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Welchen Einfluss hat Cannabis auf Spermien?

Autor:
Dr. Christine Hutterer

Neue Untersuchungen zeigen, dass das Endocannabinoidsystem bei der Spermatogenese, insbesondere in den späten Phasen der Spermien-Reifung, eine wichtige Rolle spielt. Doch was bedeutet das für Cannabispatienten?

Welchen Einfluss hat Cannabis auf Spermien?

Schon seit längerem gibt es Hinweise darauf, dass das Endocannabinoidsystem auch im männlichen Reproduktionssystem eine Rolle spielt. Im Tiermodell fand man Hinweise darauf. Diese Hypothese ließ sich nun auch für den Menschen belegen. Denn in den Geweben und Zellen des männlichen Reproduktionssystems, sowie während unterschiedlicher Phasen der Spermienproduktion, alle Komponenten des Endocannabinoidsystems (Rezeptoren, Enzyme und Neurotransmitter) nachgewiesen werden konnten. Das haben dänische Wissenschaftler in einer kürzlich erschienenen Untersuchung gezeigt (1).

Spermien werden während einem Prozess gebildet, der als Spermatogenese bezeichnet wird. Beim Menschen dauert der Vorgang etwa 64 Tage. Die Vorläuferzellen der Spermien werden als Spermatogonien bezeichnet. Durch mehrere Zellteilungen (Mitose und Meiose) reifen sie zu funktionsfähigen Spermatozoen, auch als Spermien bezeichnet, heran.

Die Forscher untersuchten den gesamten Prozess und konnten beobachten, dass die Komponenten des Endocannabinoidsystems zu unterschiedlichen Zeitpunkten während der Spermatogenese aktiv waren. Am intensivsten war die Expression der Komponenten während der späteren Phasen der Spermienbildung. Also zu einem Zeitpunkt, wenn die Reifung der Spermien stattfindet.

Diese Erkenntnisse geben deutliche Hinweise darauf, dass das Endocannabinoidsystem diesen Prozess (mit)reguliert. Demnach müsste das Wissen um das männliche Reproduktionssystem überdacht werden. Bislang hätte man sich vor allem auf den Einfluss von Hormonen fokussiert, erklärt Niels Skakkebaek, einer der Autoren.

Enger Zusammenhang zwischen Endocannabinoidsystem und Fortpflanzungssystem

Die Bedeutung des Endocannabinoidsystems für das männliche Fortpflanzungssystem ist demnach größer, als bisher gedacht. Wichtige Enzyme, wie FAAH, ABHD2, MGLL und NAPE-PLD, die für die Herstellung oder den Abbau der Endocannabinoide 2-AG und AEA zuständig sind, wurden ebenfalls zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Zelltypen im Hoden entdeckt. Ebenso die Cannabinoid-Rezeptoren. Aus vorhergehenden Untersuchungen war bereits bekannt, dass Komponenten des Endocannabinoidsystems im menschlichen Ejakulat nachgewiesen werden können.

Eine Untersuchung an unfruchtbaren und fruchtbaren Männern ergab in der Vergangenheit ebenfalls interessante Zusammenhänge. So ist im Samen unfruchtbarer Männer die Menge an 2-AG und Anandamid verringert und der Abbau der vorhandenen Endocannabinoide verläuft schneller. Die Rezeptoren CB1 und CB2 scheinen bei frucht- und unfruchtbaren Männern keine Unterschiede aufzuweisen, doch der TRPV1-Rezeptor ist bei unfruchtbaren Männern fehlerhaft und nicht funktionstüchtig (2).

Cannabis und die Spermienqualität

Aus früheren Studien weiß man, dass die Spermienqualität bei Cannabiskonsumenten beeinträchtigt ist. Eine dänische Untersuchung aus dem Jahr 2015 an 1.215 gesunden Männern ergab, dass die Spermienanzahl bei regelmäßigen Cannabiskonsumenten um 29 Prozent, und die Spermienkonzentration um 28 Prozent geringer war (3).

Auch in-vitro-Ergebnisse haben zu der Vermutung geführt, dass der Cannabiskonsum die Spermaqualität negativ beeinträchtigen könnte (4). Wie der zugrundeliegende biologische Mechanismus dahinter aussehen könnte, ist aber noch nicht klar.

Noch nicht endgültig geklärt ist, ob die Effekte möglicherweise dosisabhängig sind. Forscher der Harvard School of Public Health und des Massachusetts General Hospital in Boston hatten festgestellt, dass bei Gelegenheitskonsumenten und ehemaligen Cannabiskonsumenten mehr von dem Sexualhormon Testosteron im Blut gefunden wurde (Leafly.de berichtete).

Zudem fanden sich mehr Spermien pro Milliliter. Und zwar im Mittel 63 Millionen gegenüber 45 Millionen bei Männern, die nie Cannabis konsumiert hatten. Ob geringe bis moderate Cannabis-Dosen tatsächlich günstige Effekte auf die Spermienanzahl und -qualität haben und ob es einen ursächlichen Zusammenhang gibt, sagen die Ergebnisse nicht aus.

Was bedeuten die Ergebnisse für Cannabiskonsumenten und Cannabispatienten?

Die wichtigste Botschaft der unterschiedlichen, und besonders der aktuellen dänischen, Studien ist, dass das Endocannabinoidsystem und das männliche Reproduktionssystem eng verknüpft sind. Das Endocannabinoidsystem spielt offenbar während der gesamten Spermatogenese, besonders aber in den späten Phasen der Spermienreifung, eine wichtige Rolle.

Das Endocannabinoidsystem reguliert Prozesse sehr passgenau – schon wenige Moleküle eines Endocannabinoids an einem Rezeptor reichen aus. Anschließend erfolgt der sofortige Abbau der aktiven Substanzen durch Enzyme. Jede Veränderung der sensiblen Steuerung, ob durch eine krankhafte Störung/Veränderung des Endocannabinoidsystems oder durch die Verwendung von Cannabis, kann das System aus dem Gleichgewicht bringen.

Die Forscher glauben beispielsweise, dass die CB1-Rezeptoren für Reifeteilung (Meiose) der Spermien wichtig sind. THC in Cannabis aktiviert den CB1-Rezeptor und könnte dadurch das System stören.

Doch auch CBD-Anwender könnten betroffen sein. Während der Spermienproduktion sind auch Anandamid und das Enzym FAAH wichtig. CBD blockiert den Abbau von FAAH. In der Folge gibt es mehr von dem Enzym und damit auch mehr Anandamid.

Welche genauen Auswirkungen die Einnahme von Cannabis auf die Spermienqualität und die männliche Fruchtbarkeit hat, lässt sich noch nicht vollständig sagen. Liegt ein Kinderwunsch vor, sollte vorsichtshalber, wenn möglich, auf die Einnahme von Cannabis verzichtet werden. Patienten, bei denen das nicht möglich ist, sollten mit ihrem Arzt den Nutzen und die Risiken für die Fruchtbarkeit besprechen.

Quellen:

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