Im Januar 2017 hat der Bundestag einstimmig das Gesetz „Cannabis als Medizin“ beschlossen – besser bekannt als „Cannabis-Gesetz“. Die Neuregelung, die im März 2017 in Kraft getreten ist, ermöglicht es Schwerkranken im Einzelfall, cannabishaltige Arzneimittel als Therapiealternative zu erhalten.
Der behandelnde Arzt darf eine Cannabis-Verordnung ausstellen, wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und andere Medikamente nicht zur Verfügung stehen oder diese nicht eingesetzt werden können. Beispielsweise, wenn sie beim Patienten starke Nebenwirkungen hervorrufen. Bedingung für eine Behandlung mit einem Cannabis-Arzneimittel ist, dass es nach Einschätzung des Mediziners eine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf hat oder dessen Symptome lindert.
Somit ist die Therapie mit Cannabis eine individuelle Maßnahme der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes, die auch nur bei bestimmten Patientinnen und Patienten angewendet werden kann.
Die Fertigarzneimittel Sativex und Nabilon durften bereits vor dem Cannabis-Gesetz bei bestimmten Erkrankungen verschrieben werden. Jetzt darf der Arzt sie auch off-label einsetzen. Das bedeutet nicht nur für die Symptome, für die das Cannabis-Arzneimittel ursprünglich zugelassen wurde.
Cannabis-Verordnung in den Händen der Ärzte
Der Gesetzgeber hat bewusst die Entscheidung über die Cannabis-Verordnung in die Hände der Ärzteschaft gelegt – ohne jegliche Indikationseinschränkung. Das bedeutet, im Cannabis-Gesetz ist nicht festgelegt, bei welchen Krankheiten Cannabisprodukte verschrieben werden dürfen und bei welchen nicht. Wann eine Cannabis-Behandlung sinnvoll und Erfolgversprechend ist, liegt allein im Ermessen und in der Verantwortung der behandelnden Ärzte – sie besitzen die Therapiehoheit.
Obwohl im Cannabis-Gesetz keine Indikationen festgelegt sind, wird dort ausdrücklich geregelt, dass ein Cannabis-Rezept nur bei schwerwiegenden Erkrankungen ausgestellt werden darf. Häufig werden Cannabisprodukte gegen chronische Schmerzen, Spastik oder die Nebenwirkung einer Chemotherapie eingesetzt.
Die Kosten für die Behandlung mit Cannabinoiden muss die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) tragen. Nur in “begründeten Ausnahmefällen“ dürfen die Krankenkassen die Kostenübernahme ablehnen. Grund für diese Einschränkung war vor allem die Sorge des Missbrauchs – die Krankenkassen sollen nur für Cannabis als Medizin zahlen, nicht für den privaten Konsum.
Neues Cannabis-Gesetz macht Ausnahmeerlaubnis überflüssig
Auch vor der Gesetzesänderung war es in seltenen Fällen möglich, Cannabisblüten als Medizin zu erhalten. Dafür mussten Betroffene allerdings eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) beantragen. Nur mit dieser Sondergenehmigung war es schwerkranken Patientinnen und Patienten gestattet, Medizinalhanf im Rahmen einer ärztlich betreuten Therapie anzuwenden.
Die Kosten für die Cannabisblüten wurden allerdings nicht von der Krankenkasse getragen, sondern müssen privat bezahlt werden. Rund 1.000 Patientinnen und Patienten besaßen vor März 2017 eine Ausnahmeerlaubnis. Diese Regelung ist jetzt nicht mehr gültig – es gab für die Betroffenen jedoch eine Übergangsfrist von drei Monaten. Innerhalb dieser Zeit mussten sie einen Antrag bei ihrer Krankenkasse stellen, um weiterhin mit Cannabisprodukten versorgt zu werden.
Restriktive Haltung der Krankenkassen
In den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass die Krankenkassen einen Großteil der Anträge auf Behandlung mit Cannabis ablehnen – fast die Hälfte der Antragsteller bleiben auf den Kosten für ihre Cannabis-Verordnung sitzen. Darunter sind auch Menschen, deren behandelnde Ärztin oder Arzt die Notwendigkeit einer Cannabis-Therapie bestätigt hat. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen jeden Antrag vom MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) prüfen lassen.
Auch bei Personen, die vor März 2017 über eine Ausnahmeerlaubnis verfügten, lehnen die Krankenkassen häufig die Cannabis-Anträge ab. Wie bei Günter Weiglein, einem chronischen Schmerzpatienten. Dem 52-Jährigen hilft nur THC: Damit wird er nicht schmerzfrei, aber die Schmerzen sind erträglich und nachts kann er besser schlafen. Als Weiglein bei seiner Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme der Cannabis-Verordnung stellt, schaltet diese zunächst den MDK ein, um ein Gutachten zu erstellen. Dann lehnt die Krankenkasse den Antrag ab – obwohl das BfArM dem Schmerzpatienten eine Ausnahmeerlaubnis erteilt hatte. Aber Günter Weiglein gibt nicht auf, erhebt Einspruch – und schließlich akzeptiert die Krankenkasse seinen Antrag. Wenn Sie Günter Weigleins Geschichte interessiert, lesen Sie hier weiter.
Bundesminister Hermann Gröhe mahnt die Kassen zur Kooperation:
„Auch von den Krankenkassen erwarte ich, dass sie das Gesetz im Sinne der Patientinnen und Patienten umsetzen, so wie der Gesetzgeber das gewollt hat. Wir werden das sehr eng begleiten.“
Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Genehmigung der Leistung hat das Gesundheitsministerium den GKV-Spitzenverband um Übermittlung eines aktuellen Berichts zur Versorgung bis Ende September 2017 gebeten. Bisher liegen diese Informationen noch nicht vor, Leafly.de wird das Thema aber weiter verfolgen.
Lösung für Inhaber von Ausnahmeerlaubnis gefordert
Wie kann es sein, dass die Gesetzliche Krankenkasse die Cannabis-Therapie bei Versicherten ablehnt, die bereits über eine der seltenen Ausnahmegenehmigungen verfügen? Ziel des Cannabis-Gesetzes ist doch, die Versorgung von schwerkranken Menschen mit Cannabis als Medizin zu erleichtern und unbürokratischer zu gestalten.
Dazu erklärt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion: Die Kriterien, nach denen die Ausnahmegenehmigungen seinerzeit vom BfArM erteilt wurden, sind grundsätzlich andere als die, nach denen jetzt die Krankenversicherungen über eine Therapie mit Medizinalhanf entscheiden.(Erfahren Sie hier mehr über die Kleine Anfrage und die Kritik der Grünen an den Krankenkassen und der Bundesregierung.)
Die Grünen geben sich mit dieser Antwort allerdings nicht zufrieden:
„Die Bundesregierung verschließt die Augen vor den massiven Umsetzungsproblemen, die es beim Gesetz zu Cannabis als Medizin gibt“, erklärt der drogenpolitische Sprecher der Grünen, Dr. Harald Terpe, gegenüber DAZ.online.
Und Frank Tempel, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion die Linke, fordert im Gespräch mit Leafly.de eine schnelle Regelung für alle Personen mit einer Ausnahmeerlaubnis zum Stichtag des Inkrafttretens des Cannabis-Gesetzes: Diese Betroffenen „sollten per Rechtsverordnung eine Garantie auf Kostenerstattung erhalten.
Bundesregierung weicht ab von ihrem Versprechen
Die Kostenerstattung hatte die Bundesregierung den Patientinnen und Patienten versprochen. Doch von diesem Versprechen ist sie mittlerweile gänzlich abgewichen. Wieder einmal lässt die Bundesregierung diese Patientinnen und Patienten im Stich, die sich nun trotz schwerer Erkrankungen vor Gericht gegen die Krankenkassen durchschlagen müssen.“ Hier finden Sie das komplette Interview mit Frank Tempel zum Cannabis-Gesetz.
Solch eine Regelung fordern neben der Linken auch Grüne und Teile der SPD, wie der drogenpolitische Sprecher Burkhard Blienert. Und auch die CSU-Politikerin Emmi Zeulner, die das Cannabis-Gesetz mit vorangetrieben hat, erklärt gegenüber Leafly.de, dass sie sich für eine solche Regelung eingesetzt hat und weiter einsetzt:
„Besonders für die Patienten, die vorher eine Ausnahmegenehmigung hatten, müssen wir rasche und zielführende Antworten finden. Leider konnte ich meinen Vorschlag, für diese Patienten eine Bestandsgarantie und damit einen reibungslosen Übergang und die volle Kostenübernahme zusichern, noch nicht in der letzten Wahlperiode durchsetzen.“
Zeulner betont, wenn sie nach der anstehenden Bundestagswahl erneut die Möglichkeit bekommt, als Abgeordnete zu handeln, sehr rasch zu Beginn der neuen Legislaturperiode nachzusteuern.
Aktuelle Zahlen der Krankenkassen zu Cannabis-Behandlungen
Leafly.de will es genau wissen: Wie viele Anträge auf Kostenerstattung einer Cannabis-Therapie sind bei den Krankenkassen eingegangen, wie viele wurden genehmigt? Offizielle Zahlen der GKV wurden noch nicht veröffentlicht – bisher haben nur die jeweiligen Krankenkassen ihre selbst erhobenen Daten. Leafly.de hat bei den großen Kassen die aktuellsten Erhebungen erfragt. Ergebnis: Bisher wird nur gut jeder zweite Cannabis-Antrag genehmigt.
Eingegangene und genehmigte Anträge der Krankenkassen bis Mitte September:
BARMER: 1.700 Anträge insgesamt, davon 950 bewilligt = 56 %
TK: 1.250 Anträge insgesamt, davon 730 bewilligt = 58 %
AOKs bundesweit: ca. 5.000 Anträge insgesamt, davon bewilligt ca. 55 %
DAK: keine Angaben
Die rapide steigende Zahl der Anträge auf Cannabis-Behandlung belegt die große Nachfrage bei den Patientinnen und Patienten. Zum Vergleich: Vor März 2017 wurden etwas über 1.000 Menschen mit Medizinalhanf behandelt, seitdem sind allein bei den drei großen Krankenkassen AOK, BARMER und TK knapp 8.000 Anträge eingegangen.
Die Daten zeigen aber ebenfalls, dass nur bei 55 – 58 % dieser Antragsteller die Kosten für Cannabisprodukte erstattet werden. Bedeutet das, 42 – 45 % aller Anträge werden abgelehnt? TK und BARMER verneinen das gegenüber Leafly.de: Von den genehmigten Anträgen können keine Rückschlüsse auf die Zahl der Ablehnungen gezogen werden. Viele Anträge werden im ersten Schritt abgelehnt, da sie formell nicht vollständig sind. Arzt und Patient haben dann die Möglichkeit, den Antrag erneut einzureichen. Außerdem sind in den Daten die Anträge nicht erfasst, die sich noch beim MDK zur Prüfung befinden.
Was sind die häufigsten Gründe für eine erste Ablehnung?
Laut Pressesprecherin des AOK-Bundesverbandes fehlen bei Cannabis-Anträgen häufig „die gesetzlich vorgeschriebene medizinische Begründung des Antrags oder Ausführungen zu den bisherigen Therapien“. Und auch der Sprecher der TK erklärt: „Unvollständige sowie nicht ausreichend begründete Anträge auf Kostenübernahme sind die häufigsten Gründe für negative Prüfergebnisse des MDK. Viele Patienten gehen davon aus, dass Cannabis eine gute Therapieoption ist. Sie stellen bei der Krankenkasse einen Antrag, ohne vorher mit dem Arzt ausführlich darüber gesprochen zu haben. Ist der Arzt jedoch nicht davon überzeugt, dass Cannabis eine gute Therapieoption darstellt, wird er den Antrag nicht aussagekräftig begründen können und letztendlich auch keine Verordnung ausstellen.“ Daher rät die TK den Patientinnen und Patienten, sich vor der Antragstellung mit ihrem behandelnden Arzt zu beraten.
Aktuelle Zahlen von ausgestellten Cannabis-Rezepten
Dass der Bedarf an Cannabis-Arzneimitteln hoch ist, zeigt auch die steigende Anzahl an ausgestellten Cannabis-Rezepten: Während die Apotheken im März 2017 noch 564 Einheiten auf 488 Cannabis-Rezepten ausgegeben haben, wuchs die Zahl im April auf 1.468 Cannabis-Verordnungen auf 884 Rezepten an. Im Mai waren es 3.666 Einheiten auf 1.518 Cannabis-Rezepten und im Juni schließlich 4.921 Einheiten auf 2.213 Rezepten. Diese Zahlen gab die ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) Anfang September bekannt. Sie beruhen nur auf den Rezepten zu lasten der GKV, Privatrezepte fließen nicht in die Auswertung ein. Hinzu kamen in demselben Zeitraum rund 12.500 Cannabishaltige Fertigarzneimittel.
Insgesamt haben die Apotheken im ersten Halbjahr 2017 mehr als 10.000-mal Cannabis-haltige Zubereitungen oder Cannabisblüten abgegeben – auf rund 5.100 Cannabis-Rezepten.
Die Anzahl der ausgegebenen Cannabis-Rezepte stieg von März 2017 bis Juni 2017 um mehr als das vierfache.
Welche Ärzte verschreiben Cannabis auf Rezept?
Laut Pharmazeutischer Zeitung stammen 31 % aller Cannabis-Verordnungen von Neurologen – somit die größte Gruppe der mit Cannabis arbeitenden Mediziner. 23 % waren Allgemeinmediziner und 8 % Internisten. Etwa 19 % der Cannabis-Rezepte stammen aus einem Medizinischen Versorgungszentrum und 7 % aus einer Ambulanz. Der Rest verteilt sich auf unterschiedliche Facharztgruppen. Alle Experten stimmen darin überein, dass der Bedarf in den nächsten Monaten noch spürbar anwachsen wird.
Die steigende Zahl der belieferten Cannabis-Rezepte macht deutlich, dass immer mehr Patientinnen und Patienten in Deutschland mit Cannabis versorgt werden. Erst einmal eine gute Neuigkeit! Allerdings zeichnet sich seit dem Sommer ein neues Problem bei der Versorgung ab: die Lieferschwierigkeiten bei bestimmten Blütensorten.
Lieferengpässe bei medizinischen Cannabisblüten
Seit August gibt es in den Apotheken keinen Nachschub für bestimmte Sorten Medizinalhanf – das bestätigte zuerst die Bundesvereinigung der Deutschen Apothekerverbände und inzwischen auch die Bundesregierung:
„Es liegen derzeit Meldungen vor, dass einige Sorten Cannabisblüten im Einzelfall nicht lieferbar sind“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.
Das Gesundheitsministerium wie auch die Deutschen Apothekerverbände weisen darauf hin, dass andere Cannabis-Arzneimittel wie Sativex, Dronabinol und Nabilon in ausreichender Menge vorhanden sind. So sei die Versorgung der Patienten mit Cannabinoiden gewährleistet.
Ganz so einfach ist die Situation für Cannabis-Patienten aber nicht: Auf ein anderes Cannabis-Arzneimittel zu wechseln, bedeutet, dass die Betroffenen neu eingestellt werden müssen – und das kann Wochen dauern. Wochen, in den das Medikament nicht optimal wirkt, eventuell die Nebenwirkungen hoch sind und die Person im Alltag eingeschränkt ist.
Erfahrungen eines Patienten
Der 36-jährige Robert Galler hat seine eigenen Erfahrungen mit dem Lieferengpass von medizinischem Cannabis gemacht. Die Mann aus Freilassing leidet an ADHS mit starker Ausprägung und diversen Komorbiditäten. Seit August 2017 nimmt er Cannabisblüten der Sorte Bedrocan und CBD-Moringa-Öl. Die Sorte, die er eigentlich benötigen würde, ist überhaupt nicht erhältlich. Damit er im Alltag nicht an den Symptomen seiner Krankheiten leidet, muss er seinen THC- und CBD-Spiegel im Körper im Gleichgewicht halten. CBD-Öl zu bekommen ist für Robert Galler schon schwierig, noch problematischer sieht es bei den Cannabisblüten aus. Die Blüten des niederländischen Herstellers Bedrocan sind seit Wochen nicht lieferbar.
Aber der junge Mann hat seine eigene Strategie, um sich seine Cannabisblüten zu beschaffen: Er telefoniert die Apotheken in der Umgebung ab – wenn diese sein Medikament vorrätig haben, fährt er dorthin und holt sich ab, was auf Lager ist. Sogar eine Wegstrecke von 70 km nimmt er dabei in Kauf. Und was hält er von der Idee, auf eine andere Sorte Cannabisblüten umzusteigen?
„Bei jeder anderen Sorte hätte ich erst mal wieder eine Einstellungsphase. Ich kann nicht zwischen verschiedenen Sorten hin und her wechseln“, so Galler. „Ich möchte in meinen Beruf zurück – und dafür muss ich dienstfähig sein.“
Doch wegen der Lieferengpässe bei Bedrocan bleibt ihm nur ein Wechsel.
Medizinische Cannabisblüten: Nachfrage steigt stetig
Der Grund, wieso bestimmte Sorten Cannabis in den Apotheken nicht zu haben sind, ist die stark gestiegene Nachfrage, die geringe Zahl an Importeuren sowie die streng regulierten Importmengen nach Deutschland. Bedrocan aus Holland könnte mehr als genügend Blüten nach Deutschland liefern. Doch ohne eine ausgelöste Bestellung der deutschen Cannabisagentur, sind dem Hersteller die Hände gebunden.
Vizepräsident der Bundesvereinigung der Apothekerverbände (ABDA) Mathias Arnold rechnet auch in der nächsten Zeit mit Engpässen:
„Das können wir nicht beheben als Apotheker. Wir hoffen, dass die Produktion nachkommt. Aber es ist eine Pflanze, die muss wachsen und da kann man den Bedarf also nicht so hochfahren, wie bei einer chemischen Synthese.“
Die Cannabisagentur des Bundes, die mit der Verabschiedung des Cannabis-Gesetzes ins Leben gerufen wurde, soll den Anbau von Medizinalhanf in Deutschland regeln. Im Inland angebautes Cannabis wird aber nach Expertenmeinung nicht vor 2019 lieferbar sein.
Frank Tempel von den Linken fordert mehr Importe, und zwar nicht nur aus den Niederlanden und Kanada, wie bisher der Fall, sondern auch aus Israel oder Uruguay. Und falls die Lieferengpässe auch mit diesen Maßnahmen nicht kurzfristig behoben werden können, müssen seiner Meinung nach neue Wege betreten werden:
„Wenn die Politik das Problem der Lieferengpässe nicht in den Griff bekommt, müssen wir über die Entkriminalisierung des Eigenanbaus und des Besitzes zum Eigenbedarf nachdenken.“
Explodierende Preise von Cannabisblüten aus der Apotheke
Bis März 2017 kostete ein Gramm Cannabis zwischen zwölf und 15 Euro in der Apotheke. Heute sind es fast doppelt so viel. Wie kann das sein? Seit der neuen Gesetzesregelung gilt Cannabis offiziell als Rezepturarzneimittel. Deshalb nehmen die meisten Apotheker dafür Aufschläge von bis zu 100 Prozent. Dafür hagelte es schon viel Kritik. Die Apotheken begründen diesen Aufschlag aber mit ihren anfallenden Tätigkeiten: Sie müssen die Qualität der Cannabisblüten überprüfen.
Besonders hart trifft die Preissteigerung diejenigen Betroffenen, deren Antrag auf Kostenübernahme der Cannabis-Behandlung von der Krankenkasse abgelehnt wurde. Denn auch wenn sie dagegen Widerspruch einlegen – erst einmal müssen sie sich ihr Cannabis-Arzneimittel mit einem Privatrezept aus der Apotheke besorgen. Und das bedeutet, sie müssen es aus ihrer eigenen Tasche zahlen. Selbst wenn die Krankenkasse den Widerspruch später akzeptiert und die Cannabis-Therapie genehmigt – rückwirkend werden keine Kosten ersetzt.
Das Gesundheitsministerium hat den Deutschen Apothekerverband wie den Spitzenverband der Krankenkassen aufgefordert, über eine Reduzierung der Preise für Cannabisblüten zu verhandeln. Die Gespräche hierzu sind noch nicht abgeschlossen. Leafly.de bleibt am Ball und wird über die Ergebnisse der Verhandlungen berichten.
Fortbildung der Ärzteschaft dringend nötig
Aber nicht nur die gestiegenen Preise und die hohen Ablehnungsquoten der Krankenkassen stellen ein Problem für schwerkranke Patientinnen und Patienten dar. Viele finden erst gar keinen Arzt, der bereit ist, Medizinalhanf zu verschreiben. Für die Ärzteschaft ist die neue Situation nicht einfach. Weil Cannabis vor März 2017 auch zu medizinischen Zwecken weitgehend verboten war, gibt es kaum empirisch belastbare Studien, die die Wirkungen der Inhaltsstoffe THC und CBD erforschen. Die Mediziner haben schlichtweg keine Erfahrung mit Cannabinoiden. Sie fühlen sich unsicher, wann und in welcher Form eine Cannabis-Verordnung sinnvoll ist.
Daher ist die Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten auf dem Gebiet der Behandlung mit Cannabis dringend nötig. Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat an die Ärztekammern der Bundesländer appelliert, Fortbildungsangebote wie auch Informationsmaterialien für ihre Ärzteschaft anzubieten. Nicht bei allen Ärztekammern kommt das gut an. In Sachsen beispielsweise hat die Ärztekammer kürzlich klar gemacht, dass sie nichts von der Behandlung mit Cannabis hält und daher auch keine Fortbildungen für die Mediziner im Freistaat anbieten wird.
Bürokratischer Aufwand und hohe Kosten schrecken Ärzte ab
Aber nicht nur mangelndes Fachwissen lässt viele Ärztinnen und Ärzte davor zurückschrecken, eine Cannabis-Therapie einzuleiten. Viele machen sich ganz einfach Sorgen um ihr Budget. Aufgrund der hohen Kosten der Behandlung fürchten sie einen Regress. Darüber hinaus bedeutet eine Cannabis-Verordnung für den behandelnden Arzt einen Mehraufwand: Jeder Cannabis-Patient muss an einer anonymisierten Begleitstudie des BfArM teilnehmen. Für diese Erhebung muss der Mediziner einen Fragebogen ausfüllen. Bisher wird diese Extra-Arbeit nicht vergütet.
„Das Gesetz erweist sich in der Praxis als Bürokratiemonster“, beschwert sich daher auch Dr. Franjo Grotenhermen, der sich seit Jahren für Cannabis als Medizin engagiert.
Ein erster Schritt in Richtung Cannabis Legalisierung?
Ebnet das Cannabis-Gesetz den Weg für eine generelle Entkriminalisierung? Die Union betont stets, dass die Regelung zu medizinischen Zwecken für sie völlig getrennt zu sehen ist von der Frage nach einer generellen Cannabis Legalisierung. „Sehen wir nach der Bundestagswahl die Freigabe von Cannabis?“ Das fragte Ende August die Neue Osnabrücker Zeitung Angela Merkel.
„Ich halte davon nichts“, so die Kanzlerin. „Wir erlauben eine sehr begrenzte Anwendung im medizinischen Bereich, darüber hinaus beabsichtige ich keine Änderungen.“
Die größten Teile der CDU/CSU sind strikt gegen eine Legalisierung. Dadurch wird es auch nach der Bundestagswahl für jeden potenziellen Juniorpartner einer Koalition mit der Union schwer, etwas an der derzeitigen Gesetzeslage zu ändern.
Und wie stehen die anderen Parteien zum Thema Cannabis Legalisierung? In der SPD gibt es unterschiedliche Meinungen. Teile der Partei sind offen gegenüber neuen Wegen in der Drogenpolitik und einer Entkriminalisierung von Cannabis. Wie Burkhard Blienert, der drogenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Der SPD-Chef Martin Schulz hat kürzlich im Interview mit prominenten YouTubern betont, als Kanzler würde er sich für eine Bundestag Abstimmung ohne Fraktionszwang zum Thema Cannabis Legalisierung einsetzen. Zehn Tage später allerdings erklärte Schulz im Gespräch mit der dpa, dass er persönlich die Straffreiheit bei Cannabis für falsch hält. Im Wahlprogramm der Partei findet sich nichts zu diesem Thema.
Bisher geben die kleinen Parteien den Ton an beim Thema Cannabis Legalisierung, allen voran die Grünen und die Linke. Die Grünen fordern ein Cannabiskontrollgesetz, das die legale und kontrollierte Abgabe von Cannabis in lizenzierten Fachgeschäften vorsieht. Die Linke strebt ein nicht-kommerzielles Modell mit Cannabis-Social-Clubs an. Allerdings zeigt sich die Partei auch offen für eine Regulierung in Cannabis Fachgeschäften oder Apotheken, „da auch sie eine Verbesserung im Vergleich zur Verbotspolitik bedeuten“, so Frank Tempel von den Linken im Gespräch mit Leafly.de.
Und auch die FDP steht inzwischen für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis. Wie sich das Thema entwickelt, hängt davon ab, wie weit sich die kleinen Koalitionspartner in der nächsten Regierung durchsetzen können.
Leafly.de Bilanz zum Cannabis-Gesetz
Das neue Cannabis-Gesetz sollte dafür sorgen, dass schwerkranke Patientinnen und Patienten Medizinalhanf auf Kassenrezept erhalten. Und tatsächlich werden jetzt deutlich mehr Menschen mit Cannabisprodukten versorgt, als es vor März 2017 der Fall war. Für viele Patienten jedoch sieht die Lage schlecht aus. Und zwar ufgrund der Schwierigkeit, einen behandelnden Arzt zu finden, der Haltung der Krankenkassen, der Lieferprobleme bei Cannabisblüten und der stark angestiegenen Preise in den Apotheken.
Während Marlene Mortler von der CSU verkündet: „Das Gesetz funktioniert“, kritisieren Grüne und Linke die massiven Umsetzungsprobleme, die sich in der Praxis zeigen. Die Opposition geht davon aus, dass das Gesetz korrigiert werden muss, falls die Probleme weiter bestehen bleiben.
„Wenn die Kassen nicht in der Lage sind, die Intention des Gesetzes zu befolgen, muss das Parlament notfalls eingreifen und die entsprechenden Vorschriften klarer fassen“, so Harald Terpe von den Grünen.
Und Frank Tempel von der Linken fordert: „Langfristig müssen wir dazu kommen, dass Cannabis immer dann erstattet wird, wenn es der Arzt verschreibt.“
Vizepräsident der Bundesvereinigung der Apothekerverbände (ABDA) Mathias Arnold sieht trotz aller Schwierigkeiten keinen Bedarf für Nachbesserungen am Cannabis-Gesetz:
„Ich glaube nicht, dass man nach dem Gesetzgeber rufen muss.“ Stattdessen sei es jetzt an der Zeit, an den medizinischen Leitlinien zu arbeiten. Außerdem sieht er bei der Versorgung die Hersteller in der Pflicht. „Es sollte sehr schnell gehen, dann das Anliegen ist auch aus der Sicht der Patienten verständlich. Aber wir müssen mit diesen Anfangsschwierigkeiten leben.“
Mit Blick auf die schwerkranken Patienten
- die sich trotz ihrer Erkrankungen mit der Bürokratie herumschlagen müssen,
- die auf den Kosten für ihre Cannabisprodukte sitzen bleiben,
- die häufig auf Vorbehalte vonseiten der Mediziner treffen,
- und die oft weite Wege auf sich nehmen müssen, um ihre Cannabis-Medizin überhaupt zu erhalten,
ist es unbedingt nötig, die Schwierigkeiten zügig aus dem Weg zu räumen.
Damit das Cannabis-Gesetz wirklich den Betroffenen helfen kann.
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: