Erst Facebook, dann Amazon und die großen Kreditkartenunternehmen, nun YouTube: Der Schritt, der ohne die öffentliche Ankündigung von YouTube kam, hat die Cannabiswelt verwirrt. Zumal es sich bei den Channels nicht nur um Freizeitkonsum dreht, sondern auch um die medizinische Anwendung. Es kommt zu einer abrupten Kehrtwendung in einer Zeit, in der Cannabis eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz findet. Die Pflanze bleibt in den USA föderal illegal, doch nur eine kleine Handvoll Staaten verbietet Cannabis in allen Formen in den USA. In Deutschland ist Einsatz von Cannabis als Medizin seit über einem Jahr legal. Und CBD wurde von der WHO als unbedenklich eingestuft. Auch andere europäische Länder wie Spanien, Italien, Österreich, Schweiz usw. sind betroffen.
Was ist da los bei YouTube?
“YouTube löscht momentan sehr viele Kanäle. Der Kanal von Dinafem, Hanfmann und auch unser Limucan Kanal wurden gelöscht. Und natürlich noch einige mehr. Mal schauen, wie es weiter geht. Ursprünglich dachten alle YouTube sei toleranter als Facebook. Jetzt ist die Situation genau umgekehrt”, sagt Murad Salameh, Inhaber und Geschäftsführer von Limucan CBD-Produkten.
Auch Georg Wurth, Vorsitzender des Deutschen Hanfverbands und Betreiber eines der größten deutschen YouTube Channel zum Thema Cannabis in Deutschland ist im Gespräch mit Leafly.de besorgt: “Zurzeit läuft eine beispiellose Zensurwelle gegen deutsche und internationale Drogenkanäle auf Youtube. Open Mind, ExzessivTV und Stürmer wurden komplett gelöscht. Beim DHV-Kanal haben innerhalb einer Woche vier Videos eine Altersbeschränkung bekommen. Ich habe da erst keinen Zusammenhang gesehen. Die Newsfolgen sind sowieso immer harmlos und das Interview mit der alten Dame, das ist einfach lächerlich. Aber vielleicht sind es einfach bestimmte Schlagworte in den Titeln: 2x „Cannabis+anbau“, 1x „Hanfsamen“, 1x „Cannabis+test“.”
Diese vier DHV-Videos wurden innerhalb einer Woche mit einer Altersbeschränkung versehen:
In einer Videobotschaft auf YouTube erläutert „Der Micha“, dass alle Videos gelöscht wurden, die zu per Link zu Samenbank weiterführten. Diese Links waren meist im Beschreibungstext des Videos eingebettet. Dies widerspricht jedoch den Strikes und Flags (also den Warnungen), die zum Beispiel Limucan oder der Deutsche Hanfverband erhalten haben. Denn dort wurde in keinem Video auf Samenbanken verwiesen. Vielleicht ist es also eine Kombination aus mehreren Faktoren, die zur Löschung der vielen Accounts führte?
Eine mögliche Erklärung
YouTube gehört zum Internetgiganten Google. Google hat, so wie auch Facebook, Twitter, Mastercard oder Visa, seinen Hauptfirmensitz in den USA. In den USA unterliegen diese Firmen dem Federal Law, also dem Bundesgesetz – in diesem Fall dem Federal Marijuana Law. Auch wenn in einigen der 46 Bundesstaaten eine medizinische Freigabe und sogar der Freizeitkonsum gestattet sind, gilt Cannabis auf bundesamerikanischer Ebene nach wie vor als illegal. Folglich müssen Onlinefirmen illegale Inhalte von ihren Plattformen entfernen, wenn sie nicht von den USA selbst verklagt werden wollen. Mehr zu diesem Thema hier.
YouTube hat selbstverständlich, so wie Facebook und Instagram auch, eine Hoheit über das eigene Portal und kann seine eigenen Regeln machen, an die sich die User dann zu halten haben. Dass diese nicht immer der deutschen Rechtssprechung entsprechen ist ärgerlich, allerdings hat man hier kaum Chancen dagegen anzugehen. Schließlich sind wir alle nur freiwillige Gäste und niemand zwingt uns die Dienste zu nutzen.
Erst Waffen, jetzt Cannabis
Doch es geht nicht nur um Cannabisinhalte. Auch rechtlich bedenkliche Videos oder andere bestimmte gesundheitlich bedenkliche Themen werden von der Plattform gelöscht. Das ist per se keine schlechte Sache. Das Verbot einiger Cannabisinhalte spiegelt die kürzlich erfolgte Schließung von Kanälen mit Waffenvideos wider. Viele, die Waffengewalt verherrlichten, wandten sich nun dem Selbsthosting zu oder verlagerten ihre Videos nach Pornhub (der sein eigenes Verbot durchsetzte). Einige Cannabis-Content-Entwickler verschieben nun ihr Material auf Instagram und andere soziale Netzwerke.
Im April wurde YouTube vom Magazin New York zitiert, da es seine Richtlinien geändert habe.
Ein YouTube-Vertreter sagte in einer Erklärung: „Während wir den Verkauf von Schusswaffen lange Zeit verboten haben, haben wir die Betreiber kürzlich über Updates informiert, die wir im Zusammenhang mit dem Verkauf oder der Herstellung von Feuerwaffen und deren Zubehör machen werden.“
Nun scheint es, dass YouTube Cannabis ähnlich behandelt – mit einer liberalen Interpretation dessen, was die „Werbung“ für Cannabis darstellen könnte.
Geht es nur ums Geld?
Einige US-amerikanische Betreiber vermuten, dass es nur ums Geld geht. Warum? YouTube kann keine Werbeeinnahmen aus Cannabisinhalten erzielen. Ein Beispiel: Letztes Jahr hat YouTube die App „The Adpocalypse“ getestet. Hier sahen viele Top-Werbetreibende ihre Anzeigen bevor unangemessenen und für ihre Marke schädliche Inhalte gespielt wurden. So stellten sie ihre Anzeigen bei YouTube ein. Und als das Geld anfing zu gehen, aktualisierte YouTube seinen Algorithmus, um zu verhindern, dass „unpassende“ Inhalte Werbung gegen ihren Willen liefern und seitdem bröckelt das gesamte YouTube Construct.
Vermeintliche YouTube “Stars” schaden der Plattform
YouTube steht unter dem Verdacht, fragwürdige Inhalte für Kinder zuzulassen. Zuletzt wurde die Plattform unter Beschuss genommen, weil Videos von dem Verschwörungstheoretiker Alex Jones über Sandy Hook-Überlebende angegriffen wurden und behauptet wurde, dass die Massenerschießungen von Schulkindern „nicht passierten“. Inzwischen entfernte YouTube einen Videobericht von Media Matters, der zeigte, wie Jones sich ausbreitete mit diesen Unwahrheiten. Später wurde es wieder eingesetzt. YouTube nahm auch harte Kritik entgegen für seinen Umgang mit der Kontroverse um Logan Paul, in der der YouTube-Star die Leiche einer Person zeigte, die sich in einem japanischen Wald erhängt hatte. Und so verstärkten die Werbetreibenden einmal mehr ihren Druck auf die Plattform ihre Inhalte zu prüfen, bevor diese online gehen.
Umzug nach Instagram oder Pornhub
Mehrere andere Channelersteller sind auf Instagram wieder erschienen. Dort leiteten sie Fans zu anderen Seiten um, einschließlich der Spieleplattform Twitch, die kürzlich geöffnet wurde, um Cannabisinhalte für Livestreams zuzulassen. Nutzer erstellen auch neue YouTube-Konten, um ihre alten Abonnenten zu erreichen. Andere sind der Herangehensweise einiger Hersteller von Waffenkanälen gefolgt und haben sich auf eine Website mit einer hohen Toleranz für Inhalte für Erwachsene verlagert: Pornhub.
Niemand kann YouTube erreichen
Die Motive von YouTube sind für die Channelersteller ebenso unklar. Die Kommunikation ist hart, wenn nicht unmöglich. YouTube gibt zumindest jedem US-Entwickler lediglich 500 Zeichen, um jeden ihrer Angriffe zu widersprechen. Es scheint, dass Bots diese Meldungen überprüfen, da in wenigen Minuten Antworten zurückgeschickt werden. In Deutschland hat man für die Beschwerdemeldung lediglich eine Zeile zur Begründung und die Antworten dauern Tage. Nachrichten, die an die Medienkontakte von YouTube geschickt werden, laufen ins Leere. Wir hatten bis heute um 17 Uhr ein Statement vom deutschen Pressesprecher Henning Dorstewitz und bei der US-amerikanischen Pressestelle angefordert. Leider kamen keine Antworten.
Daher zitieren wir, was auf der Presseseite von YouTube steht:
“Unsere Mission ist es, allen eine Stimme zu geben und ihnen die Welt zu zeigen. Wir sind der Meinung, dass jeder die Chance haben sollte, seiner Stimme Ausdruck zu verleihen. Indem wir einander zuhören, uns mit anderen austauschen und durch unsere Geschichten eine Community aufbauen, können wir die Welt zu einem besseren Ort machen.”
Weiter wird auf die Wert der Plattform verwiesen:
“Unsere Werte basieren auf vier Säulen, die bestimmen, wer wir sind.
- Meinungsfreiheit: Wir sind der Meinung, dass Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung, einen Meinungsaustausch und offene Dialoge haben und dass kreative Freiheit neue Stimmen, Formate und Möglichkeiten hervorbringt.
- Informationsfreiheit: Wir sind der Meinung, jeder sollte mühelosen und uneingeschränkten Zugang zu Informationen haben. Videos sind ein wichtiges Medium für Bildung, besseres Verständnis und die Dokumentation des Weltgeschehens.
- Chancengleichheit: Wir sind der Meinung, jeder sollte die Chance haben, entdeckt zu werden, eine Marke aufzubauen und aus eigener Kraft zum Erfolg zu gelangen. Zuschauer sollen selbst entscheiden, welche Inhalte beliebt sind.
- Freiheit der Zugehörigkeit: Wir sind der Meinung, jeder sollte Zugang zu hilfreichen Communities haben, Barrieren überwinden und Grenzen überschreiten sowie sich mit anderen über gemeinsame Interessen und Leidenschaften austauschen können.”
Selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen von der Regel, wie immer. Und so wie es aussieht, fallen Kanäle mit Cannabisinhalten, egal ob für Freizeitkonsum oder medizinischem Gebrauch, unter diese Ausnahmeregelung.
Werfen wir hierzu noch einen Blick in die AGB von Youtube bzw. Google, genauer gesagt in die Kategorie „Schädliche oder gefährliche Inhalte“:
„Zu den Videos, die unserer Meinung nach gefährliche oder illegale Aktivitäten fördern, zählen Anleitungen zum Bombenbau, Erstickungsspiele, die Verwendung harter Drogen oder andere Handlungen, die ernsthafte Verletzungen zur Folge haben können. Ein Video, das gefährliche Handlungen darstellt, kann zulässig sein, wenn es primär pädagogischen, dokumentarischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken dient und nicht unnötig grausam ist. Beispiel: Eine Veranschaulichung der Gefahren von Erstickungsspielen ist angemessen, während das Posten von Auszügen dieser Dokumentation ohne Kontext unangemessen sein kann.“
Offensichtlich wird Cannabis also nach wie vor als harte Droge eingestuft und die Aufklärungsvideos, zum Beispiel wie ein Vaporizer funktioniert, werden als ‘schädlich oder gefährlich’ eingestuft. Leafly.de wird die Sache weiter beobachten und wir warten weiter auf eine Antwort von YouTube.
Hinweis: In diesem Artikel berichten wir über rezeptpflichtiges CBD oder auch Cannabidiol. Dieser Artikel macht zur möglichen Zweckbestimmung keinerlei Vorschlag. Nutzversprechen bleiben den Apothekern überlassen.
Quellen: