2018 hat die britische Regierung die Behandlung mit Cannabis als Medizin legalisiert. Tatsächlich steht diese Therapieoption aber nur sehr wenigen Menschen im Vereinigten Königreich zur Verfügung, denn die Regelungen sind extrem streng und die Preise für das Arzneimittel hoch.
Erhebung: 1,4 Millionen behandeln sich mit Cannabis vom Schwarzmarkt
Eine neue Umfrage zeigt jetzt: 1,4 Millionen Briten verwenden Cannabis vom Schwarzmarkt, um medizinisch diagnostizierte chronische Erkrankungen zu behandeln. Das sind 2,8 Prozent der erwachsenen britischen Bevölkerung, wie der Independent berichtet. Bisher lag die erhobene Zahl in Großbritannien zwischen 50.000 und 1,1 Millionen Menschen, die regelmäßig illegal gekauftes Cannabis einsetzen, um es als Arzneimittel zu verwenden.
Die neue nationale Umfrage wurde von YouGov für das Centre for Medicinal Cannabis (CMC) und die Cannabis Advocacy and Support Services (CPASS) durchgeführt. Dabei wurden mehr als 10.000 Menschen befragt.
Mehr als die Hälfte der Erwachsenen, die illegales Cannabis für medizinische Zwecke nutzen, verwenden dieses laut der Umfrage täglich. Knapp ein Viertel nutzt es wöchentlich.
Neun Prozent der Befragten gaben an, nichts für Cannabis auszugeben – was darauf hindeutet, dass sie selbst anbauen. 44 Prozent gaben an, dass sie bis zu 99 Britische Pfund pro Monat für ihr illegales Medikament ausgeben. Und etwas mehr als ein Fünftel zahlt jeden Monat zwischen 100 und 199 Pfund für Cannabis.
„Nationale Herausforderung“
Dr. Daniel Couch, medizinischer Leiter des CMC, das die Umfrage mit beauftragt hat, erklärt die Wichtigkeit der Befragung:
„Zum ersten Mal haben wir verlässliche, repräsentative Daten über die Anzahl der Menschen in Großbritannien, die Cannabis als Medikament nutzen“, so Dr. Couch. „Die Ergebnisse sind erstaunlich und stellen eine nationale Herausforderung dar.“
Ann Keen ist Vorsitzende von CPASS. Die Organisation bietet Unterstützung und Fortbildung für Patientinnen und Patienten sowie medizinische Fachleute zum Thema Cannabinoid-Therapie an. Keen zeigt sich bestürzt über die große Zahl von Menschen, die keine andere Option sehen, als sich illegal ihr Medikament zu beschaffen. Sie fordert, dass „sichere“ Lösungen „so schnell wie möglich erforscht werden müssen“.
Nach der Veröffentlichung der Umfrage soll die CMC jetzt neue Vorschläge unterbreiten, wie das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) Cannabis-basierte Arzneimittel in den nächsten fünf bis zehn Jahren besser bewerten kann.
Kürzlich berichteten Medien, dass das nationale Gesundheitssystem NHS erstmalig zwei Cannabis-basierte Medikamente zugelassen hat. Epidiolex ist ein Arzneimittel für die Behandlung schwerer Formen von Epilepsie im Kindesalter. Der Einsatz von Sativex erfolgt hingegen bei Krämpfen und Spastiken als Folge von Multipler Sklerose.
Cannabis verboten in UK – bisher
Patientinnen und Patienten, die Cannabis auf dem Schwarzmarkt kaufen, kriminalisieren sich, um an ihr Medikament zu gelangen. Im Vereinigten Königreich ist es verboten, Cannabis zu besitzen, zu verkaufen oder anzubauen. Wer mit Cannabis erwischt wird, muss mit einer Haftstrafe von maximal fünf Jahren rechnen, einer unbegrenzten Geldstrafe oder beidem.
Die Polizei kann eine Verwarnung oder eine Geldbuße vor Ort aussprechen, wenn Personen mit einer kleinen Menge angetroffen werden und diese für den persönlichen Gebrauch bestimmt ist. Darüber hinaus unterliegt Cannabis vom Schwarzmarkt selbstverständlich keiner Qualitätskontrolle. Häufig ist es mit gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen versetzt.
Allerdings wurde die Diskussion über die Cannabis-Legalisierung in den UK gerade durch die Kandidatin der Liberaldemokraten für die Londoner Bürgermeisterwahl, Siobhan Benita, angefacht. Sie erklärte, die Idee der Legalisierung der Droge sei „nicht mehr umstritten“. Außerdem ist es so möglich, junge Menschen vor der Kriminalität zu bewahren.
Kaum Cannabis-Verordnungen
Dass so viele Menschen in Großbritannien zu Cannabis vom Schwarzmarkt greifen, um sich zu therapieren, passt zu der geringen Anzahl an Cannabis-Rezepten, die bisher im Vereinigten Königreich ausgestellt wurden. Laut einem Medienbericht wurden lediglich 18 NHS-Rezepte für nicht lizenzierte Cannabismedikamente ausgestellt, seit die Regierung solche Produkte vor einem Jahr legalisiert hat. Die zuständige britische Behörde gab an, dass bisher 104 Privatrezepte ausgegeben wurden.
Was ist der Grund dafür? Trotz der Gesetzesänderung können nur Fachärzte in Krankenhäusern ein NHS-Rezept für Cannabis als Medizin ausstellen. Viele britische Patienten finden den Zugang zur Cannabinoid-Behandlung so gut wie unmöglich. Daher haben Aktivisten die Regierung aufgefordert, einen breiteren Zugang zu solchen Medikamenten wie Cannabisöl zu gewährleisten, das bei Epilepsie, Depression und chronischen Schmerzen eingesetzt wird.
Neue Cannabisklinik in Bristol
Die Veröffentlichung der neuen Daten trifft mit der Eröffnung der ersten medizinischen Cannabisklinik außerhalb Londons zusammen. Die Klinik in Bristol beginnt nun damit, die 100 Patienten auf ihrer Warteliste zu bewerten, die an Krankheiten wie chronischer Schmerz, Angstzuständen und Depressionen leiden.
Bruce Smith, 45 Jahre alt und ehemaliger Soldat, ist einer der Patienten auf dieser Warteliste der Cannabisklinik. Er leidet seit Langem an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Jetzt erklärt er den Medien, wie erfreut er über die neue Cannabisklinik ist.
„Ich bin überglücklich über diese aufregende Nachricht. Seit Jahren versuche ich verzweifelt, für meine komplexe PTBS medizinisches Cannabis zu erhalten. Der Gedanke, dieses jetzt in Bristol sicher verschrieben zu gekommen, erfüllt mich mit Spannung.“
Eine sogenannte CQC-Registrierung ermöglicht der Klinik auch eine häusliche Pflege. Das bedeutet, dass immobile Patientinnen und Patienten die Pflege durch das medizinische Personal bei sich zuhause in Anspruch nehmen können.
Graham Woodward, Direktor der Cannabisklinik erklärt:
„Wir freuen uns sehr über unsere CQC-Zulassung, die meiner Meinung nach ein Wendepunkt für Patienten sein wird, die bisher keinen Zugang zu medizinischem Cannabis hatten. Ich hoffe, dass dies den 1,4 Millionen Menschen im Vereinigten Königreich, die illegales Cannabis zur Behandlung ihrer chronischen Gesundheitszustände verwenden, wieder Hoffnung gibt, dass es eine qualitativ hochwertige medizinische Cannabisalternative gibt.“
Die „MyAccess Clinic“ hat inzwischen zwei Standorte: Bristol und London. Ziel ist, weiter im ganzen Land zu expandieren. Allerdings kommen auch in dieser Klinik Kosten auf die Cannabispatientinnen und -patienten zu.
Cannabisprojekt TWENTY21
Die Klinik in Bristol beabsichtigt, Patienten aus dem Projekt TWENTY21 aufzunehmen – Europas größtem medizinischen Cannabisprojekt. Dieses zielt darauf ab, die breiteste Evidenzbasis für Cannabis-basierte Medikamente aufzubauen. Es wird von dem Arzneimittel-Spezialisten und Aktivisten Professor David Nutt geleitet und wird 20.000 Patientinnen und Patienten bis Ende 2021 mit verschiedenen Erkrankungen erfassen.
Mehr zum Thema: In dem Artikel ECH will Zugang zu Medizinalhanf in UK verbessern berichten wir ebenfalls über die schwierige Situation der Menschen, die in Großbritannien mit Cannabis als Medizin behandelt werden möchten.