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Verkehrsgerichtstag fordert: Regelungen für Cannabis am Steuer anpassen

Gesa-2019 Autor:
Gesa Riedewald

In Goslar fand der 56. Deutsche Verkehrsgerichtstag statt. Zum Abschluss fordert die Expertenrunde die Erhöhung des zugelassenen THC-Werts am Steuer auf 3 Nanogramm. Außerdem droht bei gelegentlichem Cannabiskonsum nicht mehr sofort der Führerscheinentzug. Die Unterscheidung zwischen Freizeitkonsumenten und Cannabispatienten hingegen sieht der Arbeitskreis als ungerechtfertigt an: Auch bei Cannabis auf Rezept muss die Fahreignung angezweifelt werden.

Verkehrsgerichtstag fordert: Regelungen für Cannabis am Steuer anpassen

Der 56. Verkehrsgerichtstag in Goslar brachte keine Rechtssicherheit für Cannabispatienten. Im Gegenteil: Die Unterscheidung zwischen Freizeitkonsumenten und Cannabispatienten sieht der Arbeitskreis als ungerechtfertigt an. Auch bei Cannabis auf Rezept muss die Fahreignung angezweifelt werden. Dennoch konnte ein Teilsieg errungen werden: Zum Abschluss des Verkehrsgerichtstag in Goslar fordert die Expertenrunde die Erhöhung des zugelassenen THC-Werts am Steuer auf 3 Nanogramm. Außerdem droht bei gelegentlichem Cannabiskonsum nicht mehr sofort der Führerscheinentzug.

Mehr als 1.800 Verkehrsexperten debattierten vom 24. bis 26. Januar unter anderem das Thema Cannabiskonsum und Autofahren. Juristen, Polizisten und Vertreter von Behörden und Versicherungen kommen jährlich in Goslar zum Verkehrsgerichtstag zusammen. Die Konferenzteilnehmer haben zwar keine Entscheidungsmacht, aber sie erarbeiten Vorschläge an den Gesetzgeber. Und diese werden häufig ganz oder teilweise übernommen.

  • Sollte der bestehende Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC je Milliliter Blutserum angepasst werden?
  • Kann der Führerschein bereits bei der ersten Autofahrt unter der Wirkung von Cannabis ohne Weiteres entzogen werden?
  • Und ist die Unterscheidung zwischen Cannabiskonsum zu Rauschzwecken und der Einnahme von Cannabis als Medizin gerechtfertigt?

Diese und weitere Fragen debattierten die Experten kontrovers.

Cannabis als Medizin und Autofahren

Seit März 2017 können schwerkranke Patienten, für die keine andere Therapieoption besteht, Cannabis als Medizin verordnet bekommen. Diese Patienten, die Medizinalhanf einnehmen, dürfen am Straßenverkehr teilnehmen. Allerdings nur, wenn sie aufgrund der Medikation nicht in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sind.

Für alle Verkehrsteilnehmer in Deutschland gilt derzeit ein Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC je Milliliter Blutserum. Für Cannabis-Patienten gibt es keine explizite Ausnahmeregelung.

Die Bundesregierung hatte im letzten Frühjahr auf eine Anfrage der Linken hin klargestellt: Patienten droht keine Strafe, wenn sie unter Cannabis als Medizin Autofahren. Sie dürfen aktiv am Straßenverkehr teilnehmen, wenn Cannabis auf Rezept verordnet wurde, und für die Behandlung einer konkreten Krankheit bestimmt ist.

Darüber hinaus hatte die Bundesregierung das Verhalten der Cannabispatienten im Straßenverkehr gelobt: Hinter dem Steuer verhielten sich diese sehr zuverlässig und verantwortungsvoll. Dies bestätigen auch Beobachtungen aus Kanada: Seit Einführung von Cannabis als Medizin im Jahr 2001 ist die Anzahl an Autounfällen nicht gestiegen.

Kommt allerdings ein Cannabis-Patient in eine Verkehrskontrolle und wird ein erhöhter THC-Wert im Blut festgestellt, muss sich der Betroffene einer umfassenden medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) unterziehen. Cannabis auf Rezept ist also kein Freifahrtsschein.

Das fordert der Verkehrsgerichtstag in puncto Cannabis

Die Verkehrsexperten sprechen sich für gewisse Erleichterungen für Cannabiskonsumenten aus. Gleichzeitig fordern sie aber auch eine Überprüfung von Cannabispatienten.

Führerscheinverlust

Der Arbeitskreis ist der Auffassung, „dass der erstmalig im Straßenverkehr auffällig gewordene, gelegentliche Cannabiskonsument nicht ohne Weiteres als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen“ werden sollte. Das bedeutet: Wer unter dem Einfluss von Cannabis am Steuer sitzt, sollte nicht mehr direkt seinen Führerschein verlieren. Stattdessen sollten die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, die Zweifel an ihrer Fahreignung durch die MPU (medizinisch-psychologischen-Untersuchung, im Volksmund auch „Idiotentest“ genannt) auszuräumen.

Grenzwerte

Weiterhin sprechen sich die Experten des Verkehrsgerichtstages dafür aus, den Grenzwert für die Fahrtauglichkeit von 1 Nanogramm THC je Milliliter Blutserum auf 3 Nanogramm anzuheben. Damit schließt sich die Arbeitsgruppe der Einschätzung der Grenzwertkommisssion an.

Cannabispatienten

Die Verkehrsexperten sehen bei Cannabispatienten Zweifel an ihrer Fahreignung. Daher sei diese zu prüfen:

„Auch im Falle einer medizinischen Indikation, insbesondere für die Verordnung von Cannabis-Blüten, begründet eine Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis Zweifel an der Fahreignung. Aus dem Gebot der Verkehrssicherheit heraus ist es deshalb erforderlich, dass dann auch vor dem Hintergrund der Grunderkrankung die Fahreignung zu prüfen ist.“

Darüber hinaus fordert der Arbeitskreis den Gesetzgeber auf, „für Kontrollen im Straßenverkehr ein geeignetes Nachweisdokument vorzusehen“.

Cannabis als Medizin hat derzeit eine Sonderrolle

Wer Cannabis zu Genusszwecken konsumiert, muss bisher mit Fahrverbot und Führerscheinentzug rechnen, selbst wenn er oder sie nicht berauscht am Verkehr teilgenommen hat. Das ist ungerecht – daher ist nur zu hoffen, dass durch den Vorstoß des Verkehrsgerichtstages diese Regelung geändert wird.

Cannabis-Patienten dürfen nach derzeitiger Gesetzeslage Autofahren, wenn sie sich das selbst zutrauen und keine Ausfallerscheinungen haben. Manche finden diese Unterscheidung ungerecht oder schlichtweg nicht nachvollziehbar. Was sind die Gründe für diese unterschiedliche Behandlung?

  1. Cannabis als Medizin versetzt die Betroffenen häufig erst wieder in die Lage, Auto zu fahren.
  2. Medizinalhanf ist ein Arzneimittel, keine Freizeitdroge. Es muss daher wie andere starke Medikamente behandelt werden.
  3. Bei der Cannabis-Behandlung ist nicht der Rausch das Ziel, sondern die Verbesserung von schwerwiegenden Symptomen.

Cannabis als Medizin stellt Fahrtüchtigkeit wieder her

Dass Cannabis als Rauschmittel und Cannabis als Medizin unterschiedlich bewertet werden, liegt daran, dass die medizinische Anwendung schwerkranken Patienten das Autofahren mitunter überhaupt erst wieder ermöglicht. Das kann beispielsweise bei Schmerzpatienten der Fall sein oder bei Personen, die an ADHS leiden.

Cannabis als Medizin ist verordnetes Betäubungsmittel

Medizinalhanf ist eine Arznei. Und für alle Menschen, die Medikamente einnehmen, besteht kein generelles Fahrverbot. Das Straßenverkehrsgesetz regelt in § 24a, Satz 2 die Ausnahme: Berauschende Mittel dürfen dann eingenommen werden, „wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“.

Verschiedene Medikamente können die Wahrnehmung eines Autofahrers beeinträchtigen: Beispielsweise Betäubungsmittel, zu denen auch Cannabis zählt, aber auch Mittel gegen Heuschnupfen können diesen Effekt haben. Der Arzt steht in der Pflicht, seinen Patienten aufzuklären. Ansonsten gilt aber, dass jeder Patient selbst entscheidet, ob er sich fit genug fürs Autofahren fühlt, oder nicht.

Auch der Deutsche Anwalt Verein (DAV) steht dahinter, ärztlich verordnetes Cannabis zu behandeln wie andere Medikamente. Ein Sprecher erklärte:

„Wenn aus medizinischer Sicht trotz Einnahme von Cannabis nichts gegen eine Fahreignung spricht, spricht auch nichts dafür, an der Fahreignung zu zweifeln.“

In der Cannabis-Therapie geht es nicht um Rausch

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Freizeitkonsum von Cannabis und dem medizinischen Einsatz ist der, dass in der Therapie kein Rausch erwünscht ist: „Eine Rauschwirkung ist nicht Sinn einer Therapie“, erklärt auch Johannes Horlemann, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin.

Stattdessen gehe es darum, den Patienten eine stabile Dosis an Cannabinoiden zu verabreichen. Neben dem potenziell berauschenden Wirkstoff THC kommt dabei ebenso das kaum psychoaktive CBD zum Einsatz.

Darüber hinaus stellt sich bei einer kontinuierlichen Einnahme von Cannabis als Medizin ein Gewöhnungseffekt ein. Das sieht beim Freizeitkonsum anders aus: Wer plötzlich eine hohe Menge Cannabis einnimmt, beispielsweise beim Rauchen eines Joints, erlebt einen Rausch.

Was kann die Fahrtüchtigkeit von Cannabis-Patienten beeinflussen?

Gerade in der Einstellungsphase zu Beginn einer Cannabis-Behandlung kann es zu einer beeinträchtigten Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit kommen. Auch wenn die Dosierung während einer laufenden Therapie erhöht wird, oder auf ein anderes Cannabisprodukt gewechselt wird, können diese Nebenwirkungen auftreten. In diesen Phasen muss das Autofahren ausgeschlossen werden.

Wie kann eine faire Lösung aussehen?

Der Aspekt Gerechtigkeit spielt in der öffentlichen Debatte um das Thema Cannabis am Steuer eine große Rolle: Ist es gerecht, Cannabispatienten „besser zu stellen“ als Freizeitkonsumenten, fragen viele Medien. Und was ist dann mit Alkohol an Streuer? Dort wird die Fahreignung erst ab 1,6 Promille angezweifelt. Dann droht der Verlust des Führerscheins. 0,5 bis 1,1 Promille im Blut wird als Ordnungswidrigkeit geahndet.

Der Deutsche Hanfverband beklagte bereits im Vorfeld zum Verkehrsgerichtstag, dass Konsumenten von Cannabis im Straßenverkehrsrecht gegenüber Konsumenten von Alkohol diskriminiert seien, da für sie viel strengere Werte angelegt werden.

Das Problem mit dem Grenzwert von THC: Restmengen können im Blut teilweise noch tage- oder gar wochenlang nach Abklingen der Rauschwirkung nachgewiesen werden. Somit bestraft der im internationalen Vergleich niedrige Grenzwert von 1,0 Nanogramm auch Fahrer, die lange nach dem letzten Konsum ein Auto lenken.

Wissenschaftliche Studien gefordert

Der ADAC fordert, die Frage nach einem verbindlichen Grenzwert von THC im Blut wissenschaftlich zu untersuchen. Im Hinblick auf die Cannabis-Patienten gilt es zu klären, „welche Auswirkungen eine ordnungsgemäße Einnahme von Cannabis als Medikament auf das Fahrverhalten hat.“

Die Experten des Verbandes der TÜV e.V. (VdTÜV) reagieren ähnlich: Sie fordern, dass die wissenschaftliche Begleitstudie, die den medizinisch-therapeutischen Nutzen von Cannabis als Medizin untersuchen soll, sich nicht nur auf diese Frage beschränkt. Stattdessen soll sie auch „die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit in Beruf und Verkehr einbeziehen, um hier rechtzeitig Risiken erkennen und ausschließen zu können“.

Weiterhin fordert der VdTÜV ein Alkoholverbot für Cannabispatienten im Straßenverkehr:

„Auch dürfen mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten nicht zu einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit führen. Das gilt vor allem für Alkohol: Da er in Kombination mit Cannabis zu einem hohen Unfallrisiko führt, muss hier eine strikte 0,0-Promille-Grenze gelten.“

Cannabispatienten hatten sich Rechtssicherheit erhofft

Menschen, die Cannabis auf Rezept einnehmen, dürfen zwar ein Auto fahren, es gibt aber keine explizite Regelung für sie – und auch keine eigenen Grenzwerte. Das kann bei einer Polizeikontrolle unangenehm werden, denn für die Polizisten ist die Situation schwer zu beurteilen.

Die Linke hatte bereits im letzten Jahr argumentiert: Cannabispatienten dürfen „am Straßenverkehr teilnehmen, solange ihre Fahrtüchtigkeit durch die Medikation nicht beeinträchtigt ist. Genau hier beginnt aber das Problem: Denn es gibt bislang noch keine wirksame Methode, einen Cannabis-Grenzwert für die Fahrtüchtigkeit festzulegen. Entsprechend fehlt ein Wert, an dem sich Cannabis-Patienten, die Autofahren wollen, orientieren können. (…) Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die betroffenen Cannabis-Patienten bald Rechtssicherheit erhalten.“

 

Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.

Quellen:

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