob es sich um legales medizinisches Cannabis handelt oder um illegales Cannabis zum Freizeitkonsum.“
Insbesondere bei Straßenverkehrskontrollen sehen sich Cannabispatienten der Gefahr ausgesetzt, durch die polizeiliche Praxis kriminalisiert zu werden. Die Regierung rät ihnen, beim Autofahren eine Kopie des BtM-Rezeptes und/oder eine Bescheinigung des behandelnden Arztes mitzunehmen. So kann im Falle einer Polizeikontrolle der Patient die medizinische Notwendigkeit des Cannabis-Konsums beweisen. Eine weitere Möglichkeit ist ein Patientenausweis (Cannabis-Ausweis). Eine gesetzliche Pflicht, einen solchen Nachweis mitzuführen, gibt es jedoch nicht.
Offizieller Ausweis für Patienten
Der Rat, eine ärztliche Therapie-Bescheinigung, das aktuelle Rezept oder einen Patientenausweis mitzuführen, hat nur einen Haken: Es gibt keine Garantie, dass sie von den Beamten anerkannt werden.
Patientenausweise seien zu einfach zu fälschen und sind kein offizielles Dokument. Daher werden sie von der Polizei nicht erkannt, erklärt Marcus da Gloria Martins, Pressesprecher des Polizeipräsidiums München.
Polizei, Ärzte und Patienten wünschen sich ein eindeutiges, fälschungssicheres Dokument, das Cannabispatienten von Freizeitkonsumenten unterscheidet und so die Rechtssicherheit verbessert. Auch der Verkehrsgerichtstag hat sich Ende Januar dafür ausgesprochen (Leafly.de berichtete). Leider gibt es solch ein offizielles Dokument bisher nicht – und Patienten und Polizisten müssen es ausbaden.
Der Münchener Cannabispatient Franz Wolf hat sogar eine Petition verfasst: Wolf will ein polizeisicheres Identifikationsmerkmal für Cannabispatienten (Leafly.de berichtete). Der Schmerzpatient fühlt sich von der Polizei schikaniert: Als der Mann in eine Verkehrskontrolle geriet, wurde sein legal in der Apotheke erworbenes Cannabis beschlagnahmt. Für den schwerkranken Patienten ist das Verhalten der Polizei nicht akzeptabel. Wolf sieht seine Grundrechte zur Teilhabe am öffentlichen Leben verletzt.
Grenzwerte für THC im Blut
Cannabispatienten dürfen „am Straßenverkehr teilnehmen, solange ihre Fahrtüchtigkeit durch die Medikation nicht beeinträchtigt ist. Genau hier beginnt aber das Problem: Denn es gibt bislang noch keine wirksame Methode, einen Cannabis-Grenzwert für die Fahrtüchtigkeit festzulegen. Entsprechend fehlt ein Wert, an dem sich Cannabispatienten, die Auto fahren wollen, orientieren können.“ So argumentierte die Linke bereits im letzten Jahr. Ein Weg aus dem Dilemma wäre eine generelle Erhöhung der THC-Obergrenze im Blut.
Die Linke will THC-Obergrenze auf 3,0 Nanogramm anheben
So erklärt Niema Movassat, Sprecher für Drogen- und Verfassungspolitik bei den Linken im Bundestag, gegenüber Leafly.de: “Der Sinn von Fahrverboten und Grenzwerten muss stets sein, die Sicherheit zu erhöhen. Der derzeitige Grenzwert für Cannabis mit 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter entspricht einer 0-Grenze und ist ungeeignet, weil Menschen mit diesem niedrigen Wert voll fahrtüchtig sind. Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte Anpassung des THC-Grenzwertes. Dieser sollte zunächst auf 3,0 Nanogramm THC pro Milliliter angehoben werden – wie in Großbritannien, Polen und der Schweiz. Die Fahrsicherheit wäre damit nicht betroffen und wir hätten endlich ein Stück weit Gerechtigkeit gegenüber Cannabis-Konsumenten.“
Die Grenzwertkommission hat bereits 2017 für eine Anhebung des THC-Wertes auf 3,0 Nanogramm plädiert. Und auch die Experten des Verkehrsgerichtstages haben sich dieser Empfehlung angeschlossen (Leafly.de berichtete).
Die Grünen wollen THC-Obergrenze auf 5,0 Nanogramm anheben
Die Grünen fordern in ihrem Cannabiskontrollgesetz ebenfalls eine Erhöhung des Grenzwertes – bei ihnen sogar auf 5,0 Nanogramm THC pro Milliliter.
„Klar ist, niemand darf berauscht fahren. Es gilt immer: safety first. Ein einheitlicher Grenzwert, der über dem analytischen Wert von 1,0 Nanogramm pro Milliliter Blutserum, aber unter einem erhöhten Unfallrisiko liegt, ist geboten.“ Das erklärt Kappert-Gonther von den Grünen gegenüber Leafly.de.
Wo genau dieser Wert allerdings liegt – darüber streiten sich die Experten. Daher fordert der ADAC, die Frage nach einem verbindlichen Grenzwert von THC im Blut wissenschaftlich zu untersuchen. Im Hinblick auf die Cannabispatienten gilt es zu klären, „welche Auswirkungen eine ordnungsgemäße Einnahme von Cannabis als Medikament auf das Fahrverhalten hat.“
Solange diese Frage nicht geklärt ist, wird es keinen eigenen Grenzwert für Cannabispatienten geben. Für die Rechtssicherheit ist solch eine Untersuchung daher wichtig.
Gleichbehandlung von Cannabis und anderen Medikamenten
Medizinalhanf ist ein Arzneimittel, dass ein Arzt einem Patienten verordnet hat. Und für alle Menschen, die Medikamente einnehmen, besteht kein generelles Fahrverbot.
Das Straßenverkehrsgesetz regelt in § 24a, Satz 2: Berauschende Mittel dürfen dann eingenommen werden, „wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“.
Wieso gelten also für Cannabis andere Regeln als für andere Medikamente? Es ist richtig, dass Cannabis die Wahrnehmung eines Autofahrers einschränken kann – das können andere Arzneimittel aber auch, wie beispielsweise Mittel gegen Heuschnupfen oder andere Betäubungsmittel. Der Arzt steht in der Pflicht, seinen Patienten aufzuklären. Ansonsten liegt aber die Entscheidung beim Patienten, ob er sich das Autofahren zutraut oder nicht.
Auch der Deutsche Anwalt Verein (DAV) plädiert dafür, Cannabis auf Rezept zu behandeln wie andere Medikamente auch. Ein Sprecher erklärte:
„Wenn aus medizinischer Sicht trotz Einnahme von Cannabis nichts gegen eine Fahreignung spricht, spricht auch nichts dafür, an der Fahreignung zu zweifeln.“
Cannabis schafft häufig erst die Voraussetzung, dass Patienten hinterm Steuer fahrtauglich sind
Darüber hinaus geht es in der Cannabis-Therapie nicht darum, einen Rausch zu erzeugen: „Eine Rauschwirkung ist nicht Sinn einer Therapie“, so Johannes Horlemann, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin. Vielmehr gehe es darum, den Patienten eine stabile Dosis an Cannabinoiden zu verabreichen. Cannabis als Medizin versetzt die Patienten oftmals erst wieder in die Lage, sicher ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen. Menschen mit Multipler Sklerose, Epilepsie oder chronischen Schmerzen beispielsweise sind aufgrund ihrer Erkrankung nur eingeschränkt fahrtauglich.
Außerdem stellt sich bei einer kontinuierlichen Einnahme von Cannabis als Medizin ein Gewöhnungseffekt ein – trotz THC im Blut. Das sieht beim Freizeitkonsum, wenn Menschen plötzlich eine hohe Menge Cannabis konsumieren, anders aus.
Fazit: Wie kann Rechtssicherheit für Cannabispatienten geschaffen werden?
Folgende Vorschläge und Überlegungen gibt es, um Rechtssicherheit zu schaffen:
- Gleichbehandlung von Cannabis als Medizin und anderen Medikamenten. Cannabis sollte wie andere verschreibungspflichtige Medikamente behandelt werden. Eine gesonderte Regelung für Cannabispatienten ist nicht nötig. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass dies nicht so einfach ist, da Polizisten Schwierigkeiten haben, zwischen Freizeit-Konsumenten und Cannabispatienten zu unterscheiden.
- Erhöhung des zugelassenen Grenzwertes von THC im Blut. Viele Experten sprechen sich für eine generelle Anpassung des THC-Grenzwertes auf 3,0 Nanogramm pro Milliliter Blutserum aus. Einen eigenen, höheren Grenzwert für Cannabispatienten wird es wohl erst geben, wenn Studien untersucht haben, wie sich die Einnahme von Medizinalhanf auf das Fahrverhalten auswirkt. Dies würde zur Rechtssicherheit beietragen.
- Offizieller, fälschungssicherer Ausweis für Cannabispatienten. Alle Seiten – Polizei, Patienten, Ärzteschaft und Verkehrsexperten – fordern ein solches Dokument. Wenn so viel Einigkeit herrscht, sollte es hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis dieses Dokument eingeführt wird.
Quellen: